Lee
“Scratch” Perry
“jamaican
e.t.”
(Trojan/Zomba)
„Holyness, Righteousness, Light“ heißt ein Track. Das ist zuerst
ein Finger im Ohr, einer auf der Zunge, und ein beseeltes Grinsen in
den Augen: Lee Scratch Perry, eines der Genies der jamaikanischen Reggae-
und Dub-Musik, gibt sich auf dem Cover seines neuen Albums als Filou.
Doch die Platte selbst ist ein überbordender Tempelschatz zu Ehren
der Perry’schen Dreifaltigkeit. Die Zukunft zeigt sich als fett rockende
Echokammer, die Vergangenheit widerhallt als weiche „Message from the
Black Ark Studios“, seiner legendären Wirkungsstätte im Kingston
der 70er Jahre. Und gleichzeitig vollzieht der 65jährige den Schulterschluss
mit der wortreichen popkulturellen Gegenwart („Hip Hop Reggae“). Zudem
ist Perry ist tatsächlich dreifach da, als multipler Meister aller
Audiospuren, mit einem Finger immer am guten alten Stereo-„Pan“-Regler.
Er brabbelt links, er brabbelt rechts, und seine heilige Mitte gibt
auch ihren Senf dazu. Akustische Gloriolen auf Jah, auf den Upsetter,
auf die Musik. Diese 74 Minuten erschöpfen den Hörer. Entweder
liegt er auf den Knien, oder er zieht Kreise im Korn, oder er ist vom
Blitz erschlagen.
Stefan Raulf (www.raulf-texte.de)
Meinung Nr.2:
Ein wenig verrückt
war der Kauz Lee „Scratch“ Perry ja schon immer, doch was er jetzt treibt,
scheint alles Vorherige toppen zu wollen. Auf „Jamaican e.t.“ begegnet
uns der Madman fast durchgängig dreimal – und das auch noch gleichzeitig.
Auf allen Kanälen gibt es Gerede: Rechts, Mitte, Links. Das Ganze
nicht mal synchron, sondern unabhängig voneinander! Unterlegt wird
das Experiment meist mit Reggae aber auch mit Soul- oder Funkanleihen
und einem gelegentlich auftauchenden Backgroundchor („We love you Mr.
Perry“ beim Opener „10 Commandments“). Wenn dann auch noch ein vor sich
hin spielendes Saxophon hinzukommt („I’ll Take You There“), ist die
Verwirrung komplett! Perry scheint wieder einmal den Reggae durch den
Wolf drehen zu wollen. Das Resultat irritiert, ja nervt gelegentlich.......doch
wer weiß: vielleicht ist das ja wieder einmal nur der überzogene
Fingerzeig in eine mögliche Zukunft des Genres!? „Babylon Fall“
und „Mr. Dino Koosh Rock“ sind nebst einigen anderen Titeln jedenfalls
überzeugend. Ob er insgesamt etwas übertrieben hat, wird die
Zeit zeigen. Lee „Scratch“ Perry sucht nicht nur die Grenzen, er überspringt
sie regelmäßig!