Jacob
Miller & Inner Circle
"Forward Jah Children" - 2 CD
(Trojan/Rough Trade - 2004)
Mitte der 70er Jahre
fand Roots Reggae sein internationales Publikum. Neben Bob Marley oder
Third World ist auch der Name Inner Circle mit dieser Aufbruchzeit verbunden.
Die Band wurde 1968 gegründet und machte zunächst als Backing
Band von Bruce Ruffin von sich reden. In den folgenden sechs Jahren
drehte sich das Besetzungskarussell der Band mit rasender Geschwindigkeit;
so spalteten sich z.B. 1973 drei Mitglieder ab, um Third World zu gründen.
Ruffin verließ die Band und siedelte nach London über, nachdem
er ein paar internationale Erfolge unter eigenem Namen verbuchen konnte.
Die Konstante bei all diesen Veränderungen war die "Fat Man
Ryddim Section" der (in der Tat schwergewichtigen) Brüder
Ian und Roger Lewis an Bass und Gitarre. Neue Instrumentalisten fanden
die Fat Men immer, Sänger kamen und gingen nach Ruffin in einem
geradezu irrwitzigen Tempo (u.a. der später ebenfalls zu Third
World gewechselte Prilly Hamilton und Errol "Funky" Brown;
beide sind auf der vorliegenden Compilation zu hören), bis man
im Spätsommer 1974 mit dem damals gerade 18 Jahre alten Jacob Miller
einen festen Vokalisten fand (der auch vom Körperbau zum Rest der
Band passte, siehe Photos im Booklet der CD :-). Mit ihm fuhr die Band
zunächst die sichere Schiene, indem man "tried & tested"
Songs coverte. Die ersten Tracks mit Miller aus dem Jahr 1975 sind so
bekannte Songs wie der Heptones-Klassiker "Book Of Rules",
Marley-Hits wie "Natty Dread" oder "I Shot The Sheriff",
Dennis Browns "Westbound Train" oder Earl Zeros "None
Shall Escape The Judgement" (von dem sich Jonthan Richman später
die Bassline als Thema für seinen No. 1-Hit "Egyptian Reggae"
lieh). Gelegentlich fällt einem die glatte Produktion einiger Tracks
negativ auf (extrem auf "I Shot The Sheriff" oder dem Message-mäßig
alles andere als gefällige "Burnin' And A-Lootin'", das
hier unter dem Titel "Curfew" firmiert). Wirklich interessant
sind dagegen die Tracks, die der Produzent dieser frühen Sessions
Tommy Cowan mit Augustus Pablo an der Melodica über Inner Circle-Riddims
aufnahm (und von denen sechs auf Forward enthalten sind) und die von
Trojan als Album mit dem Titel Ital Dubs veröffentlicht wurde.
Im weiteren Verlauf der CD tauchen plötzlich Instrumente auf, die
von ihren Farben so gar nicht zum Reggae-Idiom passen, so z.B. eine
Pedal Steel-Guitar, die gelegentlich ins Hawaii-mäßige lappt
oder eine E-Sitar. Und wenn auf der Version von "Some Guys Have
All The Luck" neben einem Clavinet plötzlich ein Melotron
(!) für Streicher sorgt, weiß man einen Augenblick lang so
gar nicht mehr, wo man ist. (Fußnote: Der Song wurde 1987 sehr
erfolgreich von Millers Cousin Maxi Priest gecovert und später
noch erfolgreicher von Rod Stewart.) Die erste der beiden CDs wirkt
deshalb gelegentlich etwas wie die "Best Of 70s"-Compilation
einer gesichtslosen und nicht besonders tighten Studioband, wie sie
früher in Massen produziert wurden. Erst zum Ende hat man das Gefühl,
dass Band und Sänger ihren eigenen Stil finden. CD 2 eröffnet
mit einer Reihe Consciousness-Tracks wie "Dread Inna Babylon"
oder "The Truth Has Come Again", die Miller solo unter der
Ägide so versierter Produzenten wie Blackbeard und Niney aufnahm
und die neben den Pablo-Tracks einen weiteren Höhepunkt bilden.
1976 nimmt die Band schließlich DEN Jacob Miller-Song schlechthin
auf: "Tenament Yard" (den allerdings jeder ernstzunehmende
Reggae-Fan schon auf diversen Compilations haben wird). Danach kommt
eine weitere Ladung Roots-Tunes wie "80,00 Careless Ethiopians"
oder "Tired Fe Lick Weed In A Bush"; die Tatsache, dass einer
der letzten Tracks auf dieser Compilation eine Reggae-Version von Bob
Dylans "I Shall Be Released" ist, zeigt, dass Miller und Inner
Circle immer wieder auf die Vermarktbarkeit ihres Outputs geschielt
haben.
1979, das Jahr, in dem diese Compilation aufhört, schien zum entscheidenden
Jahr für Band und Sänger zu werden: Sie traten in dem Film
Rockers mit "Tenament Yeard" auf, wurden in der Dokumentation
"Roots Rock Reggae" heftigst gefeatured und unterzeichneten
einen Vertrag mit Island Records. Aber gerade als die Zeichen auf Erfolg
standen, traf die Band der herbste Schlag ihrer Karriere: Am 23. März
1980 wurde Jacob Miller bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt.
Der Rest der Geschichte ist bekannt, denn das Schicksal hatte trotz
allem große Pläne mit Inner Circle: Ihr Song "Bad Boys"
wurde Titelsong der US-TV-Serie "Cops", verkaufte sich über
sieben Millionen mal und brachte einen Grammy in der Kategorie "Bestes
Reggae-Album". Damit nicht genug: Im selben Jahr veröffentlichten
sie den Song "Sweat (A La La La La Long)", der in mehreren
Ländern die Charts anführte (hierzulande für volle drei
Monate). Seitdem hat es für die Band Ehrungen und Tribute geradezu
geregnet. Heute sind Inner Circle ein Synonym für Formatradio-freundlichen
Pop-Reggae; ihr wichtigstes Werk befindet sich auf diesen beiden CDs.
Allerdings findet sich auch hier bereits viel Kommerzielles. Forward
Jah Jah Children bietet zwar einen interessanten Eindruck vom Schaffen
der Band in ihrer besseren Phase; von den hier in fast genau 2,5 Stunden
enthaltenen 45 Tracks sind aber nur 50% wirklich gut. Diese sind dafür
wiederum von einer solchen Qualität, dass sie sich hinter "Tenament
Yard" nicht verstecken müssen.
Ralf Bei der Kellen