La Papa Verde
Mestizo aus Köln

 

Am 23.5.2008 gastierte La Papa Verde aus Köln im Hafenklang Exil, Hamburg. Wohl kaum eine Band, die hier in Deutschland ansässig ist, bearbeitet das Thema Migration so treffend, wie sie. Dabei bringen sich die Musiker, die slebst aus verschiedenen Ländern stammen und sich hier im Land trafen, mit ihrem eigenen Hintergrund ein, und das nicht nur musikalisch. Sie waren vor dem Konzert für Fragen offen.

Sabine: La Papa Verde setzt sich aus Musikern zusammen, die aus verschiedenen Ländern der Welt kommen. Könnt ihr uns sagen, woher ihr genau kommt?

Fernando: Also, ich komme aus Chile, Josué kommt aus Mexiko, Pablo ist halb Iraner und halb Deutscher, Jonas, der Bassist, kommt aus Deutschland, Annette, die ist auch Deutsche, aber ursprünglich Polin, Augusto ist in Kolumbien geboren, aber in Deutschland aufgewachsen.

Pablo: Der Fernando hat noch jemanden vergessen, nämlich Ben, unseren Schlagzeuger, der gerade im Krankenhaus liegt, weil er den Blinddarm rausbekommen hat. Er ist auch Deutscher.

Laura: Warum heißt ihr La Papa Verde? Wie seid ihr auf den Namen „grüne Kartoffel“ gekommen?

Fernando: Früher als La Papa Verde geboren wurde gab es deutsche und spanische Mitglieder und mich als Chilenen. Die Kartoffel kommt ursprünglich aus den Anden, also praktisch aus ganz Chile (lacht). Die Spanier haben sie vor ungefähr 500 Jahren hierher gebracht und nun essen die Deutschen viele Kartoffeln. Und das Grüne im Bandnamen kommt daher, dass die Kartoffel, die oberhalb wächst, mit der Sonne Kontakt bekommt und grün und giftig wird. Und so sind unsere Texte auch kritisch und giftig!

Mette: Wie habt ihr euch kennen gelernt?

Pablo: Von der ursprünglichen La Papa Verde sind nicht mehr viele dabei, nur noch Fernando. Die Besetzung, in der die Band jetzt spielt, hat sich über die Zeit entwickelt. Jetzt alle Geschichten zu erzählen, wäre zu viel. Ich glaube, es ging immer über interessante Zufälle. Man trifft sich auf der Straße. Ich habe den Augusto zufällig am Hauptbahnhof getroffen und ihn so kennen gelernt und langfristig den Kontakt hergestellt. Und ich glaube, so war es bei allen ein bisschen.

Fernando: Also, Augusto wollte unsere Ex-Akkordeonistin zu einem unserer Konzerte fahren, da sie verspätet war. Und dann war er also da. Unser damaliger Percussionist ist nicht zum Konzert erschienen, warum weiß ich nicht mehr, und dann haben wir ihn gefragt: 'Hey, du bist doch Percussionist, willst du nicht mitspielen?' Er hat es gemacht und ist seitdem in der Band geblieben.

Karim: Wie kamt ihr auf die Idee, die Gruppe zu gründen?

Fernando: Ich habe mich immer gefragt, warum ich hier bin? Woher ich komme? Solche Fragen, die man sich manchmal stellt, wenn man hier ein bisschen fremd ist. Mir ist klar geworden, dass mir die Heimat gefehlt hat und dann habe ich die Gitarre genommen und ein bisschen Musik gemacht und auf Spanisch gesungen. Das hat mich dann wieder zurück gebracht, mich zu erinnern und wohl zu fühlen. Ich habe das auch früher mit meiner Mutter gemacht zur Zeit der Diktatur in Chile. Wir waren Exilchilenen von 1982 bis 1992 und haben viel Protest gemacht und bei mehreren Veranstaltungen Protestlieder gesungen. Und dann habe ich mir gedacht, nach so vielen Jahren das von ihr Weitergegebene nochmal zu machen. Und da ist La Papa Verde entstanden.

Pablo: Der Josué hat ja auch bei dem Text zu „Ich verstehen nicht kann“ im zweiten, spanischen Teil, geschrieben: 'Vergesst nie, wo ihr eure Wurzeln habt'. Und das ist, glaube ich, genau das, was Fernando meinte. Das er zwar hier lebt, aber diese Sehnsucht zu seinem Ursprung gespürt hat. Ich glaube, diese Fragen stellt sich jeder mal, egal woher er kommt. Jeder Mensch braucht irgendeine Wurzel im Leben.

Nina: Worin seht ihr die Vorteile von einer Gruppe mit Personen ausverschiedenen Kulturen?

Josué: Wenn man aus einem anderen Land kommt, hat man auch einen anderen Hintergrund. Was für Musik man gehört hat als Kind, was für Musik in seinem Land gespielt wird. In Mexiko habe ich nie einen Chilenen kennengelernt oder einen Kolumbianer oder Deutschen, weil da fast alle Menschen Mexikaner sind. Es kommen ab und zu Leute aus den USA um Urlaub zu machen. Musik aus Chile kannte ich gar nicht. Und das ist für mich wichtig in dieser Band. Jeder in dieser Zusammensetzung bringt ein, was er gelernt hat. Wenn das alles gemischt wird, kommt so etwas wie La Papa Verde heraus.

Michael: Woher kommt eure Inspiration?

Fernando: Also die Inspiration für die Texte von La Papa Verde sind oft Geschichten, die man selbst erlebt hat oder Freunde erlebt haben. Das Fremde ist oft die Thematik, so auch auf der letzten CD “Ich verstehen nicht kann”. Das zeigt ja schon – falsch geschrieben – dass viele selbst das Schreiben neu in der Fremde lernen müssen. Egal ob sie aus Japan, dem Iran oder China kommen. Sie schreiben dort einfach anders.
Dann ist da z.B. eine Problematik mit den Ausländerbehörden. Wenn Familien – ganze Familen mit Kindern – einfach keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Wir alle hatten selbst Schwierigkeiten. Es gibt einfach zu viele Sperren und es wird immer enger und enger. Die Welt ist so, wie sie gerade ist. Viele versuchen natürlich hierher zu kommen aus verschiedenen Gründen, meistens aus wirtschaftlichen Gründen. Aber das ist auch ein Recht des Menschen, zu suchen, wo man lebt. Und zu gucken... und zu überlegen. Das ist unsere Inspiration. Und wie Josué gesagt hat. Wir öffnen uns mehreren Kulturen, nicht nur weil ich jetzt meine Wurzeln gesucht habe, die in Chile sind. Man öffnet sich einfach so: 'Hey, woher kommst du?' Aus Mexiko, der Türkei oder sonstwo. Es ist doch interessant, diese Mischungen zu machen – ob in Kunst, Theater oder Musik. Davon lebt auch La Papa Verde. Ja, das ist fast unser Motto.

Basti: Habt ihr ein Vorbild oder Idol?

Josué: Was viele Menschen immer machen ist sehr weit weg schauen. Sie gucken immer zu den „wichtigen“ Leuten, den Großen, aber ich glaube, dass jder auch großartige Menschen und Idole in seinem Umfeld finden kann. Menschen, von denen man viel lernen und mitnehmen kann. Das habe ich auf jeden Fall so lernen können. Man muss nicht die Superstars nehmen, um was zu lernen. Ich kann auch hier in dieser Gruppe, in der ich seit 3 Jahren spiele, von Leuten, die ich vorher nicht kannte, unglaublich viel lernen. Ich und wir versuchen nicht, zu große Ideale zu haben. Viele Menschen beschweren sich über die Dinge in der Welt und wissen nicht, wie sie es anfangen sollen, Dinge zu verändern. Wir von La Papa Verde versuchen mit unseren Geschichten Vieles im Kleinen zu verändern. Jeder von uns kann in seinem Umfeld etwas lernen und auch etwas machen. Mit seinen Freunden, mit seiner Familie.

Julia: Wie habt ihr Euch Deutschland vorgestellt und wie war es im Endeffekt?

Josué: Ich habe mir gar nicht vorgestellt, wie Deutschland sein könnte. Das Einzige was man in Mexiko über Deutschland hört, ist der Zweite Weltkrieg, Volkswagen und vielleicht noch Fußball, aber viel mehr kriegt man nicht mit. Und es gibt immer die Klischees in Mexiko, dass die Deutschen so quadratisch sind, dass sie kalt sind. Wenn ich mir irgendetwas vorgestellt habe, war es vielleicht so etwas. Am Anfang, als ich hierher kam, hat sich das gar nicht bestätigt, weil ich sehr nette Leute gefunden habe. Aber, was ich doch finde: Hier ist es sehr schwierig, Freundschaften zu machen. Die Leute sind nicht viel in Kontakt miteinander. Man ist sehr viel für sich allein. Ich wunder mich zum Beispiel, wenn jemand bei mir unangemeldet klingelt, denn das gibt es hier selten. In ganz Lateinamerika ist es so, dass fast jeden Tag Leute ohne sich vorher anzumelden kommen. Das andere, was für mich sehr schwierig war, ist, dass einem die Leute nicht helfen, wenn man die Sprache nicht kann. In südlichen Ländern habe ich das anders kennen gelernt. Wenn du hier die Sprache nicht kannst, bist du so gut wie verloren. Was ich mir auch nie vorgestellt hatte war, wie Winter sein würde. Das kannte ich in Mexiko gar nicht in der Form. Aber ich kannte dort auch nicht das schöne Gefühl des Frühlings. Das war für mich sehr schön hier. Ich hätte aber nie gedacht, dass ich hier in Deutschland bleibe – bin ich aber dann doch.

Nina: Was ist euch wichtiger: die Musik oder die Probleme aufzuzeigen?

Augusto: Wir können das gar nicht so trennen. Fernando und Josué schreiben die Stücke und, wie wir es auch am Anfang gesagt haben, sind sie oft aus den eigenen Erfahrungen gespeist. Wir achten auch sehr viel auf die Musik. Und wir arbeiten hart dran. Wir könnten auch die ganze Zeit nur Skapunk machen und kritische Texte.

Pablo: Die Musik inspiriert die Texte und umgekehrt. Jeder bringt von sich was mit und natürlich auch neue Ideen. Wenn der Fernando mit einem neuen Rhythmus aus Chile kommt und wir versuchen, damit etwas zu machen, dann ist es klar, dass in seinem Kopf auch Erinnerungen an Erlebnisse in Chile aufkommen. Inhalt und Musik gehören also zusammen.

Virginia: Wer von euch ist denn der „Tellerwäscher“ der in Liedern auftaucht?

Augusto: Das ist eher allgemein. Der Fernando hat das, glaube ich, zwar auf einen Freund bezogen, aber im Prinzip geht es nicht um eine Person. Es geht eher um die Gruppe von Menschen, die irgendwelche Arbeit machen, die nicht so gut bezahlt und von vielen Menschen als untere Kategorie angesehen werden.

Pablo: Ich glaube, dass jeder von uns in der Gruppe einen Bezug zu dieser Thematik gefunden hat. Die beiden, die aus dem Ausland gekommen sind, haben es vielleicht schon mehr am eigenen Leib erfahren. Die Ungerechtigkeiten und Schwierigkeiten. Bei anderen wie mir, die hier geboren sind, hat es gedauert, bis sie mit diesen Themen in Kontakt gekommen sind. Jetzt ist z.B. ein Freund von mir gerade nach 8 Jahren ohne Grund abgeschoben worden. Und das war das erste Mal für mich - ein Berührungspunkt mit diesem Thema als Deutscher mit deutschem Pass. Wir brauchen gar nicht DEN Tellerwäscher, es gibt überall Tellerwäscher. Der, der abgeschoben wurde, ist der Tellerwäscher, der zu wenig Geld verdient, ist der Tellerwäscher – überall, wo Ungerechtigkeit passiert, gibt es Tellerwäscher. Und vielleicht ist jeder von uns auch mal Tellerwäscher im Leben. Viele Sachen von uns sind gar nicht so konkret sondern haben viele Bedeutungen.

Liesa: Glaubt ihr, dass ihr mit euren Liedern die Welt verändern könnt?

Fernando: Ich glaube nicht, dass wir die Welt verändern. Wir haben alle so kleine Welten – meine Familie, meine Kinder – jeder kann jemandem anderen etwas beibringen, was für diese Welt vielleicht logischer ist und besser. Das ist diese Welt, die wir vielleicht verbessern können. Und die wiederum sind dann wieder vernetzt in andere kleine Welten. Es geht dann vielleicht immer so weiter. So könnte man sich das eher vorstellen, aber jetzt so mit einem Song die Welt verändern oder mit einer Band ist ein wenig viel verlangt. Es gibt genügend Probleme hier in Deutschland selbst, wie ungerecht verteiltes Geld oder oft der böse Umgang mit Kindern. Viele dieser Themen tauchen in den Nachrichten nicht auf. Man könnte die Welt vor Ort genauer angucken und nicht immer nur nach Außen – Afrika oder Lateinamerika – gucken. Die Welt, die ich verändern kann, ist die kleine Umgebung, die ich habe. Für die ganze Welt bin ich, glaube ich, schon zu alt. Das schaffe ich nicht mehr (lacht).

Josué: Man kann es vielleicht so sagen: Wir wollen die Menschen einfach wach halten. Wir wissen, dass wir global nicht viel verändern können, aber indem wir das einfach immer wieder thematisieren, werden vielleicht Leute, die es vorher nicht wussten oder noch nicht erlebt haben, informiert. Das ist unser Ziel. Über die Musik machen wir dann die Thematiken den Leuten zugänglich.

Pablo: Und so ernst die Themen auch sein mögen, man darf das Lachen nicht verlieren. Mit Trauer und Wut kann man nicht so viel erreichen. Deswegen präsentieren wir die Themen, die wir ansprechen, auch oft ironisch.

Virginia: Seht ihr einen Unterschied zwischen eurer Musik und den anderer Mestizobands aus Lateinamerika zum Beispiel?

Augusto: Ich glaube schon, dass es da Unterschiede gibt. Zum Beispiel bei den Themen. Migration ist zum Beispiel nicht bei allen Bands als Thema vertreten. Bei den Bands aus Mexiko oder Argentinien sind eher die Krisen, die gerade in diesen Ländern existieren, Inhalt der Texte. Wir beschäftigen uns mehr mit dem Thema Migration, weil es das ist, was wir hier erleben. Musikalisch gesehen unterscheiden wir uns, glaube ich, auch ein wenig, weil wir zum Beispiel nie wie eine mexikanische Band klingen werden - oder eine argentinische oder chilenische Band. Wir vermischen viel mehr.


Interview: Grundkurs Spanisch VS vom Gymnasium Ohmoor (05/2008)
Foto: Laurence Voumard



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