The Green “Marching Orders” (Easy Star Records)

The Green
“Marching Orders”
(Easy Star Records – 2017)

Kennt jemand von euch Leser/innen noch Godley & Creme? Die Gründer von 10cc (späterer Hit “Dreadlock Holiday” ohne die beiden) riefen 1991 im Programm der BR-Welle Bayern 3 einen Streit um Gitarren hervor. Ein damals neuer Musikredakteur (heute ironischerweise Chef von Bayern 3) hatte einen Titel gespielt, in dem sich zwei Lead-Gitarren minutenlang duellieren. Die entsprechende Sendereihe wurde von Claus-Erich Boetzkes, damals Programmleiter, aufgrund des Gitarrenriffs als „zu wild“ bezeichnet und im Zuge der allgemeinen Neigung zum Formatieren der ARD-Serviceprogramme abgesetzt – wochenlange Debatten in der „SZ“ waren die Folge. Gitarrenduelle sind selten, provozieren die Hörgewohnheiten. Meist gibt es eine Lead- und eine Begleitgitarre – im Rock. Zur Reggae-Band-Besetzung gehört traditionell eine einzige Gitarre. Dass sich zwei Lead-Gitarren nun ausgerechnet auf einem Reggae-Album und dort auf der x-ten Coverversion des Songs „Seven Nation Army“ (Original: White Stripes) miteinander einen kleinen Wettbewerb um Krach und Melodieführung liefern, überrascht. Glücklicherweise bleibt es auf „Marching Orders“ von der hawaiianischen Combo The Green bei dieser einen Coverversion – auch wenn sie zu den gelungeneren Versionen von “Seven Nation Army” zählen dürfte.

Es lohnt sich hinten anzufangen. Der Dub „Maui Ninja“ (Track 14) mag sich für Nachtfahrten in seinem gleichmäßigen Pulsieren eignen und versprüht etwas Hymnisches und auch Nachdenkliches. Das Schlagzeug sitzt hier richtig gut. Weiterer Höhepunkt ist Track 10, der längste Song auf dem Album mit knapp fünf Minuten: „Land Of Love“. Hier werden wir – selten genug – mit einer weiteren Größe des hawaiianischen Reggae verknüpft, dank der Gäste The Mana’o Company. So schön der Song ist, wenn man sich auf das Elegische und auch etwas Süßliche gerne einlässst, so erkennbar wird auch die grundsätzliche Export-Schwäche der Roots-Musik aus Hawaii: zu verträumt, zu schnulzig, zu weichgespült für viele Ohren in Europa. Doch ich finde, es ist kein Grund, sich nicht das Land der Liebe („Land Of Love“) zumindest vorzustellen – und es ist gerade gut, wie Fat Freddy’s Drop und Batucada Sound Machine für die neuseeländische Musik oder Nattali Rize und Mista Savona für die australische Szene zeigen, den pazifischen Raum überhaupt mal wahrzunehmen.

Die Instrumentierung von „The Garden“ mit ihrem Beatles-ähnlichen Background-Gesang und einer schönen Abmischung von Keyboards, Drum & Bass liefert ein schönes Stück Pop mit Reggae-Offbeat-Rhythmus. Vorbei an vielen Songs, die mir wie Füllmaterial vorkommen und die ich hier in der Kritik überspringe, ist der „Hit“ der Platte für mich der Song mit dem Kalifornier J. Boog, „Mama Roots“ – die einzige eingängige Melodie, glaube ich, aber auch mehr ein typischer J Boog-Tune als von der Handschrift der Hawaiianer geprägt. Track 6, „Feel So Cool“ kann man gut hören, als weiterer „One Drop“-Rhythmusvertreter im mittleren Tempo gebaut. Einen weiteren kalifornischen Sänger, Eric Rachmany, zu featuren, kann funktionieren, denn der Mann hat eine charismatische Stimme. Auf Track 4, „Good Feeling“ klappt das auch ganz gut, die Saxophonakzente und – erneut – die messerscharfen Drums stechen hervor – aber andere Kooperationen, z.B. „Mind Block“ (Stick Figure feat. Eric Rachmany, 2015) hörten sich straighter an.

Track 3, „All I Need“, ist der einzige Song hier, den ich als hypnotisch und mitreißend bezeichnen würde. Hier wird im Gesang auch mehr gegeben als auf den anderen Stücken – leider mit stimmverzerrender Nachhilfe von „Auto-Tuning“ (die Autokorrektur-Funktion für die Stimme). Leider hat der Song mit Reggae/Dub nichts, aber auch gar nichts zu tun, weder musikalisch noch textlich; eher ist hier der Sound von Doo-Wop-Vokalgruppen der späten 1950er-Jahre eingeflossen. Shoo-bee-doo-bee-doo.

Die Gitarrenriffs in Track 2 („I Will“) wünsche ich so manchem Stück im Genre! Hier sind sie das einzig Originelle, auch wenn das Lied solider, moderner Roots-Reggae mit einer ungewöhnlicherweise hineinkomponierten Bridge nach der 2. Strophe ist. Als Begleitmusik schön, als Hinhörmusik ist der Text spannender als das Musikbett. Der Opener zusammen mit Busy Signal klingt meiner Erwartung gemäß mehr nach Busy Signal als nach der Band. Dass das Album mit Dancehall-Ästhetik (auch im leicht lasziven Video) beginnt, führt in die Irre. Daher habe ich den Anfang ans Ende der Rezension gestellt. Hier im Titelsong „Marching Orders“ passt im Grunde auch alles, aber es reißt nichts mit. Das Saxophon-Stakkato bei 0:43-0:55, das mehrmals kommt, habe ich bei Harry Gottschalk & Kazam Davis in “What Kind Of World” schon überzeugender gehört.

Fazit: Drei Welten – 1. Tanzflächensound, 2. Begleit-Ambiente beim Auto-/Zug-/Fahrradfahren und 3. Rock – miteinander in einem Song oder auch auf einem Album zu verbinden: Diese Formel führt hier zu einem indifferenten, verwaschenen Musikergebnis. Die Platte ist handwerklich sehr gut, enthält einige gute Ideen, ist aber ohne Vision und ohne Spannung zusammengesetzt.

Philipp Kause

www.thegreen808.com

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.