Sattatree im Interview

Sattatree – “No Fear”

Die Band Sattatree ist mittlerweile schon ein Urgestein der Berliner Reggae-Szene. 2007 ging es an den Start. Seit dem gab es unzählige Auftritte und diverse Veröffentlichungen. Mit dem Debütalbum „Rootsman“ von 2010 haben sie deutliche Zeichen gesetzt. Danach kam das Album „Human Legalization“ mitsamt Dubversionen auf den Markt – ein umfangreiches Unterfangen. Jetzt liegt mit „No Fear“ ein aktuell neuer Longplayer vor. Jimmy I Muze gibt Antworten.

Was hat sich seit euren Anfängen in Sachen Anspruch und Sound verändert?

Jimmy: Weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ganz klar hat sich die Technik rasend schnell verändert und damit auch die Aufnahmemöglichkeiten von Audio-Produktionen. Alles wurde einfacher, flexibler und mobiler. So entwickelten wir eine neue Herangehensweise bezüglich unserer Arbeitsweise. Wir mussten uns nicht mehr für viel Geld in einem Studio einmieten und investierten das Geld lieber in eigenes Studio-Equipment. So erreichten wir eine ganz neue und andere Qualität unserer Produktionen. Einfach gesagt, konnte man ja nun ohne Zeitdruck so lange an einem Song arbeiten, bis man sehr zufrieden mit dem Endprodukt gewesen ist. Das ist wohl ein wesentlicher Fakt welcher für den Anspruch und den Sound steht.

Hinzu kommen die Einflüsse von außen. Erstmal kann man ja schon mal sagen, dass von der ursprünglichen Besetzung der Bandmitglieder von dem Album „Rootsman“ heute nur noch ich am Start bin. Danach folgte 2013 das Album „Human Legalization“, wo auch Sometimer dabei war und es immer noch ist. Mit Sometimer arbeite ich seit ca. 2008 zusammen, aber beim Debütalbum war er trotzdem noch nicht dabei. Ab 2014 hatten wir die Vierer-Besetzung, welche bis heute steht. Sometimer Kwame Gbemu am Bass, Miguel Alejandro Lagos Miranda an den Drums, Toni Farris (auf dem aktuellem neuem Album und live) an den Keys, Ajani McDowell (bisher live) an den Keys und meine Wenigkeit, Jimmy I Muze, an Gitarre und Gesang. Sometimer, Ajani und Miguel singen auch alle die Backing Vocals mit. Das hatten wir vorher nie. Maximal Sometimer hatte mit gesungen oder auch unser ehemaliger Bassist Jeff Chappa (“Rootsman”). Jedoch hatten wir das nie so ausgefeilt wie heute und jetzt. Das ist auch ein Fakt welcher für den neuen Sound steht.

Jan Kordas (ehemaliger Keyboarder) macht hauptsächlich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so intensiv mit und ist deshalb seit dem aktuellem Album „No Fear“ nicht mehr dabei. Was wir auch sehr bedauern, trotzdem sind wir noch mit ihm in Kontakt und hoffen auch, mit Jan hin und wieder mal ein easy Konzert zu haben.

Die lange Zusammenarbeit mit Sometimer hinterlässt Spuren und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Auf Grund seiner Erfahrungen ist er gleichzeitig auch ein guter musikalischer Lehrer für mich. Er bringt die Jazzeinflüsse und weitere Einflüsse wie Afro, Soul usw. mit rein. Mit ihm zusammen kann ich meine Kompositionen gut aufpumpen, bis es mir gefällt und mehr. Deshalb ist er auch mit mir zusammen Arrangeur für meine Kompositionen. Ab 2014 wuchs dann auch die Zusammenarbeit mit Miguel, Sometimer und mir sehr eng und produktiv bis heute zusammen. Schließlich landeten wir dauerhaft Dezember 2017 im Planet Earth Studio, wo sich dann bezüglich Studio noch mehr Möglichkeiten öffneten.

  1. Ein eigenes Studio, das von Miguel und mir betrieben wird.
  2. Die neue Community bzw. die alte Community nur enger zusammen. Und daraus entstehende Zusammenarbeit und Kontakte.
  3. So kamen wir ab 2019 zu unseren aktuellen Keysies: Toni & Ajani. Was für uns eine Ehere ist und für den Sound und Musik eine unbeschreiblich große Bereicherung.
  4. HaHa, wie immer habe ich den besten Mann in der Runde fast vergessen, dabei spielt er in Sachen Sound mit die wichtigste Rolle und er ist mit mir seit „Rootsman“ bis heute „No Fear“ dabei. Aldubb!!! Auch er hat eine bedeutende Entwicklung gemacht und auch das Album „No Fear“ profitiert von dem neuem Studio Planet Earth Sound und Alex seinem Knowhow.

Das hat sich in Sachen Anspruch und Sound seit unseren Anfängen verändert, und über das Resultat bin ich sehr glücklich.

Auf „No Fear“ besucht ihr einige eurer früheren Songs erneut, z.B. „Babylon“, „Judgement Day“, „Reggae Music“ und „Human Legalization“. Daneben präsentiert ihr ganz neue Tracks. Warum habt ihr euch dazu entschlossen, Tunes aus eurem Backkatalog wieder hervorzukramen und noch einmal aufzunehmen? Waren euch die „Originale“ nicht gut genug?

Jimmy: So, jetzt mal ganz schnell aus dem Bauch heraus gesagt, würde ich „Human Legalization“ auch auf dem nächsten Album wieder mit aufnehmen. Dieser Song und seine Message bringen mich und andere Bandmitglieder immer wieder dazu, den Song neu zu kleiden. Ohne, dass der Song sein Wesen verliert. Dieser Song berührt uns sehr. Jedoch würde ich mir wünschen, dass ich beim nächsten Album sagen kann, wir brauchen den Song nicht nochmal aufzunehmen, denn er ist nicht mehr aktuell. Leider ist er heute noch aktueller als zu seiner ersten Veröffentlichung.

Tatsächlich haben wir einfach Alles aufgenommen. Den ganzen Stoff, jede Probe wurde zur Aufnahme, alte und neue Songs, wir haben immer alles durchgezockt. Studiomusiker! Und dann hatten wir halt sieben neue Songs und viele gute und auch für uns sehr interessante neue Aufnahmen von unseren ersten, älteren Songs.

So ein Song lebt halt und kann viele Kleider tragen, man sollte ihm nur nicht zu viele Schönheitsoperationen verpassen. Jedoch ein anderes Outfit, Gefühl oder eine andere Stimmung und eben auch einen Anlass kann einem Song immer wieder weiter leben lassen. Ein Song stirbt ja nicht mit der Studioaufnahme und der daraus folgenden Veröffentlichung. Ganz im Gegenteil, ich sehe die erste Veröffentlichung auch immer als eine Art Geburt und dann kann das Baby weiter leben und wachsen.

Natürlich sollte man das auch nicht übertreiben und nach vorne schauen für neue Produktionen. Es muss eben eine gute Balance haben und diese war, denke ich, bei diesem dritten Album gegeben und wir dachten uns, hey come on, unsere Reichweite ist jetzt nun auch nicht so groß und für die Menschen, welche wir über das neue Album neu erreichen werden, sind auch unsere älteren Songs immer noch BRAND NEW!

Wenn ich euch jetzt entgegen halte, dass mir die frühere Version von „Babylon“ in Sachen Energie besser gefallen hat als die neue, musikalisch sicherlich deutlich reifere Version. Was sagt ihr dazu?

Jimmy: Was deine Rezensionen angeht kenne ich dich gut und vor allem schätze ich dich sehr dafür. Ehrlich gesagt finde ich es immer sehr interessant, wenn man auf unerwartete Reaktionen trifft. Da ich weiß, dass da draußen auch sehr aufmerksame Hörer unser Album bzw. unsere Musik hören, war mir gleich klar, dass die Meinungen dazu unterschiedlich sein könnten. Nun hat man ja auch den Vergleich, welchen wir nicht vorsätzlich zum Vergleichen geschaffen haben. Jedoch, vergleichen kann man nun trotzdem, wenn man möchte. Man kann es auch einfach auf sich wirken lassen, die alte „Babylon”-Version und die neue „Babylon”-Version. Ich mag die alte Version auch sehr. Es ist für mich auch, wie ein altes Foto und Erinnerungen …und die Melodica. Die neue Produktion mag ich aber auch mit den Backing Vocals von Miguel und Sometimer und den frischen Keys von Toni. Kann mich diesbezüglich gar nicht für “mag ich mehr oder weniger” entscheiden. Das ist es, was ich dazu sagen kann.

Wie eben schon angedeutet, ist euer Sound auf „No Fear“ deutlich gereift. Es gab sicherlich auch einen Wechsel in der Besetzung der Band und in der Haltung, mit der ihr an die Produktionen neuer Songs heran geht. Was hat sich getan? Eine veränderte Vision? Ein neuer Sound?

Jimmy: Haha, ich habe deine erste Frage als so umfangreich verstanden, dass ich denke, auch diese Frage damit schon beantwortet zu haben. Aber klar, die veränderte Besetzung der Bandmitglieder bezüglich Miguel, Toni und Ajani hat schon mal viel verändert. Es sind sehr gute Musiker, mit denen ich da zusammen arbeite, welche schon von sich aus ein hohen Anspruch mitbringen und ich möchte sie auch nicht enttäuschen – daraus entsteht eine professionelle Zusammenarbeit. Man respektiert und pusht sich gegenseitig und man weiß, was der Andere erwartet. Außerdem habe ich und auch andere Bandmitglieder mittlerweile auch eine Familie. Du kennst das bestimmt, die Zeit ist rar oder teuer, und so muss man die Zeit, welche man hat, effektiver nutzen. Das bringt dann auch mehr Qualität mit rein, weil man sich dadurch wieder Arbeitsweisen erschafft, welche einem schnelles und effektives Arbeiten und qualitative Resultate ermöglichen. Im Endeffekt arbeiten wir dadurch nun schneller und besser.

Seit einiger Zeit seid ihr mit eurem Studio in das Basement der Planet Earth Studios umgezogen. Ein Ort an dem sich Kräfte und Ideen mit musikalischer Versiertheit und frischen Einflüssen paart. Inwieweit hat es Synergieeffekte in dem neuen Umfeld gegeben?

Jimmy: Die Community kam nun durch das Planet Earth Studio noch enger zusammen. Das ganze Leben dort nimmt Einfluss auf einem selber. Man begegnet ständig Kollegen und auch anderen interessanten Menschen und zusätzlich wird man auch wieder mit weiteren Projekten verknüpft. Das ist auch gut. Dadurch wachsen auch wieder die Kontakte und Möglichkeiten. So kamen wir auch zu Toni Farris (Keys), der ja auch schon mit Gentleman und Alborosie unterwegs gewesen ist. Genauso auch Ajani Mc Dowell (Keys). Wenn Miguel einen Gig nicht spielen konnte, hat z.B. Josie (Drums bei Gentleman) auch mal ausgeholfen. Und welche noch unbeschreiblich bessere Aushilfe könnte man sich denn noch wünschen? Es läuft wirklich gut in diesem magischem Haus. Es inspiriert und hält Kreativität und Motivation auf Hochtouren.

Ihr arbeitet nach wie vor mit Aldubb zusammen, der u.a. auch für neue Dubversionen und den Mix verantwortlich ist. Was schätzt ihr besonders an ihm?

Jimmy: Er ist immernoch der schnellste Soundoperator im Haus, hat ein riesengroßes Herz, zeigt menschliche Wärme, gibt Support, ist fair, zeigt umfangreiches Verständnis. Er ist gut mit seiner Aufgabe als Hausherr im Planet Earth Studio gewachsen und macht einen extrem guten Hausfreund. Er ist noch gelassener geworden, sehr umgänglich, fleißig, er liefert Qualität, worauf man sich verlassen kann. Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten. Und er kann seinem Namen sehr gut das Wasser reichen. Denn was Dub und Reggae betrifft, ist er in Sachen Sound und Mixen immer noch meine Nr. 1.

Aktuell gibt es ein neues Video zu “The World Is Not Yours” – fein produziert von Imuze Films. Ihr nehmt also auch an dieser Stelle die Regie in die eigene Hand. Was sind hier eure gestalterischen Prämissen und wird sich Imuze Films in Zukunft auch anderen Artists widmen/anbieten?

Jimmy: Ehrlich gesagt kam dieser Move aus der Not heraus. Das Problem, das du als Musiker hast, wenn kein Major Label oder so hinter dir ist, ist die Tatsache, dass eigentlich jede Produktion zu teuer für dich ist. Und auf Dauer hast du halt mehr davon, wenn du in eigenes Equipment investierst und die Produktion (Audio & Video) selber in die Hand nimmst. Natürlich muss man auch irgendwie Bock darauf haben. Das mit dem “Bock drauf haben” war aber kein Problem. Tatsächlich stellte ich fest, dass ich das Medium Video in den letzten Jahren viel zu sehr vernachlässigt hatte. Das wollte ich ändern. Meine Freundin und Mutter meiner Kinder Lisa Imuze (Melodica) habe ich damit gleich mit angesteckt und sie hatte sogar die Möglichkeit, für sechs Wochen an einem Workshop über Videobearbeitung teilnehmen zu können. Das hat uns einige Basics verschafft und anfangs gut geholfen.

Jetzt nutzen wir natürlich das Equipment und sobald man was veröffentlicht oder Menschen einen dabei sehen, bekommt man auch schon die ersten Anfragen. Somit stecken wir gerade in weiteren Auftragsarbeiten für Musikvideo-Produktionen. Auch im Planet Earth Studio habe ich so einige musikalische Aktions abgedreht.

Was steht demnächst an? Was ist in der Pipeline? Weitere Aufnahmen, eine Tour?

Jimmy: Eigentlich so alles, was man mit so einem Album machen kann. Eine Tour wäre schön, bietet sich jedoch gerade nicht so an. Das Konzertbooking ist eine harte Nummer. Leider muss ich das auch selber machen und es ist einfach nur extremes Türklinken putzen per Mail. Aber man gibt ja nicht auf und so mach ich fleißig weiter, ändere ab und zu meine Strategie, versuche “up to date” zu bleiben und gib mein Bestes, bis ein Wunder passiert. Es werden wohl einige Gigs im Sommer auf Festivals folgen. Wie viele kann ich aber noch nicht sagen. Offene Verhandlungen und auch nur wenige Optionen sind der aktuelle Stand. Davon lassen wir uns aber nicht aufhalten. Wir haben auch im Studio und davor noch genügend zu tun und vor allem viel vor.Wir möchten natürlich noch mehr Videos verschiedenster Art abdrehen. Nicht nur Auftragsarbeiten, eher unsere eigenen Produktionen, z.B. mehr Videos zum Album. Remixe sind geplant und auch eine Aufnahme vom aktuellem Album mit akustischen Instrumenten (Unplugged Style). Und zum Herbst dann mal wieder ein großes Konzert in Berlin, wo wir auch die Band aufstocken möchten und Gäste mit einplanen. Ist aber alles noch nicht Spruchreif.

Das neue Album wurde auch sehr gut angenommen und hat uns in Radio-Playlisten gebracht, wo unser Sound neben der Musik läuft, aus welcher wir unsere Inspiration schöpfen. Das hat uns sehr geehrt und lässt gleichzeitig unsere Reichweite wachsen. Von Berlin nach Portland Oregon zurück in das Vereinigte Königreich, in die Schweiz usw.. Das hatten wir vorher so nicht erlebt und es kommen auch immer wieder neue Anfragen von Radiosendungen rein. Deshalb produzieren wir immer schön fleißig weiter, um die Menschheit mit guter Musik zu versorgen.

Interview: Karsten Frehe (Februar 2020)

www.sattatree.com

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.