The
Afro Pharma Experience
(African Dance Records - 2003)
Ein Album mit einer
Geschichte, die kurz skizziert werden muss: Anfang der 90er Jahre hat
sich Dr. Phil. Jürg von Ins auf eine Forschungsreise in das westliche
Afrika begeben. Im Zentrum seines Interesses waren die vielfältigen
und unterschiedlichen Heilrituale, die auch heute noch dort von Bedeutung
sind. Die bei Heilritualen aufgenommenen Tondokumente, insgesamt rund
90 Stunden Material, gelangten dann an den Berliner Radio DJ, Produzenten
und Compiler Genetik druGs, der alles hörte und die besten Teile
zu der CD "Afro Pharma" zusammenstellte. Die erschien 2001
bei African Dance Records mit der Aufforderung, die CD als Samplingfundus
zu nehmen und Teile in Kompositionen zu übernehmen. Ein Aufruf
an die große und weite Welt der Elektronikfrickler also! In Cooperation
von Genetic druGs, ADR, Jürg von Ins und Radio Multikulti erscheint
nun das Resultat mit 18 Tracks, die aus über 100 Einsendungen ausgewählt
wurden. Stilistisch wird ein breites Feld beackert. Zum Teil experimentell,
gelegentlich herkömmlich. Viele Breakbeats, Dub-, Ambient- und
Technoelemente sind herauszuhören und dazwischen immer wieder Schnipsel
aus den Heilritualen Westafrikas. Und genau bei dem Wort "Schnipsel"
könnte jetzt ein kritischer Diskurs angesetzt und geführt
werden. Denn es ist sicherlich ein eher schmückender Umgang mit
den Originalquellen, der hier zutage tritt - womöglich mit der
Absicht, den neuen Kompositionen einen netten Afrotouch zu verleihen.
Viel übrig bleibt von den Heilritualen sicherlich nicht, wenn sie
mit mehr oder weniger tanzbaren Clubsounds verbunden werden. Nimmt man
das Ganze von der unkritischeren Seite, ist es schon nett zu hören,
wie einige der Artists, so z.B. Rootsman bei "God Up Satan Down",
die Samples in Loops legen und so einen netten Effekt erzielen. Schön
ist ebenso die Rhythmik bei "Song For Sidi Niaye" von Genetic
druGs & Jasmon. Für Dubfreunde finden sich neben Rootsman auch
Zion Train ein und steuern ihr "Meiosis" bei - eigentlich
die einzigen Dubreggaegrooves des Albums. Und sogar die Hypnotix aus
Prag fehlen nicht. Auf ihrem, für ihre Verhältnisse ungewöhnlich
kurzen, "Pharmabeat" (nur 3:12 Minuten) vermengen sie wieder
verschiedene kulturelle Sounds auf einem gut tanzbaren Beat, der an
ihr letztes Album "Kumah" anknüpft und damit auf Clubtauglichkeit
ausgerichtet ist. Schön, mal wieder etwas von ihnen zu hören!
Insgesamt erinnert das Album an das Projekt "Tribal Futures - The
Way Ahead" (erschienen bei Echo Beach, 2001), bei dem ebenfalls
Samples in moderne Clubmusik eingebaut wurden (dabei fehlten die viel
beschäftigten Zion Train natürlich auch nicht). Grundsätzlich
eine sicherlich reizvolle Sache, allerdings sollte man aufpassen, in
welchen Kontext man die Endprodukte stellt. Es sind und bleiben Produkte
der westlichen Welt. Afrikanische und ethnografisch wichtige Dokumente
sind hier lediglich Zierrat und aufgrund der Kürze und des verlorengegangenen
Kontextes weit weg von authentisch (oder gar heilend). Vernachlässigt
man jedoch diese Frage des Umgangs mit den Originaldokumenten, so macht
das Album Spaß und bietet eine ganze Menge erfrischende Kompositionen!
karsten
www.africandance.de