Selector TKZ aka Tangokilozulu im Interview

Selector TKZ aka Tangokilozulu

Die Reggaeszene in Deutschland ist mächtig aktiv: Artists, Bands, Produzenten, Studios, Soundsystems, Veranstalter, DJs und natürlich die vielen Reggaefans machen das bunte Treiben aus. Landauf und landab pumpen mächtige Bässe und Offbeat-Klänge durch unzählige Lautsprecher und heizen die jeweilige Massive ein. TKZ aka Tangokilozulu ist einer der Macher hinter den Desks. Als Teil der Rootikal Sessions Stuttyard und des Territory Sounds sorgt er auf diversen Parties in seiner Heimat und auch anderswo für feinste Beschallungen. Zudem präsentiert er regelmäßig die Rootikal Radioshow. Etliche Gründe, um ihm ein paar Fragen zu stellen….

Wir haben uns beim diesjährigen Reggae Jam in Bersenbrück kurz getroffen, als du mit einem stilistisch vielfältigen Set im Dubcamp für offene Ohren gesorgt hast. Wenn ich mir deine Selections in der Rootikal Radio Show anhöre, so sind die ebenfalls bunt aufgestellt. Du vermeidest offensichtlich Schubladen und magst dich nicht auf einen Stil festlegen. Wie kommt das?

Ich war halt schon immer “Music-Lover”. Ob früher als Kiddie mit den Liedern von „Erste Allgemeine Verunsicherung“ oder dann später als Teenager und meiner ersten großen Liebe Hip Hop. Musik war für mich schon immer sehr wichtig. Ich höre zurzeit fast nur Roots & Dub, weil ich immer für die Radioshow am Scouten bin, aber ich habe ein breites Musikinteresse. Ob Soul oder Country, mich flashen viele Sachen. Ich habe z.B. fast alle Madonna-Alben auf Platte und bei mir findest du auch Elvis oder Blacks „Wonderful Life“ in der Playlist. Im Dezember gehe ich zum Beispiel mit meiner Freundin auf ein Konzert von London Grammar. Das ist…hmm, ich würde sagen, melancholischer Akustik-Pop. Deren Album „If You Wait“ war für mich das Album des Jahres 2013. Und im Genre Reggae gibt es eben so viele Unterspielarten, die es auch wert sind, eine größere Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich möchte mit meiner Radioshow den Leuten gute „Reggae & Dub“ Musik zeigen, die mich flasht… und das ist eben ein großes Spektrum. Wobei ich sagen würde, dass der Fokus schon auf Heavy Roots und digitalem Steppers liegt.

Was macht einen guten Tune/Remix aus, den du für dein Set auswählst?

Er muss bombastisch sein und/oder eine Emotion auslösen. Es geht mir sehr viel um die Bassline. Die Lyrics sind bei mir gar nicht so entscheidend. Ein guter Tune sollte Druck haben. Es gibt Tunes da bekomm ich Gänsehaut und es gibt Tunes da muss ich fast heulen, weil mich die Musik so packt. In meinen Sets wird jedenfalls kein Tune gespielt, den ich nicht zu 100% fühle und feiere.

Gibt es Unterschiede zwischen den Tunes, die du für deine Radioshow auswählst und denen, die bei einem Set im Club zum Einsatz kommen?

Ja, im Club spiele ich generell härter. Ich will, dass die Leute von den Basslines und dem Druck überwältigt sind. Ich habe auch schon festgestellt, dass ich damit manchmal das Publikum etwas überfordern kann. Ganz besonders, wenn es keine Dub-Kenner sind. Aber als guter Selector muss man das eben erkennen und rechtzeitig reagieren.

Bei der Radioshow kann ich auch mal die leiseren Töne auspacken oder natürlich auch etwas wilder agieren. Im Club versuche ich schon, einen gewissen Flow zu erhalten und nicht auf einen 70 BPM Roots Klassiker einen 90 BPM Stepper Brett folgen zu lassen. In der Show ist hingegen alles erlaubt.

Die Rootikal Sessions Stuttyard machst du ja nicht alleine. Kannst du etwas zu deinen Mitstreitern sagen und vielleicht auch dazu, ob ihr für die Sessions so etwas wie eine spezielle Klangfarbe anstrebt?

Ich mache das mit Uli Nefzer und Elmar Jäger. Uli ist absoluter Musikexperte und hat ein unglaubliches Wissen und eine umfangreiche Sammlung – übrigens auch in mehreren Genres – und er schreibt ja auch seit vielen Jahren für die Riddim. 2005 wurde er zusammen mit Elmar, dem Gründer und Owner vom Sentinel Sound, Worldclash Winner. Elmar ist mit dafür verantwortlich, dass ich überhaupt so ein großer Dancehall-Fan geworden bin und erst dadurch und durch Jungle später zu Roots & Dub kam. Er kommt ursprünglich aus der fiesen Doom-, Death- oder Wasweißichwas –Metal Ecke und hat dann ab den Nullerjahren die Reggae-Landschaft in Deutschland und Europa maßgeblich mitgeprägt. Wir sind alle drei eben Musik-Fanatiker und das passt ganz gut. Bei den Sessions führt das jedoch manchmal zu Komplikationen. Es gibt dann eben Leute die kommen wegen Elmar, den Sentinel-Dubplates und dem Sound den er repräsentiert, und welche für mich und meinen Style oder für Ulis. Aber das sind trotz der Überschrift „Reggae“ eben doch Welten vom Style und vom Vibe her. Das macht es manchmal etwas schwierig den Übergang zwischen unseren Sets hinzubekommen.

Grundsätzlich war die Idee der Rootikal Sessions eine alternative zum in Stuttgart traditionell allgegenwärtigen Dancehall zu schaffen und echte Soundsystem-Sessions im Stil und in Tradition von Jah Shaka und ähnlichen Schwergewichten in der Stadt zu haben.

Inwieweit unterscheidet sich der Territory Sound zu den Rootikal Sessions?

Das ist was komplett Verschiedenes. Territory Sound sind Thorsten W. und ich. Thorsten ist seit 20 Jahren DJ und neben Soul und Hip Hop auch teilweise im Techno zuhause gewesen. Auch ein Musik-Freak 😉 Als Territory spielen wir harte, basslastige Clubmusik zwischen Trap, Rap, Dancehall, Dub und Jungle… immer mit einem karibischen Touch. Da dürfen auch mal grenzwertige Gun- oder Gal-Lyrics aus den Boxen dröhnen.

In einem anderen Interview mit dir habe ich gelesen, dass ihr mit dem Territory Sound Ende 2016 in Japan unterwegs ward. Wie kam es zu diesem Trip und was war für dich das Besondere an der japanischen Szene, die du kennengelernt hast?

Thorsten und ich sparen unsere Gagen von den Gigs, um davon einmal im Jahr zusammen einen Territory Trip zu machen. Das ist eine Mischung zwischen Urlaub und musikalischer Bildungsreise.

So waren wir z.B. 2014 in Las Vegas in den Clubs unterwegs oder in LA auf einer B-Boy Session mit DJ Nu-Mark. 2015 waren wir in Rio auf Samba Sessions in den Favelas, einer Baile-Funk Parade, einem Gig von Mad Professor und im Club mit den Tropkillaz… alles hoch spanend. Vor unserem Trip nach Japan dachten wir dann, warum eigentlich nicht auch selbst dort Kontakte knüpfen und auflegen. Und so haben wir einige lokale Aktivisten angeschrieben und dann zwei Gigs in Tokio und einen in Yokohama klargemacht. Das war eine tolle Erfahrung. Ich weiß noch, wir standen da im Club und dachten „Krass, zwei Schwaben legen gerade in Tokio Musik von einer Mini Insel in der Karibik auf…wicked!“.
Die Japaner waren unglaublich herzlich und teilweise total beeindruckt, dass wir aus Deutschland von so weit weg zu ihnen gekommen sind. Einige haben dann auch prompt deutsche Tunes verlangt weil sie wissen wollten wie sich das anhört. Tokio ist einfach verrückt, das würde hier jetzt den Rahmen sprengen. Aber in Japan geht sehr viel Reggae! Wir haben im Club „The Open“ gespielt und der hat seit 20 Jahren 7 Tage die Woche Reggae-Programm mit teils internationalen Bookings. Unvorstellbar!
Die Dancehall Szene ist jedoch etwas übertrieben auf Badman und Bashment aus. Da kann es auch passieren, dass der tonangebende Sound um 0:45 Uhr vor nur 5 Gästen die härtesten Vybz Kartels spielt und der MC den Laden nonstop zusammenbrüllt – nice and easy Warmup kennen die da nicht. Wir gehen jetzt im Oktober wieder auf den vierten Territory Trip nach USA & Canada. Wir sind schon sehr gespannt, was wir dort erleben.

Du bist ja in der Reggaeszene in Stuttgart unterwegs. Wie würdest du die Szene vor Ort beschreiben….. bunt gemischt oder „jeder kocht sein Süppchen“?

Nee, das ist mehr so eine Familie. Man kennt und schätzt sich, vor allem in der Roots & Dub Nische, die leider dünn besiedelt ist bei uns. Aber es tut sich was und zwei befreundete Crews planen gerade Soundsystems zu bauen. Leider gibt es kaum noch Konzerte oder große Events. 2004 haben wir im Club Zapata auf dem großen Floor mit David Rodigan vor 1.500 Leuten gespielt….heute undenkbar. Beim letzten Capleton Konzert kamen 60-80 zahlende Besucher – ein Jammer. Da wundert es mich nicht, dass ein umtriebiger Veranstalter, der immer gute Acts nach Stuttgart geholt hat, aufgehört hat. Ich hoffe, das ändert sich bald und die Szene wird wieder größer. Nicht zuletzt versuchen wir da mit der Rootikal Session auch zu teachen und etwas aufzubauen. Das ist ein reines Leidenschafts-Ding… damit ist kein Cent verdient, eher im Gegenteil.

In Bersenbrück hast du vor Jah Schulz aufgelegt, der ja ebenfalls aus Stuttgart kommt. Wie lange kennt ihr euch schon und was schätzt du an seinem Produktionen am meisten?

Micha aka Jah Schulz kenne ich seit ca. 17 Jahren. Wir haben uns damals kennen gelernt, als ich sehr umtriebig in der Hip Hop Szene unterwegs war und mit ersten Ragga-Lyrics auf deutsch experimentiert habe. Wir haben dann ca. im Jahr 2001 oder so schon eine Platte zusammen gemacht, auf der ich noch am Mic war. Das war damals schon tighter Steppers-Sound, lange bevor ich wusste, was Steppers überhaupt ist. Aber seine Produktion hat mich damals schon gekickt und heute weiß ich auch warum. Gerade schätzte ich an ihm sehr, dass er auch live dubbt… das finde ich sehr faszinierend, weil da ja jedes Mal Unikate entstehen und man vorher nie genau weiß, wo es hingeht. Generell finde ich es toll wenn jemand produzieren kann, das hätte ich auch gerne gemacht, hab aber nie den Einstieg gefunden.

Zurück zur Rootikal Radioshow. Wie oft produzierst du Sendungen und wo kann man die hören?

Die Show kommt einmal im Monat immer so ungefähr am zweiten Dienstag des Monats. Hören und Downloaden kann man sie bei mir auf meinem Soundcloud Account oder zur Not auch auf Mixcloud.

Kurz vor Schluss und bitte aus der Hüfte geschossen: Wer sind die drei bedeutendsten Reggae/Dub-Artists für dich zur Zeit? Und warum?

Oh, das ist natürlich nicht einfach bei so viel guter Musik. Ich beschränke mich bei meiner Top drei mal auf das Dubsegment und da eher auf Leute die seit langem konsequent abliefern als auf neue Wilde. Als erstes fällt mir da Indica Dubs aus London ein. Er ist zur Zeit wirklich ein heißes Eisen. Ein junger Producer der allerdings mit über 50 Releases schon bewiesen hat, dass er keine Eintagsfliege ist. Immer sehr druckvoll, bassgeladen und mit guten Features. Die RootiKal Session #14 bei der ich ihn zu Gast hatte, zusammen mit den Freunden vom Ganja Riddim Soundsystem, war auch bisher die am besten besuchte.
Eher ein Veteran, aber konstant einer meiner Lieblingsproducer ist Dougie Conscious, ebenfalls aus London. Er ist schon seit Ende der 80er aktiv und veröffentlicht regelmäßig tuffe Produktionen zwischen Digital Reggae und handfestem Dub. Er war auch schon zu Gast bei der RootiKal Session.
Der dritte wäre dann Ben Alpha aka Alpha Stepper, der auch in einer Familien-Kollabo mit den Legenden Alpha & Omega als Dub Dynasty unterwegs ist. Ben ist auch aus London… scheint ich bin sehr stark UK geprägt. Seine Produktionen sind genau mein Ding. Schlicht, schnörkellos und unbarmherzig bass-dominiert (Anspieltip auf Youtube: Dub Dynasty „Goodness Dub“, dann wisst ihr was ich meine).

Die drei würde ich mal herausstellen. Es gibt natürlich noch viel mehr aufstrebende europäische Top-Producer, wie z.B. Radikal Guru, Kanka, Viloinbwoy oder Dubbing Sun & Digid. Bei Vocalists würde ich sagen: Earl16, Ras Tinny und Tenor Youthman sind gerade Garanten für einen geilen Tune.

Interview: Karsten Frehe (09/2017)

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.