The Specials „Encore“ (Universal)

The Specials
„Encore“
(Universal – 2019)

Es ist erstaunlich und in diesem Fall zugleich erschreckend, wie manche Songs, auch nach mehr als drei Jahrzehnten, immer noch nichts an Aktualität eingebüßt haben. Als Anfang der Achtziger „The Lunatics (Have Taken Over the Asylum)“ erschien, war ein Teil der damals frisch auseinander gegangenen The Specials-Mitglieder unter dem Namen Fun Boy Three unterwegs. Die Anspannungen im Kalten Krieg hatten wieder mal einen Höhepunkt erreicht. Und es schien gerade, als könnte es auf der Welt nicht verrückter zugehen. Weit gefehlt! (Siehe neueste Meldungen und Entwicklungen). Denn die Akteure von damals, verglichen mit den heutigen, erscheinen gerade zu als weise.

The Specials heute

.Und weil es so ist, wie es nun mal ist, haben die (teilweise) wiedervereinten The Specials für ihr neues Album „Encore“ den Song einfach neu eingespielt. Es ist eine Abrechnung, in der ihr Angepisstsein gegenüber Heute auf einer Doppelalbum-Länge Ausdruck findet. Auch wenn die andere Hälfte des Zweiteilers aus verschiedenen Live-Aufnahmen besteht, die einige ihrer größten Hits wie „Ghost Town“ oder „Too Much, Too Young“ und „Gangsters“ beinhaltet. Dabei werden die drei Stammmitglieder der Specials Terry Hall, Lynval Golding und Horace Panter von einer Reihe anderer Gastmusiker und Sänger begleitet. Unter anderem von der jungen Poetin Saffiyah Khan („10 Commandments“) und den Gitarristen Steve Craddock (Paul Weller Band). Dies spiegelt sich auch in einem viel reicheren Sound wider, als von diesen Engländern gewohnt. Auch wenn 2-Tone und Reggae die dominierenden Kräfte des Albums sind, bewegen sich diese Engländer dennoch abseits der Wege.

The Specials früher

Ein schwerer, ja fast düsterer Sound, versetzt mit Jazz- und Cabareteinlagen, ist vorherrschend. Die sehr rudimentären Beats werden von dröhnenden Bässen verfolgt – fast so wie beim Linton Kwesi Johnson. Gelegentlich fliegen durch den Raum schwermütige Streicher oder psychotische Keyboard-Klänge und verspielte, aber schräge Ritmo Cubano Klavierfetzen. Es ist offensichtlich, dass genau dieser Sound die Sicht der Specials auf die heutige, besorgniserregende Lage nachempfindet. Es ist purer Realismus und ungeschönte Gesellschaftskritik, die sich nicht eine schönere Welt zusammensingt – es gibt für sie auch keinen Grund bei jeder Gelegenheit die alberne Herzform mit Händen zu bilden. Nein, sie sagen, was ist. Auch wenn es manchmal provokant und gegen den aktuellen Strom ist. Aber genauso sollte verdammt nochmal Reggae/Ska/Punk auch sein!

Am weitesten sind aber die Specials mit den zwei ersten Songs des Albums (“Black Skin Blue Eyed Boys“, „B.L.M.“) gegangen, mit ihren treibenden Funk-Arrangements in denen sich glatte Gitarrensoli und luftige Keyboardpassagen abwechseln. So ganz nach den Siebzigern, also der Anfangszeit der Gruppe. Aber als sie in die atmosphärische „The Life and Times (Of A Man Called Depression)“ Referenzen aus „Riders on the Storm“ von The Doors einschmuggeln und auch noch in „Breaking Point“ den „Alabama Song (Whiskey Bar)“ von den Selbigen zitieren, wird allmählich klar, dass hier der Rahmen eines gewöhnlichen 2-Tone Ska und Reggae Albums gesprengt wurde. Eine beachtliche Leistung, nimmt man hinzu, dass „Encore“ das erste Studioalbum der Specials seit zwanzig Jahren ist und zum 40-jährigem Jubiläum der Band erscheint. Und es ist keineswegs eine Revival oder Nostalgie Geschichte, sondern aktueller wie eh und je. Leider.

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)