Rootz Radicals “Bad Government” (Rootz Radicals/Fett Music)

Cover Pic

Rootz Radicals feat. Uno Jahma, UCee & Freddie Wize
“Bad Government”
(Rootz Radicals / Fett Music – 2018)

Dass eine deutsche Band von einer schlechten Regierung spricht und den Song am 8.6. veröffentlicht, könnte man sich genauer anschauen. 8.6. = 96 Tage, nachdem die “GroKo” durch die Mitglieder einer der beteiligten Parteien grünes Licht für die Regierungsbildung bekam. Hundert Tage gibt man (d.h. die Presse und die Opposition) einer (deutschen) Regierung in der Regel, um zu beurteilen, wohin die Reise in den folgenden Jahren gehen wird (oder gehen dürfte) – so lange gilt der “Welpenschutz”. Doch dieses Mal ist sowieso alles anders. Und das Thema, das zur Zusammensetzung des Parlaments in Deutschland maßgeblich beigetragen haben dürfte – wo beginnt und endet Asyl und für wen gilt es? bzw. wie “illegal” ist Wirtschaftsmigration? – klingt auch auf dieser scharfzüngigen Single an; die vorweg bemerkt, auch musikalisch scharf ist.

Querlink zur deutschen Afrikapolitik

Es lohnt sich, zu dieser Single mal einen Realitätscheck zu machen und zu lesen, was auf den ca. 180 Seiten des Koalitionsvertrags zum Thema “Fluchtursachen” vereinbart wurde.

Von Agenda 2063 ist da die Rede. “Wir werden Möglichkeiten prüfen (…)”? “Für die Förderung von nachhaltigen privaten Investitionen (…) prüfen wir (…) die Erarbeitung eines Entwicklungsinvestitionsgesetzes.” Andere Regierungen wollten einfach Gesetze machen – diese will bei diesem Thema die Erarbeitung eines Gesetzes prüfen. Ist ja Wahnsinn.

Eine ausführliche Fassung dieses Textes mit weiteren Songs aus Westafrika, weiteren afrikanischen Problemfeldern, Hintergründen zur Musikszene in Nigeria und allen relevanten Stellen des “GroKo”-Vertrages findet sich hier.

Afrikanische Afrikapolitik am Beispiel anti-nigerianischer Nigeriapolitik

Rootz Radicals aus Straubing; links: Tóke; der mit dem Sugar Minott-Cover: UCee,; der mit dem crémweißen Hemd: der Autor dieses Artikels – im Feierwerk München, Fyah Festival, in der Nacht auf den 1.5.18

 

“Bad Government” legt den Finger auf mehrere Wunden und bezieht einen weiteren Featured Guest, den Nigerianer Fredie Wize mit ein:

  • “The youths inna di ghettos” – man denke an die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit in Banjul, der Hauptstadt Gambias, die zu Flucht nach Deutschland geführt hat und zur Ablehnung von Asylgesuchen, ein Thema etwa von Rebellion The Recaller, der mit den Rootz Radicals auch ein bisschen connected ist, nämlich via UCee, der hier auf dem Song als Featured Guest erscheint.
  • “Destroy Nigeria Soul”, noch so ein Thema – auch Nneka konnte z.B. ein Lied davon singen (“Street Lack Love”, 2008), wie der Ölkonzern Shell (namentlich im Songtext angesprochen, vor Ort die Konzerntochter Royal Dutch Shell), aber auch Chevron (vormals ChevronTexaco) und die nigerianische NNPC Seitengewässer des Niger in der Region ihrer Heimatstadt Warri verdreckt und verseucht hat; das Ökosystem für Jahrzehnte zerstört, Stichwort “Fracking” und Artverwandtes. Shell wurde Anfang 2014 dazu verurteilt, hunderten Fischern und Reisbauern dort je drei Jahresgehälter als Entschädigung nachzuzahlen. Nur ein Beispiel, wie das Hinterland Nigerias vor die Hunde geht, eben “destroyed”, zerstört wird.

  • Dann gibt es da noch religiös motivierte Steinigungen unter Berufung auf die Scharia, Geiselnahmen und Terroranschläge durch die Boko Haram und in ethnisch begründeter Gewalt gipfelnde Versuche, Wahlen durchzuführen.
  • Über allem schweben Schmiergeldstrukturen der großen Politik; aber das mag nun höchstens dem Ausmaß nach ein Spezifikum Nigerias zu sein. Insbesondere auch die lokale Polizei gilt im Süden Nigerias als massiv korrupt. Und dann gibt’s da noch die Bakassi Boys und viele andere militärisch organisierte Gruppen, die Polizeiaufgaben in Form von Selbstjustiz “erledigen”.
  • “The children of tomorrow” – ja, was soll für die heranwachsenden Generationen kommen? – in einem Land unendlich wirkender Binnenmigration, wo die Stadt Lagos bereits auf die 20 Millionen Einwohner*innen zugeht und über 10.000 Personen im Schnitt (!) (= stellenweise noch mehr!) einen Quadratkilometer bewohnen. Zum Vergleich: In Köln ein Viertel so viele Personen in Relation zur Fläche.

Kein neuer Themenkomplex, wie z.B. eine Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 eindrucksvoll zeigt.

Und das ist nur eines von tausenden Beispielen auf dem Kontinent Afrika mit seinen derzeit 54 Staaten, wo Regierungen wegschauen, gerne unter Zahlung von Bestechungsgeldern auf Funktionärs- und Beamtenkonten oder doch gleich in bar (und wo sich ausländische Regierungen in Teflon-Textbausteine flüchten).

Dominante Beats über relevanten Zeilen

Um was es genau in dem Song geht, versteht man aufgrund der (gewollt) sehr stark Beat-lastigen Abmischung nicht ganz. Oder – zum Glück nicht. Sonst würde man wohl sehr traurig.

Die Botschaft ist nämlich doch recht klar: Einst gab es in Afrika Aufbruchsstimmung, Befreiungsbewegungen, Unabhängigkeitskämpfe. Zur “afrikanischen Seele” gehört nicht nur der Kolonialismus – mit dessen Folgen nicht alleine die einst kolonialisierten Staaten, sondern auch die angrenzenden (Liberia, Äthiopien, Somalia) kämpfen. Zum afrikanischen Kollektivgedächtnis gehört großenteils auch der Widerstand dagegen (UCee erinnert an reale Symbolfiguren wie Patrice Lumumba, Nelson Mandela, Marcus Garvey und Muhammad Ali, an fiktive wie Kunta Kinte und an einen mittlerweile zur Serienfigur Gewordenen, Shaka Zulu), und da wären wir dann auch bei der Rasta Culture angelangt.

Afrikanische Elemente & Dancehall für die Kinder von morgen

Die Rootz Radicals machen in diesem Song etwas sehr Wichtiges und Sinnvolles: Sie unterlegen den Text / die Thematik mit den entsprechenden, zeitgemäßen Mitteln der ghanaisch-nigerianischen Afrobeats im Stile von Wizkid, Sarz, Yemi Alade. Azonto könnte man das genauer nennen, wobei der Tune eher eine Mischung aus Raggamuffin, Dancehall, Afrohouse, Hiphop, Azonto und mehr ist.

In jedem Fall spielen sie die Musik der Betroffenen auf, der jungen afrikanischen Menschen zwischen 15 und 27 Jahren, deren Soundtrack teils genau diese Musik ist. Funky, poppig, peppig, irgendwie süß und doch wehmütig klingt dieser Sound.

Über die musikalische Ausdehnung des typischen Aufgabengebiets deutscher Reggaegruppen (bisher ja bei anderen Bands i..d.R. Pop-Werdung, Fusion mit Hiphop) gehen die Rootz Radicals noch einen Schritt hinaus.

Die Stammbesetzung der Rootz Radicals: Henry Shell, Uno Jahma, Thomas Eibl und Christian Moll

An die “children of tomorrow” denken sie in “Bad Government”. Und, wer hat sie im Blick, die tickende Zeitbombe Demographie/junge Gesellschaften/Jugendmassenarbeitslosigkeit in westafrikanischen Mega-Metropolen und Hinterländern? Den “Brain drain” der besser Ausgebildeten? Alkoholismus, Drogenhandel, Perspektivlosigkeit, die zurückbleiben? Die Bevölkerungspyramide? Steht auf der Spitze, afrikanische Bevölkerungen werden immer jünger. Die “children of tomorrow” sind ein absolut riesiges Thema!

Tourdaten

Wer die Rootz Radicals live supporten möchte, wo sie das verbreiten und auch ganz andere Musik in den Koffern haben, hat in Teilen Bayerns und in Österreich etliche Termine zur Auswahl:

18.06. (Mo.) – Futureland, Erlangen
22.06. (Fr.) – Reggae River Splash – Viechtach
24.06. (So.) – Free & Easy, Bürgerfest – Straubing
30.06. (Sa.) – Festival Holledau – Empfenbach
14.07. (Sa.) – Afrikatage – Landshut
20.07. (Fr.) – Eastrock Festival – Lienz (Österreich)
21.07. (Sa.) – Free & Easy, Bandhaus Open Air – Straubing
29.07. (So.) – Bismarckplatzfest – Regensburg
10.08. (Fr.) – Free & Easy, Afrika Tage – Dingolfing
16.08. (Do.) – Free & Easy, Eventzelt, Ostbayernschau – Straubing
17.08. (Fr.) – Free & Easy, Afrika Tage, Deggendorf
22.08. (Mi.) – Afrika Tage, Wien
Philipp Kause

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.