Stonebwoy “Epistles Of Mama” (Zylofon/Burniton)

Stonebwoy
“Epistles Of Mama”
(Zylofon/Burniton – 2017)

Mir sind vier Varianten eingefallen, in diese “Geschichte” einzuführen – je nach dem, wird sie verschieden kurz oder lang.

Intro – Variante 1:

Da liegt man an einem sommerähnlichen April-WoE (neudeutsch für: Wochenende) im Gras. Also nicht in dem Gras, das Stonebwoy vllt. (neudeutsch für: vielleicht) seinen Namen gab. Auf einer Wiese. Schließt die Augen, hört im MP3-Player “Hakuna Matata” mit Agent Sasco und Stonebwoy am Mikro. Lässt die Augen geschlossen und fühlt sich an einem Strand sehr weit weg.

Intro – Variante 2, um die Story anzufangen:

Erinnert sich jemand daran, dass vor drei Jahren die “Legende” Barrington Levy untpischerweise ein Quasi-Akustik-Album auf den Markt gleiten ließ? Aus der Machart von damals taucht manches in Songs wie z.B. “Mama (Sax Version)” mit Mister Kyere wieder auf – sowohl aus der eher beseelt-nachdenklich-melancholischen Stimmung wie auch aus der Soundkonstruktion.

Intro – Variante 3:

Schauen wir mal quer durchs Business, und ich meine da durchaus das allgemeine Pop-Business, das ganz große Major- & Mainstream-Geschäft: Wann hatten wir da zuletzt ein Doppelalbum? Eines, das einigermaßen für Resonanz sorgt?

Intro – Variante 4 – auch eine mögliche Einleitung:

Hier das konventionelle Herangehen: Man soll heute Leser/innen mehr “abholen”. Bringt hier nur nix, wenn Leser X oder Leserin Y nicht offen für irgendwas außerhalb Jamaikas Entstandenes sein sollte. Erzähle ich also zu “Abholzwecken”:

Jamaika ist der Maßstab für alles, Reggae undenkbar ohne Jamaika, nur Jamaika authentisch, und, Überraschung, dem Ghanaer Stonebwoy gelingt es ganz gut, was er vor hat, wegen seiner jamaikanischen Gäste.

Variante 4 ist meine viertliebste und für mich die unpassendste Variante, das Thema anzupacken.

Eine neue afrikanische Welle und ihr Vorreiter?

Das Thema ist, dass es eine riesige Anzahl an Artists gibt, die so wie der Stonebwoy von afrikanischen Städten aus ihre Sicht auf Reggae & Dancehall in Töne gießen, mixen, rappen, singen, toasten, produzieren. Ebenso auch etliche, deren Eltern aus einem oder mehreren afrikanischen Ländern stammen und die in europäischen Städten aufgewachsen sind. Auch sie erheben Anspruch darauf, den Dancehall der Gegenwart mitzugestalten.

Wie gelingt das nun Stonebwoy? Sehr gut! Wer jetzt denkt, sicher wegen der vielen jamaikanischen “Featured Guests”, und karibozentrisch denkt, kann natürlich dabei bleiben und aufhören zu lesen. Alle anderen können sich in Ruhe den Varianten 1 – 3 zuwenden, denn zu denen gibt’s hier nun die Fortsetzung.

Zur Kenntnis nehmen wird man Stonebwoy so oder so als Reggae-Fan müssen – auch Kabaka Pyramid arbeitet mit ihm, und Damian Marley. Ein Song mit einem der markantesten Intros 2018 bisher:

Vorzüge des Albums – Credibility-Pop

Quelle/Source: Boomrush Promotions/Zylofon Music/Burniton Music Group

Stonebwoy gelingt es ganz gut, Religionskonflikte zu transzendieren (“whether you’re Moslem or …”). Es gelingt ihm sich klassische Motive des karibischen Dancehall-Pop “anzueignen” (schicker Oberflächen-Fachbegriff aus Anthropologie und Cultural Studies). Es gelingt ihm trotz seines akademischen Backgrounds “street credible” zu wirken – Zutaten wie die Ode an seine Mutter, die generelle Vielfalt, die ausstrahlende Ruhe des ganzen Albums und die Gäste, die jedem Gast-Gesangsbeitrag ihren jeweils eigenen Stempel aufprägen: Sie tragen alle dazu bei.

Kritisch könnte man all dieses Positive, die Religionsthematik, den Schein von Jamaika und Trinidad, die Street Credibility als aufgesetzt zu entlarven versuchen. Aber hey, es ist – man sieht’s an der Klarheit des Covers – es ist Pop! Es will ein glattes Produkt sein. Es will gefallen. Es will schön sein und unsere Hörgewohnheiten nicht quälen. Es ist kein “Sign O’The Times”-Cover-Artwork im Stile von Prince. Es sind auch keine siebenminütigen Kompositionen auf “Epistles Of Mama” zu finden, nichts Verstörendes.

Die großen Themen der heutigen Popkultur, die gespaltene Welt, das “Featuren” von vielen, vielen Gästen, Dancehall/Electropop-Sounds als Grundmotiv, das Fusionieren von Tradition & Moderne, das Post-Moderne des Sich-Nichtfestlegens, die scheinbare Authentizität, Brüche zu betonen – das liefert er sehr gut an.

Der Unique Selling Point: Das gibt’s nur hier!

In einem Punkt ist er aber ganz anders als alle 😉 anderen: bei der hemmungslosen Quantität. Unter 20 Stücken pro Album macht er’s gar nicht, hier sind’s 24. Und um da hinein eine Struktur zu bringen, baut er eine große Bruchlinie ein: Stonebwoy Afrobeats VS. Stonebwoy Reggae. Zwei Scheiben, zwei Digital-Einheiten. Das ist das klare und einfache Konzept.

Dabei löst er die beiden selbst gestellten Herausforderungen unterschiedlich. Den Afrobeats-Teil löst er Maßstäbe setzend, den Reggae-Teil Maßstäbe befolgend. Beides klingt sauber, auf beiden Hälften sind die Songs durchweg gut bis sehr gut. Der Funke springt auf mich überwiegend in der Afrobeats-Hälfte über – witzig, weil Elektronik weniger “meine” Musikrichtung ist als eher akustische Musik.

Break: Konzept & Kraft – ausführliche Rezension

Stellen wir uns einen Menschen mit zwei Ohren vor. Stellen wir ihn uns zu Hause beim Frühstück machen vor. Was hört er? Was hört er im Auto? Und was hört er in einer ruhigen halben Stunde? Was ist sein Soundtrack beim Badputzen und womit beschallt er eine Party? Was ist seine Musik, um sich aufs Ausgehen einzustimmen? Also, da kann einiges bei einem “durchschnittlichen” Menschen zusammenkommen.

Quelle: Boomrush Promotions/Zylofon Music/Burniton Music Group

Künstler/innen spricht man das seltsamerweise oft ab. “Er hat seinen Stil gewandelt” (als ob man sonst nur einen Stil leben darf), “er macht gar kein … mehr”, “er verrät seine Wurzeln” etc. – sowas müssen Artists oft in Rezensionen hinnehmen.

Stonebwoy macht ein Afrobeats-Album, sogar mit einer Spur Soca, und ein Reggae-/Dancehall-Album, zeigt uns gleich offensiv, dass in ihm mehrere Geschmäcker schlummern.

Highlights aus den Afrobeats: “Bawasaaba”, “Carnival” mit der reizenden Fay-Ann Lyons. “Hold On You” ist auch ein Anspieltipp. Sein Gast, die Sängerin Khalia, ist eher im R’n’B aktiv, so weit ich das herausfinden konnte. Und Dancehall steckt auch hier wieder. So trennscharf sind Afrobeats und Dancehall nun mal nicht (mehr).

Ein weiterer Höhepunkt: Wo er “Souljah” auf “Cranberry-Soda” reimt. Gut, dass er mit der Cranberry noch einen Trend aufgreift. Dieses Augenzwinkern durchzieht die meisten Lyrics. Es macht das Album und den Sänger sympathisch (meiner bescheidenen Ansicht nach…).

“Afrobeats” wird dabei als Sammelbegriff (west- und zentral-)afrikanischer Elektronikstile verstanden; mit “Afrobeat” im Sinne von Afrojazz/Funk à la Fela Kuti haben diese Beats so gut wie gar nichts zu tun. EIN Buchstabe – und der macht’s aus, ein kleines “S”. Auch in der Ära der erlaubten Rechtschreibschlampigkeit.

Mein absoluter Lieblings-Tune hier ist “Tia Tia” mit Joey B und Yaa Poro. Ein smoother, stimmlich charismatischer Tune. Zum Anbeißen und Süchtigwerden. An Saxophonverzierungen und -phrasierungen wurde generell nicht gespart.

All “killer tunes”?

Kann man so sagen. Gut, nicht jeder Song wäre als Single geeignet und hat sofort Ohrwurm-Eigenschaften. Aber doch: Der Qualität tut die Quantität keinen Abbruch.

Alle Songs sind in Ordnung. Geskippt habe ich beim Durchhören selten. Im Gegenteil: Der Mann macht so viel, dass nicht alles auf dem Album Platz fand. Seit dem Erscheinen (Dezember 2017) kamen mindestens vier weitere Singles hinzu, die nicht auf dem Longplayer enthalten sind, “Hero”, “Come From Far”, “Tomorrow” und “Dirty Enemies” (feat. Asamoah Gyan) – letzteres allerfeinster Afrotrap mit verschroben verschobenen Beats:

Reggae-Kompromisse

Die zweite Hälfte erschließt ein anderes Publikum. Sie lenkt zugleich den Blick auf eine ganze, in den letzten Jahren entstandene Szenerie sanfter Dancehall-Popper. Nachdem die Afrobeats-Hälfte mit Sean Paul schließt, tauchen in der zweiten Scheibe des Doppelalbums dann I-Octane und Pressure Busspipe auf. Agent Sasco, wie eingangs erwähnt. Und auch Kabaka Pyramid. Mit ihm hat Stonebwoy eine Kabaka-Single, die dann auf dessen Album “Kontraband” noch enthalten sein wird. “Suit & Tie” ist ein recht eingängiger Song.

Was mich aber auch noch sehr beeindruckt, ist das vorletzte Stück, “We Bad/Don 45”.

Stonebwoy live gibt’s beim Summerjam in Köln (Anfang Juli) und beim Reggae Geel in Belgien (Anfang August 2018).

Wie Stonebwoy sich im Freestylen schlägt, seht ihr unten.

Philipp Kause

Link: http://www.stonebwoyofficial.com/

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.