The Unduster “The Red Album” (Zoundr)

The Unduster grünes cover red album

Made in Germany Part 2 – Standort: Simbach am Inn, Niederbayern – Quelle: Wikipedia.de, User: TUBS, CC-Lizenz BY-SA 3.0, unverändert übernommen

The Unduster
“The Red Album”
(Zoundr – 2018)

Veröffentlichungsdatum: 10.8.18

History: Reggae aus der Mitte Europas, aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz etc. spielte in den 2010er Jahren eine immer tiefer untergeordnete bis verschwindende Rolle. Während das 2000er-Jahrzehnt bis weiter in die Zeit 2011/12 mit Acts wie Nosliw (D), Mono & Nikitaman (D), Elijah (CH), Dub Inc. (F), Irie Révoltés (D), Gentleman (D), Cali P (CH), Danakil (F), Phenomden (CH), Sebastian Sturm (D), Seeed (D) und Lyricson (F/Guinea/UK) einige Hochkaräter mit laufend neuem Output präsentierte, scheint die hiesige Szene doch längst auf andere Züge aufgesprungen zu sein (Roots Reggae Revival, Riddim Selection-Mixe, Auto-Tuning-Jünglinge im Dancehall-Pop, Deutsch-Rap …).

Wer macht heute in Deutschland Reggae, Ska & andere Offbeat-Musik?

Dieser Frage geht eine kleine Serie nach. Luke Nuk’Em und Mono & Nikitaman machten vor zwei Wochen den Auftakt – und nun folgt zehn Tage lang täglich ein weiterer Act.

The Unduster – “The Red Album”

Alt bzw. “vintage” zu klingen, geht oft in die Hose – hier nicht! The Unduster machen live genauso wie auf CD den Eindruck, die jamaikanische Klanggeschichte der Sechziger Jahre tief eingesogen zu haben. Nun geben sie sie, quasi zum 50. Geburtstag der Reggae-Musik, auf ihre Weise wieder. Besonders im mittleren Albumdrittel (“Hope”, “Coconut”, “Mouth Shut”) finden die Early Reggae-Kenner/innen dank schriller Bläsersätze soundtechnisch den Flair der Zeit 1967-1972, der Musikwelten zwischen Prince Buster, dem frühen Toots und Gruppen wie The Kingstonians und The Clarendonians.

Das Tempo pitchen die Niederbayern, bevorzugen tanzbare Tunes. Auf den beiden vorherigen EPs hatten sie dagegen immer wieder die Fähigkeit zur Soul-Ballade bewiesen.

Simbach am Inn im Südosten Bayerns – Quelle: www.suche-postleitzahl.org (Open Source Projekt)

Dass das alles nicht jeder großartig finden wird, liegt fast auf der Hand. Für einen Teil der Roots-Fans beginnt die Geschichte des Reggae mit dem “Catch A Fire”-Album von Bob Marley & The Wailers. Für weitere Teile der Szene startet “Reggae” irgendwann später mit Macka B, Shaggy, Beenie Man, Gentleman oder Damian Marley. Da wird es also eher schwierig, wenn der Sound von The Unduster nun schon in die Ursprünge unserer Offbeat-Rhythmen bohrt.

Die professionellen, teils musikstudierten Bandmitglieder entfalten die Wärme des Ska-Band-Sounds im klassischen Sinne. Besonders spannend geraten dabei die Songs mit Gästen aus Dortmund (Conscious Dancehall Queen TriXstar), Rosenheim (Mundart-Roots-Texter Mista Wicked) und Regensburg/Prag (UCee).

Auf dem langen und lyrisch ausgeklügelten “Mental Borders” taucht nach längerer Zeit mal wieder TriXstar, verstecktes Talent der deutschen Roots- & Dancehall-Szene auf. Zitat aus dem Songtext:

“Sperren uns in unserem eigenen Denken ein (…) weil wir uns nur auf Differenzen beschränken, von klein auf schon lernen nur in Grenzen zu denken |

Wozu hast du Augen, wenn du nicht sehen willst? |

Wozu hast du Ohren, wenn du nie zuhörst? |

Wozu hast du deinen Mund, wenn du schweigst?”

Der Song pendelt immer wieder zwischen Deutsch und Englisch, die Posaune von Jonas Westenberger führt – was eher ungewöhnlich in der weiten Welt des Pop-Business ist – als Akzente setzendes Instrument durch den Song und schneidet ihn in Stücke.

The Unduster, Fyah Festival, München, 30.4.18 – Foto: Philipp Kause

Mit Felix Westenberger und Stefan Deser an den Trompeten, Katrin Matheis und Dominik Franzmayr an den Saxophonen und Ivan Robledo (s.o. Foto, Mitte) an der Gitarre kommt die Melodie von allen Seiten. Das aufwändige Klanggebilde in so einem Song wie “Mental Borders” lässt Platz für ein scharfes, langes Gitarrensolo im Songzentrum und ein Saxophonsolo am Ende des Tracks.

Ähnlich rund gelingt “Coconut” mit UCee, ein hüpfendes Stück Gute Laune-Pop-Raggamuffin mit einer interessanten Bridge: Da bedienen sich kurzzeitig bei der Steve Miller Band (“The Joker”), zufällig einer meiner Lieblings-Bands. Das Zitat greift ebenfalls in die Zeit 1972/73 zurück, wenngleich nicht in den Reggae, sondern in den Soul-Rock-Pop jener Ära. Das im Rückblick unbeschwert Erscheinende dieser Phase lassen sie immer wieder gegen die Härte der Ignoranz in unserer Zeit prallen. Im Song “Typen wie du” schimpfen sie zusammen mit Tomatenzüchter Mista Wicked über Typen, die einen unterdrücken wollen, die kleinkariert, dreist, eitel, meinungslos und ohne Rückgrat sind.

Höhepunkt des Songs sind die erfundenen und abstrusen Schlagzeilen, die heute schon einigermaßen realistisch wirken:

“Afghane verspeist deutsches Kind – Nürnberg: Verbot von Weihnachten gelingt – Und Merkel ist dran Schuld!”

Das sind RanDom und Serapion, zwei der Sänger von The Unduster aus Simbach am Inn. – Foto: Philipp Kause / Fyah Festival, München, 30.4.18

Es mag ein bisschen schwierig sein, im Vorbeigehen die Feinsinnigkeit dieser Band und ihren Humor zu erschließen, wenn man nur mit halbem Ohr hinhört und etwas Glattes oder Musik zum Abschalten und Kopfnicken erwartet. Dazu machen sich The Unduster mit harten Sounds als zu unbequem und störend im Ohr breit. Die Melodien entpuppen sich teilweise nach ein paar Mal Hören als Ohrwürmer. Doch man muss die Ausflüge in TwoTone (“Mouth Shut”, “Dieser eine Fan”), Funk-Latin-Mestiço-Rock (“Zaubertrank”) mögen, um was von der Platte zu haben. Am ehesten erinnert mich die Gruppe an Shanti Powa – wenn ich Rap-Einlagen wie auf “Mi Sound” höre. Aber im Grunde, nachdem ich beide diesen Sommer live sehen konnte, muss ich sagen: The Unduster sind viel “altmodischer” und jazziger drauf.

Auch wenn die Aufnahmen aus Bayern kommen, muss man keine bayerischen Dialekte verstehen. Englisch und Hochdeutsch dominieren. Wer eine Allergie gegen Saxophone hat oder wenig (mit diesem schönen Instrument, das ich mal lernen will) anfangen kann, dem sei vom Konsum des Albums abgeraten. “The Red Album” kann ich jedoch ohne Bedenken empfehlen, und zwar allen, die es gerne schnell, vertrackt, intellektuell, tanzbar mögen und die ein Herz für Stil-Fusionen, Gesellschaftskritik und Überraschungen haben.

Philipp Kause

Link: Das Album zum Querhören in fünf Minuten auf Soundcloud

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.