Various
"Studio One Disco Mix"

(Soul Jazz Records/Indigo - 2004)

Mitte der 70er wurde in New York die 12"-Single eher durch Zufall erfunden. Im Cutting-Studio waren die 7"-Matrizen aus und so schnitt man die paar Minuten zuerst mal auf 10", wobei den Produzenten später beim Abspielen ob des mächtigen Sounds die Kinnlade runterklappte. So eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten, den Track zu verlängern und trotzdem mit Wumms präsentieren zu können. Das übernahmen vorzugsweise DJs wie Tom Moulton oder Walter Gibbons, die zuerst tatsächlich die Bänder per Rasierklinge und Klebeband bearbeiten und später dann an die Multitrack-Bänder gelassen wurden. Dabei wurden Instrumente hervorgehoben, andere komplett rausgemischt und mit Effekten gearbeitet. Im Prinzip genau das, was King Tubby schon ein paar Jahre vorher in Kingston erfand und was als Dub in die Geschichte einging. So entstanden extended Mixes von 10, 12 oder 15 Minuten Länge, zu denen man sich in New Yorker Discos und Clubs wie The Gallery, Loft oder Sanctuary in Ekstase tanzte. Nach Ska und Rocksteady war das Studio One in den 70ern von allen stilistischen Fesseln befreit, was die Mannschaft um Coxsone Dodd kreativ nutzte. Klassische Studio One Riddims wurden neu gevoict, teilweise neu eingespielt und man experimentierte mit frischem Instrumentarium wie Synthesizern oder Drum-Maschinen. Wie gewohnt zierte die 7"-B-Seite ein Dub. Mit Einzug der 12" presste man beides auf eine Seite, dem Originaltune folgte der Dub - fertig war der Discomix. Die Pressungen hielten sich im überschaubaren Rahmen, wahrscheinlich wurden größtenteils Kleinauflagen für die Sound Systems und Dancehalls gefertigt. Sieht man die Qualität des Vinyls (Remittenten wurden grundsätzlich mit Label eingeschmolzen, was den Papieranteil des jamaikanischen Vinyls ständig erhöhte) in direktem Bezug zur Behandlung durch den Selector dürfte klar sein, dass wir es hier mit rarstem Material zu tun haben. So finden sich z.B. eine epische Version von Jackie Mittoo`s "Night In Etiopia" (auf dem Satta Massagana Riddim), Willie Williams' legendäres "Armagideon Time" mit dem Brentford Disco Set, die Neuversion von Alton Ellis' "Your Make Me Happy" (im Original von Blood, Sweat & Tears) und Norma White`s Version des Chic-Klassikers "I Want Your Love". Dass einige Tunes/Versions aus den frühen 70er stammen, als die 12" dem Album vorbehalten war, spielt hier keine Rolle. Schließlich konnte der Selector locker den Dub an das Original juggeln und wenn er nur ein Exemplar hatte, überbrückte der DJ/MC eben die Pause. Als Fan jamaikanischer Musik muss man einfach Stoßgebete zum Himmel schicken, so großartig geht das Zeug hier runter. Und wie gut sich diese Studio One Teile von Soul Jazz doch nebeneinander im Regal machen… Weiterhören: Trojan 12" Box Set; Haul And Pull Up Selekta; Nice Up The Dance.

Reinhard Holstein

Record list back to main www.irieites.de