City Kay “Mad Men” (Baco Records)

City Kay sind ein Sextett aus Rennes in der Bretagne (Nordwestfrankreich). Ihr Stil ist eine weiche Form von Dub, lässt sich aber nicht eingrenzen. Man kann sie auf der neuen EP “Mad Men” als Lounge Sound empfinden. Früher waren sie rootsorientierter.

Dabei sind aktuell Gesang, Instrumentierung und handwerkliches Können jedenfalls mehrere Etagen über der „Fahrstuhlmusik“ einzuschätzen, die einem bei der Eingabe von Suchbegriffen wie „Lounge“ oder „Chill out“ im Internet sonst begegnen kann. Und über diese Suchbegriffe wird man sie schwerlich finden; überhaupt sind sie im Internet nur mit Mühe recherchierbar.

Mir war diese sphärische, gleitende Musik in mittlerem Tempo sofort sympathisch – die Texte vermiesen’s mir zum Teil. Gefühlsmäßig habe ich bei „Mad Men“, dem EP-Titelsong, die neblig wirkenden Keyboardflächen von 10 cc, „I’m Not In Love“ im Ohr.

Der Song „Man Cultivation Struggle“ ist immer dann gut, wenn sich Stimme und Schlagzeug zurückhalten wie in den instrumentalen Mittelpassagen (1‘49‘‘ – 2‘06‘‘, 2‘41‘‘ – 3‘15‘‘). City Kay können herausragende, überraschende Melodien komponieren und haben sich gegenüber früheren Sounds in diesem Punkt gut entwickelt. Punktuell sind sie jetzt dort unterwegs, wo der Progressive Rock sich noch mehr Zeit zum Dahinschwelgen nähme (Spock’s Beard, Vibravoid, Steven Wilson, Porcupine Tree, Ars Nova, Jeniferever). Ich finde es gut, dass sie sich in der Ästhetik elektronischer House- und Club-Musik bewegen und darin doch ein knackiges ProgRock-Schlagzeug in den Vordergrund mischen und Textinhalte aus Afro Jazz, Roots Reggae & Dub über die Unterdrückungsszenarien des 20. Jahrhunderts und das Aufbegehren dagegen andeuten. Dass es diese Musik gibt, ist super. An der Umsetzung hapert’s manchmal.

Andererseits ist es schön, mal ein Musikvideo zu sehen, dessen Schnitt wirklich zur Musik synchronisiert ist – und das nicht auf Hochhausdächern, in Turnhallen, auf Straßenasphalt, zwischen Obstständen auf Märkten oder am Strand gedreht ist (wie sonst bei den Videos der 2010er Jahre üblich). Unter Vermeidung solcher abgenutzten Locations geht’s im Land der 365 Käsesorten raus auf den Acker:

 

Trotz allem macht mich persönlich manches textliche und gesangliche Detail aggressiv. Man wird auf Dauer beim Zuhören wohl ermüden, weil die Stimme wenig Timbre und Charakteristik hat, weil ein zu dichter, voller, überladener Sound auf einen draufprasselt und weil die Texte keine Geschichten erzählen, sondern platitüdenhaft wie beim Lego-Spielen Begriffe taktisch aufeinander bauen  – speziell beim Song “Run For Your Soul”. Sinn, Message oder Spannung entstehen nicht: „I’m ready for this shit right now (…) Time is a cycle that repeats itself hear knock a knocking the devil rebel is after your wealth, if you believe in signs, you`ll believe in what’s goin’ on, and think about why they maintain the H-bomb, bomb, bomb, bomb?, I’m gonna tell you I feel so sick and tired, I’m gonna tell you why I’m so sick and tired, hohoho, yo, that’s why I’m so sick and tired of the ‘misdievious’ media who progressively sold their asses to the finance and the colluded corrupted that’s a fact my mind’s, my body’s and soul’s under attack, the time has come to face the devil in the eyes (…)”, so weit die ersten 60 Sekunden.

Der Sänger und Texter dieser Zeilen, Jay, hat mir geschrieben, dass er Engländer ist, in London aufwuchs, mit sieben Jahren nach Frankreich kam. Alles, was hier formuliert ist, ist Absicht.

“Ich bin für diesen Scheiß jetzt bereit (…), die Zeit ist ein Kreislauf, der sich selbst wiederholt, der Teufel klopft an, hinter deinem Wohlergehen her, wenn du an Zeichen glaubst, hey was passiert, denk mal darüber nach, warum sie die Wasserstoffbombe noch haben?, ich erzähl dir, warum ich mich krank und erschöpft fühle, hahaha, ja weil die Medien ihren Arsch an die Finanzwelt verkauft haben und korrupt sind, das ist Fakt, mein Geist, mein Körper, meine Seele werden attackiert, die Zeit ist gekommen dem Teufel in die Augen zu sehen (…)”

Wer soll solch einen Quark ernst nehmen oder verstehen? Jay Ree, der unter der Rezension kommentierte, erklärte uns, wie er den Song “Run For Your Soul” entwickelte – und welche Kunst ihn beeinflusst:

“I’ve got two young kids living in a country mind oriented by the mass media, treating information like it was a whore.
It’s a great concern to me, and wanted to reflect this on this song. But I want to show my kids all this crap can be dealt with with the right attitude, without panic or fear because we collectively live in the same world. The video clip is also focusing on irony. […]
 
I’m mainly inspired by 4 things : Erik Satie, Burning Spear, Matisse and Sci Fi : A pianist, a singer, a painter and a genre…”

 

Jay sorgt sich um seine kleinen Kinder. Sie werden von Massenmedien in Frankreich unweigerlich beeinflusst, allein schon weil ein großer Teil der Gesellschaft sich an Massenmedien orientiert. Doch dort werden Informationen bruchstückhaft, selektiv, verkürzt verarbeitet. Mit diesem Problem müssen wir alle kollektiv umgehen, und deshalb, so meint der Sänger von City Kay, brauchen wir als Einzelne keine Furcht davor zu haben. Speziell das Video zu dem Song betont seiner Ansicht nach auch die ironische Einstellung, wie er mir per Mail mitteilt. Leider kann ich davon nichts entdecken, aber schaut selbst mal: https://www.youtube.com/watch?v=_7ejymtMQIA. Vielleicht stehe ich auf dem Schlauch.

Neben dem Pianisten Erik Satie, dem Sänger Burning Spear und dem Maler Matisse ist ein vierter Einfluss auf Jay das Science Fiction-Genre. Wem das Genre so fremd ist wie mir, fällt es wohl schwer darin einen Pluspunkt zu hören. Aber fraglos lassen sich Empfindungen aus dem SciFi-Umfeld in der Musik wahrnehmen.

Nun zum Highlight:

“Throw Away Your Gun” ist ein meditativer, betriebsamer und doch verträumter Track mit der starken Falsett-Stimme von ´80er-Dancehall-Ikone Johnny Osbourne in ausgesprochen guter Tagesform.

Ich würde City Kay, sechs guten Instrumentalisten, empfehlen, auch künftig auf solche Gastsänger/innen zu setzen. Seit zehn Jahren machen Jay Ree und seine Gruppe Musik, zwei Alben und drei EPs entstanden, andere Releases waren Reggae & Dub, so dass sie mit Fug und Recht hier auf Irieites.de auftauchen.

Mein Anspieltipp ist daher auch etwas Älteres – nicht auf der EP enthalten – „Cape Vibes“ aus dem Jahre 2013. Am 9. März 2018 wird das dritte Album der Band erscheinen, die gerne auch erstmals in Deutschland spielen möchte. Ich drücke die Daumen!

Philipp Kause

https://soundcloud.com/citykay/cape-vibes

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.