Sankofa Soundsystem, Ruhrgebiet

Sankofa Soundsystem


Dieses Soundsystem-Interview ist ein Teil einer Reihe. Weitere Interviews findest du fortan in unserer Kategorie Soundsystem Culture.


Sankofa Soundsystem, Ruhrgebiet

Ein weiterer Winter gänzlich ohne Soundsystem Sessions geht ganz langsam seinem Ende entgegen. Grund genug für uns, die deutsche Szene weiter unter die Lupe zu nehmen. Für den dritten Teil unserer Soundsystem Interview Serie konnten wir Ralf, Julius und Kalle vom Sankofa Soundsystem aus dem Ruhrgebiet gewinnen.

Seit wann existiert euer Soundsystem und wo wart ihr bislang aktiv? Habt ihr reguläre Dances, womöglich in einer Homebase?

Ralf: Dem Reggae verfallen bin ich bereits seit 1994. Spätestens seit dem Summer Jam 1995 war es dann endgültig um mich geschehen. Zu der Zeit war Dancehall dominierend. Gegen Ende der 90er Jahre wurde Dancehall aber leider schlecht, ziemlich schlecht. Irgendwie habe ich es aber geschafft, mich bis 2014 durchzuschlagen. Zu dem Zeitpunkt wurde die Idee geboren einen eigenen Sound zu gründen. Nach langer Zeit der Planung und Theorie sollten 2015 die ersten Lautsprecher fertig sein und die erste Session stattfinden. Seit dem spielen wir regelmäßig in unterschiedlichen Locations. Eine feste Homebase haben wir leider nicht. Dafür aber regelmäßige Veranstaltungen im Druckluft, in Grevenstein und bei einigen uns ans Herz gewachsenen Festivals. Bei dem Entschluss einen Sound zu gründen und zu bauen haben wir festgehalten, dass es viel Geld kosten wird, wir nicht oft die Möglichkeit haben werden das ganze System aufzubauen und dass es eigentlich komplett sinnfrei ist. Ich würde sagen, das hat uns sogar noch in unserem Entschluss gestärkt. Tatsächlich kam es dann so, dass wir vor der Pandemie fast monatlich selber kleine Sessions hatten oder auf anderen Sessions zu Gast sein durften.

Wo bzw. wie seid ihr das erste Mal mit dem Thema Soundsystem in Berührung gekommen? 

Ralf: Die Frage klingt sehr einfach und eindeutig. Die Antwort ist es leider nicht. Ich denke mein erstes Soundsystem habe ich Ende der 90er auf einer Party in Essen gehört und gesehen. Damals habe ich das aber noch gar nicht so richtig wahrgenommen. Die zweite bewusste Begegnung mit einem Soundsystem war im Jahre 2002 beim 25jährigen Jubiläum von David Rodigan in Frankfurt Hahn. In einem Hangar war ein Sound aufgebaut und dermaßen laut aufgedreht, dass ich 15 Meter vor dem Hangar auf der Wiese liegend noch deutlich mein Mittagessen im Magen spüren konnte. Damals hat mich das eher irritiert und ich habe mich gefragt: “Wie halten die das da drin aus?”

Auf dem Reggaejam bin ich natürlich auch häufiger beim Dubcamp gelandet. Irgendwann fing ich an, mich für die Wand zu interessieren. Damals habe ich mich noch gefragt, warum in der Mitte so Holzkisten “ohne Lautsprecher” drinnen sind. Das waren natürlich die Kick Hörner. Da sieht man die Pappen nicht. Wieder daheim bei meinem guten Freund Martin auf dem Dachboden haben wir unseren neuen Platten gehört. In dem Augenblick kam die Sehnsucht nach dem fetten Sound in mir hoch. Die heimische Anlage reicht zwar, um die Nachbarn zu ärgern, aber die physische Erfahrung bleibt aus. Ich habe also angefangen, im Netz nach Bauplänen zu suchen, um etwas mehr Bass in die Angelegenheit zu bringen. Schnell bin ich bei Scoops und Hörnern gelandet und habe gelernt, dass Hörner Rudeltiere sind. Es macht keinen Sinn, mal ein einzelnes zu bauen. Auch habe ich gelernt, dass man mit leichten und günstigen Pappen keine guten Ergebnisse erzielt. Ich bin tiefer und tiefer in die Materie eingestiegen und habe irgendwann dann den Entschluss gefasst: „Wenn ich das mache, dann mache ich das auch richtig!“ Also wurde in Projektplan über mehrere Jahre erstellt und erfreulicherweise daheim auch abgesegnet. (Danke, Schatz)

Kalle: IQSR – I-Quality-Sound-Rockaz outta Cuxtown. Mich haben die Rockaz damals 2015 erreicht. Ich wurde spontan auf ´nen “Reggae” Abend in meiner Stammkneipe eingeladen und hab wie gewohnt erwartet, dass es punk-mäßige Live-Mucke gibt. Meine Jugend habe ich mit vielen schönen Ska-Punk Konzerten und Festivals verbracht, der Sprung zu einem Dub-Soundsystem war also nichts zu weit und doch war ich völlig baff von der ersten Session! Ich kam rein und fand mich zwischen zwei 2er-Stacks wieder. In der Mitte des schlauchigen Ladens und damit auch der beiden Stacks standen Bird und der Rest der Rockaz. Bird kannte ich schon aus dem Huddle-Store. Ich habe nicht geahnt, dass er nebenbei noch ´nen ultra herbes Soundsystem mit seiner Crew befeuert. Mehr muss ich glaub ich nicht sagen. Ich blieb die ganze Nacht, mal ordentlich am Springen, mal skankend und auch mal völlig nass geschwitzt draußen im Schnee. Das Ganze ging bis in den Morgen mitten im alten Cuxhaven. Von da an war ich häufig bei Bird im Laden einfach zum Mucke hören, philosophieren und natürlich auf den Partys und so dann auch mal in Hamburg bei Solid-Mojo und Hibration.

Zurück in der Heimat im Herbst 2017 stand ohne Frage fest: Ein Soundsystem ist auch bei mir in der Heimat dringend gebraucht! So schrieb ich dem einzigen Soundsystem was ich so zu der Zeit im Pott fand und landete sehr schnell mit Ralf in der Trinkhalle in Bochum. Relativ schnell wurde ich zum Ziehsohn von Ralf und Andrea und 4 Monate später gab es ne richtig dicke Session in nem Bunker in Duisburg. So fand ich ne bunte Truppe, also eine Familie, und damit den Weg in mein heutiges Gewusel in 2 Kulturvereinen.

Big Up Irie Bird and Sankofa Ralf!

Ralf: PS: Kalle kam erst mal fett zu spät. Aber immerhin konnte er Bier trinken. Das gab Pluspunkte.

Julius: King Shiloh Soundsystem Weekender, Amsterdam im April 2014! Dem Ruf eines guten Freundes folgend, buchten wir die Tickets und quartierten uns auf einem Hausboot ein. Im Nachhinein kann ich nur sagen: Das Ausmaß der Reise und was es für Folgen für mich hatte, ahnte ich weder vor, noch während des Weekenders. Ohne zu wissen, was mich erwartet, fand ich mich am ersten Abend in der Mitte der skankenden Massive wieder. Der Sound, die Vibrations zeigten sofort eine Welt auf, die ich bis dato nicht kannte und eine Seite an bzw. in mir, die bisher verborgen lag. Nie davor habe ich mich gerne in Clubs zu der präsentierten Musik bewegt und um ehrlich zu sein, hatte ich mit Reggae davor auch nichts am Hut. Mein Herz hing am Old School Hip Hop und zumindest was das anging, begeisterten mich raffinierte Baselines, organische Melodien und interessante Samples in der Musik. Was an dem Wochenende in Amsterdam passierte, konfrontierte mich doch sehr mit einer Welt, von der ich gar nicht wusste, dass sie existiert. Und so konnte ich das Privileg noch gar nicht begreifen, an dem Wochenende neben Iration Steppas, Mad Professor auch den Dubmaster himself – Lee ‘Scratch’ Perry – auf King Shiloh’s ‘altem’ Rig zu erleben. Vor allem, dass mich die Musik auf natürlichste Art und Weise in Bewegung setzte und ich am Ende des Abends das Gefühl hatte ein Stück weit befreiter zu sein, als noch vor Beginn der Session, sind mir noch in lebhafter Erinnerung.

Der zweite Abend bestätigte dann das zuvor Erlebte und mir wurde klar, dass hinter der Musik und den großen Boxen mehr steckte als auf den ersten Blick ersichtlich war. Das Erlebnis hat mich tief beeindruckt, inspiriert und beschäftigte mich noch lange Zeit nach dem Weekender. Und so sehe ich es glückliche Fügung, dass ich ab dem Sommer 2014 häufig in Münster war und entdeckte, dass eine lebendige Soundsystem Szene weitere Erkundungsmissionen in die neue Welt ermöglichten. Meine zweite Session war die von Roots Plague mit den Gästen des Blackwood Soundsystem im Triptychon und zeigten mir dann, dass ich nicht nach Amsterdam fahren muss, um Soundsystem Culture zu erleben. Und seitdem zog es mich auf viele Sessions von den Soundsystemen, die ich in NRW erreichen konnte – notfalls auch alleine. Bei jeder Session stand ich vor den Boxen und fragte mich, wie das alles möglich ist. Eins war klar – ich musste rausfinden wie das System funktioniert und am besten ein eigenes System bauen. Leider konnte sich keiner meiner Freunde damals so sehr dafür begeistern und ich verlor schon die Hoffnung Gleichgesinnte zu finden. Bis ich im Februar 2018 entdeckte, dass in meiner Nachbarstadt, in Bochum, eine Session in der Kletterhalle stattfinden sollte, von einem Soundsystem, das ich nicht kannte. Und so lernte ich an dem Abend Ralf und Kalle kennen. 3 Tage später haben wir uns dann direkt in Münster beim Dubkarneval wiedergetroffen. Ralf hat es schnell verstanden, Nummern ausgetauscht und gefragt, ob ich Lust habe, Scoops zu bauen. Ich glaube es sollte so sein. Dafür bin ich ewig dankbar! Auch von mir: Big Up Ralf, any time! Big up, Operator Kalle!

Ralf: Ihr seid schon ein wenig niedlich Danke für die Blumen.

Haben euch spezielle Events oder andere Soundsystems dazu inspiriert, ein eigenes System in Angriff zu nehmen?

Ralf: Die Faszination für ein Sound System im Sinne von Lautsprechern und Hardware hat mich tatsächlich auf dem Dubcamp des Reggae Jam ereilt. Die Motivation, einen eigenen Sound zu bauen kam jedoch eher aus dem eigenen musikalischen Vakuum, was der Dancehall der Nullerjahre hinterlassen hatte. Ich wollte endlich den Style, den ich selber so sehr liebe, über einen Sound hören und spielen. Unabhängig davon, ob hinter den Turntables mehr Leute stehen als davor. So etwas wie einen spirituellen Wendepunkt hat es hier nicht gegeben. Die Natur der Soundsystems Sessions habe ich erst nach dem eigenen Entschluss kennengelernt, als ich zu mehr und mehr solcher Sessions gereist bin, um andere Anlagen und andere Sounds zu hören.

Julius: Ganz klar – Simbassy Soundsystem! Dirk, ich hoffe du veranstaltest bald mal wieder eine Session!

Was begeistert euch an der Soundsystem-Kultur?

Ralf: Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man Soundsystem-Kultur definieren könnte. Deshalb fällt mir eine Antwort hier schwer. Ich führe einfach mal aus, was mich ganz persönlich so an dem gesamten Thema fasziniert. Als sozialen Aspekt kann ich hier die Gruppe, das Team hervorheben. Man ist kein einzelner DJ, der mit seiner Musik auf Partys Leute unterhält (was auch vollkommen ok ist..). Man arbeitet als Team. Man arbeitet zusammen. Im Idealfall hat jeder seine Rolle, die er erfüllt. Es ist eine geteilte Leidenschaft mit seelenverwandten Menschen, mit denen man gerne Zeit verbringt. Rein technisch fasziniert mich die Vielfältigkeit. Kenntnisse über PA Technologie, Kenntnisse über Simulationssoftware, Design von Lautsprechern, Holzarbeit, Einmessen von Anlagen. Auch mit dem Lötkolben sollte man umgehen können. Erst recht, wenn man eigene Effekte zusammenlöten möchte.

Soundsystem Technik

Kalle: Ouh das sind ne Menge Sachen ich versuche mal Ralfs Gedanken zu ergänzen! Am offensichtlichsten ist wohl die Musik! Ob neues präzise-digital produziertes Brett oder warm-umarmender Roots mit spirituellem Teaching, die Soundsystem-Kultur delivered ein doch sehr vielfältiges musikalisches Spektrum und für Begeisterte von gepflegten Offbeats kann ich mir absolut nix besseres vorstellen!

Wie Ralf schon sagte: die Menschen welche, selbstorganisiert und vernetzt, fette Dances und das ganze drumherum organisieren. Als wäre das nicht schon fett, läuft es oft komplett ohne kommerziellen Gedanken und dadurch auch bezahlbar.

Julius: Gemeinschaft, ein Ort für Kultur, der sich um das Soundsystem entfaltet und von Menschen gefüllt wird, die einen Beitrag leisten wollen. Für mich steht das für vieles, was ich andernorts in der Gesellschaft vermisse. Und zu sehen, dass Menschen auf neue Art mit der Musik konfrontiert werden, eigene Freiräume finden, sich miteinander vernetzen, in den Austausch gehen, das begeistert mich. Es geht um mehr als nur um die Musik und unterscheidet sich grundlegend von vielen anderen Formen der Tanzmusik, Clubs oder Events. Solange die Stromversorgung gesichert ist, kann man sich sicher sein, dass lebendige Kultur darum entsteht. Was mich auch noch begeistert: Egal wie viel oder wenig man von der Technik versteht, man findet immer einen Platz etwas zum Auf – und Abbau einer Session beizutragen. Natürlich der Fokus auf Musik, auf Technik und das ewige Unterfangen durch die Weiterentwicklung der Technik immer wieder neue Elemente der Musik freizulegen.

Warum habt ihr überhaupt ein Soundsystem gebaut und nutzt nicht einfach Standard-PA-Komponenten?

Ralf: Ja aber… es sind doch Standard PA Komponenten. Die einzige etwas ungewöhnliche Komponente ist vielleicht die Bassrutsche. Reggae, Dub, Dancehall, Steppas.. sie alle Leben von den rollenden oder pumpenden Basslinien. Natürlich legen wir dann großen Wert auf guten Sound in diesem Frequenzbereich. Man kann guten Sound auch mit vielen anderen Designs bekommen. Ausreichend viele Bassreflex Lautsprecher würden ihren Job genauso tun. Die Vorliebe zu Scoops hat ihren Ursprung vermutlich bei den frühen Soundsystems von Jamaika. Lautsprecher waren teuer, Holz war günstig. Da liegt es nahe, bei einem begrenzten Budget mit Scoops möglichst viel Leistung im Bassbereich herauszuholen. Die Designs von damals haben mit den Scoops und Treibern, wie wir sie heutzutage einsetzen, kaum noch etwas zu tun. Die Kisten wurden bis weit in den Mittenbereich betrieben, was klanglich eher “geht so” war. Die unterschiedlichen Laufzeiten des nach vorne gerichteten Lautsprechers und des langen hinteren Horns führen zu einem deutlichen Einbruch im Frequenzbereich, sobald wir den tiefen Bassbereich verlassen. Heutzutage trennen wir vorher den Frequenzbereich ab und setzen Kicks drüber. Ein zwei Wege Bass. Aber wenn man ordentlich Druck bis in die ganz tiefen Frequenzen möchte, dann braucht man das halt. Aber wie gesagt würden das auch andere Designs liefern. Paraflex, BR, Bandpass, etc.

Auch entlang der Signalkette finden wir eigentlich gar nicht so viele Besonderheiten. Gut, der PreAmp. Aber der ist ja eher Glaubensfrage. Am Ende des Tages sind das auch nur Bestandteile wie Equalizer, Frequenzweichen, Fader, Ein- und Ausgangskanäle, eingeschliffene Effekte usw. Das geht auch sehr, sehr gut mit modularen Standardkomponenten. Dann hat man es nur nicht so schön ergonomisch angeordnet und es ist nicht ganz so kultig. Aber man bekommt die einzelnen Standard-Komponenten auch so gut bedienbar in ein Rack eingebaut. Und kann bei Defekten oder Veränderungswünschen sogar einzelne Komponenten einfach austauschen oder gar weg lassen statt den ganzen PreAmp einschicken oder die Session abbrechen zu müssen. Man sieht vielleicht, wo beim Thema PreAmp meine Meinung so hin geht….

Boxen bauen

Habt ihr bei euren Selections Vorlieben? Welche Musik ist bei euren Dances zu hören?

Ralf: Wie oben bereits kurz erwähnt bin ich mit Rub A Dub und Early Dancehall durch die Teenie- und Twen-Jahre getanzt (PS: Ich bin Mitte 40). Ich liebe den Vibe noch immer. Aber meine erste große Liebe gehört einzig und allein dem Roots. Später kamen noch Dub und Steppas hinzu. In den 90ern habe ich den JA-Dub sehr geliebt. Tubby, Perry, Scientist. Aber auch die UK-Produktionen im Auge behalten. Ab irgendeiner Version der King Size Dub Serie hat es mir aber nicht mehr zugesagt. Zu weit weg vom Reggae. Ich bin dann erst später wieder dazu gekommen. Über meine Freunde Till und Ela und ihrem Red Stack Soundsystem habe ich Rocksteady, Ska und Soul intensiver wiederentdeckt. Es gibt so großartige Tunes in dem Bereich!! Die Dances sind also sehr vielseitig. Dabei sind wir sehr darauf bedacht, im Vorfeld klarzumachen, was so laufen wird. Wenn Dub+Steppas dran steht, dann wird das auch gespielt und die Bude brummt. Auf einer Rub A Dub Night hört man dann auch entsprechende Produktionen von Johnny Osbourne, Garnet Silk, General Saint oder Lord Sassafrass, auch wenn Kalle und Julius dann immer etwas das Gesicht verziehen. Bei einer Nachmittagssession auf einem Festival läuft Roots. Wenn Spielzeit und Rahmenbedingungen es zulassen, ist alles mit dabei. Es ist also bunt und abwechslungsreich.

Kalle: Hehehe, ich mag die kleinen musikalischen Kabbeleien bei uns immer wieder! Ich bin froh übers Ralfs Entwicklung Richtung noch früheres Jamaika und lasse mich regelmäßig bereichern und erleuchten, wenn Pupah Ralf wieder ´nen richtig dicken Tune aus´m Ärmel krempelt. Mir geht’s bezüglich des Roots-Reggaes ziemlich genauso wie Ralf. Mich findet man häufig aber nicht an meinen Platten sondern eher an den ganzen bunten Knöpfen und doch gibt’s eine Besonderheit bei mir: Mindestens einmal pro Selection gibt’s bei mir einen Tune von Groundation zu hören. Es gibt für mich kaum bessere Musik!

Julius: Ganz klarer Fokus auf Roots Music als Foundation (Niney the Observer, Yabby You, Lee Scratch Perry, Augustus Pablo, Twinkle Brothers) bevor es über den Dub (Scientist, Tubby, Jammy) in den UK Steppa (Alpha & Omega, King Earthquake, Blakkamix) geht. Das Muster zeichnet sich schon bei jeder Selection ab. Viel Fokus auf die Versions. Und seit einiger Zeit gesellt sich explorativer Dub dazu (Rythm & Sound, Babe Roots, Jah Schulz und Akashic Records).

Gibt es besondere Künstler*Innen, Produzent*Innen oder Labels, die ihr besonders mögt und dementsprechend auch häufiger spielt?

Ralf: Welches eurer Kinder liebt ihr denn am meisten? Kann man auch nicht seriös beantworten. Ich versuche trotzdem einen Eindruck zu geben: Horace Andy, Barrington Levi, John Holt, Dennis Brown, Scientist, Johnny Osbourne, Twinkle Brothers, Gaylads, Keith and Tex, Melodians. Aber auch Alpha Steppa, Revolutionary Dub Warriors, Afro Celt Sound System oder Dub Judah.

Kalle: Joa wie gesagt Groundation!

Julius: Das Meiste steht oben. Ein Label was ich besonders gerne mag: Darker Shades of Roots aus der Schweiz. Findet in jeder Selection Platz.

Ihr legt bei eurem Sound viel Wert auf einen angenehmen Klang. Wie sollte ein Soundsystem klingen, damit es euren Standards entspricht?

Ralf: Ich mag einen „sauberen“ Klang und warme, mich liebevoll umarmende Bässe, die man spürt, aber bei denen man noch mit jemandem kommunizieren kann und keine Stöpsel braucht. Wenn es scheppert, kreischt oder sofort die Ohren klingeln muss ich weg.

Kalle: Kann mich Ralfs Statement nur gänzlich anschließen! Meine persönlichen Ohren sind auch kein Freund von sehr spitzen Höhen wie sie gern aus Tweetern geschossen kommen, auch nasal klingende Vocals finde ich immer schade! Auch wenn scheppernde Objekte abseits der Speaker mich manchmal eher mitreißen, eigentlich nervts.

Julius: Da sind wir alle auf einem Nenner! Ralf hat da eine eigene Philosophie, mit der man sich schnell anfreunden kann. Immer auf den Pegel achten und dann an den schweren Endstufen, falls noch Headroom da ist, “abtasten” was die Pressungen hergeben. Und am besten etwas zur Modellierung des Basssignals. Ich bin der Meinung, dass man sich direkt vor den Boxen nicht mehr unbedingt unterhalten können muss. Dennoch so spielen, dass alle zwischen Controltower und Boxen einen Platz finden, an dem sie sich wohl fühlen.

Gab es bei euren bisherigen Veranstaltungen schön Gäste? Andere Soundsystems und/oder Künstler*Innen/ Produzent*Innen?

Ralf: Huiiii. Ja, viele. Alleine über den SoundSystemKultur-Verein sind wir immer irgendwie zusammen mit Red Stack, Zion Garden, Outernational Sounds, Goodboy Soundsystem, Sightiva HiFi. Wir hatten tolle Sessions mit Roots Plague, Soulfood, Blackwood, Crucial Vibes, I Livity Hifi, Graograman, Rebelion Soundsystem. Beim Reggae River Splash hatten wir ein großartiges Wochenende mit Torsten JahArmy, Wolf Fyahball, JahSchulz und Herti vom MortalKombatSound. Bei den Irie Ites durften wir zu Gast sein. Mit RasTinny und iSt3p hatten wir in der Rotunde Bochum eine Veranstaltung. Chalwa Sound mit Olli und Yugo. Peiffen (ok, eine echte Session steht noch aus…), Shine Ya light (Auch hier steht noch ne echte Session aus. War eher ein Longside beim Weekender), Schoolyard, World Receiver, Roots & Culture, Dreadical Warriors. Selber zu Gast durfte ich bei Tom Bauminista sein. Tom muß dringend noch in den Pott geholt werden. Großartiger Typ! Das Konzert (ohne Soundsystem) was wir mit den Rude Reminders, Horsemouth, Big Youth, Kush Art, Kiddus I und Lloyd Parks. Wahnsinn!

Und ich fürchte ich habe bestimmt noch welche vergessen. Mea maxima Culpa. Fühlt euch bitte alle gewertschätzt.

Mir fällt auf, dass ich nicht nur unsere Gäste sondern auch unsere Besuche aufgezählt habe. Und nicht nur Sankofa Soundsystem, sondern auch Veranstaltungen vom SoundSystemKultur Ruhr-Revier und Action Speaks louder than Words. Da sind die Pferde wohl mit mir durchgegangen. Aber die Grenzen zwischen Sound und den Vereinen sind eh fließend.

Das Betreiben eines Soundsystems hat neben der Musik viel mit Technik zu tun. Stellt bitte eure aktuelle Hardware für die technisch interessierten Leser*Innen vor.

Ralf:

  • 4 Eighteensound 18nlw9601 im Custom Scoop (etwas längerer Hornweg als Sooper Scoop, etwas größerer Mund. Ätsch)
  • 2 PD 186 im G-Sub (Schön rund für Roots. Geht auch ohne Scoops wenn es mal kleiner sein muss)
  • 2 Eighteendound 12ND610 und Eighteensound ND1480 im MT121

Alles mit vielen Griffen und Rollen. Kleiner O-Ton von einer Session: F: „Warum seid ihr schon fertig mit verladen??“ A: „Weil wir Rollen haben“. Was würde ich anders machen wenn ich nochmal bauen würde? Noch mehr Rollen und noch mehr Griffe.

  • Alles übrigens mit Crowns oder Pronomic angetrieben.
  • DCX als Weiche (Macht was sie soll. Auch wenn ein Ohr drauf ist)
  • Klassisches PA-Mischpult, mal mit nur einem TT/PhonoPre dran und Effekten, mal mit DJ-Mixer noch davor und 2 TT. Je nach Style. Dazu ein paar Echos, Sirenen, etc.
  • Mic (zu wenig benutzt)

Und natürlich der blaue Klaus. So heißt der Anhänger, in dem immer wieder auf mystische Weise mit viel Körpereinsatz alles verschwindet und wo wirklicher jeder Zentimeter genutzt ist.

Der blaue Klaus

Als TT kommen entweder die Technics von Daniel zum Einsatz oder mein alter Omnitronic. Dreht sich auch. Ich gebe aufrechten Hauptes zu, auch einen Controller zu besitzen. Dem Shitstorm der anderen Sound-Members konnte ich mich aber noch nicht widersetzen. Der kam noch nicht zum Einsatz außerhalb meiner 4 Wände.

Kalle: Und das ist auch gut so…

Julius: Mittlerweile ist aus einem kleinen Hi-Fi Projekt für’s Wohnzimmer ein kleiner Ableger aus dem Soundsystem entstanden, der die sessionfreie Zeit der letzten 2 Jahre überbrückt hat. Alles mit Ralf konzipiert und gebaut: BR – 18″ PD 1851/2 MT- 2x 10” Eminence Delta-10 & 1x RCF N350 + 18 Sound XT1086 Amp – Pronomic TL-1200 Weiche – DCX und interne Weiche im MT Mischpult –Allen & Heath ZED-14 TT – Project Debut Carbon Evo Boss RE-20 Space Echo Benidub Filtro Unit IT

Ralf: Mich hat das auch über die sessionfreie Zeit getragen. Es hat viel Spaß gemacht, Julius!

Alleine schon logistisch ist ein Soundsystem herausfordernd. Wer macht bei euch was? Wer legt auf, wer macht die Flyer, wer baut auf etc.?

Ralf: Ach, das überlasse ich mal Kalle und Julius. Ich bin gespannt.

Kalle: Karten auffen Tisch: Seitdem ich beim Soundsystem bin, kann ich wohl alle Fragen mit Ralf beantworten. Es gab eine Zeit, da habe ich mit Ralf beruflich zusammengearbeitet und wir haben auch abseits davon viel Zeit zusammen verbracht da ging auch viel von meiner Seite was Planung, Koordination und vor allem die Schlepperei angeht. Es gibt da einen sehr bezeichnenden Tune von Freddie Mckay namens Another Weekend. Ich erinnere mich an viele Morgende und gemeinsame Sonnenaufgänge zusammen mit Ralf nachdem wieder mal der größte Teil der Crew nicht beim Abbauen und am Start war, sondern berauscht in irgendeinem Zelt, Auto oder gar zuhause lag. Trotzdem ein uneingeschränktes Big Up an Big D, Jules, Johnny the Jerker, Martin, Björn, Lina, Fidel, Jaron und alle anderen Friends! Irgendwie haben wir alle einen Anteil an den verrückten Aktionen und Dances der letzten Jahre. Und natürlich an die gesamte Szene, irgendjemand der mal eben den Sound mit abbaut hat sich selbst zu fortgeschrittenen Morgenenden stets gefunden.

Ralf: Wenn wir schon bei den Props sind: Daniel, Sven und Andre. Big Up! Wenn alle anderen Bastionen gefallen sind, Mordor seine Schatten aussendet und die dunklen Armeen uns umzingeln: die drei stehen noch aufrecht Seite an Seite und reißen das Ding noch rum.

Julius: Ohne Ralf läuft hier gar nichts. Und ohne Kalle eben auch nicht. Ralf lagert alles in seinem Keller und ist auch noch jedes Mal der Fahrer. Ohne Ralfs Initiative, Anpacker-Mentalität und Ausdauer wäre wohl die ein oder andere Session anders oder gar nicht abgelaufen. Auch Daniel – immer zur Stelle, Big Up! Und eben viele weitere helfende Hände. Seitdem ich dabei bin, sehe ich Kalle als Tausendsassa in allen Rollen. Koordinator, Anpacker und Pragmat, immer mit dem Auge fürs Detail und für Deko. Ich versuche da anzupacken, wo ich Arbeit sehe. Boxen schleppen, stacken, verkabeln. Seit einiger Zeit verkable ich den Controltower, mit letzter Inspektion durch Ralf. (Ich mach meine Hausaufgaben gerade am kleinen Soundableger im Wohnzimmer.) Wenn es dann um das Auflegen geht und kein anderer will, spiele ich alles was die Plattenkiste hergibt. Es kommt nicht selten vor, dass Kalle dann neben mir am Control-Tower steht, und ich staune was er aus der Technik rausholt. Wenn Ralf, dann auch noch happy ist, wenn die Boxen wieder ausgeladen und in seinem Keller verstaut sind, war die Arbeit (meistens) gut verteilt.

Ralf: Jetzt bin ich schon etwas beschämt. Das sieht ja jetzt etwas wie fishing for compliments von mir aus. Ich wollte doch nur mal andere zu Wort kommen lassen. Also hier nochmal auf den Punkt, jeder leistet hier seinen Beitrag. Kalle ist eine Ikone an den Effekten, Julius spielt sehr kreative Selections und ist ein großartiger Networker. Fidel liefert musikalisch tolle digitale Impulse. Johnny ist der Koch und rockt immer die extrem leckere Verpflegung. Bei den selbst gemachten Soßen aus heimisch angebautem Chilli sollte man vorher unbedingt fragen, was einen so erwartet. Johnny haut auch geile Selections raus und sogt immer wieder für Überraschungen. Kühn ziert sich beim Auflegen, aber wenn ich ihn mal soweit habe, kommt da echt nen Pfund! Anpacken kann er übrigens für drei. Björn tritt eher leise daher und packt überall mit an. Wenn er dann aber mal die TTs übernimmt, bin auch jedes Mal begeistert. Mehr davon. Lina liefert kreative Impulse und hat schon den ein oder anderen Flyer gezaubert. Zu Big D, Sven und Andre hatte ich meine Lobhudelei ja schon oben verschossen.

Welche Visionen habt ihr für euer Soundsystem? Was steht demnächst an?

Ralf: Wer Visionen hat sollte zum Arzt gehen. Ich genieße unsere Sessions mit dem familiären Touch. Die akustische Weltherrschaft ist mir schnuppe. Wenn wir Gäste haben, geben wir uns auch immer Mühe, etwas vom Ruhrgebiet zu präsentieren und gute Gastgeber zu sein. Am besten dauert so ein Besuch das ganze Wochenende und nicht nur eine Session lang.

Als nächstes steht erst mal das Freedom Sounds in Köln an. Zwei Mal ist ein Weekender auf dem Land geplant. Mit Helmut Philipps möchte ich im Mai einfach mal draußen aufbauen, bis die Offiziellen uns scheiden. Für aktuelle Verhältnisse reicht mir das erst mal.

Kalle: Bei mir hat sich über die Jahre viel in andere Dinge des Lebens und die Vereine verlagert und damit bin ich der Vision eines Netzwerkes für Menschen mit viel Liebe für Soundsystems im Pott aufzubauen immerhin ein Stück näher gekommen. Vielleicht muss ich Ralf in die Falle einer Visionssuche à la Trinkhalle, Plattenladen oder Festival locken. Mir fehlt traurigerweise seit Beginn der Pandemie irgendwie regelmäßig die Vision fürs Soundsystem oder auf gut deutsch nen ordentlicher Arschtritt.

Julius: Mit dem Bau eines eigenen, kleinen Soundsystems ist ein Teil meiner Vision umgesetzt. Ich sehe das Ganze als Zweig vom Sankofa Soundsystem, dass in kleinerem Rahmen auch woanders spielen kann, auch an Orten, die kein großes Soundsystem aufnehmen können oder an denen Menschen nur Kontakt mit PAs hatten, nicht aber mit Soundsystemen. Meine Vision ist es das Konzept des Soundsystem, der Kultur dahinter zu zeigen und zu präsentieren und mit musikbegeisterten Menschen anderer Musikrichtungen ins Gespräch zu kommen. Als nächstes Kapital für mich steht ein längerer Exkurs nach Hamburg an, der Mini-Sound kommt natürlich mit. Neue Boxen für den Mini-Sound bauen, als nächstes kommt der Kick. Immer mit dem Anspruch, alle Elemente des Mini-Sounds jederzeit in das große Soundsystem integrieren zu können. Eins steht fest: Für jede Sankofa Session, die in diesem und in den kommenden Jahren ansteht, komme ich zurück! Ich bin mir sicher, irgendwann zieht es mich wieder zurück in den Pott oder Umgebung, hoffentlich dann möglichst nah an einem Proberaum, in dem das System aufgebaut bleiben kann und wir uns neuen Projekten zuwenden können. Ich freu mich drauf!

Welche besonders wichtigen Tipps habt ihr an diejenigen parat, die derzeit darüber nachdenken, selbst aktiv zu werden?

Ralf: Erst viel vernetzen, lernen und planen. Dann kaufen und bauen. Ich habe schon vielen Sounds beim Planen geholfen und mache das auch gerne. Aber bitte kommt nicht mit vollendeten Tatsachen, geringer Lernbereitschaft und erwartet dann die Rettung der Welt. Dann gehe ich echt lieber mit meiner Tochter(15) schwimmen. Zum Glück nimmt sie mich noch mit.

Hier noch einige Mixtapes und Recordings:

 

Interview: Michael Volkmar  (02/2022)

 

About Micha

Micha is Selecta & Operator at Irie Ites Soundsystem. His favourite styles are Roots, Roots Dub and Rockers.