Wailing Souls
„Back A Yard“
(Greensleeves – 2020)
Prolog
Die neue Weltordnung ist schon längst passiert, und die Mehrheit von uns hat dabei bereitwillig, oder zumindest stillschweigend, mitgemacht. In ihrem bereits Anfang der 90er veröffentlichten Song „Shark Attack“, einen ihrer vorerst letzten großen Hits in sage und schreibe sechzigjähriger Kariere, das jetzt hier eine neue Überarbeitung erfuhr, haben die Wailing Souls in typisch bildgewaltiger Sprache den Modus Operandi dieser neuen Betriebsordnung der Welt beschrieben.
Die Baldheads in Anzügen und mit Aktenkoffern griffen von nun an im Namen des Profits ungezügelt wie Haie alles und jeden an, dass ihnen in die Fänge kam, saugten es aus und wanderten zum nächsten Opfer. Währenddessen haben wir, sediert im falschen Versprechen einer strahlenden Zukunft, die so tatenlos dem Treiben zusahen, diese kleine digitale Dinger bekommen, in denen wir uns selbst betrachten können, bis wir von der Klippe stürzen – Smartphone als mythologischer moderner See im Hosentaschenformat, in das der selbstverliebte Narziss so tragisch fiel.
So alt wie Reggae selbst
Sie sehen, die Songs von Winston ‚Pipe‘ Matthews und Lloyd ‚Bread‘ McDonald, der heute letzten beiden verbliebenen Bandmitgliedern, waren schon immer food for thought. So war es als sie in den 80ern mit Songs wie „Bandits Taking Over The Town“ oder „Modern Slavery“, unter anderem, mit Produzenten Henry ‚Junjo‘ Lawes und Linval Thompson zusammengearbeitet hatten und Scientist ihre Songs so hart mixte, dass sich die Räume krümmten.
Nicht anders war es auch in den 70ern, wo die Wailing Souls, damals noch als Quartett unterwegs, zusammen mit Produzenten JoJo Hookim in Channel One einige ihrer größten Hits wie „War“ (mit Ranking Trevor), „Lawless Society“ oder „Bredda Gravelicious“ aufnahmen. Davor waren Bob Marleys Tuff Gong und in den 60ern Studio One von Coxsone Dodd ihre musikalischen Adressen. Und sogar davor waren die legendären Joe Higgs und Prince Buster ihre Mentoren.
Die Rückkehr
In gewisser Weise ist die Geschichte von Wailing Souls die, des jamaikanischen Roots Reggae selbst. Es ist dann auch nicht sehr überraschend, dass sich die Bandmitglieder irgendwann mal Ende der 80er, als es mit dem Reggae in Jamaika allmählich bergabwärts ging, nach Kalifornien absetzten. Dass sie das neue, von Alberto d’Ascola aka Alborosie in seinem Shengen Studio produzierte Album ausgerechnet „Back A Yard“ nannten, was in Propper English „Back in Jamaica“ bedeutet, ist nichts anderes als die Rückkehr der Wailing Souls nach Hause.
Aber wenn zwei ältere Herren in gemeinsamen Erinnerungen schwelgen wie im Eröffnungstrack „Down in Trench Town“ ist die Pathetik, die sich zwangsläufig wie ein ungeladener Gast darunter einschleicht, nicht weit entfernt. Und wenn sie sich in „In the House of Jah“ keinen bessern Platz zum Verweilen, als im Haus des Herrn vorstellen können, dann hat das auch was vom Gedankenmachen über das nahende Jenseits.
Doch so weit ist es noch nicht und Pipe Matthews und Bread McDonald besitzen genug Expertise, um die Sache nicht ins Übermelancholische ausschweifen zu lassen und außerdem prägt sie ihre Jugend in Ghetto von Kingston noch immer sehr stark. So auch, wenn im akustischen Schlusssong „Look What’s Happening“ genau diese balladesque, mit schwermütigem Piano arrangierte Altherrenernsthaftigkeit zum Vorschein kommt, kommen sie doch mit paar gut gemeinten Ratschlägen um die Ecke (‚youthman be wise‘), bei den sogar der Rastafarioso Alborosie selbst wie ein Kirchenchorknabe mit zur Seite gewachsten Rastazöpfen brav um Frieden und Harmonie bittet.
Enter Alborosie
An einem Album von Wailing Souls mitzumachen und sogar mitzusingen, ist für Pupa Albo die Erfüllung eines Traums, denn er ist ein großer Fan. Fast ehrfürchtig versucht er den Sound der frühen 80er und der Alben wie „Firehouse Rock“, „Inchpinchers“, „Stranded“ oder „Lay It On The Line“ wieder einzufangen und die Wailing Souls wieder so jung und peppig klingen zu lassen, wie damals. In „Eyes On You“ liefern Pipe und Bread eine schönes, rhythmisch schwungvolles Lovers-Stück ab. Und der starke Groove von „No Chalice Malice“ mit rockigen Echo/Delays bearbeiteten Gitarrenlicks mahnt, das heilige Kraut nicht mit bösen Gedanken zu konsumieren.
Immer wieder lässt Alborosie glatte Synth-Teppiche und exotische Geräusche durch die Songs gleiten und kompakte Bässe und Beats treiben durchgängig, die jedoch so stetig verlaufen, als würde sie Pupa Albo bei den Aufnahmen über Nacht vergessen abzustellen. Dafür mischt er wiederholend melodiöse Gitarrenparaden („No Chalice Malice“) und malerische Bläserharmonien („Stay Calm“) in das Geschehen ein. In „Invisible Love“ schlängelt sich sogar eine synkopierte Gitarre durch die wuchtigen Basslinien. Es ist eine sehr unterhaltsame Soundkulisse, die da vor dem Zuhörer aufgebaut wird. Auch, wenn sie nicht annähernd so innovativ und ausgefallen ist, wie die Vorbilder-Alben, die sie nachzuahmen versucht. Bezeichnend dafür ist, dass der Song „Shark Attack“ im Original moderner und schneidiger klingt, als sein neues, fast dreißig Jahre jüngeres Remake hier.
Zvjezdan Markovic
Keiner (NIEMAND!) kann so schön groovy “oh yeah” singen wie Pipe Matthews. Ich liebe besonders ihre drei ersten “Inkarnationen” – die Songs der 70er, der frühen 80er und die Modernisierung des Sounds Mitte der 80er (die Alben “Lay it on the Line” von 1986 und “Kingston 14” von 1987). “Reggae Ina Firehouse” (1988) und “Stormy Night” (1990) fand ich nicht so prall … wie bei vielen Bands, die tendenziell eher dem “rootsigen” Sound verbunden waren, verlief die Digitalisierung stolperhaft. [In diese Lücke preschte bei mir der UK Dub/ Neo Dub plus Dub Syndicate, Revolutionary Dub Warriors …]
Dann kam 1992 das Album “All over the World”, es stand sogar im “Normalo”-Plattenladen zum Verkauf dank Vertrieb durch den Major Chaos/Sony. “Shark Attack” war sofort mein Lieblingssong neben “Heartbeats Accellerating” und “She Pleases Me”. Es ist auch Pop-Sülze und Mainstream-Anbiederung drauf. Dennoch habe ich es in mein Herz geschlossen.
Dann war das Kapitel Wailing Souls für mich erst mal zu Ende trotz gelegentlicher Lebenszeichen. Umso mehr bin ich gespannt, was Alborosie mit Pipe und Bread auf die Beine gestellt hat und ob ich – trotz alterstypischer Reduzierung der Stimmqualität – ab und zu noch meine “oh yeahs” bekomme. I hope so.
Wer die Band noch nicht kennengelernt hat, dem empfehle ich die Alben der frühen 80er Inkarnation – “Inpinchers”, “Firehouse Rock”, “Stranded” und “On The Rocks”. Viel Spaß!
Bei mir reicht die Sympathie für Wailing Souls auch bis zum Album „Lay It On The Line“ (besonders das Lied „We Won’t Succumb“ hat es mir angetan), ab da haben die mich verloren. Umso überraschter war ich, so einen geilen Song wie „Shark Attack“ mit samt den Versionen aus 1992 zu hören.
Um auf die ‚oh yehas‘ zu kommen, die kürzlich veröffentlichte Single „Trouble Maker“ hat genau das, was du, so denke ich, da meinst. Auch ein richtig geiler Tune. Etwas „old school“, aber dennoch…