Steel Pulse “Mass Manipulation” (Rootfire Cooperative)

Steel Pulse
“Mass Manipulation”
(Rootfire Cooperative – 2019)

Mit Ku-Klux-Klan-Mützen überstülpt, standen sie da, auf der Bühne. Dass es sich dabei um ein paar schwarze Jungs handelte, verriet lediglich die Farbe ihrer Hände, mit den sie die Instrumente hielten und den besten Reggae von sich gaben, der damals auf der britischen Insel im Umlauf war. Es war ein ungewöhnlicher und zugleich verstörender Anblick. Und genau das wollten sie auch bezwecken, denn es gibt keinen besseren Weg, den Leuten die Wahrheit zu sagen, als sie ihnen vor die Augen zu führen – oder ihnen den Spiegel vorzuhalten, je nachdem.

Es war der erste große Hit dieser Engländer aus Birmingham und es war 1978. Harter Reggae mit Punk-Attitüde war das. Gitarrenlastig, wuchtig und frech. Begleitet von massigen Riddims, die langsam daher rollten wie Räumungspanzer über einem Minenfeld. Sie tourten währenddessen mit Burning Spear und The Clash. Der Frontman und Sänger der Gruppe David Hinds war damals eine schillernde Figur, die nicht nur durch provokante und schneidige Songtexte in Erscheinung trat, sondern auch für ratlose Hingucker sorgte durch eine hochgesteckte Rasta-Kranich-Frisur, die den typischen Irokesen-Haarschnitt der Punks nachempfunden war.

steel pulse

by Patrick Niddrie

Ihre ersten beiden Alben („Handsworth Revolution“ und „Tribute to the Martyrs“) waren eine Offenbarung in Sachen Reggae, die auch ihre jamaikanischen Kollegen erröten ließ. Mitte der 80er gewannen sie einen Grammy als erste nicht-jamaikanische Reggae-Band überhaupt und spielten sogar zur Vereidigung des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton1993. Irgendwann zwischen all dem, haben die Steel Pulse es aber geschafft, zu verkacken. Sie verwässerten ihren Sound, machten es mehr chartkompatibel mit schnelleren Nummern und belangloseren Texten. Spätere Versuche mit Alben wie „Vex“ oder „African Holocaust“ an die alte Form wieder anzuknüpfen, gingen daneben und es wurde fünfzehn Jahre lang still um die Gruppe, die heute nur noch aus dem Sänger David Hinds und dem Keyboarder Selwyn Brown besteht.

Nun melden sich die beiden Veteranen, verstärkt mit jungen Kräften wie dem Multiinstrumentalisten David ‚Cirious‘ Elecciri, zurück mit neuem, mittlerweile zwölften Album „Mass Manipulation“ – und es ist gleich ein Mammut-Werk aus fünfzehn neuen Songs. Das Album, durch mehrere Jahre und auf drei Kontinenten entstanden, ist eine in Musik gegossene Abrechnung mit Hier und Jetzt. Zu seinem und unserem Bedauern muss darin Hinds feststellen, dass sich in der Zwischenzeit wenig zum Besseren verändert hat. Im Gegenteil. ‚World‘s gone mad‘ muss er zusammen mit seinem Rapper-Sohn Baruch Hinds im gleichnamigen Song konstatieren. Es ist ein Rundumschlag gegen Korruption, Überwachungsstaat, Menschenschmuggel, Rassen- und Fremdenhass, der sich auf zwei Ebenen abspielt – einer real-politischen und einer spirituellen.

steel pulse

by Patrick Niddrie

Dabei behält das Album hindurch seine positive Ausstrahlung, ungeachtet dessen wie düster und hoffnungslos die besungenen Themen darin erscheinen. Die Bläsersätze sind so vital und lebensfroh, wie auf einem Funk-Album. Dazwischen drängen sich sporadisch energiegeladene Gitarren- und dynamische Keyboard-Passagen mit viel stimmungsvollen Backvokals. Es werden auch Bögen geschlagen, die weit über dem üblichen Reggae-Kontext hinausgehen. Somit finden sich hier sowohl afrikanische („Stop You Coming and Come“), als auch orientalische („No Satan Side“) Einflüsse. Sogar dramatische Streicher kommen kurzweilig zum Einsatz („Trinkets and Beads?“)!

Doch, auch wenn mit etwaigen Löwengebrüll und fantasievollen Samples und Interludes zwischen den Songs aufgewartet wird, ihre Poppigkeit, die sich die Steel Pulse leider in den letzten dreißig Jahren angeeignet haben, konnten sie auch diesmal nicht abstreifen. Dies wird nicht nur im platten Sunshine-Reggae Format vorgetragenen „Rasta Love“ deutlich, einem Cover von Steve Winwoods „Higher Love“, sondern auch ihr größtenteils nach Bedienungsanleitung vorgespielter Reggae, der oft zu vorhersehbar erscheint. Dennoch schaffen es diese Reggae-Veteranen mit dem neuen Album zu beeindrucken. Wer hätte schon damit gerechnet, dass sie nochmals mit so einem schwungvollen und tatkräftigen Comeback überraschen? Der Autor dieses Textes gewiss nicht.

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)