
GROUNDATION
Freedom Taking Over
Mit
dem Album "Hebron Gate", ihrem mittlerweile sechsten
Longplayer, haben Groundation aus Kalifornien zum ersten Mal
regulär, also für alle im Laden zu bekommen, den europäischen
Kontinent betreten (über Nocturne/Zomba). Zuvor wurde das
Album in Insiderkreisen umjubelt und nicht selten zum "besten
Rootsreggae-Album seit langer Zeit" gekürt. Mag sein,
dass sie den Rootsreggae im klassischen Bandformat ins neue
Jahtausend hinüberretten, doch warum so weit formulieren:
"Hebron Gate" ist beachtlich! Und das nicht nur aufgrund
der beiden prominenten Gäste Cedric Myton (The Congos)
und Don Carlos, die bei zwei Titeln gemeinsam zu hören
sind. "Man wird sein Konzept für antiquiert halten,
es in die Ecke von Hippie-Reggae stellen. Oder man wird es für
das Manifest eines 'postindustriellen' Reggae halten",
schrieb René Wynands (Riddim 02/03). Wie auch immer...ein
Hinhören ist dringend anzuraten! Mit Harrison Stafford,
dem Kopf der Band, sprach Michael Leuffen...
Eure
neue Platte "Hebron Gate" mischt klassischen Roots-Reggae
mit leichten Jazzanleihen und zurückhaltendem Dubzauber.
Wie kommt ihr zu einem solchen Style?
Harrison:
Zunächst muss ich dir sagen, dass wir keinen klassischen
Roots Reggae spielen. Wir haben unsere eigene Variante, die
mehr ist. Unser Sound ist natürlich extrem am klassischen
Roots Reggae orientiert. Aber unsere Jazz- und Dubanleihen bereichern
ihn und lassen ihn etwas anders klingen. Ich habe mein ganzes
Leben lang Roots Reggae gehört und weiß sehr genau,
wie sich die klassische Variante anhört. Auch den religiösen
Hintergrund kenne ich bestens, da meine Eltern Mitglieder der
Twelve Tribes Of Israel sind und ich vor diesem Background aufgewachsen
bin. Dadurch bin ich auch spirituell im Reggae verwurzelt. Deshalb
ist mir klar, wie er klingen muss, wenn er anders als der herkömmliche
Reggae sein möchte.
Aber
eure Platte klingt wie klassischer Roots-Reggae und die Abweichungen
sind nur marginal.
Harrison:
Ja, das liegt daran, dass wir alles so aufgenommen haben wie
in den siebziger Jahren. Instrumente wie Moog, Bläser etc.
sind alle live eingespielt worden. Wir haben nichts Digitales
auf unserer Platte. Wir wollen eben Original klingen. Viele
Leute in Kalifornien mögen das. Für sie war der 70er
Sound der Beste Reggae! Digitale Musik bringt alles nur in Einsen
und Nullen rüber, dass mögen wir eben nicht so sehr.
Magst
du gar keine "Digital Reggae"?
Harrison:
Doch, aber Bob Marley, The Congos - solche Bands haben diese
gewisse Feeling gehabt. Wir wollen dies Würdigen und versuchen
ebenso gut zu sein. Digitale Sounds gehen für uns nicht
so tief rein wie analoge Sounds. Digitale Sounds sind deshalb
aber nicht schlecht. Sie sind halt nur nichts für unsere
Vision von Reggae. Wir versuchen aber auch nicht, wie Bob Marley
zu klingen. Wir haben unseren eigenen Flavour. Das liegt vor
allem daran, dass wir alle auch Jazzfans sind. Bei uns trifft
Bob Marley auf Miles Davis.
Es gibt
Menschen, die finden euren Sound zu Retrohaft und werfen euch
vor, aktuelle Reggaeströmungen links liegen zu lassen.
Wenn das stimmt, liegt das daran, dass ihr sie nicht kennt?
Harrison:
In Jamaika habe ich lange neben Capleton gewohnt. Ich kannte
ihn schon, da war er in der Welt noch nicht bekannt. Deshalb
kenne ich auch Dancehall und seine Geschichte sehr genau. Aber
sie ist nicht wichtig für uns. Für mich waren immer
Leute wie Burning Spear wichtiger. Echte Rastakämpfer eben.
Die wollten wichtiges Sagen und erzählten nichts von Pistolen
und so. Zudem brachten sie für mich mit ihrer Musik extrem
positive Vibes rüber. Und beides wollen wir mit Groundation
auch. Für eine besser Welt kämpfen und gute Vibes
rüberbringen.
Die Band
ist ja auch aus einem Hochschul-Jazz-Kreis entstanden. Seid
ihr alle studierte Musiker?
Harrison:
Ja, alle Musiker der Band sind Profis. Viele sind auf der California
State University ausgebildet worden. Ich lehre dort "Jamaican
Music Historie" und so sind wir zusammen gekommen. Und
es ist extrem wichtig, dass wir alle Profis sind. Denn guter
Roots Reggae ist schwer zu spielen. Man muss schon richtig gut
sein, um ihn tight zu servieren. Und man darf sich nicht zu
sehr am Rock orientieren.
Fühlst
du dich als Rastafari?
Harrison:
Ja. Aber ich glaube, dass in jedem von der Band etwas von Rastafari
steckt. Bei mir durch meine Vita bestimmt am meisten. Aber Rasta
ist für uns alle wichtig. Aber wir kennen auf keinen Fall
ethnische Grenzen.
Ihr habe
ja schon mit einigen jamaikanischen Größen gespielt.
Wie kam es zu den Kollaborationen?
Harrison:
Ich habe viel mit Ras Michael gespielt. Und mit Marcia Higgs,
der Tochter von Joe Higgs, auch. Dadurch kamen viele Kontakte
zustande. Und ich bin sehr gut mit Israel Vibration befreundet.
Durch diese Kontakte ist es auch zu den arbeiten mit Don Carlos
und Cedric Myton für unser neues Album "Hebron Gate"
gekommen. Zu ihnen hat Jim Fox, der auch schon mit Bob Marley
und Israel Vibration aufgenommen hat, den Kontakt hergestellt.
War es
etwas für euch etwas Besonderes mit solchen Roots-Ikonen
im Studio zu sein?
Harrison:
Es war eine große Ehre für uns mit den Congos aufzunehmen.
Diese Leute haben für Rasta gekämpft. Diese Leute
haben für Reggae gekämpft. Besonders Cedric Myton.
Er hat richtig für diese Sache gekämpft. Und das ist
etwas anderes, als das was heute Leute wie Sizzla oder so tun.
Sie kämpfen nicht mit Slackness. Sie kämpften mit
Visionen. Und das tun wir auch. Damals wurde man als Rasta verfolgt.
Das machte vieles anders.
Und wie
fand Don Carlos euren Sound?
Harrison:
Er war sehr verwundert, dass heute noch immer Leute gibt die
solche Musik zelebrieren. Und er hat sich sehr darüber
gefreut, dass es immer noch Menschen gibt, die solchen Reggae
kennen und ihn lieben. Viele alte Musiker haben ja nichts mehr
von ihrer Musik. Einige leben sogar heute auf der Strasse. Und
weil sie nichts mehr für ihre Musik bekommen, glauben sie,
dass sie keiner mehr schätzt.
Aber
selbst wenn andere Reggaestile angesagt sind, wir doch weltweit
immer noch Roots-Reggae gehört.
Harrison:
Ja, aber zum Beispiel hier in den USA mögen die Leute mehr
Dancehall. Roots-Reggae ist da nicht angesagt. In den liberalen
Teilen Amerikas ist das zwar etwas anders. In Kalifornien und
New York hört man auch Roots. Immerhin, den Roots-Reggae
sind für mich die ultimativen Roots.
Wie sehen
eure Zukunftsperspektiven aus?
Harrison:
In der Zukunft wollen wir noch mehr mit alten Helden spielen.
Leuten wie Joseph Hill von Culture. Oder Israel Vibration. Wir
finden das wichtig, weil wir Roots-Reggae mit unserem ganzen
Herzen lieben und spielen. Und das sind die Legenden. Wir wollen
sie mit unseren Vision zusammen bringen, sie ehren und mit ihnen
für dieselbe Sache kämpfen.
Ihr kämpft
ja besonders in euren Lyriks für eine bessere Welt. Sind
diese Inhalte für euch wichtiger als die Musik?
Harrison:
Die Lyriks und die Passion hinter der Musik sind bei uns gleich
gewichtet. Wir wollen die Wahrheit zu den Leuten bringen. Ich
will die Leute aber nicht unterrichten mit meinen Texten. Ich
stelle ihnen eher fragen. Fragen darüber, was sie tun wollen,
damit etwas besser wird. Und wenn sie diese Fragen beantworten,
wenden sie sich zwangsläufig gegen die Ungerechtigkeiten
in dieser Welt. Das wollen wir erreichen, so wie einst die großen
Rastavisionäre.
Und was
genau soll besser werden?
Harrison:
Vieles. Ich will wie Leute zu mehr Interesse an der Welt erziehen.
Für die USA ist dies besonders wichtig. Selbst an den Universitäten
sind die Leute manchmal sehr weltfremd. Hier ist alles vom kapitalistischen
System durchtränkt. Alle Leute arbeiten von 9-5 und schauen
dann nur noch ins TV, von dem sie normiert werden. Ich möchte
sie aus diesem bösen, lethargischen Traum erwecken. Ich
will den Leuten ein anderes Lebensbild geben. Ihnen sagen dass
es mehr gibt. Ich war ja leider noch nie in Europa. Aber ich
glaube die Leute dort wissen mehr über das Weltgeschehen.
Glaubst
du an eine internationale Reggaebewegung mit einem solchen Anspruch?
Harrison:
Ja, ich glaube an das internationale Reggaemovement. Das ist
wichtig. Denn alle müssen zusammen halten. MTV und so verhindert
ja zum Beispiel ein solches Movement. Und da ich weiß,
dass im Reggae viele gleichgesinnte zu finden sind, glaube ich
an einen globalen Zusammenhalt, der uns stark macht. Groundation
kann dafür ein Samen sein. Ein Samen für eine Bewegung,
die mehr will, als einfach nur Geld machen.
Aber
könnte es nicht auch passieren, dass Reggae das gleiche
Schicksal erleidet, wie HipHop?
Harrison:
Ich glaube nicht und hoffe dass es nicht passiert. HipHop ist
ja heute vom System aufgesaugt worden. Aber selbst im HipHop
gibt es immer noch Leute, die anders denken. Die so denken wie
wir und etwas zu sagen haben. Band wie The Roots zum Beispiel.
Aber die Reggaebasis ist ja immer noch klein. Entscheidend ist
immer noch, was aus Jamaika kommt. Dancehall versucht ja gerade
im Pop durchzubrechen. Das ist zwar nicht schlecht. Aber nur
Musik zu machen um Millionär zu ein ist nichts für
mich und meine Band. Für uns zählt nur die Liebe zur
Musik. Deshalb machen wir alles. Nur die Musik hält uns
am Leben. Sie ist für uns die Highest Experience. Sie ist
unser Blut.
Interview: Michael Leuffen 07/03

www.groundation.com

Zu den Irie Ites-Reviews geht's mit einem Klick
auf das jeweilige Cover!