Peter Stutz im Interview: Reggae in Deutschland – Die Anfänge

Gracy & The Herbman Band, 1992

Reggae in Deutschland – Die Anfänge

Das Entstehen einer eigenen Reggaeszene in Deutschland kann man recht genau Ende der 70er und Anfang/Mitte der 80er Jahre verorten. Reggae wurde selbstverständlich schon vorher gehört und vor allem durch Label wie Trojan und Island recht prominent in die Köpfe, Herzen und Bäuche der Menschen gepflanzt. Hier sind allerdings Künstler und Bands gemeint, die im Land den Offbeat feierten und mit eigenen Produktionen und etlichen Konzerten jamaikanische Klänge bis in die Provinz hinein getragen haben. Ein erster Höhepunkt entstand, noch weit vor dem größeren Hype, der Anfang der 2000er Jahre starten sollte. Künstler und Bands wie Vitamin X, The Lions, Gracy & The Herbman Band, The Vision, Mystic Dan, Rhapsody, Natty U, Ragga Frankie, Jamaica Papa Curvin und viele andere waren die Wegbereiter für eine Musik, die es nach wie vor recht schwer hat, den Mainstream zu erobern. Von ein paar wenigen Ausnahmen, wie z.B. Gentleman und Seeed, die allerdings deutlich später auf der Bildfläche auftauchten, mal abgesehen. Auch in Sachen Ska ging damals die Welle los. Bands wie The Busters, El Bosso & Die Ping Pongs, Skaos und sehr viele andere drückten die deutlich schnelleren Variationen jamaikansicher und britisch beeinflusster Musik voran.

Peter Stutz, 1994

Peter Stutz war damals als Fotograf, u.a für das Magazin „Dread“, bei vielen Konzerten vor Ort. Wir von IrieItes.de und der Adabu Foundation kamen mit ihm vor circa einem Jahr in Kontakt und er hat uns sein Archiv mit Fotografien aus der Zeit geöffnet. Pioniere der heimischen Szene im Backstage-Bereich, auf der Bühne oder ganz persönlich aufgenommen. Dokumente mit historischem Wert – ein Rückblick in die Geschichte. Hier ein paar Fragen an Peter.

Peter, du warst damals bei den Anfängen vieler deutscher Reggaebands dabei. Wie hat sich das angefühlt? Aufbruch, Revolution oder einfach nur das Genießen einer unglaublich erdenden Musik und das heimliche Rauchen von Ganja?

Für mich persönlich, war es eine Zeit des Aufbruchs. Ich hatte während meiner Ausbildung in Bochum angefangen, Reggaekonzerte zu fotografieren. Im Juli 1988 zog ich nach Hamburg und als ich später bei einem Jamaica Papa Curvin-Konzert Bilder gemacht hatte, wurde ich von einem Redakteur der Zeitschrift „Dread“ angesprochen und bekam dadurch die Möglichkeit, in der Reggaeszene aktiv zu werden. Neben meinem Beruf war und ist Reggaemusik meine große Leidenschaft. Ich hatte zwar nicht viel Ahnung, aber viel Enthusiasmus. Ein ghanaischer Freund hatte mir geholfen, mir Dreadlocks zu machen und wir waren viel in Clubs mit afrikanischer Musik oder auf Reggaekonzerten unterwegs. Durch die Mitarbeit bei „Dread“ lernte ich nach und nach die Hamburger Reggaeszene – vor allem Dub Division kennen. Ich war damals überrascht, dass das Ganja bzw. Haschisch in Hamburg gar nicht so heimlich geraucht wurde. Jedenfalls war Hamburg für mich das Tor zur Reggaewelt.

Bei Bands, wie The Vison, Gracy & The Herbman Band und Dub Division warst du nah dran. Gibt es für dich Momente, an die du dich besonders positiv erinnerst?

Der erste deutsche Reggaeinterpret, den ich live gesehen hatte, war Natty U, der als Vorband in der Zeche/Bochum, auftrat. Seine musikalische Qualität entging, glaube ich, vielen Leuten im Publikum, durch sein geschniegeltes Erscheinungsbild. Später in Hamburg lernte ich Dub Division kennen und war in deren Anfangszeit häufig dabei, wenn sie Gigs in Hamburg und Umgebung hatten. Dadurch bekam ich einen guten Eindruck, wie viel Mühe es eine Band kostet, sich im Musikgeschäft zu etablieren. Ich erinnere mich an Auftritte im Treibsand in Lübeck oder bei einem kleinen Open Air in Itzehoe. Ein weiteres Highlight waren die Partys in Papa Curvins Reggae Center, wo sich viele Musiker aus der Reggae-, Afro- und Rockszene trafen. Anfangs war ich etwas eingeschüchtert, aber es war für mich sehr spannend, verschiedene Musiker persönlich zu treffen. Heute freue ich mich, wenn ich durch das Riddim-Magazin oder soziale Netzwerke sehe, dass einige der Künstler, die ich damals fotografierte, wie z.B. Felix Wolter oder Mitglieder der Herbman Band, immer noch aktiv sind.

Dub Division, 1989

Konzertfotografie damals und heute sind ganz und gar nicht mehr zu vergleichen, der Digitalisierung sei Dank. Kannst du kurz mal beschreiben, wie es vor sich ging – vom Aufnehmen der Fotos bis hin zum Abdruck in einem Magazin?

Das Fotografieren bei Konzerten war damals eine größere Herausforderung. Man musste, vor allem bei Konzerten in kleinen Clubs, sehr lichtempfindliches und daher auch grobkörniges Filmmaterial verwenden und wusste erst, wenn man die fertigen Abzüge bekam, ob brauchbare Bilder dabei sind. Anfangs habe ich ausschließlich Schwarzweißfotos gemacht, weil der Abdruck von Farbfotos für „Dread“ zu teuer war. Aus Kostengründen wurden insgesamt nicht so viele Fotos abgedruckt. Später war ich mit zwei Kameras unterwegs, um parallel auch Farbbilder machen zu können. Leider wurde „Dread“ 1990 eingestellt und es wurde immer schwieriger, mit einer Spiegelreflexkamera, Einlass zu Konzerten zu bekommen.

The Vision, 1990

Wenn du auf die heutige Reggae-Szene blickst. Wo machst du Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede fest?

Eine wichtige Gemeinsamkeit, ist meiner Meinung nach, die Begeisterung für jamaikanische Musik und der Wille, selber kreativ zu werden. Bis auf wenige Ausnahmen ist Reggae immer noch ein Nischenprodukt und es ist wohl kaum jemand dabei, der aus rein kommerziellen Gründen auf diese Musik setzt. Umso schöner, wenn Einzelne doch von der Musik leben können und erfolgreich sind. Durch die Möglichkeiten des Internets ist es heute leichter, seine Musik einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen als damals. Dadurch können auch Interpreten ohne Label ihre Musik verbreiten. Früher mussten die Bands dutzende Demokassetten an die Plattenfirmen schicken und mit reichlich Absagen klarkommen. Viele Bands haben dann auf eigene Kosten Platten veröffentlicht, hatten dann aber meistens keinen Vertrieb. Heute ist es leichter über Ländergrenzen hinweg zu arbeiten, auch wenn man sich persönlich nicht begegnet, weil man sich mit der ganzen Computertechnik schnell mal zusammentun kann, um einen Track zu produzieren. Die damaligen Reggaebands waren zwar meistens auch international besetzt, aber da lag es eher am Wohnort der Bandmitglieder, ob sie überhaupt miteinander musizieren konnten.

Interview: Karsten Frehe, Fotos: Peter Stutz

 

 

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.