Zeit, sich warme Gedanken zu machen #2 – Sankofa Session, Dub School & Peter Tosh Gala

Nach einem entspannten ersten Teil (nachzulesen HIER) im idyllischen Oracabessa geht unsere Jamaika-Fotostory heute weiter – im Herzen von Kingston!

#2 – Sankofa Session, Dub School & Peter Tosh Gala

Ihr erinnert euch… ich sitze eingezwängt mit 8 weiteren MitfahrerInnen in einem zum Taxi umfunktionierten Kombi, das in Richtung Kingston unterwegs ist. Der Fensterplatz ermöglicht mir eine intensive Betrachtung der üppigen Landschaft, die mal schnell, mal langsam in ausgedehnten Serpentinen an uns vorüberzieht. Im Radio läuft eine Sendung, in der neben den neuesten Hits von Chronixx und Protoje eine angeregte Diskussion über das Schlagloch-Problem im Land und Vorschläge zu dessen Lösung läuft. Eine angenehme Fahrt also, nur die Linkskurven sind kritisch, da die ebenfalls sehr üppige Mama neben mir dann immer halb auf mich draufrutscht.

Im malerischen Licht der untergehenden Sonne erreichen wir die jamaikanische Hauptstadt, und ich rufe meinen Gastgeber an, damit er den Driver zu sich lotst. Die Ankunft ist ziemlich Road-Movie-mäßig: das voll besetzte Taxi rollt vor, der Elektrozaun schwingt langsam nach innen auf, und vor einem schnittigen weinroten Wagen steht da, mit Turban und verschränkten Armen – Bugle! Der Sänger ist dank zahlreicher TV-Auftritte und diverser Schul-Konzert-Touren auf der Insel ziemlich bekannt, und so machen die Taxi-Insassen allesamt große Augen, als ich mit Sack und Pack fröhlich winkend die Auffahrt hoch stapfe. Bugle hatte mir nach unserem letzten Interview (nachzulesen HIER) erzählt, dass er ein paar Zimmer seines Anwesens an ausgewählte Gäste vermietet, und ich freue mich, zu diesem Kreis gehören und meine erste Woche bei ihm verbringen zu dürfen. Er zeigt mir erstmal alles, stellt mich seiner Crew vor (Koch, Studio-Engineer, Herbsman etc.), und ich richte mich in dem angenehm kühlen, geräumigen Zimmer häuslich ein.

Kaum hab ich mich frisch gemacht, kommt auch schon Supa Nova, um mich wie verabredet abzuholen. Wir nutzen die kurze Fahrt, um uns gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen (letztes Jahr hatte ich ihn und die Zwillinge Gideon und Selah im Jah Ova Evil Yard kennengelernt, wo freitags immer seine wöchentliche Dub School stattfand – das Ergebnis dieses Treffens könnt ihr HIER nachlesen). Unser Ziel ist eine Bar namens Stones Throw, die an der Kreuzung Mannings Hill Road und Constant Spring Road liegt und wo heute (so wie jeden Dienstag) die “Sankofa Sessions” stattfinden. Dabei handelt es sich um ein Regular von DJane Iset Sankofa, die ausgefallene Musik und authentische Kunst verbindet – so hat jede/-r Besucher/-in die Möglichkeit, auf bereitgestellten Pappen kreativ tätig zu werden, während Iset und ihre Gäste für thematisch wechselnde Beschallung sorgen. AfroBeats, Jazz, Soul oder Funk machen also ebenso viel vom Sankofa-Zauber aus wie das Potpourri an anwesenden (Lebens-)Künstlern, Touristen und Angehörigen der jungen Kingstoner Intelligentsia. Zu der entspannten Atmosphäre trägt auch die Location entscheidend bei: teils von einer rustikalen Holzkonstruktion überdacht, findet das Event unter freiem Himmel statt, und im hinteren Bereich gibt es von unzähligen Schösslingen gesäumte Sitzplätze und eine kleine Küche, in der heute äthiopsch gekocht wird. Nova erzählt mir, dass dies früher ein großer Pflanzenladen war, der sich verkleinern musste und deshalb einen Teil des Geländes an Bar- Inhaber “Fahrenheit” vermietet hat. Die Ausstellungs- bzw. Lagerfläche wird von Bar und Laden gemeinsam genutzt – eine WinWin-Situation, auch für die Besucher!

Gleich am nächsten Tag sind wir wieder an diesem paradiesischen Ort, und während Nova alles für seine nun mittwochs hier stattfindende DubSchool vorbereitet und aufbaut, empfange ich meine ersten Interview-Gäste: Royal Blu (Interview HIER), der gemeinsam mit dem Berliner Prozudenten Tim Foresta meine EP des Jahres 2017 hingelegt hat (Review HIER), und die erst 17-jährige Koffee, die zunächst mit ihrer Ode an Usain Bolt für Wirbel sorgte und nun mit der Single “Burning” ordentlich nachgelegt hat (Interview HIER).

Der Rest des Abends (und auch der Mittwoch der folgenden Woche, an dem wir wieder hier sind) verläuft in angeregter musikalischer Atmosphäre, und sowohl junge Talente (Yeza Rebel, Vanessa Bongo, Don Husky…) als auch gestandene Künstler wie Irie Souljah und Mark Wonder geben sich die Klinke, ääääh, das Mikro in die Hand. Ein surrealer Moment ist, als plötzlich Beenie Man für ein paar Minuten vorbei kommt, und während ich krampfhaft versuche, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren, scheint es für den Rest der Anwesenden das Normalste der Welt zu sein.

Doch die Nacht hält noch mehr Überraschungen bereit. Gegen halb 3 streichen wir die Segel und fahren mit Crystal Arts, ein junger Bursche, der schöne Armbänder und Ketten aus Samen und Holzteilen verkauft, durch die Stadt. Nova bringt uns zu einem Komplex aus Studios des Senders RJR (Real Jamaica Radio), wo wir uns leise in die gerade live übertragene Radioshow “Culture Classics” schleichen. Asadenaki, Sohn von Bunny Wailer, begrüßt uns herzlich und setzt spontan ein kleines Interview mit mir an, das ich tapfer und sogar recht eloquent überstehe. Kurz vor 5 am verabschieden wir uns schließlich, und da die 2 Stunden dort einen tiefen Eindruck hinterlassen haben, folge ich Asadenakis Show online wann immer ich kann (Donnerstags, 6 – 11 Uhr unserer Zeit).

Am nächsten Tag ist natürlich erstmal ausschlafen angesagt. Nach einem reichhaltigen Frühstück (ich fühle mich von Bugle’s Crew umsorgt wie eine Prinzessin!) erwarte ich Jah Lil für ein Riddim-Interview, der auch pünktlich am Start ist und mir von seiner Karriere, umjubelten Auftritten in Trinidad und Zukunftsplänen erzählt. Was für ein sympathischer und talentierter junger Mann! Sollte man auf dem Zettel haben.

Auf meinem Zettel steht an dem Tag noch der Gala-Empfang des Peter-Tosh-Festivals, das seit 2016 jährlich in Kingston stattfindet. Ganz anders als die bisher beschriebenen Events ist der Empfang im Spanish Court Hotel eine pikfeine Angelegenheit (“black tie affair”, wie es in der Einladung heißt), und in dem viel zu kalt klimatisierten Raum drängelt sich das Who’s Who der Reggae-Elite. Da ich für Reggaeville einen ausührlichen Bericht verfasst habe, den mein jamaikanischer Kollege Steve James auch mit tollen Fotos versehen hat, spare ich mir an dieser Stelle die Details (nachzulesen HIER). Auf jeden Fall ist es spannend zu sehen, dass Reggae tatsächlich auch in den oberen Gesellschaftsschichten Jamaikas angekommen ist. Damit genug für heute – nächstes Wochenende ziehen wir kreuz und quer durch Kingston, treffen tolle Menschen und lernen Jamnesia kennen!

Text & Fotos: Gardy Stein

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About Gardy

Gemini, mother of two wonderful kids, Ph.D. Student of African Linguistics, aspiring author...