The I-Twins – The Master Plan
Die I-Twins aus Genf sind wirklich Zwillinge und spielen seit ihrer Jugend Reggae. Beide sind neben dem gemeinsamen Duo auch noch in weitere musikalische Projekte involviert. So ist Camille etwa Sängerin beim Soundsystem Skanking Society und Quentin spielt unter anderem Bass bei den Najavibes. Ende März habe ich die (leider viel zu starke) Sprachgrenze zwischen der französischen und der deutschen Schweiz überwunden und die beiden in Lausanne getroffen, um über ihr neues Album zu sprechen.
Drei Jahre nach eurem ersten Album – The Way For We – veröffentlicht ihr am 2. Juni eure zweite LP namens “The Master Plan”. Wo kommen die vielfältigen Einflüsse her, die man auf dem neuen Album hören kann?
Quentin: Lustig, dass du die Einflüsse [aus anderen Stilrichtungen] erwähnst! Denn ein wichtiger Grund im Zwillingsgespann zu komponieren, war eigentlich auf den Roots Reggae zu fokussieren und aufzuhören, zu viele Stile zu mischen, wie wir es mit unserer ersten Band getan haben.
Camille: Aber trotzdem hast du auf eine Art Recht. Auf dem Album und auch allgemein spielen wir Roots, aber was mich angeht, so bin ich vom Soul beeinflusst. Beim Komponieren baue ich nicht bewusst Soul-Elemente ein, aber er findet seinen Weg wohl trotzdem. Wenn’s Reggae nicht gäbe, dann wär Soul mein Ding! So wie Quentin auch seine Einflüsse aus dem Jazz hat.
Q: Ich denke, wir spielen bewusst Reggae, haben aber noch andere Ideen im Hinterkopf. Gerade was den Rhythmus angeht, halten wir uns streng am Roots. Wir spielen einige Rub-a-Dub Tunes, oder One Drop, Rockers, Rocksteady… Diese rhythmischen Muster behalten wir stets bei. Während unser rhythmisches Rückgrat also der Roots ist, bin ich, was die Harmonien betrifft, ziemlich vom Jazz beeinflusst. Ich mag’s wenn der Rhythmus wenige Elemente hat und klar ist, aber dann mit abgefahrenen Harmonien kombiniert wird, mit vielen Ebenen und schrägen Tönen!
Wie hat eure musikalische Reise zum und mit dem Reggae eigentlich begonnen?
Q: Wir beide hörten Reggae schon als Jugendliche. Es war die Musik, die uns am stärksten beeinflusst hat und auch die erste, die wir spielen wollten.
Ihr seid in Genf aufgewachsen, oder?
Beide: Yeah.
Ihr Glückspilze!
C: Was den Reggae betrifft, ja! Wir hatten echt Glück, da wir viele, viele Konzerte sehen konnten. Wir haben während unserer Jugend [2000er] grad noch das Ende des goldenen Reggae-Zeitalters in Genf erlebt.
Q: Wir hatten Asher Selector der pausenlos Konzerte organisiert hat. Dank ihm haben wir all die grossen Sänger und Gesangsgruppen erlebt – die Abyssinians, Congos, Heptones, Gladiators, Israel Vibration, Mighty Diamonds…
C: Das ist einer unserer grössten Einflüsse. Wir lieben es, mit den Harmonien zu spielen und diese Gesangstrios haben uns viel auf den Weg gegeben.
Lasst uns über euer neues Album reden. Wird es auf Vinyl erhältlich sein?
Q: Nach einigem hin und her – ja! Auf CD, Doppel-LP (mit Downloadcode) und auch virtuell.
„The Master Plan“ klingt stark nach einem Konzeptalbum – was ist eure Idee dahinter?
Q: Die Idee hinter diesem Konzept – dem Masterplan – ist, dass in unseren Leben Dinge passieren werden, gut oder schlecht – oder was wir als gut oder schlecht erleben – und dass wir verschiedene Möglichkeiten haben, damit umzugehen. Wenn wir glauben, die Dinge sollen so sein, wie sie sind und manchmal auch nach dem Grund dafür suchen, werden wir ein besseres Leben leben und uns selbst ermächtigen zu handeln anstatt zu resignieren.
C: Wenn du zum Beispiel eine schwierige Lebenssituation durchmachst, dann kannst du dich dazu entscheiden, das Geschehene anzunehmen anstatt dich davon blockieren zu lassen und dich ständig zu fragen „wieso passiert das ausgerechnet mir?“. So wirst du gelassener und befähigst dich deine Zukunft zu ändern, oder die Dinge, welche dir nicht passen. Es geht auch darum, ans Leben zu glauben. Ich entscheide mich dazu, ans Leben zu glauben und positiv über die Zukunft zu denken. Sogar wenn ich morgen sterben sollte, es würde nicht bedeuten, dass ich falsch lag so zu denken. Denn ich werde ein friedliches und heiteres Leben geführt haben bis zu meinem letzten Augenblick.
Q: Die Hälfte der Songs ist spezifisch mit dieser Idee eines Masterplans verbunden. Andere sind ein bisschen politischer, aber jene mit Bezug auf den Masterplan kreisen um und entwickeln sich jeweils mit dieser Idee. Beim Schreiben des ersten Songs auf dem Album, „Answer to Job“, habe ich an Freunde gedacht, die großes Leiden zu ertragen hatten. Ich hatte das Buch von Hiob gelesen und dachte: „Was ist meine Antwort an Hiob? Was kann ich Leidenden antworten?“
C: Wir können diesen Masterplan nicht nachvollziehen oder erfassen. Manchmal ist er total unfair und du wehrst dich gegen das, was passiert und du verstehst nicht, wieso es passiert. Aber das ist das Mysterium des Plans. Dies ist keine Legitimation all des Schreckens auf dieser Welt! Es bedeutet nur zu sagen: „‘Ok, so sind die Dinge.“ Dadurch, dass ich es mit so viel Gelassenheit akzeptiere wie ich kann, bin ich besser vorbereitet, aktiv etwas daran zu verändern.
Q: Akzeptanz bedeutet nicht Resignation, sie führt nicht zur Passivität. Es ist ein Akzeptieren um aktiv sein zu können. Um zum Autoren seines Lebens zu werden.
Wie wahr! Was die praktischen Dinge angeht, wer spielt eigentlich auf dem Album außer ihr zwei?
C: Das sind Najavibes plus drei oder vier befreundete Musiker/innen.
Das Album wurde von Roberto Sanchez, der in den letzten Jahren durch etliche großartige Produktionen aufgefallen ist, in Spanien gemischt. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm und wie ist sie überhaupt zustande gekommen?
Q: Für mich war es das dritte Album, das ich produziert habe und er gemischt hat. Die zwei Alben zuvor waren mit I-Kong und da waren auch noch ein paar Singles. Wir kannten uns also schon ziemlich gut. Und dieses Mal ist die Zusammenarbeit viel weiter gegangen als zuvor. Weil wir im Rückstand mit den Aufnahmen waren, hatten wir zu der Zeit, als geplant war, dass er mit dem Mischen anfängt, erst die Hälfte des Materials! Also hab ich ihn angerufen und wir entschieden, die Arbeit aufzuteilen: in einer Session würde er an den Drums, dem Bass und allem was wir schon hatten arbeiten und dann, zwei Monate später, an den Vocals und den Overdubs.
C: Wir hatten also viel Zeit und Roberto war sehr hilfreich und inspirierend. So spielte er etwa bei einem Stück Perkussion ein und bei einem anderen eine Solina – einfach weil er fand, das würde noch passen. Und als er uns dann fragte, was wir dazu fänden, waren wir natürlich sofort einverstanden, die Spuren drin zu lassen! So was passiert ziemlich selten mit einem Toningenieur. Er war wirklich involviert im Projekt.
Q: Für ihn war es auch eine neue Erfahrung, auf diese Art zu arbeiten. So hatte er Zeit, seine Ohren zu entspannen, ein bisschen den Kopf zu lüften und dann mit frischen Ohren wieder auf das Projekt zurückzukommen. Er meinte, das sei eine effiziente Arbeitsweise gewesen. Wir machten also aus der Not eine Tugend und fanden so eine neue, bessere Herangehensweise.
Was den Rest der Produktion anbelangt, so habt ihr ziemlich viel selbst gemacht. Die Aufnahmen wie auch das ganze Organisatorische…
C: Oh ja, wir machen alles. Das ist ziemlich anstrengend…
Wie habt ihr zum Beispiel die finanziellen Mittel zusammengekriegt für die Produktion?
C: Im Grunde wurde das Album aus drei Töpfen bezahlt: aus den Einnahmen von bisherigen I-Twins Konzerten – einer Akkumulation von vielen kleinen Beträgen, aus einer Crowdfunding-Kampagne auf wemakeit und aus unserer eigenen Tasche. Wir hoffen das Geld über die Jahre durch die Verkäufe wieder hereinzubekommen, um mindestens eine Nullrunde zu schaffen.
Wieso habt ihr euch zu diesem Weg entschieden, fast alles selbständig zu machen?
C: Wir produzieren unsere Musik selbst, weil wir sie auf eine ganz bestimmte Art machen wollen. Im Rahmen eines Labels könnten wir nicht die Entscheidungen fällen, wie wir wollen. Wir ziehen durchaus in Betracht, in Zukunft ein anderes Projekt mit einem Label zu beginnen, aber das wird dann nicht Roots Reggae sein, sondern etwas Akustisches. Für nun und wenn’s um Reggae geht, lieben wir es auf diese Weise! Es ist anstrengend, aber das ist halt die andere Seite der Medaille.
Q: Es ist auch einfach so entstanden. Wir haben uns eigentlich nicht dafür entschieden. Nun scheint das offensichtlich, aber am Anfang haben wir uns einfach gesagt: „Gut, wir wollen ein wenig Musik machen, also müssen wir erst mal Musiker_innen finden! Check. Dann brauchen wir ein Studio. Check. Nun brauchen wir einen Toningenieur!“ Wir nahmen einen Schritt nach dem anderen, und so kam’s, dass wir unsere Musik plötzlich selber produziert hatten. Wir dachten gar nicht darüber nach, ein Label oder so zu fragen. Das erste Album war sogar noch anstrengender, weil wir da bei jedem Schritt entdeckten, was als nächstes zu tun ist. Beim Zweiten hatten wir dann schon einige Kontakte mit denen wir rechnen konnten.
Eine letzte Frage: Könnt ihr uns etwas über Fruits Records erzählen?
Q: Das Album ist produziert von I-Twins Records, aber es wird im Katalog von Fruits Records veröffentlicht. Das ist etwas wirklich Neues für Fruits Records, weil das Label bisher nur Aufnahmen mit jamaikanischen Künstlern veröffentlicht hat. Die Riddims wurden von jungen, europäischen Künstlern aufgenommen, aber die Sänger waren immer jamaikanische Urgesteine [etwa die Viceroys, Prince Alla, I-Kong]. Das Album von uns in diesem Katalog zu haben ist speziell, weil wir jung sind, aus der Schweiz kommen und eine Musik spielen, die ein bisschen komplexer ist als das, was Fruits Records normalerweise produziert. Das war keine einfache Entscheidung für das Label. Wir diskutierten das ausführlich und entschlossen uns am Ende, das Spektrum ein wenig zu öffnen. [Quentin ist mit einigen anderen Bandmitgliedern der Najavibes Mitgründer von Fruits Records.]
C: Fruits Records vertreibt das Album, aber hat es nicht produziert. Es wird einfach in ihrem Katalog erscheinen.
Q: Natürlich ist das ein Bekenntnis von Fruits Records weil das bedeutet, dass wir nun etwas anderes an die Leute senden, mit denen wir zusammenarbeiten. Ist es gut oder schlecht eine größere Bandbreite zu haben? Wir werden es sehen, es wird ganz auf die Leute ankommen.
C: Sie sind da ein gewisses Risiko eingegangen, hoffentlich ist es das wert!
Interview: Antonio (05/2017)
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