SEEED

 

Seit der Veröffentlichung von diversen Maxis und ihrem Longplayer „New Dubby Conquerors“ auf Downbeat/WEA sind Seeed aus Berlin in nahezu aller Munde. Die Melange aus Reggae, Dub, Dancehall und ein wenig HipHop bringt frischen Wind in die hiesige Musikszene. Wer das Glück gehabt hat, Seeed live zu erleben, wird von ihrer Bühnenpräsenz beeindruckt gewesen sein. Vor ihrem Konzert am 28.7.2001 in Hamburg (Stadtpark) gaben Pierre Baigorry aka Enuff, Frank A. Dellé aka Eased und Demba Nabé aka Ear auf unsere Fragen bereitwillig Auskunft.

 

Wie lange gibt’s eigentlich Seeed schon und inwiefern gibt es bei 11 Bandmitgliedern musikalisch Vor- und Parallelgeschichten in Form von Bands und anderen Projekten?

Demba: Seeed gibt’s jetzt ungefähr drei Jahre und es sind alles Musiker, die sich jetzt ziemlich lange kennen. Die meisten spielen auf jeden Fall auch noch in anderen Bands oder haben zumindest in anderen Bands gespielt bevor es Seeed gab. Und jetzt seit es Seeed gibt, ist es schon ein Fulltime-Ding. Gerade im letzten 3/4 Jahr, würde ich sagen, macht keiner mehr etwas großartig anderes. Aber vorher gab’s auf jeden Fall diverse Bands so in allen möglichen Richtungen...Metal, Jazz, Afro...

Frank: Ich hatte seitdem ich 17 war für drei, vier Jahre eine zehnköpfige Reggaeband, also so etwas ähnliches wie dies, wo allerdings ich der Sänger war, eine Backgroundsängerin mit dabei war und es von der instrumentalen Besetzung so ungefähr wie bei Seeed war. Und dann gab’s die lange Zeit des Studiums in Berlin – deswegen bin ich auch nach Berlin gekommen. Und Seeed ist jetzt seit drei Jahren ungefähr am Start.

 

Ihr seid 3 von 11 Leuten. Wie läuft es ab, wenn ihr Lieder schreibt? Sind es die drei, die jetzt hier sitzen, oder alle 11....oder...wie entsteht so ein Song bei euch?

Demba: Es gibt Basic-Hooks von Pierre, Riddims. Wir schreiben die Texte und setzen die Chöre aus. Im Übungsraum werden Scratches gebaut und alles was sonst noch dazukommt. Es gibt meistens so’nen Strang, so einen Grundstrang von Irgendwas, Bass, Schlagzeug und ein bisschen Gesang, so Gesangs-Hooks oder so etwas.

Frank: Die Ideen von dieser Platte kamen zu größten Teil von Pierre aber die ausgearbeiteten Versionen, wie sie dann live gespielt werden, die entstehen dann im Grunde genommen im Probenraum.

 

Als ihr angefangen habt, diesen Stil zu entwickeln, wie er jetzt auf der Platte ist...habt ihr damit gerechnet, dass es schon so etwas wie ein Hype werden würde?

Frank: Tja, ich war tierisch erstaunt. Ich mache ja, wie gesagt, seitdem ich schon jung bin Reggae – eben auch diese Musik - und hörte immer nur, „Du mit deiner Reggae-Musik“. Diese Verbindung zu Urlaub, zu „I don’t like Reggae“, „Sunshine Reggae“. Wenn man jetzt vielleicht nicht gerade in Berlin ist, das ist ja eine Großstadt, in der es auch schon immer Reggae auf einer viel breiteren Ebene gegeben hat als, sagen wir mal, in anderen Städten. Ich  hab’ lange in Trier gelebt, zum Beispiel, da waren es doch Metal und Funk im weitesten Sinne...und ich mit meiner Reggae-Musik war da immer relativ alleine. Deswegen hab’ ich überhaupt nicht damit gerechnet, gar nicht. Und schon gar nicht, dass eine zehnköpfige Reggaeband von einem Major gesigned wird. Also...

Pierre: Ich gehe halt immer davon aus, dass das, was mir richtig gut gefällt auf jeden Fall genug anderen Leuten auch gefallen wird. Das ist meine Herangehensweise beim Musikmachen. Und Reggae ist halt einfach tierisch geil, finde ich, und...det war jetzt auf die Frage, ob man diesen Hype oder Boom erwartet hat...dis natürlich nicht. Aber so, weiß nicht, vor vier, fünf Jahren, hab’ ich viel aufgelegt eine Zeit lang und auch wieder angefangen, Reggaeplatten zu kaufen und hab’ schon gemerkt, dass überall da, wo man das auflegt, die Leute das auch mögen. Also selten mal einer ankam und sagte, „Ey, was spielst denn du da?“. Es gibt tausend andere Musikrichtungen, die würde man in bestimmten Läden...auf jeden Fall...“Ey, mach das mal aus!“...Und, ja, ich dachte mir, das ist auf jeden Fall etwas, das vielen Leuten gefällt. Auch wahrscheinlich schon immer gefallen hat....Reggae. Viele Leute finden Reggae gut, haben halt eine Bob Marley-Platte zu Hause, oder so war’s auf jeden Fall viel, aber vier, fünf Stücke reichen...Wie immer, wenn man etwas tiefer in eine Musik einsteigt, entdeckt man, dass so gewisse Grundstrukturen natürlich immer gleich sind, aber es gibt zehntausend Spielarten und Richtungen. Und jetzt haben sich die Leute näher damit beschäftigt, die Szene ist auch größer geworden, weil auch so viele HipHopper plötzlich etwas mit Reggaeleuten zusammengemacht haben. Aber, das heißt auch nicht „plötzlich“, es wurde mehr beachtet. Das hat mit dazu beigetragen, dass Leute, die vorher nur HipHop gehört haben, sich auch mal eine Reggaeplatte angehört haben. Also, ich glaube, das war so eine der Türen, warum Reggae wieder mehr in den Köpfen der Leute drin ist.

 

Es ist momentan so, dass sehr viel Leute Dancehall machen. Das ist bei euch auch vorhanden, aber wenn man sich die Platte anhört, hört man ja doch auch mal einen alten Perry-Riddim. Ist das euer Schwerpunkt? Mögt ihr jetzt gerade die alten Sachen und nehmt die mit rein, oder....

Pierre:...das ist bei jedem ein bisschen anders. Wie ich gerade schon meinte. Wenn man sich näher mit einer Musik beschäftigt, und ich finde gerade bei Reggae, da gibt`s ein so weites Feld, was du alles unter dem Namen Reggae zusammenfassen kannst. Du kannst 500 Platten haben und es ist irgendwie immer auch interessant....Na klar, Frank ist wohl eher ein Roots-Fan, so...

Frank: Ja, schon, auf jeden Fall. Oft ist es ja ein Song, den muss man nicht unbedingt als Reggae spielen...den könnte ich mir auch als Blues vorstellen. Wenn der stimmt...wenn dann noch der Faktor des Rhythmus, des Basses, dieser Off-Beat dazukommt...mit der Musik bin ich groß geworden. Ich denke, so wie andere die Beatles wahrscheinlich immer toll finden, steh’ ich halt auf Rootsreggae.

 

Jetzt steht, ihr habt’s gerade schon einmal angesprochen, für ein Jahr alles andere zurück von dem was ihr vorher gemacht habt. Habt ihr euch verändert? Hat sich euer Leben sehr verändert? Mit Tour, viel Ruhm, viel Ehr...

Demba: Es sind schon extreme Erlebnisse. Seit wir unterwegs sind, haben wir natürlich wahnsinnig viel erlebt. Inwieweit es uns verändert hat? – Bis jetzt hat’s uns noch nicht großartig verändert. Allerdings bringt die Tatsache, dass man die ganze Zeit aufeinander hängt, schon neue Entdeckungen. Aber....Ich glaub auch, dass es irgendwie noch ganz extreme Auswirkungen haben wird, aber die sind noch nicht da. Im Moment ist es völlige Aufnahme. Man nimmt so viel wahr. Letztes Wochenende war das „Splash“. Die ganze Zeit Live-Konzerte ohne Ende, gute Sachen, und man ist ständig an neuen Orten und erlebt viele Menschen, die man so ein bisschen kennen lernt über den Tag hinweg. Man lernt viele Musiker kennen, wenn man auf Festivals unterwegs ist. Es sind schon viele Eindrücke...

Könnt ihr euch noch riechen?

Demba: Es funktioniert echt gut. Ich glaube auch, dass die Größe der Band eine ganz wichtige Sache dafür ist, dass es so gut funktioniert, auch wenn man das nicht unbedingt denken würde. Oft wird man gefragt, gerade wenn’s so viele sind, „wie kommt ihr denn klar, so, zu so vielen?“, aber ich glaube gerade dadurch, dass es so viele sind, fängt sich ziemlich

viel auf.

Frank: Also, bei einer Dreierkombo da ist es meistens zwei gegen einen, und der eine, der darunter leiden muss, der hat glaub’ ich echt Probleme. Und bei 10, 11 Leuten gleicht sich das wirklich aus. Und wir sind halt, wie Demba schon sagt, in dieser Phase , wo noch so viel Aufnahme ist, wo alles so neu ist...Ich muss sagen, auch das erste Mal mitzukriegen, während der Tour jetzt auch Zeit zu haben... in einem Bus mit 11 Leuten zu fahren, Spaß zu haben, abends ein Konzert, Soundcheck zu machen und zu spielen,....dann danach, wie in unserem Fall, auch noch Komplimente zu bekommen. Das was ich vorher gemacht habe, da kenn’ ich das nicht. Da arbeite ich meine Stunden ab, krieg mein Geld...bin auch sicher....das krieg’ ich bei Seeed nicht....Aber, egal...es ist schon einfach was vollkommen Neues und mir vorzustellen, dass ich vielleicht jetzt auch noch irgendwann Geld damit verdiene...in der Phase wo ich jetzt bin, hat das noch so eine gewisse Traumerfüllung. Man ist noch nicht von diesem ganzen genervt. So lange das noch nicht da ist, genieß ich das.

 

Ein Majordeal ist eine grosse Sache, aber in manchen Punkten nicht ganz ungefährlich. Gibt es irgendwelche Finger, die in eurer Musik mitmischen wollen?

Pierre: Klar gibt’s die...

Demba: Wenn man sich klar darüber ist, was man machen will, dann ist es auf gar keinen Fall gefährlich. Denn es ist natürlich in der Welt das, was am meisten bringen kann. Es ist halt ein Major. Funktioniert erst mal weltweit und wenn man weltweit denkt, dann ist es genau das Richtige. Selbst in Deutschland ist es eine große Firma, die kann erst mal viel machen...und die wollen natürlich immer etwas Bestimmtes, aber bei uns hat das echt gut funktioniert. Wahrscheinlich liegt’s auch daran, an wen man da gerät und mit wem man es da zu tun hat und wir haben’s auf jeden Fall mit Leuten zu tun, die uns verstehen...

Frank: Es haben auch viele einfach schon lange Musik gemacht und wir sind halt auch keine 20 mehr, so ungefähr, dass auch die halt ein Gegenüber mit einer Meinung haben, die sich in den letzten Jahren gebildet hat...Wenn ich mir vorstelle, dass mir das mit 20 passiert wäre und man dann in so etwas reinstürzt, und man wird da geblendet und einem wird alles erzählt. Und man hat sich nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, was man will, oder es selber einfach noch nicht weiß und sich erst einmal freut, nur Musik zu machen...die Entäuschung wäre schon da gewesen, sodass man Sachen gemacht hätte, Lieder, Musik oder so, die einem die aufgrund von...na ja...keiner Risikobereitschaft oder so etwas...diktieren. Wo man erst mal gesagt hätte, „jetzt macht ihr erst mal so’nen totalen Popsong“..und den macht man dann erst einmal mit....

Pierre: Haben wir ja auch gemacht.

Frank: Ja...

Pierre: Also, ich meine, es war wenigstens alles im akzeptablen Rahmen, was vielleicht, wenn man irgendwie grün hinter den Ohren ist...oder es ist vielleicht einfach auch eine Charakterfrage...Ich glaub’, es gibt manche, die setzen, siehe Prince, mit 17 schon ihren Kopf durch und sagen, „Ich will aber, dass ich das selbst produziere!“. Ich bin auch eher ein bisschen so gestrickt....also, das auf jeden Fall alles von mir kontrolliert wird. Aber klar, jetzt ist man in dem Alter, wo wir auch Kompromisse machen können. Wir sind nicht ganz so dickköpfig. Man lernt einfach besser, sich zu artikulieren. Mit der ersten Single (Anm.: „Tide is high“) war’s auch definitiv so’n Kompromiss. „Dickes B“ war dann unser Ding. Da waren sie am Anfang noch ein wenig zögerlich, aber man konnte sich auch einigen. Also, ein Video und so waren sie erst einmal nicht bereit zu bezahlen, aber wir haben halt so’ne 12 Inch gemacht und da gab’s halt relativ gute Reaktionen von ein paar Radios und irgendwann waren sie bereit und dann ist es ja auch erst so richtig losgegangen. Man braucht schon auf jeden Fall auch ein Video was viel läuft. Um jetzt wirklich eine elfköpfige Band am Leben zu erhalten, musst du halt entweder so eine Galaband sein, vielleicht noch eine Skaband. Es gibt so ganz wenige Bereiche, wo man einfach als Livemusiker überleben kann ohne das jemand wirklich Platten von dir kennt. Oder das du als Künstler wirklich interessant bist oder in der Öffentlichkeit stehst. Dafür braucht man ein Video heutzutage, es ist einfach so.

 

Bei dem ersten Song auf eurer LP, „Dancehall Caballeros“, heißt es ,„um aufzuholen, gibst du deinem Gaul die Sporen – doch leider bist du einfach nicht zum Reiten geboren“. Zudem sprecht ihr von „unserem Gebiet“ und davon, die „Stylepolizisten mit 7:0 vom Platz“ zu fegen. Hat das einen bestimmten Hintergrund oder habt ihr da jemanden im Kopf?

Pierre: Erstens ist es der erste Song auf der Platte. Und es ist so ein Dancehall-Ding mit diesem DJ-Intro. Es ist schon so, dass wir bei Seeed zum Teil Sachen vermengen, die bisher so noch nicht vermengt wurden oder wo vielleicht bestimmte Leute ein Problem mit hätten...„Ey, im Reggae wird nicht rumgescratcht“. Lange Zeit fanden auch ganz viele Dancehall mit deutschen Texten scheiße....

Frank: Aber man kennt es ja auch so ein bisschen aus dem HipHop-Bereich. Wo sich einfach Fronten bilden, die wahrscheinlich zu diesem ganzen Kult HipHop auch dazugehören. Es ist ja auch wirklich nicht nur so’ne Musikrichtung, sondern es hat ja total viel mit Klamotten zu tun. Aber da paßt auf jeden Fall, finde ich, so’n Spruch unter anderem auch hinein. Das gibt’s im Dancehall auch und es gibt’s in verschiedensten Bereichen. Und Seeed, da zählt als Unterding, dass uns die Musik gefällt und unsere Unterschiedlichkeit, die wir in die Band mit einbringen, ergibt das, was auch da heraus kommt. Da gibt es bestimmt einige Dinge in einigen Stücken, wo solche Stylepolizisten ein Problem mit hätten.

Pierre: Wobei ich noch einmal ganz deutlich an dieser Stelle sagen will, dass ich auch finde, dass etwas Stil haben muss. Also, ich bin auch jemand, der ganz schnell etwas scheiße findet, wo ich finde, das ist irgendwie nicht schlüssig. Ich bin natürlich davon überzeugt, dass unser Ding irgendwie auch schlüssig ist. Ich find’s auch wichtig, dass man sich Gedanken darüber macht, wie das so als Gesamtding ´rüberkommt und, das es Sinn und Verstand hat...das man es begründen kann. Das würden manche auch schon wieder als Stylepolizist beschreiben, aber ich meinte halt damit schon, nur das eine Ding zu machen...ich mach nur ´nen Battletext, ich mach’ nur Roots-Sachen...das finde ich halt langweilig. Weil sonst würde es auch keine Weiterentwicklung geben. Wenn nicht Leute auch immer wieder etwas aus anderen Ecken benutzen, würden ja jedes Jahr alle Platten gleich klingen.

 

Ihr sagt am Anfang, „die erste Platte machen ist wie ein extra dickes Ei legen“. Wann kommen die nächsten „kleinen Eier“, sprich Maxis, oder wann das nächste „dicke Ei“? Ist das überhaupt schon am Horizont sichtbar?

Demba: Im Sommer nächstes Jahr gibt’s das...

Pierre: Also, jetzt hat man mal das Glück, bei einer relativ jungen Szene oder einer Musikströmung, die noch nicht seit 20 Jahren breitgetreten wurde, dabei zu sein. Das sollte man auch ausnutzen und sich gleich so da drin’ festigen mit seiner bestimmten Richtung. Das ist gut für die nächsten Jahre. Dann gibt’s vielleicht 30 Reggaeplatten im Jahr, aber ´ne Seeed-Platte, das ist dann immer noch...na ja, das ist halt Seeed.

 

 

Interview: Karsten Frehe und Eva Ravn

 

 

Discographie:

 

“New Dubby Conquerors“: CD-Single/12 Inch (WEA), 2000

“Tide is high”: CD-Single (WEA), 2000

“Dickes B”: CD-Single (WEA), Vinyl-EP (Groove Attack), 2001

“New Dubby Conquerors”: CD (WEA), Vinyl (Groove Attack), 2001

“Dancehall Caballeros”: CD-Single (WEA), 2001

“Frogass Riddim Selection” (feat. Seeed, Black Kappa, Tolga, Backyard Crew, Benjie..): 7 Inch (Germaican Records), 2001

“Na sauber (Putzbattle)”: 7 Inch (Germaican Records), 2001

"Waterpumpee" (EP) CD-EP WEA, 2002

 

Ein Auszug dieses Interviews erschien im Septemberheft 2001 der Kasseler Stadtillustrierten Xcentric.

 

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