Reggae in Deutschland – Die Anfänge
Das Entstehen einer eigenen Reggaeszene in Deutschland kann man recht genau Ende der 70er und Anfang/Mitte der 80er Jahre verorten. Reggae wurde selbstverständlich schon vorher gehört und vor allem durch Label wie Trojan und Island recht prominent in die Köpfe, Herzen und Bäuche der Menschen gepflanzt. Hier sind allerdings Künstler und Bands gemeint, die im Land den Offbeat feierten und mit eigenen Produktionen und etlichen Konzerten jamaikanische Klänge bis in die Provinz hinein getragen haben. Ein erster Höhepunkt entstand, noch weit vor dem größeren Hype, der Anfang der 2000er Jahre starten sollte. Künstler und Bands wie Vitamin X, The Lions, Gracy & The Herbman Band, The Vision, Mystic Dan, Rhapsody, Natty U, Ragga Frankie, Jamaica Papa Curvin und viele andere waren die Wegbereiter für eine Musik, die es nach wie vor recht schwer hat, den Mainstream zu erobern. Von ein paar wenigen Ausnahmen, wie z.B. Gentleman und Seeed, die allerdings deutlich später auf der Bildfläche auftauchten, mal abgesehen. Auch in Sachen Ska ging damals die Welle los. Bands wie The Busters, El Bosso & Die Ping Pongs, Skaos und sehr viele andere drückten die deutlich schnelleren Variationen jamaikansicher und britisch beeinflusster Musik voran.
Peter Stutz war damals als Fotograf, u.a für das Magazin „Dread“, bei vielen Konzerten vor Ort. Wir von IrieItes.de und der Adabu Foundation kamen mit ihm vor circa einem Jahr in Kontakt und er hat uns sein Archiv mit Fotografien aus der Zeit geöffnet. Pioniere der heimischen Szene im Backstage-Bereich, auf der Bühne oder ganz persönlich aufgenommen. Dokumente mit historischem Wert – ein Rückblick in die Geschichte. Hier ein paar Fragen an Peter.
Peter, du warst damals bei den Anfängen vieler deutscher Reggaebands dabei. Wie hat sich das angefühlt? Aufbruch, Revolution oder einfach nur das Genießen einer unglaublich erdenden Musik und das heimliche Rauchen von Ganja?
Für mich persönlich, war es eine Zeit des Aufbruchs. Ich hatte während meiner Ausbildung in Bochum angefangen, Reggaekonzerte zu fotografieren. Im Juli 1988 zog ich nach Hamburg und als ich später bei einem Jamaica Papa Curvin-Konzert Bilder gemacht hatte, wurde ich von einem Redakteur der Zeitschrift „Dread“ angesprochen und bekam dadurch die Möglichkeit, in der Reggaeszene aktiv zu werden. Neben meinem Beruf war und ist Reggaemusik meine große Leidenschaft. Ich hatte zwar nicht viel Ahnung, aber viel Enthusiasmus. Ein ghanaischer Freund hatte mir geholfen, mir Dreadlocks zu machen und wir waren viel in Clubs mit afrikanischer Musik oder auf Reggaekonzerten unterwegs. Durch die Mitarbeit bei „Dread“ lernte ich nach und nach die Hamburger Reggaeszene – vor allem Dub Division kennen. Ich war damals überrascht, dass das Ganja bzw. Haschisch in Hamburg gar nicht so heimlich geraucht wurde. Jedenfalls war Hamburg für mich das Tor zur Reggaewelt.
Bei Bands, wie The Vison, Gracy & The Herbman Band und Dub Division warst du nah dran. Gibt es für dich Momente, an die du dich besonders positiv erinnerst?
Der erste deutsche Reggaeinterpret, den ich live gesehen hatte, war Natty U, der als Vorband in der Zeche/Bochum, auftrat. Seine musikalische Qualität entging, glaube ich, vielen Leuten im Publikum, durch sein geschniegeltes Erscheinungsbild. Später in Hamburg lernte ich Dub Division kennen und war in deren Anfangszeit häufig dabei, wenn sie Gigs in Hamburg und Umgebung hatten. Dadurch bekam ich einen guten Eindruck, wie viel Mühe es eine Band kostet, sich im Musikgeschäft zu etablieren. Ich erinnere mich an Auftritte im Treibsand in Lübeck oder bei einem kleinen Open Air in Itzehoe. Ein weiteres Highlight waren die Partys in Papa Curvins Reggae Center, wo sich viele Musiker aus der Reggae-, Afro- und Rockszene trafen. Anfangs war ich etwas eingeschüchtert, aber es war für mich sehr spannend, verschiedene Musiker persönlich zu treffen. Heute freue ich mich, wenn ich durch das Riddim-Magazin oder soziale Netzwerke sehe, dass einige der Künstler, die ich damals fotografierte, wie z.B. Felix Wolter oder Mitglieder der Herbman Band, immer noch aktiv sind.
Konzertfotografie damals und heute sind ganz und gar nicht mehr zu vergleichen, der Digitalisierung sei Dank. Kannst du kurz mal beschreiben, wie es vor sich ging – vom Aufnehmen der Fotos bis hin zum Abdruck in einem Magazin?
Das Fotografieren bei Konzerten war damals eine größere Herausforderung. Man musste, vor allem bei Konzerten in kleinen Clubs, sehr lichtempfindliches und daher auch grobkörniges Filmmaterial verwenden und wusste erst, wenn man die fertigen Abzüge bekam, ob brauchbare Bilder dabei sind. Anfangs habe ich ausschließlich Schwarzweißfotos gemacht, weil der Abdruck von Farbfotos für „Dread“ zu teuer war. Aus Kostengründen wurden insgesamt nicht so viele Fotos abgedruckt. Später war ich mit zwei Kameras unterwegs, um parallel auch Farbbilder machen zu können. Leider wurde „Dread“ 1990 eingestellt und es wurde immer schwieriger, mit einer Spiegelreflexkamera, Einlass zu Konzerten zu bekommen.
Wenn du auf die heutige Reggae-Szene blickst. Wo machst du Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede fest?
Eine wichtige Gemeinsamkeit, ist meiner Meinung nach, die Begeisterung für jamaikanische Musik und der Wille, selber kreativ zu werden. Bis auf wenige Ausnahmen ist Reggae immer noch ein Nischenprodukt und es ist wohl kaum jemand dabei, der aus rein kommerziellen Gründen auf diese Musik setzt. Umso schöner, wenn Einzelne doch von der Musik leben können und erfolgreich sind. Durch die Möglichkeiten des Internets ist es heute leichter, seine Musik einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen als damals. Dadurch können auch Interpreten ohne Label ihre Musik verbreiten. Früher mussten die Bands dutzende Demokassetten an die Plattenfirmen schicken und mit reichlich Absagen klarkommen. Viele Bands haben dann auf eigene Kosten Platten veröffentlicht, hatten dann aber meistens keinen Vertrieb. Heute ist es leichter über Ländergrenzen hinweg zu arbeiten, auch wenn man sich persönlich nicht begegnet, weil man sich mit der ganzen Computertechnik schnell mal zusammentun kann, um einen Track zu produzieren. Die damaligen Reggaebands waren zwar meistens auch international besetzt, aber da lag es eher am Wohnort der Bandmitglieder, ob sie überhaupt miteinander musizieren konnten.
Interview: Karsten Frehe, Fotos: Peter Stutz
Herrlich!
Ganz wunderbar für mich, diese Zeit zu erinnern …
Für mich waren Peter´s Fotos pures Gold – das einzige Bildmaterial von Reggae-Künstlern jenseits von LP-Covern!! Die Magazine “Dread” und – etwas früher – “Trenchtown” habe ich abgefeiert. Frische Infos zu meinen Helden, neue LPs, in einem Magazin, nur für Reggae. Das war damals wie eine Erlösung: Ich bin NICHT der einzige, der dieser Musik verfallen ist!
Also GANZ VIELEN DANK an Peter Strutz!
Papa Curvin war mein erstes Konzert ever – Garage in Lüneburg, der kleine Tom allein unterwegs … werde ich nie vergessen.
Computerised Reggae aus JA fand ich gruselig zu der Zeit und ich hätte Rodigan auf BFBS manchmal am liebsten … Aber dann spielte er, späte 80er … den ersten Dub, den ich je gehört habe: es war Natty U´s – “Armageddon Version” – immer noch Hammer! Damit begann mein Weg in den “Neo Dub” aus UK und dazu die Hamburger Szene mit Silly Walks und Pensi.
“Love don´t come easy” von der Herbman Band bleibt für immer einer meiner liebsten Reggae-tracks. Gab´s nur auf LP, einen tollen Dub hingegen findet man beim Echo Beach Label auf dem King Size Dub !!Special!! vom Dubvisionist (aka Felix Wolter, Ex-Trommler & Sound-Originator von “The Vision”). Besonders diese Band habe ich immer verehrt, mein Lieblingsalbum bleibt “Mental Healing”, weil zeitlos gut, eigenständig und klasse musiziert.
(Nur für den interessierten “Nerd”: ein schönes Album aus deutschen Landen war auch das Album “Grains of Sand” von der Band Soon Come.
Die multi-kulti besetzte Band “Umoya” war auch viel unterwegs seit den 80ern, bis tief in die norddeutsche Provinz (Wendland), wo sie mich live verzaubert haben. Tolle Songs von Ihnen u.a. “Cinderella” & “Curly Locks” [YouTube].)
Hiho, das ging mir bei den Bildern von Peter genauso. Hat mich zurück katapultiert. Eine Zeit des Aufbruchs – nicht nur bezüglich Reggae. The Vision waren für mich die Helden der damaligen deutschen Szene. “Mental Healing” fand ich auch großartig, “Namas Te” aber auch. Schade, dass viele von diesen Pionieren nicht die Ehre erfahren, die ihnen zusteht.
Die “Dread” habe ich in den 80ern auch ab und an gefunden und gelesen. Nett, mal diese alten Geschichten nach erzählt zu bekommen. Vor kurzem erst habe ich an alten Band-Infos aus den 80er und 90er Jahren weggeworfen, an das ich über meine eigenen journalistischen Tätigkeiten in diesen Jahrzehnten gekommmen war. Aber ich will mich allmählich von all dem Kram trennen, was man so zusammen sammelt im Leben.(Hinterher bereut man es immer, ich weiß…) Von manchen dieser oben gezeigten oder erwähnten KünstlerInnen habe ich auch noch Bilder: z.b. die Herbman Band als sie noch Kööm hießen 1984 (!) auf einem Festival.
Hallo Karl.
Bevor Du wieder was wegwirfst, kannst Du bitte an mich denken? Ich nehme gerne entgegen. Info an info@petertoshbirthdaybash.com
Vielen Dank schon mal
Beste Grüße
Matthias
PS: Die “waren Helden” waren für mich immer die “Herbman Band”, weil die ihrer Zeit immer voraus waren und den besten Reggae in Deutschland machten, lange bevor andere darin groß wurden. Nicht umsonst waren sie 1986 (!) die erste deutsche Reggaeband, die je auf dem Sunsplash in Jamaica gespielt haben und die erste Deutsche Band, die von David Rodigan in seiner damaligen Sendung Rodigan’s Rockers auf BFBS gespielt wurden mit dem Titel “Jockey Man walk”. Ungefähr zu dieser Zeit waren sie auch Support für Dennis Brown ft. Aswad in Gütersloh. Frontmänner waren damals zwei Typen aus Jamaica, an die ich mich aber nicht weiter erinnern kann. Danach kamen noch Mystic Dan und kurzzeitig Ragga Fränkie dazu bis Gracy endgültig das Kommando über’s Mikro bekam.
Hey Karl. Coole Infos, die ich noch gar nicht wusste. Vielleicht sollten wir mal eine eigenes Feature über die Herbman Band machen!?
Na Toll, jetzt habt ihr es geschafft: Ich werde mir die Herbman Band-LP jetzt digitalisieren lassen … und mich erneut und noch einmal an ihr erfreuen. 🙂