Alborosie „For The Culture“ (VP Records)

Alborosie
„For The Culture“
(VP Records – 2021)

‚Ich bin zwar Italiener, aber kein Kolumbus‘, gibt Alborosie am Anfang seines neuen Albums nochmals beschwichtigend zum Protokoll. Wohl wissend um die negativen Konnotationen, die dieser Name seines berühmt-berüchtigten Landsmanns bei den heutigen Jamaikanern hervorruft. Nein, dieser Alberto d’Ascola ist nicht gekommen um zu zerstören, sondern um zu bewahren und zu erhalten. Das zumindest ist das leitende Ansinnen auf „For The Culture“, wo sich Alborosie, der selbst in Jamaika mit Diskriminierung zu kämpfen hat, trotz allem zum Anführer und Vorkämpfer für die Reggae-Kultur hervor schwingt.

Der Titelsong ist somit eine, in Alborosie typischer Bass-Dynamik, mit stampfenden Beats und vorwärtsdrängenden Bläsern vertonte Wiedergutmachung, die dieselbe, vom Aussterben bedrohte jamaikanische Roots and Culture besingt und preist. Dass sich dieser italienisch-jamaikanische Sänger, Multiinstrumentalist und Produzent nicht nur längst als Teil derselben betrachtet, sondern auch als ihr Vorreiter, bestätigen seine Erfolge, sein Bekanntheitsgrad, aber auch sein vollständiges Eintauchen in die Reggae-Musik und Identifikation mit dieser Kultur.

Alborosie gibt sich also äußerst engagiert und kämpferisch auf seinem neuen Album, das zum Teil aus vorher veröffentlichten Singles, aber auch neuem Material besteht. Er beklagt darin, dass das Universelle, Spirituelle, Militante und Revolutionäre verschwunden und einer neuen Belanglosigkeit gewichen ist, die als modern und gewinnbringend verkauft wird. Genau davon handelt auch der wuchtige AutoTune-Song „Bun A Fyah“, gegen eine Pseudokultur, die ausschließlich nach ökonomischen Aspekten handelt und (aus)sortiert.

Auf verlorenem Posten

by Ricardo Puru Bailey

Allerdings taugt Alborosies neues Album als Wiedererweckungskatalysator auch nicht besonders, als dass es ein Zeichen für die Reggae-Kultur setzten könnte. Die Black-Lives-Matter Hymne „Listen To The Waves“, die nach anfänglicher, verstimmter Star-Spangled Banner-Melodie in eine durch faden Hip-Hop abgestumpfte Abrechnung mit Rassismus und Ungleichheit mündet, spiegelt ironischerweise alles, wogegen Alborosie auf „For The Culture“ anzukämpfen versucht: Einem so wichtigen und aktuellen Song wurde kein entsprechendes Reggae-Arrangement verpasst, sondern eine schablonenhafte, nichtssagende Hip-Hop-Verpackung.

Die von Alborosie immer wieder angesprochene Verwässerung und Crossovertum des Reggae wird hier von ihm selbst praktiziert. Auch in Songs wie dem Hip-Hop-lastigen „The System“ oder schnulzigem Stück „Where Do You Go?“ mit Big Mountain, verliert sich Pupa Albo selbst in Profanem.

In „Out Of The Darkness“, einer klischeebeladenen, mit südländischer Akustikgitarre und bedeutungsschwangeren Streichern getränkte One-Drop-Errettungsballade, versucht sich Pupa Albo auch als Psychotherapeut der Gesellschaft. Nicht, dass sie es auch nicht nötig hätte. Zu dem allgemein schlechten Zustand Jamaikas (und der Welt), gesellte sich auch noch die jetzige Pandemie dazu. Wir leben in der Tat in beispiellosen Zeiten, wie Alborosie in gemächlich dahinrollendem Roots-Stück „Unprecedented Time“ feststellen muss. Die Isolation und Quarantäne nutzen nicht alle so produktiv, wie der, seit mittlerweile zwanzig Jahren in Jamaika lebende Italo-Dreadlocks, der jüngst auch ein gut gelungenes Comeback-Album der Wailing Souls produziert und dazu auch ein bemerkenswertes Dub-Album („Back-A-Yard“) abgemischt hat, sondern verfallen viele in Depression und Ausweglosigkeit.

Dem entgegen stellt Alborosie eine bis zur Perfektion hoch produzierte Roots-Ballade mit harmonischen Hintergrundgesängen, die an Bob Marleys I-Threes erinnern. Vielleicht gerade deshalb, weil an dem Song auch The Wailers Keyboarder Tyrone Downie und Schlagzeuger Aston Barrett Jr. mitgewirkt haben. Vielleicht aber auch, weil sich, wie es scheint, all die auf der Insel sich noch befindenden Überreste des ursprünglichen jamaikanischen Reggae auf einen einzigen Punkt, nämlich Alborosie und sein Shengen Musikstudio in Kingston, komprimiert haben. Da, wo nun auch die Wailing Souls hausen, wie mit der hier vertretenen Version ihres Hits „Life To Live“. Oder die Erinnerung an Linval Thompson, der im Song „Ready“ gesampelt wird.

Eine einzige jamaikanische Adresse als quasi die letzte Verteidigungslinie gegen ein Babylon-System, das letztendlich geschafft hat, sogar Reggae selbst zu korrumpieren. Und wie sowas am Ende klingt, demonstriert Alborosie in einigen Songs hier – wahrscheinlich unbewusst – gleich mit dazu.

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)