Die Krönung des Löwen
Der zweite Kerpener erobert die Welt: Der 23-jährige
Patrice ist der Shootingstar der deutschen Reggaeszene. Doch
er versteht sich weder als Teil einer Bewegung noch als purer
Reggae-Artist
von
DANIEL BAX
Angefangen
hat alles mit "Lions", der Debüt-EP des damals
erst 19-jährigen Patrice. "Es war eine sehr rohe Produktion,
sehr organisch. Das hat auch ihren Charme ausgemacht, glaube
ich", befindet der Sänger vier Jahre später im
Gespräch, während er es sich im Berliner Büroraum
einer Agentur bequem macht, die für ihn Termine mit örtlichen
Journalisten anberaumt hat. Gedankenverloren mustert er das
Cover der EP in seinen Händen, mit der alles seinen Anfang
nahm und auf der schon einiges von dem angelegt war, was heute
seine musikalische Handschrift auszeichnet.
Entstanden
ist "Lions" damals durch eine Reihe glücklicher
Fügungen: Über seinen Freund Ade Agukoyé, mit
dem er damals noch in der Kölner Afrobeat-Formation Bantu
zusammen spielte, hatte Patrice den Hamburger Produzenten Matthias
Arfmann kennen gelernt und ihm ein Demo-Tape in die Hand gedrückt.
Arfmann zeigte sich davon so begeistert, das er sich anbot,
mit Patrice ein Album aufzunehmen. "Ich bin damals nach
Hamburg gefahren und habe ihm alle Lieder, die ich bis dahin
geschrieben hatte, mit akustischer Gitarre vorgespielt",
rekapituliert Patrice die Schritte, die zu seinem ersten Minialbum
führten. 20 Stücke waren das insgesamt, aus denen
dann vier für die EP ausgewählt wurden. "Der
Song ,Lions' ist genau aus dieser Session entstanden",
erinnert er sich. "Ich habe den nie wieder besser hinbekommen.
Technisch vielleicht schon. Aber nicht, was den Vibe betrifft."
Chris
Blackwells Anruf
Auf
"Lions" folgte zwei Jahre später "Ancient
Spirit", das die erste Handvoll Song-Skizzen zu einem regulären
Album erweiterte. Dieses Album ließ Patrice zum Shootingstar
der jungen deutschen Reggae-Gemeinde avancieren und mauserte
sich allmählich sogar zum Bestseller. "Ich glaube,
das Album ist durch Mund-zu-Mund-Propaganda immer größer
geworden", vermutet Patrice und fügt hinzu: "Merkwürdigerweise
verkauft es sich immer noch - ungefähr 300 Exemplare pro
Woche."
Im
Gespräch zeigt sich der 23-Jährige erfrischend frei
von Allüren, und das verlegene Lächeln auf seinen
Lippen deutet an, dass ihm der schmeichelhafte Rummel um seine
Person zuweilen noch nicht ganz geheuer ist. Seiner Pionierrolle
ist er sich aber durchaus bewusst, und so sagt er: "Zu
der Zeit, als ich mein Album gemacht habe, war das ja noch nicht
so hip wie heute. Heute würde dasselbe Album vielleicht
sofort in die Charts gehen."
Und
wohl nicht nur in Deutschland. Schon bei seiner ersten EP zeigten
sich gleich zwei Plattenfirmen in England interessiert: Sogar
Chris Blackwell, der Gründer des legendären Reggaelabels
"Island" und einst Pate des Welterfolgs von Bob Marley,
soll persönlich bei "Yo Mama!" in Hamburg angerufen
und sich nach Patrice erkundigt haben. Doch obschon Patrice
bereits zu einzelnen Gastspielen in London, New York und San
Francisco gereist ist, ist sein Album bislang weder in den USA
noch in Großbritannien veröffentlich worden. "Das
ist Plattenfirmenpolitik", winkt der Gefragte ab. Aber
man merkt ihm an, dass er es gern anders hätte.
Aufgewachsen
ist Patrice in einer deutschen Kleinstadt, in Kerpen, "wo
auch Michael Schuhmacher herkommt", in der Nähe von
Köln. Später ging er dann in Süddeutschland auf
ein Internat am Bodensee, wo er sein Abitur machte. Dort brachte
er sich das Gitarrespiel bei, nach Vorlagen von Dylan über
Nirvana bis Metallica, und schrieb erste Lieder. Dann entdeckte
er HipHop für sich, wobei die Initialzündung von überraschender
Seite kam: "Das sollte ich jetzt besser nicht sagen",
lacht Patrice. "Aber das Erste, was ich so richtig geil
fand, war die 2 Life Crew. Die fand ich richtig derbe."
Wieder
in Köln, verlegte er sich auf Rap, Breakdance und Graffiti
- was man halt als Jugendlicher in den Neunzigern so machte
-, bis er auf den Geschmack von Dancehall, Freestyle-MCing und
Sound Systems kam. Ganz identifizieren konnte oder wollte sich
Patrice mit der Reggaeszene, wie er sie in Köln vorfand,
aber nicht: "Ich war nie auf Jamaika fixiert. Ich hab mich
immer mehr als Afrikaner gesehen - oder jedenfalls als jemand,
dessen Wurzeln in Afrika liegen. Dieses ganze Jamaika-Ding fand
ich dagegen immer sehr klischeehaft. Und die Leute, die um mich
herum so sehr einen auf Jamaikaner gemacht haben - die fand
ich immer ein wenig bedenklich", bekennt er.
Stattdessen
schloss er sich lieber Musikern wie dem Köln-Nigerianer
Ade Ogukoya, dessen Bruder "Don" Abi und deren Afrobeatband
Bantu an. Mit Weep Not Child hatten diese bereits ein Afro-Fusion-Funk-Projekt
auf den Weg gebracht und eine Reihe gleich gesinnter Musiker
um sich geschart, mit denen sich auch Patrice anfreundete. Obwohl
sich die Wege der Musiker inzwischen getrennt haben, hält
Patrice noch den Kontakt zu den Kollegen aus alten Tagen: So
wird sein Name wohl auch auf dem kommenden Bantu-Album auftauchen.
Nicht
beteiligen mochte er sich hingegen an dem breiten antirassistischen
HipHop-Bündnis der Brothers Keepers, das ebenfalls von
Adé und Abi Ogukoya initiiert wurde und für das
diese fast alle namhaften afrodeutschen Rapper gewinnen konnten.
"Mit dem Thema konnte ich mich schon identifizieren",
gibt Patrice ausweichend zu verstehen und lässt durchblicken,
dass das wohl nicht für die Wortbeiträge aller beteiligten
Stimmen galt; außerdem sei er anderweitig beschäftigt
gewesen. Dafür aber tritt er mit anderen Musikern aus dem
Brothers-Keepers-Umfeld des öfteren zu Benefizkonzerten
an.
Grundsätzlich
aber sieht sich der Individualist wohl nicht gern als Teil einer
Gruppe und lehnt auch alle Versuche ab, die darauf zielen, ihn
in Verbindung mit einer allgemeinen Strömung zu sehen,
mit dem gegenwärtigen Reggaeboom etwa: "Ich sehe mich
nicht als Teil eines Movements", sagt er. Dessen Protagonisten
allerdings haben seinen vollen Respekt. Gentleman? "Der
hat definitiv verdient, was er jetzt erntet", zollt er
dem Kölner Kollegen höchstes Lob. Und Seeed? "Gute
Partymusik", zeigt er sich angetan, auch wenn er sie offensichtlich
einer anderen musikalischen Kategorie zuordnet als der seinen.
Bier
für Jack Dupree
Tatsächlich
gehen die Songs von Patrice weit über geläufige Reggaekonventionen
hinaus und verweisen auf die vielfältigen Einflüsse
einer musikalischen Sozialisation, die geprägt war vom
afrikanisch-bildungsbürgerlichen Selbstverständnis
seines Vaters. Schon im Elternhaus wurde neben Blues, Jazz und
Spirituals auch gerne afrikanische Musik, Reggae und Pop gehört.
Und von seinem verstorbenen Vater, dem Regisseur, Journalisten
und Schriftsteller Gaston Bart-Williams, habe er "ein Gefühl
für Lyrik und bestimmte afrikanische Werte" vermittelt
bekommen, glaubt Patrice. Benannt ist er schließlich nach
Patrice Lumumba, dem ersten Präsidenten des Kongos, und
schon früh vertraut gemacht wurde er mit Namen wie Malcolm
X, Miriam Makeba oder mit afrikanischer Kunst. "Wir sind
oft auf Ausstellungen gegangen, oder zu Blueskonzerten",
erinnert sich Patrice: etwa zu Champion Jack Dupree, mit dem
der Vater gut befreundet war. "Der hat vor seinen Auftritten
20 Biere getrunken, und ich habe die ihm auf die Bühne
gebracht."
Als
sein Vater noch lebte, war Patrice mit ihm manches Mal zu seinen
Verwandten nach Sierra Leone gereist, und einmal begleitete
er ihn auch nach Kenia, als der dort für das ZDF einen
Dokumentarfilm über "afrikanische Wurzeln" drehte.
Sein Erfolg als Musiker führte Patrice nun einmal mehr
zurück nach Afrika, diesmal allerdings in den Senegal,
wo er beim Festival "Dakar 24" auftrat. Auf Einladung
von Youssou NDour hängte Patrice aber noch einen Kurzurlaub
dran: "An einem Tag sind wir mit ihm in einem Militärjet
zu einem Gig geflogen, mit einer Miss Senegal und irgendeinem
Minister im Flieger", zeigt er sich noch heute beeindruckt
- auch vom Senegal selbst: "Es ist schon ein unglaubliches
Land: so rooted, mit einer starken Identität und einer
starken traditionellen Musik, die auch von jungen Leuten gehört
wird. Das ist ja in vielen afrikanischen Ländern nicht
mehr so - da wird dann eher R n B und HipHop gehört."
Über
Jamaika hingegen, wohin es ihn vor drei Jahren zum ersten Mal
verschlug, äußert er sich deutlich distanzierter:
"Ein sehr hartes Land, ein Land der Extreme. Jamaika ist
ja das Land mit den meisten Kirchen per Square Mile", erläutert
Patrice, und fällt dabei immer wieder vom Deutschen ins
Englische zurück. "Da gibt es Tausende von Kirchen:
Die eine heißt Bread of Christ, die andere Life of Christ
oder Light of Christ. Oft scheinen sie sich nur ganz geringfügig
zu unterscheiden, aber sie mögen sich gegenseitig überhaupt
nicht: Das ist so ein tribal Ding, das Land ist sehr devided."
In
Bob Marleys Spur
Trotzdem
bleibt er fasziniert: "Das Land ist so klein und hat doch
so einen großen Einfluss auf die Welt. Bob Marley, der
so was ist wie der Artist of the Millennium, der kommt aus Trenchtown
- und das ist um einiges kleiner als der Stadtteil hier",
sagt er, und blickt aus dem Dachfenster auf den Himmel über
Berlins Prenzlauer Berg. Ob er dabei wohl auch kurz an Kerpen
denkt? Von dort aus hat er es schließlich selbst schon
zu einiger Weltläufigkeit gebracht. So hat er eben erst
auf Jamaika sein neues Album fertig gestellt. Zu Hause hatte
er es vorproduziert. Eingespielt wurde es dann in Jamaika, innerhalb
einen Monats. Neben seiner Band Shashamani, die der Schlagzeuger
Granville Thomas für Patrice formierte, wurden für
"How do you call it?" auch gestandene Studiohasen
wie der Bassist Pino Palladino, der Gitarrist Darryl Thompson
sowie Glenn Browne verpflichtet - für eine Produktion,
die sich deutlich um internationalen Anschluss bemüht und
opulenter und rockiger klingt als der weitaus intimere Vorgänger.
Auch singt Patrice nun häufiger auf Englisch als im jamaikanischen
Patois-Dialekt. Afrikanisches dagegen klingt eigentlich überhaupt
nicht an - auch wenn Patrice auf Afrobeat-Zitate verweist und
darauf, dass ein Stück wie "Ja jah Deh Deh" immerhin
einem afrikanischem Freiheitskämpfer gewidmet sei.
Patrice
ficht diese Verlagerung allerdings nicht an: "Ich habe
mich noch nie als purer Reggae-Artist gesehen. Und mein Anspruch
ist, mich mit jedem Album weiterzuentwickeln, statt Erwartungen
zu erfüllen. Jetzt, wo alle Reggae machen, mache ich eben
was anderes." An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht.
Album:
"How do you call it?"
www.yomama.de
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Dieser Artikel erschien in der TAZ vom 19./20.10.2002
und wird hier bei Irie Ites mit freundlicher Genehmigung von
Daniel Bax wiedergegeben.
www.taz.de