Nattyflo

Nachdem Nattyflo auf diversen Compilations vertreten war und einige Singles auf dem Markt hat, liegt nun mit "Wochenend'" seine Debüt-EP vor. Unterstützt wurde er bei den Aufnahmen durch Dr. Ring-Ding (Posaune), Youdon und Nosliw (Backingvocals) und durch das Silly Walks Soundsystem aus Hamburg, die bei dem Remix des Titels "Wochenend'" ihren relaxten "Afrika"-Riddim beisteuerten. Alle anderen Tracks wurden von t.e.k.a. produziert und komponiert. Nattyflo war so nett, sich Irie Ites Ende März 2002 für ein Interview zur Verfügung zu stellen.


Deine Debüt-EP "Wochenend'" ist gerade auf den Markt gekommen. Die Titel klingen größtenteils so als ob sie live eingespielt wurden und strahlen ein angenehme Liveatmosphäre aus. Hängt das mit dem Entstehungsprozess oder einer besonderen Atmosphäre im Studio zusammen?

Auf jeden Fall. Für "Mona Lisa" und "Wie Ich Abbrenn" haben wir den Schlagzeuger meiner alten Reggaeband aus Frankfurt ins Studio eingeladen. Zuvor hat t.e.k.a schon mal mit dem Drumcomputer ein bißchen was vorgebastelt und der Drummer hat dem Ganzen dann den Live-Groove gegeben. Beim Richie (Dr. Ring Ding) lief das ähnlich ab. Er hat sich direkt in die Sachen reingehört und gleich noch selber eigene Melodien mit eingebracht. Zur Atmosphäre in unserem Studio: Wir haben einen Extra- Aufnahmeraum in dem die Instrumentalisten ihr Zeug einspielen können. Das Studio gehört Rootdown, t.e.k.a ist der Komponist und Engineer. Vor ein paar Jahren haben wir ja noch unser ganzes Erspartes für kostbare Studiozeit ausgegeben. Jetzt haben wir unser Eigenes, in dem wir tun und lassen können, was wir wollen. Das ist schon viel wert. Mir liegt immer viel daran, daß sich die Musiker locker machen können und sich wohl bei uns fühlen.

Auf der EP überwiegt der Anteil des Rootsreggae ein wenig gegenüber dem Dancehall. Gibt es bei dir Präferenzen in dieser Richtung?
Bei 20 Nattyflostücken gibt es Live vielleicht 13 Roots und 7 Dancehalltunes. Ich sehe mich selber als Singjay, also einen Sänger der in der Strophe auch mal den Deejay Style auspackt und ein bißchen abflowt.Die Abwechslung tut ja vor allem auch Live gut. Meine Erfahrung ist, dass die Leute bei Roots gerne zuhören und hin und her tänzeln, aber bei Dancehall erst richtig abgehen, anfangen zu pfeifen und dann auch mal einen Rewind fordern. Insofern gehört beides dazu.

Leicht kritische Anklänge sind aus dem Titel "Nix Für Mich" herauszuhören. Kannst du dazu noch etwas sagen....Wie beurteilst du die Zukunft?
"Nix Für Mich" habe ich geschrieben als letztes und vorletztes Jahr weltweit die Börsenkurse abgestürzt sind und Milliarden von Dollars in kürzester Zeit vernichtet wurden. Das ist Wahnsinn! Blühende Landschaften versprechen und verbrannte Erde hinterlassen- das ist einfach Nix für Mich- nee! Das Rat Race, das Bob Marley mal besungen hat findet immer noch statt: Fressen und gefressen werden. In Zukunft werden sich wohl die Gegensätze wohl eher verschärfen als verringern. Auch wenn ich nicht das Patentrezept mit einer Religion (Rasta) oder so parat habe. Ich denke wir sollten achtsam und wachsam bleiben. Deshalb chatt ich ja auch: "Passt nur auf das ihr den Tag nicht vor dem Abend lobt/ weil's nicht nur in mir tobt." Zehntausende demonstrieren immer gegen diese Gipfeltreffen der Industrieländer oder gegen Berlusconi oder Haider. Das supporte ich. Nur Schwarzmalen liegt mir nicht. Man muß auch aktiv werden.

Seeed, Jan Delay, diverse andere und selbstverständlich du haben Reggae und Dancehall in den vergangenen Monaten in Deutschland zu einem wahren Hype verholfen. Blickst du optimistisch in eine Zukunft, in der sich diese Musik dauerhaft auf diesem oder einem noch höheren Level hierzulande etablieren wird?
Seeed hat zwei Echos gewonnen und Gentleman ist mit seinem Album auf Platz 17 der Trend Charts eingestiegen- das ist der Hammer! Die Aufmerksamkeit ist jetzt da und Leute wie Raggabund, Daddy Rings, Skarra Mucci, Shocking Murray, Jah Meek, Nikitaman, Mono, Benjie, Nosliw, Ganjaman, Dr. Ring Ding, Tolga und hoffentlich auch ich werden diese Musik hierzulande weiter entwickeln. Da steigen jetzt natürlich die Erwartungen und einige von uns werden die sicher auch erfüllen. Auf der anderen Seite werden immer weniger Platten gekauft und sehr viel aus dem Netz geholt. Da wird es für uns Künstler natürlich schwierig. Heute 20.000 Alben zu verkaufen ist weitaus schwieriger als noch vor 3-4 Jahren! Und um noch einmal auf die Aufmerksamkeit zu sprechen zu kommen: Die Artists sind wichtig für die Entwicklung und die Identität von Dancehallreggae in Deutschland. Keine Frage. Aber ohne die Soundsystems wäre die Szene niemals so weit gekommen. Sie spielen jede Woche den Sound aus Jamaika und anderswo und buchen uns, damit wir Live performen können. Sie alle verdienen den größtmöglichen Respekt. Ich zähl einfach mal ein paar auf mit denen ich in den letzten 12 Monaten gespielt habe: Big up an Sentinel, Soundquake, Small Axe, Deebuzz, Kingstone, Fireball, Ganjasound, Lucky Punch, Natural Mystic, Phlatline, Ba Ba Boom, Concrete Jungle, Natty Youth, Raggagum, Lionhearts, Blessed Love, Culture Rock, Smoking Tuna usw. All diese Sounds pushen uns Deutschreggaeartists, indem sie uns einladen und singen lassen. Hinzu kommen die Festivals wie Summerjam, Splash und Chiemsee Reggae, die von Jahr zu Jahr immer größer werden. Auch hier wird das Reggaelebensgefühl authentisch vermittelt. Insofern wird Reggae immer ein Teil der deutschen Musiklandschaft bleiben. In welcher Größe und auf welchem Level- da mach ich mir nicht so die Gedanken. Allein durch die Sounds wird es aber eine Undergroundkultur bleiben!

Lässt man die Titel, wie etwa den von "Nix Für Mich" von deiner aktuellen EP "Wochenend'" mal außen vor. Gibt es Inhalte für deutschsprachige Reggae- und Dancehallmusik, die ihren Ursprung in der Lebenswelt hierzulande haben und für dich wichtig sind bzw. von dir und anderen Musikern in naher Zukunft aufgegriffen werden oder werden sollten?
Da hab ich ja eben schon das große Feld der Poli-trixs angesprochen. Wie viele schwarze Kassen gibt es jetzt eigentlich? Wir leben in Kriegszeiten- da gibt es viel zu kommentieren! Hoffentlich gelingt es mir und meinen Kollegen Nikitaman und Nosliw solche Inhalte in neuer gelungener Form zu thematisieren. Wir sind mittendrin. Jamaikanische Künstler reagieren ja sehr schnell auf aktuellen Themen in ihren Songs, das ist spannend. Kennst du den Tune von Curse "Nichts wird mehr so sein wie es einmal war", den er sofort nach dem 11. September rausgebracht hat?
Nein, leider noch nicht...
Da ist er seiner Rolle als Conscious Rapper voll gerecht geworden. Ich denke wir sollten auch viel ehrlicher und persönlicher in unseren Lyrics werden. Das ist nicht sehr einfach. "Wochenend" ist da aber denk ich ein Ansatz, der auch für andere nachvollziehbar ist. Jeder kennt diese alten Freundschaften...Die jamaikanischen Reggaethemen sind mir häufig zu oberflächlich und unpersönlich. Außer Buju Banton, der mal für die allein erziehenden Mütter auf der "Inna Heights" singt, kommt da doch nicht viel. Bei den Deejays könnt ich da nur kotzen. Wenn da in Zukunft einer anfängt die Themen ("Chi Chi Man" etc.) eins zu eins zu übernehmen, sollte er sich auf eine Antwort (Counteraction) gefasst machen.

Du hast gerade Nikitaman und Nosliw genannt. Was machen die beiden gerade? Stehen Projekte an?
Ja, Nikitamans EP kommt im Mai auch über Rootdown (Vertrieb NTT/ Indigo) raus. Sind glaub ich auch 5 Tracks drauf. Alles neue Tunes, außer "Mein Weed" das ja schon auf dem Dancehallfieber und der RIDDIM CD #1 zu hören war. Nosliw beginnt Mitte April mit den Aufnahmen und hat einen sehr fetten Song auf dem Dr. Starling Riddim von SEEED/Anthony B "Waterpompee" gevoict. Insofern kann man aus unserem Rootdown Camp in diesem Jahr noch einiges erwarten.

Obligatorisch in nahezu allen Interviews ist die Frage nach musikalischen Vorbildern. Auch wenn es vielleicht ein wenig nervt, so soll sie dennoch hier gestellt werden. Gibt es also für dich internationale und möglicherweise ja auch nationale Vorbilder?
Anthony B! Ohne Wenn und aber. Die Energie, die Ausstrahlung. Vor zwei Jahren habe ich mich mal mit ihm in Kalifornien länger unterhalten. Der Typ hat mich beeindruckt. Live ist er der Oberhammer und die Lyrics sind sehr clean. Hier in Deutschland denke ich hat Max vom Freundeskreis mir letztendlich den Kick gegeben mich selber als Künstler ernst zu nehmen. Live war er mir aber manchmal zu lahm. Bin mal gespannt was da jetzt demnächst kommt.
Was macht sie zu deinen Vorbildern?
Beide verstehen ihre Musik als Sprachrohr Dinge zu vermitteln und sehen sie gleichermaßen als Unterhaltung an. Musik soll entertainen. Gute Vibes und ein Lebensgefühl vermitteln, das positiv ist.

Im Riddim-Magazin Nr.2 ist zu lesen, dass du deine Musik neben dem Studium machst. Ist es schwierig, diese beiden Bereiche miteinander zu vereinbaren?
Ehrlich gesagt steht das Studium derzeit ziemlich hinten an. Aber allein zu wissen, wie man richtig mit einer Bibliothek umgeht, ist Gold wert. Hauptsächlich mache ich Musik und arbeite für das Reggae Magazin RIDDIM als Redakteur.
Darf man fragen, was du studierst?
Anglo-Amerikanische Geschichte im Hauptfach. Das heißt Black Power Movement, NAACP, Sklaverei, Kolonialismus. Sehr spannende Themen. Wenn ich mal wieder Zeit finde, möchte ich mich gerne mit dem Verhältnis von Schwarzer Musik und der sozialen Geschichte von Afro-Amerikanern auseinander setzen.

Wie sehen die Pläne in Sachen Musik für die nahe Zukunft aus?
Im April werde ich in Paris, Hamburg, Bremen, Wuppertal, Darmstadt und Berlin sein. Im Mai kommt der Karneval der Kulturen in Berlin und im Sommer natürlich das Summer Jam und das Splash. Dort werde ich mit meiner neuen Liveband spielen! Unter der Woche wollen wir viel aufnehmen, damit Anfang 2003 mein erster Longplayer fertig wird. Modern Roots mit Liveinstrumenten, als auch härteren Dancehall Riddims. Die Verhandlungen mit den Plattenfirmen laufen gerade. Die eine oder andere 7" Single kommt bestimmt.


Interview: Karsten Frehe

Neben der EP "Wochenend" ist Nattyflo auch aktuell auf dem "Excitement" Sampler von Germaican Records und "Full Hundred"-Sampler von Universal Records zu hören.

Termine und weitere News findet Ihr unter www.nattyflo.de