Al-Haca Soundsystem
Dub meets Club meets Dancehall

Lange Zeit erschien es so, als ob der Dub gerade hierzulande ein Schattendasein führen würde. Doch belehrt die Wirklichkeit oft eines Besseren und wirft ein interessantes Licht auf die Dubszene in Germany. Kurz nachdem mit Noiseshaper's "The Signal" ein Album eines in Deutschland ansässigen Projekts veröffentlicht wurde, legt das Al-Haca Soundsystem aus Greifswald mit ihrem Album "Inevitable" nach. Beide Alben kommen übrigenz über Different Drummer, dem Rockers Hifi-Label mit gutem Geschmack. Es tut sich also was! "Inevitable" präsentiert sich als durch und durch ausgereiftes Album - ein sehr gelungenes Debüt also, das hoffentlich den verdienten Erfolg feiern wird. Interessant ist hier vor allem das praktizierte Prinzip Collage, das dem Album eine Vielzahl von Facetten verleiht.
Fragen an Christian "MCC" Schwanz, Arndt Wollmann und Alexander "Peleh" Pehlemann...

Das Debütalbum ist fertig! Die 12 Inch "Killa" feat. He-Man rotiert bereits seit einiger Zeit auf den Turntables. Es klingt so, als ob ihr nach etlichen Jahren als Soundsystem und Produktionsteam nun zum Angriff blast. Wieso hat's so lange gedauert? Musste der Sound erst reifen oder die Zeit dementsprechend sein?

Christian: Als Al-Haca Mitte der 90er ins Leben gerufen wurde, hat keiner der damals Beteiligten an eigene Produktionen gedacht. Das musste in gewisser Weise wirklich erst reifen. Einige von uns waren z.B. mit Musikproduktionen für Microfish (Sonarkollektiv) beschäftigt. Andere mit dem Herausgeben von Magazinen (Zonic) oder dem Betreiben eines Clubs (Cafe Quarks) und so weiter und so fort. Musik spielte also immer ne sehr grosse Rolle. Da wurde es dann irgendwann "unvermeidlich", ein Album für Al-Haca zu produzieren.

Sowohl die Single als auch das Album "Inevitable" erscheinen bei dem Rockers Hifi-Label Different Drummer. An den Mikros sind auf dem Album ebenfalls die beiden Rockers Hifi MCs Farda P und MC Tweed zu hören. Was verbindet euch mit Rockers Hifi? Gibt es womöglich Seelenverwandtschaften?

Christian: Musikalisch und im speziellen elektronisch-musikalisch sind die Rockers für mich und Arnd prägend, wenn auch auf unsere eigene Art und Weise. Richard (Whittingham, Original Rocker der ersten Stunde) ist nicht der knallharte Labelchef, sondern ein super Freund geworden. Lass es uns Seelenbekanntschaft nennen....

Alex: Die Rockers waren schon ein ganz wichtiger Einfluss, gerade in ihrer stileübergreifenden Art, Dub auf ein neues Level zu führen (mit der sie gerade in England natürlich nicht allein standen), und dabei doch auch auf die Traditionslinien zu verweisen, sei es durch Scientist-Samples wie beim legendären "Push Push"-Tune (um genau zu sein: Johnny Osbourne im Scientist-Dub) oder später auch das Covern von The Clash auf dem "Mish Mash"-Album. Dieses historische Fluchtlinienbewusstsein ist mir dabei sehr sympathisch. Wenn auch diese Zitatkultur bei uns produktionsmäßig kaum prägend ist, für´s Sound System ist es eine stark gewichtete Komponente.

Arnd: Rockers HiFi war das erste Produktionsteam dieser elektronisch, dubbigen Spielart, was ich mir angehört habe. Die Rockers haben mich erst zu dieser Musik geführt... Eigentlich hat der Rockers Sound beim damaligen Kennenlernen und dem Ausloten der musikalischen Vorlieben Christian und mich zusammengeführt.

Nehme ich mir mal den Tune "Kingdom Rise, Kingdom Fall" vor, so fällt auf, dass hier wie auch bei anderen Titeln von "Inevitable" ein recht düsterer Sound vorherrscht. Habt ihr einen Hang zu dunklen Atmosphären?

Christian: "Kingdom Rise, Kingdom Fall" beginnt scho irgendwie finster, aber hellt doch auch super auf zum Ende hin, oder? Abgesehen davon: Das Album haben wir im Winter und im beginnenden Frühling geschraubt und da ist es mächtig kalt und düster bei uns oben an der Ostsee. Dann ganz langsam und zaghaft fängt es überall an zu blühen.....

Arnd: Sicherlich hat der Sound düstere Nuancen, aber nicht im negativen Sinne. Für mich stand im Vordergrund, einen druckvollen Sound im Sinne einer positiven Kraft zu schaffen.

Farda P und MC Tweed sind ebenfalls auf dem kürzlich erschienenen Album "The Signal" von Noiseshaper aus Berlin erschienen (ebenfalls bei Different Drummer). Gibt es zwischen Al-Haca und Noiseshaper über die musikalische Nähe hinaus aktive Kooperationen?

Christian: Nein, bisher ist da nix geplant, aber man weiss ja nie...

Bislang habe ich immer gerne gefragt, warum wohl der Dub und hier insbesondere die modernere Spielart in Deutschland relativ wenig Beachtung findet vergleicht man z.B. mit Dancehall. Gerade in letzter Zeit trudeln aber immer mehr Veröffentlichungen ein, die aus diesem Bereich stammen, seien sie von alteingesessenen Labeln wie Select Cuts und Echo Beach oder neueren wie Meteosound, Best Seven oder (ganz neu) Subverzion. Gibt es im Zuge des Reggaehypes womöglich doch eine Neuentdeckung der moderneren Spielarten des Dubs?

Christian: Dub ist doch quasi ein Nebenprodukt des Reggae und erfährt natürlich einen kleinen Hype, wenn Dancehall und Reggae einen Hype erfährt.

Alex: Dieser Mitnahmeeffekt, sozusagen als positiver Kollateralschaden einer Hypeexplosion, das kann schon eine Rolle spielen, andererseits gibt es da aber auch viele, die schon sehr lange dabei sind und hoffentlich für Beharrlichkeit belohnt werden. Nicht zuletzt hatten wir ja vor etwa 8 bis 9 Jahren schon einen kleinen Dub-Hype, der vor allem auf den britischen Sachen beruhte und der auch direkt, mit etwas landestypisch angemessener Verzögerung, zur Al-Haca-Gründung führte. Über ein gewisses Randlevel ging das aber nie hinaus, Warten wir´s ab, vielleicht würde ja ein "Gentleman in Dub" den Schub bringen...
Nicht vergessen sollte man auch die längst passierte Einbindung von Dub als Subgenre in der Electronica- und Techno-Szene, die ihre parallele Nebenrolle hat mit gewissem Effekt (und gewissen stets gleichen Effekten). Aber natürlich stehen wir gerne für eine Neuentdeckung zur Verfügung!

Entsteht womöglich so etwas wie eine Neubelebung des Dubs (Meteosound, Noiseshaper, Rhythm & Sound, Paul St. Hilaire in Berlin, ihr in Greifswald) im Osten des Landes?

Christian: mhhhh.... ob das nun was mit dem Osten zu tun hat oder überhaupt mit Deutschland, weiss ich nicht so recht. Ich denke, das da im Moment einfach allgemein in dieser musikalischen Ecke wieder viel passiert. Ich denk da auch an Leute wie The Bug, natürlich Stereotyp oder die Sofa Surfers...

Alex: Ich glaube auch, dass das kaum regionalisierbar ist. Letztlich ist doch eher stark gestreutes Einzelkämpfertum mit ein paar kleineren Ballungen wie in Berlin um Hardwax und dessen Labels, scape und Meteosound oder Best Seven herum, wo es auch kooperative Zusammenhänge gibt. Aber Berlin-Greifswald ist ja auch keine wirkliche Entfernung..., und ein paar Fäden sind bereits geknüpft als lockere Knoten eines potentiellen Netzwerks. Es wird sich zeigen, was daraus wird.

Auf dem Album "Inevitable" findet sich mit "Break The Silence" ein Track, bei dem ihr Sizzla featured (entliehen der Geisha-Riddim-Selection von Germaican). Warum gerade Sizzla? Ist es das Bestreben, mit einem promineten Namen die Aufmerksamkeit des Dancehall-Publikums zu bekommen? Oder (und?), was schätzt ihr an seinem Style?

Alex: Sizzla steht, in guter Form, die er hier beweist, als Vokalkünstler im zeitgenössischen Reggae-Olymp, keine Frage - auch bei all den Fragen, die sich an seine Person knüpfen ließen. Das er auf dem Album ist, hängt aber vor allem mit der gewollten und hoffentlich noch viel weiter auszubauenden Partnerschaft mit Pionear von Germaican zusammen. Eine Bekanntschaft, die über das Veranstalten vor Ort, er war zweimal mit seinem damaligen Sound Far East in Greifswald, und die Aktivität als Magazinherausgeber (Zonic 12,5) bot ein großes Pionear-Spezial, das den Bogen von seinen Anfängen mit Messer Banzani bis zum jetzigen Dasein als Dancehall-Producer schlägt) entstand. Der Tune bot sich da in seiner wortkräftigen Durchschlagskraft einfach
an.

Christian: Sizzla hat da für mich schon ne Sonderstellung. Das ist echte Stimmenakrobatik. Der schreit, flüstert, heult ins Mikro und das alles auf einem Track. Wahnsinn! Das zum einen. Natürlich sind wir uns auch um seine Lockvogel-Position bewusst. Mit "Break the Silence" wollen wir die Vielschichtigkeit und die Interpretationsvielfalt des Dancehall aufmerksam machen.

Arnd: Wir wollten Sizzlas gewaltiger Stimme und seinem druckvollen Flow einfach mal eine andere Plattform geben.`Break the Silence` soll orchestral klingen und beim Hören auch mal auf den Text aufmerksam machen. Der Sound soll den Lyrics auf den Leib geschneidert sein.

In Planung ist eine Kooperation mit Stereotyp (Stereotyp meets Al-Haca) bei der auf Albumlänge ebenfalls mit Größen der Dancehallszene, wiederum ausgeborgt von namhaften Produzenten, dubinfected gearbeitet werden soll. Zeigt sich hier eine neue Strömung im Modern Dub: Dancehall meets Dub: Dubdancehall?

Christian: Ich denke schon, dass da ne neue Strömung im Anmarsch ist. Wird auch allerhöchste Zeit. Die Dancehall Artists sind so talentiert, werden aber weitestgehend eindimensional eingesetzt. Die haben verdammtes Clubpotenzial... also bei dem Ding zwischen Stereo und Al-Haca steht eher Club meets Dancehall im Vordergrund. Da geht einiges....

Alex: Das ist zwangsläufig, und auch nur teils etwas neues. Durch den aktuellen Dancehallhype kommen einfach immer mehr Chancen auf, all die Artists zu involvieren, ohne beständig auf Jamaica sein zu müssen, der Markt und seine Dependancen im Lande machen es möglich. In England läuft das ja schon sehr viel länger, erinnert sei nur an die Frühphase von Ragga-Jungle oder an raggafizierte TwoStep-Sachen. Es geht jetzt darum, die Potentiale auszuloten, z.B. eben Dub ins Spiel zu bringen, die ganze Erfahrung und die technischen Möglichkeiten der elektronischen Tanzmusikproduktion zu involvieren, stilistisch immer weiter zu bastardisieren. Wie das dann heißt, ob es für eine Schublade reicht, ist egal - allein: dubbing is a must!

Wann und auf welchem Label wird das Album mit Stereotyp erscheinen?

Christian: Im Frühjahr 2004 werden wir den ersten Teaser loslassen und dann im Frühsommer das Album veröffentlichen. Die Hälfte des Albums ist auch schon im Kasten. Wo's erscheint, ist noch ein kleines Geheimnis...

Welche Artists werden auf diesem Album vertreten sein? Kann da schon die eine oder andere Katze aus dem Sack?

Christian: Mit dabei sind: Lady Saw, Toddler, Hawkeye und und und....wird 'ne dicke Sache!

Das klingt ganz so...

Ihr seid als Soundsystem im Bereich Dub aktiv. Damit gehört ihr nicht gerade der Masse deutscher Soundsystems an. Blickt man z.B. nach England, dann gibt's dort eine Menge mehr Sounds dieser Art. Was erwartet die Massives bei einer eurer Veranstaltung?

Alex: Dub ist ja vor allem Technik und Klanggefühl. Zu erwarten ist dementsprechend eine permanente Bearbeitung des Soundmaterials, ein effektives Arbeiten mit den dubtypischen Effekten, was natürlich vor allem bei der Livezerarbeitung der puren Riddims gut zum Wirken kommt. Natürlich spielen wir auch Dub, von 70s Roots und Rockers/Steppers bis zur britischen Jah Shaka- Schule und darüber hinaus, aber Dub ist- eben als Technik und Klanggefühl- in vielerlei Musiken eingegangen, ist eigentlich aller moderner Musik immanent, und dem spüren wir auch nach, ob es in Hip Hop oder Dubby Dance- Zeugs ist.

Wie macht man es den Schubladen-Bashment-Heads schmackhaft vielleicht auch mal auf einen derartigen Dance zu gehen?

Christian: Herr Bashment-Freak: Lass dich einfach mal überraschen. Da stehen 'n paar Jungs auf der Bühne und versuchen, was Ehrliches rüberzubringen, nicht einfach nur zu kopieren, zu importieren. Puristen sind wir natürlich (...zum Glück..) auch nicht, aber wir suchen nach einem Sound, der eine eigene Geschichte zu erzählen hat, der Ausdruck von ganz verschiedenen musikalischen Spielarten ist. Da werden TUNES ausgespielt. Da gibt's Ups & Downs und Hin & Her im Set. Entertainment...

Arnd: Das Liveprogramm zum Album wird ja im Rahmen der "klassischen" Al-Haca Soundsystem Selection gebracht und da kann es unheimlich Spass machen, wenn das Publikum das Programm steuert. Da greift dann z.B. MC T-Weed oder RQM irgendwas auf und es muss unbedingt der und der Tune aufgelegt werden. Rewind, Selecta!!!

Alex: Etwas Neugierde, ein Interesse an kreativer Grenzüberschreitung, an funktionierender Schubladenerweiterung bzw. -sprengung sollte schon da sein, sonst wird es wahrscheinlich schwer für ihn (und es sind ja zumeist die Herren, die ein Reglement befolgt sehen/hören wollen, eingeschlossen die "untanzbaren" Trainspotter-Nerds). Wir gehen halt etwas weiter, sowohl was stilistische Ausweitung als eben auch unterschiedliche Härtegrade angeht, von smoothen Reggae Roots bis zur brachial punkigen Ragga-Hardcore-Variable oder dann eben auch Club Culture-Nähe. Purismus ist uns ein Gräuel..., Langeweile sowieso.

Gibt es so etwas wie eine Top 5-Liste von Künstlern mit denen ihr gerne zusammenarbeiten würdet?

Christian: Top 5 ist irgendwie schwierig, aber wir nennen einfach mal ein paar Namen: Carl Craig, Roots Manuva, Matthew Herbert, Recloose, mhhh...Forss,... ich übergebe...

Arnd: Die von Christian plus: Bad Brains, Herbie Hancock, DJ Shadow, The Pharcyde, Helmet - gute Mischung? Sorry, die Beasties müssen dazu.

Christian: und Destiny's Child und Madonna...?

Alex: Sugar Minott, Marc Almond, Coil, HR, Mark Stewart... Adrian Sherwood natürlich noch (in Früh-80er-Form) - oder aber (die bestem Wünsche sind die unerfüllbaren): Karl Valentin, Kurt Schwitters, William S.Burroughs, Albrecht Kasimir Bölckow, King Tubby - oder aber serbische Blechbläser-Orchester und Obertonsänger aus Tuva... oder/oder/oder - das Spiel ist potentiell endlos, wir setzen auf den herbeigeführten Zufall, eine Resonanz in den Vibes, eine gewissen Wellenlängenübereinstimmung ist das grundlegende, der Rest pendelt zwischen aktivem Streueffekt und (rand-)kommerzieller Koordinierung.

Zum Abschluss die Frage nach dem Bild auf dem Cover. Hundhase jagt Hase vor blutigem Hintergrund. Hat das einen tieferen Sinn?

Christian: Blut? Da ist Blut drauf? Welcher Hundhase? Was ist ein Hundhase? Tieferer Sinn?........natürlich muss auf ein Album, was "inevitable" heisst, was tiefsinniges auf's Cover drauf, oder? Ich denke, jeder sieht, was er sehen will (oder kann oder möchte). Ich sehe zum Beispiel einen Hasen mit einem Raubtierkörper (nehmen wir mal an eine Löwin oder eben ein Hund). Und dann sehe ich noch einen Hund oder eine Löwin mit Hasenpfoten. Verkehrte Welt. Kämpfen die? Flieht einer vor dem anderen? Und so weiter und so fort....
das wäre so in Ansätzen meine Sicht. Ich bin wahnsinnig glücklich mit diesem Cover. Es passt einfach!

Alex: Die Frage einer schlüssigen Ikonographie ist hier auf äthetisch hohem Niveau durch Nicht-Lösen gelöst. Was zählt, ist natürlich das Prinzip der Collage, der Verknüpfung in offen gelassenen Zusammenhängen, auch ein wenig der Willkür, der Provokation. Der Sinn entsteht in der Konstruktion durch den Interpreten, wobei Kampf-Ähnlichkeiten und Blut-Assoziation als potentielle Signifikanten einberechnet sind, ohne die Wirkung selbst immer schlüssig zu kennen. Auch eine Form von Sich-Treibenlassen, von Eindeutigkeitsvermeidung und Anti-Purismus..., außerdem: nichts ist, so finde ich, schlimmer als diese geborgten, den ursprünglichen kulturellen Zusammenhängen entstellend entrissenen Reggae & Umfeld-Kulturklischees, die da warenwerbewirksam aufgefahren werden. Da sind wir draußen und frei. Ansonsten müsste diese Frage eigentlich auch an die Grafikerin Gertrud Fahr weiter gereicht werden...


Interview: Karsten Frehe (10/03)


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