Clinton Fearon „History Say“ (Baco Records)

Clinton Fearon
„History Say“
(Baco Records – 2019)

Für Leute wie Clinton Fearon ist die heutige Weltlage ein gefundenes Fressen. Ein Sänger und Songwriter von seinem Kaliber könnte ganze Bände von Songs darüber schreiben. Davon ist sein neues Album voll.

@ Valentin Campagnie

Da sich die Geschichte aber immer als Parodie ihrer selbst wiederholt und jegliche Witzfiguren an die Stelle ihrer Vorgänger treten, kann sich dieser ehemalige Gladiators-Sänger in seinem neuen Album auch ein bisschen von typisch jamaikanischer humorvoller Ironie bedienen. Im Titelsong „History Say“ nennt er den Präsidenten einen ‚Sugar Mouth‘ und seine Reden gibt er wortgetreu als ‚bla bla bla‘-s wider. In „Mr. Pretender“, fordert er dann von Politikern endlich Klartext zu reden.

Es hat sich diesbezüglich auch nicht wirklich viel verändert seit den 70ern, wo er mit The Gladiators seine Karriere begann und mit Hits wie „Chatty Chatty Mouth“ in die Reggae-Geschichte einging. Obwohl sich dieser 68-Jährige im Umgang mit neuen Technologien schwertut – was er auch im Eröffnungslied „Technology“ offen zugibt – wo sich Clinton Fearon weiterentwickelt hat, ist er selbst.

„History Say“ ist sein mittlerweile dreizehntes, weitgehend selbst produziertes Soloalbum, für das er sich mehr Zeit als sonst gelassen hat. Es ist für Clinton Fearon ganz klar eine Herzensangelegenheit gewesen. Das Album kommt sehr autobiografisch daher und hat einen ausgeprägten Musikgeschmack.

In „Time“ wandelt Fearon kurzerhand seine Stimme in ein Instrument um und – ganz nach Art des Jazz – ahmt eine Trompete nach. Im vorher veröffentlichten EP „Time“ hat er sogar eine Jazz-Version desselben Songs abgeliefert. Sein Boogie Brown Band absolviert hier einen virtuos ausgebauten Reggae, der immer wieder schneller und tanzbarer wird. Nur um wieder besonnener und ruhiger zu werden. Dazwischen reihen sich vordrängende Gitarrensolos, geschmeidige Bläser-Einfälle und flüchtige Klavier-Zwischenspiele. Sogar Ukulele kommt zum Einsatz.

Man nennt wohl so etwas ein Erwachsenen-Album, aber sein Storytelling hier kennt keinen gehobenen Zeigefinger und auch sonst kommt er ganz schlicht um die Ecke. Fast stoisch empfiehlt Clinton Fearon in „Why Worry?“ die Dinge so hinzunehmen, wie sie nun mal sind. Aber auch das beste daraus zu machen. Unüblicherweise hat er viele Gäste auf dem neuen Album. Im behutsamen, Moll-lastigen Duett mit Alpha Blondy vollzieht er symbolisch die afrikanische Wiedervereinigung („Together Again“). Clintons Tochter Sherine Fearon feiert hier Premiere und darf ein ganzes Lied singen („Gimme Some“). Das spanische Vokaltrio The Emeterians und auch Hawaiianer Mike Love sind als klassische, nahezu altmodische Harmonie-Unterstützung hier unterwegs.

Aber auch musikalisch wurden neue Wege beschritten. Der Gitarrist Clinton Rufus, der schon für The Gladiators gespielt hat, hat seinen Beitrag hier geleistet, so wie der Schlagzeuger Sly Dunbar (Sly & Robbie). Und in „French Connection“ ist Slys klatschender Taxi-Rhythmus noch am besten wiederzuerkennen. Diese elf neue Songs klingen also viel jamaikanischer, aber auch abwechslungsreicher als es vorher bei diesem, heute in Frankreich lebenden, alten Jamaikaner der Fall war. Und dieses Album könnte sehr wohl gut dafür herhalten, sein letztes zu sein.

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)