"Der
Aufstand ist zurückgekehrt in die Popmusik. Oder
besser: der Protest", hieß es in der Konzertankündigung
des Hamburger Abendblattes zu den Konzerten am 18. und
20.5.2007 in der Fabrik in Altona. Damit ist viel gesagt:
Protest und Popmusik, auch wenn die Musik von Panteón
Rococó nur am Rande die Kategorie Pop streift,
sind selten geworden. Oder in dieser Verbindung meist
eher in der Schublade Betroffenheitslyrics vor Gitarrengezupfe
anzutreffen, zur Zeit wunderbar von Pink vs Indigo Girls
mit "Dear Mr. President" verkörpert. Davon
ist die Band aus Mexiko weit entfernt. Hier ist es nicht
der erhobene Zeigefinger, sondern vielmehr die geballte
Faust, die zu verdammt direkter und gut tanzbarer Musik
den Mächtigen der Welt entgegengestreckt wird. Und
das auch noch im Rahmen eines musikalischen Festes ohne
schales "We shall overcome"-Gejammer. Was die
globalisierte Welt von heute braucht, so scheint es, sind
engagierte Bands, die es sowohl vermögen, Feste zu
feiern, als auch Ideen zu transportieren. Und es braucht
ein Publikum, dass bereitwillig beide Aspekte mitnimmt
und energiegeladen in ein Handeln ummünzt. Wer schon
einmal aufgestanden ist, möge sich widersetzen.
Zwei Termine in einer einzigen Stadt. Das will was heißen,
zumal die Fabrik an beiden Abenden proppenvoll war und
das Publikum in der Hitze zu verdunsten drohte. Was sollten
sie auch sonst tun, bei der explosiven Mischung aus Ska,
Reggae, Cumbia, Salsa und wer weiß noch wie vielen
anderen Einflüssen. Dazwischen und mittendrin viele
politische Botschaften. Und zuvor die Gelegenheit, mit
Luis Shenka, dem Leadsänger und Charismatiker der
Band, ein Interview zu führen. Erstaunlich dabei:
die zwei "Gesichter" dieses Mannes. Im Gespräch
sympathisch und eher ruhig und bescheiden, um dann, eine
Stunde später, die Fabrik zu rocken und als "Rampensau"
2 Stunden Höchstleistung zu bringen.
Panteón Rococó tourt regelmäßig
durch Deutschland. Was sind eure Eindrücke vom deutschen
Publikum bisher?
Toll.
Die Menschen gehen hier richtig ab, tanzen und feiern.
Unglaublich. Bevor wir zum ersten Mal hier waren, hatten
uns Freunde gesagt: "Pass auf, die Deutschen sind
total steife Leute und eher hart". Und dann kamen
wir hierher, zum ersten Mal vor 8 Jahren, und das Publikum
war sofort da. Komischerweise funktioniert es hier in
Deutschland besser, als in Spanien...
Ehrlich,
aber da dürfte es mit der Sprache doch besser funktionieren!
Ja,
eigentlich wäre das zu erwarten, aber es ist echt
nicht so. Erstaunlich. Aber immer, wenn wir in Spanien
sind, freuen wir uns darauf, nach Deutschland wiederzukommen.
Und es ist ja auch so, dass wir, wie zum Beispiel auf
dieser Tour, immer mehr Menschen anziehen. Wir haben etliche
Hallen ausverkauft. Unglaublich und verrückt, wenn
ich da an die Anfänge hier zurück denke. Darüber
freuen wir uns sehr.
Meinst
du, dass ein Großteil des deutschen Publikums wegen
der Musik kommt oder auch die Texte versteht?
Ich
glaube, dass es viele gibt, die uns verstehen. Nicht nur
Menschen aus Lateinamerika, die zu den Konzerten kommen.
Und die anderen werden sicherlich von der Energie angezogen,
die wir immer wieder auf die Bühne bringen. Zudem
informieren wir am Merchandisingstand über das was
wir politisch wollen, sodass sie so von dem erfahren,
was neben der Musik auch noch Panteón Rococó
bedeutet oder wofür wir stehen.
In
Deutschland wird eure Popularität immer größer.
Wie ist es für euch in Mexiko, wo ihr quasi Superstars
seid?
Ja,
stimmt. In Mexiko spielen wir vor größeren
Mengen, manchmal sogar vor 15-20000 Menschen. Lass es
mich so erzählen: In Mexiko City ist es Quatsch,
mit dem Auto durch die Stadt zu fahren, da du wegen des
starken Verkehrs so fast nicht durchkommst. Also fahre
ich lieber U-Bahn. Das habe ich auch immer dazu genutzt,
um Menschen zu beobachten. Szenen dieser Beobachtungen
finden sich auch in meinen Liedtexten wieder. Nun, mit
all dem Erfolg, ist es manchmal so, dass mich Leute in
der U-Bahn ansprechen, da sie mich erkannt haben. Sie
wollen dann ein Autogramm. Und dann die, die auch im Wagen
saßen und mich bis dahin nicht erkannt haben oder
noch gar nicht kannten. Das ist manchmal nicht ganz einfach.
Der halbe Wagen beschäftigt sich mit dir (lacht).
Abuela
Coca, Karamelo Santo spielen hier in Europa neben euch
sehr häufig. Ihr seid euch alle musikalisch und inhaltlich
sehr nahe...
Wir
sind inhaltlich sehr dicht beieinander, weil nun mal die
Welt fast überall nach den selben Mustern der Ausbeutung
funktioniert. Und da machen zum Beispiel Karamelo Santo
aus Argentinien sozio-politische Lieder, weil sie bemerken,
was in ihrem Land nicht läuft, oder etwa Abulea Coca
und andere. Wir sind immer wieder überrascht darüber,
wie ähnlich sich die Situationen der jeweiligen Gesellschaften
sind, wenn wir uns auf Touren treffen und miteinander
austauschen. Argentinien ist da zum Beispiel nicht anders
als Mexiko oder Uruguay. Da gibt es viel Parallelen. In
Lateinamerika selbst haben wir wenig mit den anderen Bands
zu tun.
In
den letzten Jahren gab es ein immer größer
werdendes Interesse an Mestizo. Auch hier in Deutschland.
Wie würdest du das erklären?
Naja,
die Musik ist halt eine Mischung aus vielen Stilen. Deswegen
können sich möglicherweise viele damit identifizieren.
Reggae, Ska, Punk, Cumbia, Salsa. Und es wird ja zugleich
ein gesellschaftliches Anliegen transportiert - eine Botschaft
vermittelt, die einerseits etwas mit Feiern zu tun hat,
aber eben auch mit Politik. Den Folgen der Globalisierung.
Zudem sind wir und auch andere Bands wie Karamelo Santo
ja schon länger unterwegs und spielen auf großen
Festivals.
Eure
Musik beinhaltet eine große Portion Ska. Ska ist
offenbar auf der ganzen Welt präsent und wird immer
häufiger mit gesellschaftskritischen Inhalten kombiniert.
Ist Ska die ideale Protest-Musik?!?
Das
hat auch den Hintergrund, dass viele von uns Ska schon
immer hören und gut finden. Ich selbst bin zu Zeiten
des Ska-Movements groß geworden und mag den Stil
einfach. Und wenn man sieht, dass Ska in Jamaika entstanden
ist und sowohl zum Feiern gedacht war, als auch dazu,
zusammen mit Reggae, politische Inhalte zu transportieren,
sich aufzulehnen z.B. gegen das Leben im Ghetto, dann
passt das auch aus dieser Perspektive. Ska hat einfach
sehr viel Energie und ist überall auf der Welt anzutreffen,
immer mal wieder mit einheimischen Elementen zusammen.
Im
Video "Rebel Music" von Rebelfilms
sind einige Szenen live bei Konzerten in Mexiko gedreht
worden. Darauf sind viele unterschiedliche Menschen aus
verschiedenen kulturellen und sozialen Schichten zu sehen.
Habt ihr eine Akzeptanz von ganz verschiedenen Menschen
im eigenen Land?
In
Mexiko City ist es sehr schwierig, überhaupt Auftrittsorte
zu finden. Es gibt eigentlich nur zwei autonomere Auftrittsorte.
Der Rest sind eher Yuppie-Treffpunkte, wo du 30 Euro Eintritt
bezahlen musst. Es ist verrückt. Aber auf der anderen
Seite machen Menschen Musik auf der Straße, in Garagen
oder Fabriken. Sie versuchen eine große Bewegung
aufzubauen. Und nun, glaube ich, haben wir eine große
Bewegung in Sachen Musik-Underground in Mexiko City. Nicht
nur Ska und Punk, denn da sind viele Bands, die Reggae
mit traditioneller Musik vermischen, die vor den Spaniern
da war. Es ist wirklich verrückt und wird immer größer
und vielseitiger.
Habt ihr selbst jemals Schwierigkeiten mit der mexikanischen
Regierung bekommen, da eure Texte sehr politisch bzw.
kritisch sind und ihr den Zapatisten nahe steht?
Nein,
nicht direkt mit der mexikanischen Regierung. Normalerweise,
wenn du über diese politischen Inhalte redest, hast
du überall auf der Welt wenig Plätze und Nischen,
das zu tun. Und das vor allem in Lateinamerika. Da ist
es sehr schwierig ins Fernsehen oder Radio zu kommen.
Das ist das Problem. Aber, auf der anderen Seite, machen
die Menschen Fanzines und nichtkommerzielle Lokalradios
und so wurden wir groß seit dem wir 1995 mit anderen
Bands, wie Los de Abajo gestartet haben. Seit dem arbeiten
wir zusammen. Wir organisieren Demonstrationen und all
diese Sachen und machen Konzerte um die Inhalte der Menschen
in Chiapas und anderer Orte zu unterstützen, wo es
Probleme gibt.
Ich
habe bei der vorherigen Recherche im Internet gelesen,
dass ihr die aktuelle Tour für die Information über
die Situation von Gefangenen in Atenco nutzen wollt. Kannst
du mehr über diese Angelegenheit sagen?
Gerade
existieren harte Zeiten in Mexiko. Mit dem neuen Präsidenten,
der aus der ultra-rechten politischen Ecke kommt. Es gibt
viele reiche Gruppen, die nichts mit der Linken zu tun
haben wollen. Und in diesem Zusammenhang war Atenco im
letzten Jahr eine sehr schlimme Erfahrung. Es gab dort
zu Zeiten der Wahlen heftige Auseinandersetzungen mit
der Polizei. Das Problem geriet außer Kontrolle
und das Militär kam hinzu. Es gab viel Gewalt, Frauen
wurden vergewaltigt... eine total verrückte Situation.
Und parallel dazu sind im Norden des Landes viele Arbeiter,
die in Minen gearbeitet haben, gestorben und die Regierung
hat nichts unternommen. In diesem Fall gab es sehr viele
große Demonstrationen in diesem Teil des Landes.
Und in Oaxaca war die Situation mit den Lehren, dass sie
die Parks und Plätze des Landes besetzt haben, um
für eine bessere Bezahlung zu demonstrieren. Und
die Regierung hat mit viel Polizei und Militär geantwortet.
Es wurden viele verhaftet. Und daneben haben wir nach
wie vor das Problem in Chiapas. Seit 15-20 Jahren!
Von
dem was ich gehört habe, engagiert ihr euch als Menschen
neben eurer Musik auch immer wieder in kulturellen Zentren
und Projekten. Welche Ziele verfolgt ihr da?
Wir
unterstützen eher und wenn wir Zeit haben, gehen
wir dorthin. Wir haben gerade mit Panteón ein Projekt
in Oaxaca, wo wir eine Schule unterstützen. Und wir
geben Geld an organische Kaffeeprojekte für fairen
Handel in Chiapas. Wenn wir Zeit haben, gehen wir auf
Demonstrationen. Wir versuchen diesen "way of life"
nicht nur auf sondern auch hinter der Bühne in unseren
persönlichen Leben zu leben. Wir unterstützen
auch ein Kulturzentrum im Osten von Mexiko City, wo 60%
der armen "Djungle-People" leben. Das ganze
Projekt ist völlig unabhängig und bekommt also
kein Geld von der Regierung. Wir geben Stunden in Capoeira
und es gibt Deutsch- und Englischlehrer, um der Gemeinschaft
einen anderen Blick auf das Leben zu vermitteln.
Ihr
benutzt einen Totenschädel mit Zylinder und Stern
als Motiv auf T-Shirts, Plakaten etc.. Neben der politischen
Message, die damit verbunden ist: Hat der Totenkopf auch
einen traditionellen mexikanischen Hintergrund?
Naja,
in Mexiko glauben die Menschen seit den Azteken nicht
an den Tod als das Ende. Und so haben wir Anfang November
Feste im ganzen Land, bei denen die Toten gefeiert werden.
Die Menschen machen Essen und gehen mit ihren Familien
auf die Friedhöfe, essen dort, gehen zurück
nach Hause, legen alles auf einen Tisch machen festliche
Beleuchtung und feiern. Das ist die kulturelle Geschichte.
Und wir haben den Totenkopf, weil er an einen Friedhof
und das Fest gemahnt. "Panteón" als das
"Grabmal" und "Rococó" für
eine Menge Design und witzige, verspielte Sachen.
Also
deswegen habt ihr euch den Namen Panteón Rococó
gegeben?
Ja....
aber.... "Panteón Rococó" kommt
als Name von einem Buchtitel "El Cocodrilo Solitario
Del Panteón Rococó" des mexikanischen
Autors Hugo Arguelles, der im letzten Jahr gestorben ist.
Und es gibt für uns die Verbindung zu den Geschehnissen
in unserem Land, die sehr traurig sind, aber wir spielen
und tanzen trotzdem, um es besser zu machen.
Interview: Karsten Frehe (05/2007)
www.panteonrococo.com
Mestizo-Special
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