Mit
"Les Deux Cotés" liegt der beachtliche
Debütlongplayer der elfköpfigen Band Irie Révoltés
aus Heidelberg vor. Kraftvoll tönt einem ihre Melange
aus Ragga, Reggae, Ska, Soul, gelegentlichem Soca und
viel Hip Hop entgegen. Unverkrampft werden die Stile ineinander
gewoben oder nebeneinander gestellt. Beeindruckend ist
bei der Stilvielfalt vor allem der mehrstimmige Gesang
und die Tatsache, dass die Band ALLES in Eigenregie gemacht
hat. Da mischt eine engagierte Truppe die deutsche Musikwelt
ordentlich auf und sorgt auch live für Furore. Die
Leadsänger Mal Élevé und Carlito sowie
Rapper Silence waren so nett, Irie Ites.de ein paar Fragen
zu beantworten.
Ihr
seid im Raum Heidelberg zunächst einmal durch eure
Liveauftritte zu einem lokalen bzw. regionalen Namen geworden.
Im Begleittext zu eurem Album legt ihr Wert darauf, dass
der Sound des Silberlings "den Live-Charakter"
des "Irie-Sounds" spüren lässt. Liegt
eurer Schwerpunkt auf Liveauftritten?
Mal
Élevé:
Ich würde sagen, eigentlich schon. doch seit unser
Album im Dezember 2003 erschienen ist, sind es sowohl
die Liveauftritte, als auch der Sound aus der Anlage,
die wir versuchen rüberzubringen
Silence:
Wir sind als Live-Band gewachsen. Vor unserem Debüt
waren wir nur live zu hören, deswegen liegt unser
Schwerpunkt bestimmt auf Live-Auftritten. Die Konzerte
geben uns auch die Motivation weiter an unserem Sound
zu arbeiten, da es natürlich ein gutes Gefühl
ist, zu spüren, wenn die Musik beim Publikum ankommt.
Trotzdem haben wir seit "Les Deux Côtés"
viel über die Studio-Arbeit reflektiert, weil wir
versuchen wollen, dass man unserem nächsten Album,
die Weiterentwicklung, die wir nicht zu letzt durch die
vielen Konzerte gemacht haben, auch anhört.
Carlito:
Mir
persönlich ist das Auftreten so besonders wichtig,
da in diesen Momenten die Musik, die Band und das Publikum
verschmelzen. Für mich ist es sehr wichtig das Publikum
zu fühlen, um so mehr Energie für neue Songs
zu bekommen. Heute liegt unser Schwerpunkt nicht mehr
ausschließlich bei den Auftritten, sie haben jedoch
weiterhin große Wichtigkeit.
Bereits
oben habe ich die stilistische Vielfalt eurer Musik angedeutet.
Liegt diese bunte Mischung daran, dass ihr so viele Bandmitglieder
habt, die womöglich aus unterschiedlichen musikalischen
Vorgeschichten schöpfen? Oder hat es einen konzeptionellen
Hintergrund, eher nicht in EINE Schublade springen zu
wollen?
Mal
Élevé:
Es hat mehrere Gründe. Aber ein Konzept stand von
Beginn an nicht dahinter. Jeder investierte sich so wie
er konnte musikalisch in die Band und jeder hat verschiedene
Geschmäcker. Bei 10 Bandmitgliedern kommt es somit
also schnell zur Vielfalt der Musikstyle. Der weitere
Grund ist selbstverständlich auch, dass wir uns einfach
nicht in eine Schublade stecken lassen wollen. Dies passiert
denke ich automatisch auf Grund der Vielfalt nicht....
Silence:
Ich denke auch, dass wir uns darüber keine Sorgen
machen müssen. Jeder bringt so viele Ideen mit ein,
dass immer etwas neues entsteht. Wir haben uns nie zwanghaft
darum bemüht in keine Schublade passen zu dürfen.
Unser Sound wird sich so verändern wie sich die Bandmitglieder
entwickeln.
Carlito:
Jup
Musikalisch
gesehen seid ihr ähnlich bunt wie Culcha Candela
und Seeed aus Berlin. Gibt es für euch nationale
oder internationale musikalische Vorbilder?
Mal
Élevé:
Wie schon gesagt, wir sind alle sehr unterschiedlich musikalisch
beeinflusst und daher hatten wir als Band nie ein "kollektives"
Vorbild oder eine Inspirationsband... wir hatten kein
musikalisches Konzept, alles entstand beim Jammen.
Carlito:
Ja genau. Ich zum Beispiel komme er aus der "Black
Music" - Richtung, wie man sicherlich an meinem Gesangsstil
auch hören kann. So sieht es bei jedem Bandmitglied
anders aus.
Silence:
Wahrscheinlich hatten wir auch deswegen nie ein gemeinsames
Vorbild, weil wir nie geplant haben, wie wir uns als Band
entwickeln wollen. Uns war immer klar, dass wir zusammen
Musik machen wollen, auf Tour gehen, feiern und Lieder
schreiben. Natürlich war irgendwann klar, dass wir
den ganzen Organisationskram, der durch die Musik entsteht,
ernster nehmen. Aber wir haben nie gesagt wir wollen seien
wie ..., sondern wir sind mit der Zeit zusammen hineingewachsen.
Wie
geht ihr beim Komponieren/Texten vor. Entsteht ein Tune
gemeinsam, nehmen jeweils unterschiedliche Köpfe
die Regie in die Hand oder geht es in die linke, kollektive
Richtung?
Mal
Élevé:
Also meistens passiert es beim Jammen im Proberaum. Wir
legen Wert darauf, dass wir alles was die Band betrifft
gemeinsam besprechen und entscheiden (kollektiv).Bei organisatorischen
Sachen ist dies manchmal nicht so einfach, aber was die
Komposition angeht, klappt das einwandfrei. Ein Musiker
hat z. B. eine Idee, bringt diese an und die andren bauen
darauf auf. Dann überlegen wir uns ein Thema und
schreiben dazu. Oder es besteht bereits ein Text und die
Musiker finden die passende Melodien + Beatz dazu.
Silence:
Außerdem ist uns wichtig Themen zu behandeln, die
uns beschäftigen und nicht einfach Texte als Beiwerk
zur Musik zu schreiben. Da wir so viel gemeinsam unterwegs
sind, haben wir ja genügend Zeit, uns auszutauschen.
Carlito:
Um so die Lieder als Ganzes (inhaltlich und musikalisch)
zu komplettieren.
Auf
dem Album werden die meisten Texte auf Französisch
gesungen - gelegentlich, wie zum Beispiel bei "La
Musique" oder "Flüsterlied" auch mal
mit deutschen Lyrics gemischt. Wie kommt es zu dieser
Dominanz des Französischen bei einer deutschen Band?
Mal
Élevé:
Die Dominanz liegt zum einen daran, dass zu Beginn ich
der einzige Sänger war. Ich bin 2-Sprachig aufgewachsen
und mir fällt es leichter, Songs auf französisch
zu schreiben. Dann kamen die andren Sänger dazu und
jeder schrieb in seiner Sprache. Trotz der Vielfalt der
Styles, dominiert bei uns eben Reggae und Ragga. Silence
rapt auf deutsch und daher sind momentan nur die Hip Hop
- Lieder mit deutschen Lyrics kombiniert.
Carlito:Für
mich gilt das Selbe. Ich habe ebenfalls gemerkt, dass
ich unsere Themen besser in Französisch zum Ausdruck
bringen kann. Habe aber auch ein Lied ("My Friends")
auf Englisch geschrieben.
Revolten
sind Bestandteil eures Bandnamens. Welches Ziel haben
die "Irie Révoltés". Ein Leben
in Frieden - umhaucht von süßlichem Duft? Den
Sturz des Kapitalismus? Oder....
Mal
Élevé:
Um diese Frage zu beantworten, muss ich wieder auf unsere
Heterogenität zurückgreifen, die nicht nur musikalisch
vorhanden ist, sondern logischerweise auch was Ansichten
angeht. Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen und auf
das Wesentliche konzentrieren, denn eine politische Diskussion
würde den Rahmen des Interviews sprängen. Es
gibt viele Themen, die uns beschäftigen und das "Révoltés"
im Bandnamen drückt eben aus, dass wir unsere Augen
vor diesen Themen nicht verschließen. Natürlich
wünschen wir uns eine Welt in Frieden und gutem Duft
- wer tut das nicht? Doch beim Betrachten der Realität
sieht ja jeder und jede von uns, dass wir da weit von
weg sind. Die vom Kapitalismus dominierte Welt zeigt uns
tagtäglich ihre Inhumanität (Kriege, Ausbeutung,
Hungersnöte, Ellbogengesellschaften, Diktaturen,
Menschenrechtsverletzungen....). "Sturz" ist
wage und plump ausgedrückt, doch ich denke, die Tatsache,
dass andere Staatsformen und Wirtschaftssysteme, die bisher
über einen längeren Zeitraum existierten, nicht
viel besser waren, als die jetzigen, sollte uns nicht
glauben lassen, was heute ist, ist das einzig Wahre. Révoltés
bedeutet nicht, alles zu zerstören, sondern vielmehr
den Drang etwas zu tun/zu verändern. Man verspürt
den Drang, seinen Arsch zu bewegen. Wie und wieviel entscheidet
jede und jeder für sich. Was wir wollen, ist eigentlich
das Aufmerksammachen auf Missstände und Ungerechtigkeiten
in der Welt.
Wir wollen auch einen Gegenpol bilden zu den dominierenden
"Ficken, Frauen, Ärsche, verbrennt die Schwulen"-Texten
im Reggae/Dancehall und auch im Hip Hop. Ich denke, es
gibt doch noch zum Glück viele Leute, die Wert darauf
legen, was gesungen wird und nicht nur darauf, ob die
Musik und der Flow gut reingehen. Wir hoffen natürlich,
diesen Leuten eine Bereicherung zu sein und andere eventuell
wachzurütteln.
Ihr
seid erfreulich gesellschaftskritisch unterwegs. Liegt
es aus eurer Sicht an dieser eher kritischen Haltung,
dass ihr nach wie vor in Eigenregie unterwegs seid?
Silence:
Vielleicht zum Teil. Unsere Einstellung wirkt sich sicherlich
auf die Organisation der Band aus, da wir versuchen alles
selbst und vor allem gleichberechtigt zu entscheiden.
Musik ist Kunst und muss deswegen selbstbestimmt sein.
Deswegen waren wir auch immer vorsichtig, wenn es darum
ging, uns zu binden. Doch man muss auch aufpassen, dass
die Organisation nicht so viel Zeit und Aufwand in Anspruch
nimmt, dass man keine Zeit mehr hat, sich der Musik zu
widmen. Denn um die geht es ja letztendlich. Wir haben
bei "Les Deux Côtés" gemerkt wie
viel Aufwand es ist ein Album in Eigenregie zu vertreiben.
Deswegen können wir uns inzwischen gut vorstellen
einen Teil der organisatorischen Arbeit abzugeben, wenn
wir Leute finden, die ihren Job ernstnehmen und uns nicht
als Künstler einschränken.
Carlito:
Ich denke es ist wichtig, dass wir Arbeit abgeben, die
uns eher belastet und uns in unserer musikalischen Kreativität
einschränkt. Aber gerade bei dieser Abgabe haben
wir uns sehr genaue Kriterien gesetzt, denn sie soll ja
entlasten und nicht zu einer noch größeren
Belastung führen. Das Hauptkriterium ist, dass diejenigen,
die mit uns arbeiten wollen, so mit uns arbeiten, wie
wir sind und uns nicht verformen wollen bzw. wir uns nicht
verformen lassen.
Was
nervt euch am meisten, wenn ihr euch in der Musikwelt
hierzulande umseht?!!
Silence:
Dass die Musikindustrie Künstler als Produkte aufbaut,
um sie zu verheizen. Und am meisten nervt mich daran,
dass die Mehrheit diese Produkte auch noch konsumiert,
anstatt sich davon zu befreien und selbst nach der Musik
zu suchen, die ihnen gefällt. Aber genau dieser Umstand
gibt uns auch Motivation selbst weiter zu machen wie wir
sind.
Carlito:
Wir versuchen durch unsere Musik dem Publikum die Wahrheit
(so weit wir sie kennen) hinter dem Musikgeschäfts
- Vorhang näher zu bringen. Die meisten "MusikkonsumentenInnen"
wissen gar nicht , wie "unfrei" ihre so gern
gehörten Künstler oft sind. Ich finde es zwingend
notwendig den MusikliebhabernInnen klar zu machen, dass
sie es in ihrer Hand haben, diese Umstände zu ändern.
Im
Begleitinfo steht, dass ihr solange bis ihr ein geeignetes
Label gefunden habt, den Vertrieb des Albums selbst in
die Hand nehmt. Mal angenommen, ihr findet ein Label -
evtl. auch für das Folgealbum. Habt ihr nicht doch
Sorge, dass dabei womöglich jemand anderes als die
Band in die Musik hineinfummeln könnte?
Carlito:
Wie ich vorhin schon gesagt habe, habe wir uns genau deshalb
strenge Kriterien für die Auswahl gesetzt, da wir
eben genau dies vermeiden wollen.
Mal
Élevé:
Diese Angst besteht durchaus. Doch die Präzision
"geeignet" in dem Begleittext beinhaltet für
uns ein Label, dass dies keinesfalls tun wird. Und wenn
sich herausstellen sollte, dass sowas doch nur Utopie
ist, werden wir wohl oder übel ein eigenes Label
gründen müssen.
Am Freitag, den 8.7., werdet ihr beim Summerjam in
Köln die "Red Stage", also die große
Bühne eröffnen. Habt ihr angesichts der Größe
der Bühne und der Bedeutung des Festivals ein wenig
Lampenfieber?
Mal
Élevé:
Teils teils. Die Aufregung ist schon groß. Wir freuen
uns darauf, doch Lampenfieber hat eigentlich noch keiner.Wir
sind alle motiviert, das Beste zu geben und sowohl musikalisch,
als auch inhaltlich unser Maximum rüberzubringen,
so dass es die Leute hoffentlich mit Interesse aufnehmen
werden.
Carlito:
Ja. Ich kann es kaum erwarten dort zu spielen und bin
übermotiviert. Wir sind wie wir sind. Etwas anderes
können und wollen wir nicht sein. Deshalb habe ich
auch kein Lampenfieber. Ich freue mich eher darauf den
Leuten zu zeigen wer Irie Révoltés sind.
Interview: Karsten Frehe (06/2005)
Fotos: Mark Kleimann
|