Zeit, sich warme Gedanken zu machen #3 – Kingston City, Peter Tosh Music Festival & Jamnesia

Der zweite Teil unseres Jamaika-Reports (nachzulesen HIER) erzählte von hochkreativen Sankofa Sessions, Beenie Man’s Stippvisite in der Dub School und dem Glamour-Faktor der Peter Tosh Gala. Heute geht’s mit Stars und Strändchen und tollen Typen weiter!

#3 – Kingston City, Peter Tosh Memorial Concert & Jamnesia

Freitag morgen. Bugle’s Küchenchef übertrifft erneut sich selbst, und so gestärkt mache ich mich auf den Weg zu den Big Ship Studios, wo ich Landsmann Emanuel Schirmer aka Emudio zum Reggaeville-Interview treffe. Der Gegensatz zwischen dem Bild, das ich mir von einem der aktuell heißesten Riddim-Produzenten (ich sag nur Yeah Yeah!) gemacht habe und dem bescheidenen, fast schüchtern wirkenden jungen Mann, der mich zu seinem Arbeitsplatz bittet, könnte nicht größer sein. Toller Typ Nr. 1!

Von Havendale aus fahren wir dann quer durch die Stadt in Richtung Orange Street, wo ich im Auftrag der Adabu Foundation nach einigen Veteran Artists fragen möchte. Nova stellt mich dem Produzenten Leggo Beast vor (toller Typ Nr. 2!), der entspannt vor einem Schaufenster chillt und bereit ist, uns bei der Suche zu unterstützen, wenn wir ihm eine Namensliste zukommen lassen. Im Rockers International Record Shop gleich nebenan werden wir ebenfalls fündig – Inhaber Mitchie gibt uns die aktuelle Rufnummer von Prince Alla, den ich über seine alte nicht erreichen konnte (tolle Typen 3 und 4).

Dank dieser Hilfe können wir uns direkt mit dem sympathischen Sänger verabreden und fahren in Sugar Minott’s Youth Promotion Studio, wo er gerade einen Track einsingt. Wir schnacken noch kurz mit Daniel “Blae” Minott, Sohn des legendären Studio-Gründers, und machen uns dann durch einen regnerischen Abend auf in Richtung JAVAA-Zentrale. Die “Jamaican Association of Vintage Artistes and Associates” hält nämlich wöchentliche Meetings ab, von denen ich unbedingt mal eins mitnehmen möchte, arbeiten sie doch ähnlich wie unsere Adabu Foundation mit und für die oft viel zu armen Foundation Artists. Der tolle Typ Nr. 5, Frankie Campbell von den Fab 5, stellt mich kurz vor und fährt dann mit der Sitzung fort, in der die Mitglieder Neuigkeiten austauschen und Hilfsgesuche stellen können. Wir versprechen uns, in Kontakt zu bleiben – wenn wir erstmal genügend Fördermitglieder haben, besteht in Zukunft sicher eine Möglichkeit, die gesammelten Mittel sinnvoll in Gemeinschaftsprojekten einzusetzen.

Neuer Tag, neue Mission: der Samstag startet mit einem Besuch bei Lucas (toller Typ Nr. 6), der schon seit mindestens 2 Jahrzenten Cap Calcini aka “The Reggaebox Project” betreibt. Und Boxen gibt es in seinem Lager weiß Gott genug, Hunderte, ach, Tausende von Pappkartons gefüllt mit dem schwarzen Gold. Bereitwillig beantwortet Lucas meine Fragen nach Produktionsprozess, Cutter-Kollegen und jamaikanischen Plattenpressen, von denen aktuell wohl nur noch Tuff Gong aktiv ist. Each one teach one!

Nach einer kurzen Stipp-Visite in Trench Town bei Torch, der mir von seinem neuen Album “Fire & Light” erzählt, machen wir uns auf zum magischen Strand von Jamnesia, ein weiterer Sehnsuchtsort den ich heute endlich kennenlerne.

Die Sehnsucht danach wird mich wohl nie mehr loslassen. Direkt am Strand von Bull Bay gelegen, hat Billy “Mystic” Wilmot (Gründer der Mystic Revealers) mit Frau und Kindern hier ein Surfer-Paradies geschaffen, das neben direktem Strandzugang, hohen Wellen und Übernachtungsmöglichkeiten auch eine Bühne für Live-Musik bietet. Eine Session ist dort auch heute Abend geplant, und während Nova mit dem Aufbau der dafür notwendigen Technik beschäftigt ist, hole ich mir was zu essen und gehe ein wenig spazieren.

Gegen 18 Uhr machen wir uns auf den Rückweg in die Stadt, denn ich muss mich noch ein wenig in Schale werfen für das heute parallel stattfindende Peter Tosh Memorial Concert. Pünktlich um 20 Uhr sind wir am Peter Tosh Museum angelangt, in dessen Hinterhof das groß aufgezogene Konzert stattfindet. Eine beeindruckende Set-Liste (ich hör jetzt mal auf, die tollen Typen zu zählen) verspricht beste Unterhaltung, allerdings drückt die allzu wörtliche Auslegung dieser Floskel massiv die Stimmung. In einem extra abgetrennten VIP-Bereich (für den fast das doppelte an Eintritt gezahlt werden muss) ist der gesamte Bühnenvorplatz mit eng aneinandergereihten Plastikstühlen belegt, auf denen Menschen mittleren Alters und aufwärts Platz nehmen und den restlichen Abend auch nicht mehr aufstehen. Köpfe wiegen, Füße wippen und Handys werden gezückt, während Größen wie Queen Ifrica, Tony Rebel und Luciano jeweils 1-2 eigene Songs und ein Peter Tosh Cover zum Besten geben. Lediglich auf den Stehplätzen hinter der Absperrung wird auch mal getanzt, und so ist der Ausraster von Sshh, die während ihrer Version von “Get Up, Stand Up” mit Ringo Star’s Sohn Zak Starkey einen vergeblichen Versuch startet, den Lyrics Taten folgen zu lassen, nur zu verständlich (nachzulesen im Reggaeville-Report HIER).

Mein Highlight ist der Überraschungs-Auftritt von Jesse Royal, der ein paar Tracks seines Debut-Albums “Lily Of Da Valley” zum Besten gibt, dann aber direkt zum nächsten Gig weiterrauscht. Auch wir müssen los, denn Nova wird auf der Jamnesia-Session gebraucht, die inzwischen in vollem Gange ist. Wir kommen dort irgendwann nach Mitternacht an, und meine Aufmerksamkeit wird direkt von Mannin Marsh gefesselt, den ich letztes Jahr als überaus tüchtigen jungen Geschäftsmann kennengelernt habe und der nun am Mikro sitzt und singt. So bemerke ich erst nach und nach, wer sich da auf und neben der Bühne sonst nochso tummelt. Da an der Gitarre, ist das nicht… doch, das ist Runkus, der mich mit seiner EP “Move In” und mehr noch mit seinen ReggaeJam-Auftritten 2016 und 2017 tief beeindruckt hat. Und als ich meinen Blick nach rechts schweifen lasse, trifft mich eine weitere Erkenntnis wie ein Blitz: in aller Seelenruhe sitzen da Koro Fyah, Jah9 und Protoje, lassen eine Steam-Chalice kreisen und grooven sich auf die locker-flockige Performance ein, mit der sie mich und die restlichen Anwesenden während der nächsten zwei Stunden in höhere Sphären schießen. Lasst mich da ein wenig verweilen – bis nächste Woche!

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Text & Fotos: Gardy Stein

 

About Gardy

Gemini, mother of two wonderful kids, Ph.D. Student of African Linguistics, aspiring author...