Dactah Chando “Global CityZen” (Achinech Productions)

Dactah Chando
“Global CityZen”
(Achinech Productions – 2018)

“They went to liberate the eyes and the mind, they went to open the eyes of the blind, they went to spread yourself with rhyme.” Die dieses Mal englischen Lyrics des Spaniers sind hochwertig. Klar, bewegen sie sich im “Böses-Babylon”-Schema, das aber wesentlich gekonnter als bei vielen Muttersprachler*Innen. Denn der Dactah wird sehr konkret.

Bei dem, was weltweit passiert, kann sich Dactah Chando nur am Kopf kratzen und muss 2 x hinhören. Sein Album geht aufs erste Hören ins Ohr!

Das beschreibe ich mal exemplarisch anhand von zwei Songs:

Auf dem dritten Track “Everyday” schaut er sich die Welt aus der Sicht von Kindern an. “Every day I see the children play, I feel so irie.” Wir von Irie Ites können es nur gut heißen, dass er sich so “irie” fühlt, aber anscheinend tut er das nicht so oft.

Musik über Musik

Da sind die “Hypocrites” davor, sie töten in Syrien und sie töten mit Nuklearwaffen. “Music is my way to fight, music is source and inspiration, […] celebration, the healing of the nation.” Ich persönlich liebe Songs über Musik, weil ich mich viel mit Musik beschäftige. “Music Is My Life” zum Beispiel von Yaniss Odua. Oder “Musical Mission” von Tuff Like Iron. Oder eben “Everyday” von Dactah Chando. Songs über die Funktionsweisen von Musik strahlen meistens etwas Magisches und Positives aus.

Auch wenn in den Leitmedien gerne in den letzten Tagen oft auf die Hinwendung Dactah Chandos zur englischen Sprache hingewiesen wurde, bleibt er in etlichen Tracks durchaus stellenweise beim Spanischen.

Quelle/Source: Soulfire Artists/Galileo Music

Der Alarm kommt als Bassgewitter!

Dieser Sprach-Mix hat etwas Charmantes. “This is an urgent warning, ring the alarm: Lightning, thunder, storm, tsunami, earthquake, hurricane […], migración, contaminación, extensión, corrupción, corrupción de las mentes […].”

Auf “Ring The Alarm”, dem vierten Track, zählt er die Probleme des Planeten, die sich im Klima zeigen, auf Englisch aus. Seine dringende Warnung, seinen Alarmruf, spricht er auch auf Englisch aus. Einige komplexere Themen, Migration, Verstrahlung, Überbebauung, Korruption benennt er auf Spanisch. Gegen die Korruption des Verstandes richtet sich sein Kampf, zu dem er uns (auf Spanisch) aufruft. Musikalisch regnet sich dann zum Ende des Songs eine fett und gewaltig klingende Basswolke ab.

Dactah Chando kann live wie auch im Studio seine Botschaften sehr wirkungsvoll unterstreichen. Er liefert ausgeklügelten Roots-Dub mit zahlreichen Rock-Elementen auf einem höheren Mid-Tempo ab. Man kann die CD bzw. den MP3-Longplayer im Rutsch durchhören, ob zu Hause oder unterwegs – mit Kopfhörern ein optimistischer Begleiter in der Welt draußen, weil trotz der kritischen Texte viel Schwung im Schlagzeug und den Keyboard-Läufen liegt.

Handwerklich hat dafür die Evolution Band, also Gentlemans Backing Band, gesorgt. Der dubbige Flow wurde von Umberto Echo durchgearbeitet, so dass sich am Ende zwei alternative Dub-Mix-Versionen vom Titelsong und einem weiteren Track finden. Der “Dubal Citizen” (Titel Nr. 10) ist auch wirklich sehr, sehr cool geworden.

Fazit – 4,8 Sternchen von 5

Also insgesamt für ein rundes Album in zwei Sprachen, bei dem jeder Ton in der Abmischung sitzt, das ein thematisches Konzeptalbum ist und seine Überschrift mit dem Weltbürger einlöst, das politische Ansprüche hat, das keine Füll-Titel hat, das zeitlich vor eine lange Tour gesetzt wird und mit dem Release eines ebenfalls hochwertigen Live-Albums einhergeht – kann man fast schon 100% als erreicht sehen. Das einzige, was ich mir gewünscht hätte, wäre ein bisschen Abwechslung im Gesang.

Dactah Chando am Meer

Quelle/Source – alle Pressefotos/all pics: Soulfire Artists/Galileo Music

Er selbst bleibt – das ist jetzt von mir Jammern auf hohem Niveau – oft auf ein und derselben Tonlage, im selben Timbre, setzt keinen variantenreichen Ausdruck ein. Das ist für mich völlig okay, denn er muss sich auf diese Texte sicher auch konzentrieren und alle diese Texte kreisen um ein und dasselbe Themenfeld. Darf gerne einheitlich klingen.

Ich bin aber auch Radio-Moderator, und habe zu Nattali Rize, die ich zutiefst gerne und in fast jeder meiner Sendungen spiele, schon ab und an die Rückmeldung bekommen, dass sie immer gleich klinge. Das finde ich zwar nicht so ganz, aber im Kern kann ich es schon verstehen, wenn man es so empfindet. Es gibt nun einmal verschiedene Gesangstechniken, und wenn Artists nach dem Singen leicht heiser werden, dann weil sie viel Kraft in den Kehlkopf legen und ihre Stimme quasi “von oben” versuchen zu steuern.

Dabei liegt das Geheimnis, wie man im Pilates sagen würde, im “Power House”, also zwischen Rippen und Leisten. Vokalist*inn*en mit Durchhaltevermögen und Variantenreichtum wenden Tricks und Techniken mit ihrem Zwerchfell, mit dem Volumen bei Ein- und Ausatmung an. Gewöhnt man sich dabei etwas Falsches an, neigt man zum näselnden Klang.

Und, ja, es tut mir Leid, das zu sagen, aber da hat der Dactah Chando doch noch Potential nach oben. Insoweit lasse ich auch mal 4% frei und gebe dem Album nur 4,8 von imaginären 5 Sternen. Vielleicht bin ich aber auch nur zu sehr an die vielen üblicherweise die Alben aller Artists bevölkernden Featured Guests gewöhnt, auf die der Gute hier verzichtet.

Dactah Chando kommt 2018 ans Wasser, zum Summerjam am Fühlinger See/Köln, und Feld & Wiesen, zum Weedbeat im Raum Göttingen

Die “Stimminhaber*innen” hören sich übrigens während des Sprechens oder Singens nicht in dieser Weise selbst, wie andere Menschen das dann wahrnehmen. Lena Meyer-Landrut hat vor ein paar Tagen angedeutet, dass es sie nerve, wenn andere etwas anderes wahrnähmen als sie – die Geduld, an sich und ihrer Technik zu arbeiten, müsse sie noch lernen. Sie möchte lieber einfach drauf los machen und umsetzen, was ihr an Ideen vorschwebe, andere verstünden diese Ideen aber nicht sofort. Stimme spielt da, denke ich, eine entscheidende Rolle.

Kein Newcomer, sondern ein “alter Hase”

Zur Wirkung: Warum Dactah Chando erst jetzt so einen allgemeinen Hype in der Szene erfährt, konnte ich für mich nicht so recht herausfinden. Irieites.de hat über Dactah Chando und seine Alben auch schon vorher regelmäßig berichtet:

Ansestral

Sabiduria

Woman Escuchame

Clara

Dactah Chando ist zur Zeit im deutschsprachigen Raum fleißig auf Tour. Alle Live-Daten, die bis jetzt bestätigt sind, gibt’s hier. Dactah Chando beim Summerjam sowie Infos über Skarra Mucci, Naâman u.a. hier.

Philipp Kause

PS: Nicht auf dem Album enthalten, aber auch reizvoll:

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.