Various Artists
"Nyahbinghi Box Set"
(Trojan/Zomba - 2003)
Rootsiger geht's
nicht mehr. Das steht fest. Aber, was Nyahbinghi eigentlich heißen
soll, darüber streiten die Experten, sofern sie sich nicht gänzlich
über Sinn und Herkunft des Wortes ausschweigen: Verena Reckford
vom Jamaica Journal hält Nyahbinghi für einen Rasta-Ausdruck,
der nichts anderes bedeutet als "Tod den weißen Unterdrückern
und ihren schwarzen Unterstützern". Für den Herausgeber
des Fort Lauderdale Sun-Sentinel, den Religionsfachmann James D. Davis,
verbirgt sich hinter der Bezeichnung "eine der besser bekannten
Rastafarian-Sekten". Reggae-Lexikon-Autor Rainer Bratfisch leitet
den Namen dieses "Ordens der Rastafari" von Nyahman ab, was
für Mitglied stehe - im engeren Sinn für ein Mitglied einer
"pan-afrikanischen Geheimgesellschaft unter der Führung vom
Haile Selassie, deren Ziel darin bestand, ganz Afrika vom europäischen
Kolonialismus zu befreien".
So weit, so wirr. Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass Nyahbinghi
die wahre Rasta-Musik darstellt. Reggae basiere zwar auf Nyahbinghi,
mache aber rhythmisch und inhaltlich schon deutliche Zugeständnisse
an ein breiteres Publikum, meinen die Hardliner: Also, Reggae gleich
Rasta-Musik verwässert, um sie besser zu verkaufen.
Ohne Frage lässt sich Getrommel, begleitet von getragenen, sakralen
Männerchören, wohl schlechter unter die Leute bringen als
Reggae. Deshalb hat Trojan auch einen geschickten Kunstgriff getan:
Statt reiner Nyahbinghi-Rhythmen - wie sie viele wohl gerade noch vom
Früh-90er-Riddim "Kette Drum" her kennen oder vielleicht
von Count Ossies legendärem "Grounation" Dreifachalbum
- enthält das Nyahbinghi Box Set auch Reggae-Versions. Pulsierende
Drum-Beats treiben die Wurzeln von Songs wie "Back to Africa",
"Bongo Nyah", "My conversation" und "Yim mas
gan" noch tiefer ins Erdreich. Und fast immer mit dabei Count Ossie,
Ras Michael oder Bongo Herman. Die Trommler-Ikonen spielen bei mehr
als drei Vierteln der 50 Tracks mit!
Den Reggae-Tracks stehen die trägen, teils zehnminütigen Nyahbinghi-Hymnen
gegenüber - darunter sämtliche Tracks des Albums "Peace
& Love", das Ras Michael mit der Formation Dadawah aufgenommen
hat. Sie vereinen tiefe Religiosität mit meditativem und virtuosem
Getrommel. Langeweile kommt dabei nicht auf. Denn das Set verliert sich
nicht in schnödem Geklopfe, sondern hält auch ergreifende
Melodien parat. Besinnlicher kann Musik nur schwerlich klingen. Und
generell bringt fast jeder Ton auf der Nyahbinghi-Box das "cultural
feel" so stark zum Ausdruck, dass sich manchmal sogar die Haare
im Nacken aufstellen. The Roots of all Roots. Absolut crucial!!!
Jürgen "Reggaedoctor"
Schickinger
www.sanctuarygroup.com
www.zomba.de