Boikot
Man muss auch ab und zu lachen!



„Boikot“ ist eine spanische Punk Band. Die ansonsten so richtig krachigen Jungs haben es für ihr neues Erzeugnis „Amaneció“ ein wenig ruhiger angehen lassen. Die unglaublich schnellen Gitarrenriffs der älteren Songs wurden durch punkigere und etwas hellere Variationen ersetzt. Das Schlagzeug prügelt zwar immer noch richtig heftig, doch sind es diesmal eher die Snare, die Becken und die Trommeln, die malträtiert werden. Der Bass kommt ein wenig kürzer. Außerdem sind erstmals beinah balladenartige Titel enthalten. Der Metal, der auf den letzten Alben so atemberaubend krass und heftig dem Publikum alles um die Ohren gehauen hat, wurde auf „Amaneció“ durch Ska und Punk ersetzt. Die Bläser sind ebenfalls sehr viel öfter und markanter im Einsatz. Außerdem sind ganz neue Instrumente mit von der Party. Da schleicht sich eine Klarinette zwischen die Gitarren und sie weiß sich durch zu setzen. Einfach nur wunderbar! Sehr genial. All das ist Grund genug ein wenig mit dem Schlagzeuger Grass von „Boikot“ über ihren Weg und das neues Album zu plauschen.

Das erste Lied, was ich von Euch gehört habe, war "No Pasaran" Eure Version des klassischen Partisanenlied "Bella Ciao", das ihr mit dem zapatistischen Kampf gegen Neoliberalismus verbunden habt. Eure musikalische Mischung aus harten Gitarren, kraftvollem Gesang und dem traditionellem akustischem Part steht für mich symbolisch für die internationale Soziale Bewegung. Außerdem erinnert mich Euer Sound an meine Jugend. Als ich um die sechzehn war, besuchte ich eine Konzert der baskischen Band "Su Ta Gar". Sie waren mit ihrem zweiten Album auf Tour. Eurer hartes und schnelles Schlagzeug hat mich sehr an die Basken erinnert. Und deshalb mochte ich Eure Musik von Beginn an. Was würdet Ihr sagen, wo Eure musikalischen Wurzeln sind?

Also, unsere musikalischen Wurzeln sind sehr vielfältig. Wir hören sehr viel verschieden Musik, nicht nur Punk Rock. Wir hören auch Metal, Ska, Classic Rock, Hardcore und manchmal sogar Pop, der uns an schöne Momente in den guten alten Zeiten erinnert. Übrigens kennen wir "Su Ta Gar" schon sehr lange. Wir haben sogar schon mit ihnen im Baskenland gespielt. Ich denke, unsere Musik erinnert Dich an sie, weil wir ähnlich kraftvoll und schnell spielen.

Eure ersten CDs waren sehr von Rock’n’roll dominiert, den ihr mit Punk- und Skaelementen mischtet. Die Trilogie "La Ruta del Che" war ein Wechsel. Diesmal habt ihr euren alten Stil mit neuen Latin und Hardcore Elementen kombiniert. Außerdem hab ich das Gefühl, dass mit den drei Alben eure politische Sicht sehr viel stärker radikalisiert hat, ähnlich wie eure Musik. Der Titel "Pueblos II" zum Beispiel ist musikalisch und politisch ein Schrei, eine Reise zu den Befreiungsbewegungen in (Süd-) Amerika. Und ihr habt erstmals in eurer ganz speziellen Weise einen traditionellen Partisanen- und Guerillatitel neu interpretiert. Was bedeuten Euch die klassischen Partisanen- und Guerilla- sowie Arbeiterkampflieder und für Euch und Eure Musik?

Wir alle sind aus einem schwierigen Kiez. Ich bin aus Barcelona und der Rest der Band kommt aus Madrid. Wir waren immer Working Class Kinder. Unsere Väter arbeiteten in scheiß Fabriken und wir waren auf der Suche nach einem anderen Leben. Deshalb singen wir von Freiheit, Gerechtigkeit und gleichen rechten für alle. Genaus so wie, die Lieder die Du angesprochen hast.

Ich hab ein sehr schönes live-Video gesehen, in dem ihr "Hasta Siempre" performt. Ich glaube, das Video ist von eurer DVD "Historias Directas de Boikot". Das Lied beginnt mit einer soften akustischen Gitarre. Ich glaube, es war Kosta Vásquez der versucht das Lied zu singen. Aber das Publikum war lauter. Es wollte den Text selbst singen. In diesem Moment schien das Publikum und die Band eins zu sein. Es war, als ob das kein Konzert für sondern mit dem Publikum war. Was meint ihr bedeutete die Tour durch Südamerika für Euch und eure musikalische Entwicklung?

Ich sehe, Du hast ein gutes Gefühl bei dem Song, danke! Schön, dass er Dir gefallen hat. Also, eine Tour durch Südamerika zu machen verändert Deine Wahrnehmung. Südamerika ist ein großer Kontinent und gleichzeitig sehr arm, voll Leid und Ungerechtigkeit. Und das dürfen wir nicht erlauben! Ganz besonders weil die Mehrheit der Bevölkerung unter widrigen Verhältnissen lebt. Dies gilt jedoch nicht für die Regierungen. Wir haben "No escuchar" in Mexiko aufgenommen und dort fünf Konzerte gegeben. Wir haben die Dinge gesehen, die auf dem Album erzählt werden. Wir haben die Geschichten erlebt, die Du hören kannst. Wir mögen es, offen Probleme anzusprechen und zu polarisieren. Aber immer mit Worten und unserer Musik.

Im Jahr 2004 habt ihr "Stop censura" mit verschiedenen spanischen Musikern und Bands aufgenommen. Warum habt ihr diesen Song gemacht? Steht er in Verbindung mit der Erklärung der Baskischen Organisation "Euskadi Ta Askatasuna" (ETA), die den Stopp militärischer Aktionen in Katalonien erklärte, um den Friedensprozeß voran zu treiben?

Um wieder über das Thematisieren von Problemen zu sprechen. Dies ist ebenfalls eine Krise, die wir ansprechen wollten. Nur diesmal ist unser eigenes Land betroffen. Viele Bands, wie „Sociedad Alcoholica“, „Su Ta Gar“, „Berri Txarrak“, die alle aus dem Baskenland kommen, wurden von den rechten Parteien für ihre Texte der Unterstützung des Terrorismus bezichtigt. Aber das ist nicht wahr! Sie wurden nur deshalb beschuldigt, weil sie Basken sind! Und das ist wieder eine Ungerechtigkeit über die geredet werden muss. Darum haben wir viele Bands aus dem ganzen Land eingeladen um diesen Song und ein Video zu machen. Es war sehr beeindruckend. Auf jeden Fall kann Terrorismus durch die Denunziation von Bands Terrorismus nicht verhindert werden. Um Terrorismus zu stoppen muss miteinander geredet werden! Und zwar sofort! Die Band „Banda Bassotti“ hat zur Zeit ähnliche Probleme, weil sie das Baskenland unterstützt.

Ich habe Euch erstmals zusammen mit „Banda Bassotti“ im Kato in Berlin gesehen. Es war für mich eines der beeindruckendsten Konzerte seit Jahren. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die linke Gegenkultur noch am Leben und so kraftvoll ist. Ich werde diese vielen Menschen nie vergessen, die zur Eurem kämpferischen Rock die linke Faust reckten. War es eigentlich purer Zufall, dass ihr dieses Konzert in Berlin zusammen mit „Banda Bassotti“ gespielt habt? Und, wie würdet ihr Eure Beziehung zu „Banda Bassotti“ beschreiben?

Wir kannten sie schon vorher. Wir haben mit ihnen schon einmal im “Kato” gespielt. Wir kennen ihren Produzenten Kaki Arkarazo schon seit Jahren. Unser Verhältnis ist, weil wir öfter zusammen gespielt haben, sehr viel enger geworden. Wir waren sogar zusammen in Spanien. Und jetzt haben wir mit ihnen eine Deutschland Tour zusammen gemacht. Wir hatten sie nach Madrid zu einem für uns sehr wichtigem Konzert eingeladen. Piccio und Sigaro kamen und spielten zusammen mit uns „Bella Ciao“. Es war der Hammer. Sie sind gute Menschen, die begeistert singen, was sie fühlen.

Ihr schreibt als Information zu Eurem neuen Album “Amaneció”, dass es in verschiedenen Städten aufgenommen worden ist. Aus diesem Grund treffen sich auf dem Album so viele verschiedene Kulturen, die einen neuen Weg finden mussten, inspiriert von Eurer ganz speziellen Art, musikalisch zusammenzukommen. Ich persönlich finde, dass dieses Album einen neuen Stil, einen wirklich europäischen Stil, der Elemente von Westen bis Osten vereint, kreieren kann und wird. Ihr kombiniert harmonisch Latin, Ska und keltische Musik mit dem fröhlichen, aber auch manchmal melancholischen Sound osteuropäischer Musik. Ihr bezieht sogar arabische Elemente mit ein. Nichtsdestotrotz, dieses Album klingt ganz anders als Eure vorhergehenden. Die Musik und Stile sind nicht gebrochen, sondern sie greifen ineinander und kombinieren verschiedene kulturelle Einflüße auf eine ganz besondere Art und Weise. Warum seid Ihr nach Bosnien gegangen, in dieses zerstörte Land, wo soviel Leid und Trauer herrscht, wo sich die Ethnien selbst entzweien?

Oh, danke für die Komplimente zu unserem Album. Danke für alles, was Du darüber sagst! Vielen Dank! Der Grund warum wir nach Bosnien gegangen sind war, weil wir unseren Punk Rock mit Balkan Musik verbinden und nicht wieder ein Album im Baskenland, wie schon die letzten, aufnehmen wollten. Und außerdem wollten wir uns musikalisch verändern. Zuerst wollten wir nach Russland, aber wir waren zu spät dran. Dann sprachen wir mit unserem Produzenten Javier Abreu, der kennt jemand in Mostar – in Bosnien – vom „Pavarott Music Centre“, einem Ort für Kinder, die vom Bürgerkrieg betroffen sind. Es ist ein faszinierender Ort. Das Zentrum gehört zur Organisation „War Child International“ und bietet eine gute Möglichkeit Menschen zu helfen. Du kannst Dir ihre Homepage – www.warchild.org - anschauen, es lohnt sich. Kuckst Dir an. In dem Zentrum erzählte man uns, wie der Krieg begann und warum. Wir waren dem Kriege so verdammt nah, wie Kosta, Jkar, Alberto und ich es noch nie waren. Aber lass uns über Musik reden, nicht über Krieg. Wir versuchen immer mit den Menschen zu leben, deren Stadt wir besuchen. Wir schreiben unsere Texte über diese Orte, weil wir unserem Publikum zeigen wollen, wenn sie unsere Musik hören, dass Menschen an verschiedenen Orten ähnliche Gefühle haben. So war es in Kuba, Mexiko, Argentinien, Kolumbien, Venezuela, sogar in der Türkei, wo wir zweimal waren. Aber auch in Italien oder in Deutschland. Überall auf der Welt gibt es Probleme und Ungerechtigkeit und wir wollen davon erzählen.

Euer Lied „Amaneció“ verbindet sehr verschiedene musikalische Elemente. Es beginnt als traditioneller Walzer, geht mit einem Latin-Ska Teil weiter und wird zu einem schnellen Punk Rock Song. Aber das ist noch nicht alles. Ihr verknüpft diese verschiedenen Elemente noch mit Eurem Metal, der in einen fröhlichen Zigeunertanz übergeht. Und am Ende kracht alles zusammen. Dieses Lied ist ein echter Hit! Es ist ein wahnsinnig guter Partykracher. Ich könnte mir ihn den ganzen Tag anhören. Wo und wie habt ihr diesen Song komponiert und aufgenommen? Wie fühlt ihr euch bei der Verknüpfung dieser komplett verschiedenen Stile?

Dieses Lied wurde in Mostar aufgenommen. Der Rhythmus, alle Gitarren und sogar Teile des Gesangs haben wir dort aufgezeichnet. Außerdem wurden alle traditionellen Instrumente wie Akkordion, Klarinette und Tamburitza dort eingespielt. Es war echt spannend, denn wenn ein Musiker Deine Musik nicht mag, dann spielt er sie nicht. Zuerst waren die Gäste nicht daran gewöhnt schnell zu spielen. Aber später machte es ihnen Spaß unseren Punk Rock mit ihrer Art zu spielen zu verbinden. Du, ich glaube, unsere Idee hat funktioniert.

Ein anderes Lied, was ich sehr mag, ist „Ska-Lashnikov“. Der Anfang klingt, wie eine jüdische Klezmermelodie. Die Klarinette klagt ganz sanft, aber ihr kehrt die Erwartung total um und macht einen wirklich schnellen Ska-Punk- Song daraus. Der Metal Part ist ebenfalls wieder drin ohne den schönen Party-Track zu stören. Es ist wieder ein harmonisches Zusammentreffen der Kulturen, nur das ihr diesmal musikalisch sogar noch weiter nach Osten gegangen seid. Warum wollt ihr das Video zu „Ska-Lashnikov“ in Mostar aufnehmen, ausgerechnet in dieser zerstörten Stadt? Warum soll die Brücke, die 1943 Zeuge der größten Schlacht zwischen der Jugoslawischen Befreiungsarmee und den deutschen Faschisten wurde, die Bühne für das Video sein?

Weil die Brücke, wie Du schon erwähntst, eine bedeutungsvolle Geschichte hat. Kein Besatzer und Eindringling konnte sie zerstören, weder im ersten, noch im zweiten Weltkrieg. Sie wurde erst durch die eigenen Einwohner, in ihrem Bruderkrieg, zerstört. Dieses Ereignis war sehr schmerzhaft für die Bevölkerung von Mostar. Ein weiterer interessanter Titel ist “Bubamara”. Für mich klingt er, wie ein russisches Volkslied. Die Trompete könnte natürlich auch aus einem osteuropäischen, kommunistischen Arbeiter- oder Marschlied sein.

Worum geht es in dem Lied?

Es geht um eine Romafeier. Sie spielen dort sehr viel Musik und „Fanfarria“ (Romamusik und Rhythmen). Sie singen auf Hochzeiten und Beerdigungen. Und wir haben einen Song gemacht um darüber zu erzählen, aber ergänzt um Gesichten der verlorenen Generation der letzten Balkankriege. Im Krieg gab es ein Sprichwort. Es ging ungefähr so: Erinnere Dich an die Fehler, die wir gemacht haben und kämpfe darum, dass sie nicht wieder geschehen. All das kombinieren wir mit einer fröhlichen Party. Du kannst eben nicht die ganze Zeit kämpfen. Du brauchst Zeit um lachen zu können.

Eurer Bonustitel ist ein traditioneller bosnischer Sevdah-Titel, ein ursprünglich aus Mostar stammendes Lied, das über die Stadt erzählt. Ihr habt eine akustische Version von dem Titel aufgenommen. Die Sevdah-Musik verbindet im wahrsten Sinne des Wortes muslimische und slawische Wurzeln des Balkan. Wieder inszeniert ihr eine kulturelle Vereinigung. Warum habt ihr dieses Lied als schönes „Outro“ für Euer Album gewählt?

Das Lied ist ein Volkslied aus Mostar. Es erschien uns als gute Wahl um uns vom Album zu verabschieden. Es wird von Teo, einem guten Freund von uns, gesungen.

Also, dieses Album scheint ein Neubeginn in eine neue Richtung zu sein. Ihr habt vier Jahre gebraucht um es aufzunehmen. Ihr wart in ganz Europa unterwegs. Offensichtlich und hörbar habt ihr überall interessante, fröhliche und freundliche Menschen getroffen. Ihr nahmt ihre Wärme und ihr Glück und habt beides in eure Musik integriert. Seid ihr mit dem Ergebnis zufrieden?

Ja! Es ist, wie Du es sagst! Überall und auf der ganzen Welt Menschen treffen. Das ist herrlich. Wenn wir uns einmal trennen sollten – ich weiß nicht, wann das sein wird – wäre es wunderbar, wenn sich die Leute an uns als eine super Punk Rock Band erinnern.

Interview: Igor Machnow (05/2009)