Reggae Jam, Bersenbrück, 3.-5.8.18 – Females in the front line?

Vom Line-Up des Reggae Jam in Bersenbrück ist inzwischen ungefähr die Hälfte bekannt – Zeit für einen Zwischenstand bei einem der mittlerweile größten Reggae-Festivals Europas. In diesem Teil geht es um die Damenwelt an den Reggae-Mikrofonen. Denn mit Frauenstimmen tun sich andere Festivals dieses Jahr wieder einmal schwer. Schauen wir mal, wer es nach Bersenbrück zur 25. Ausgabe des Events schaffen könnte…

Jah9 & The Dub Treatment

Jah9 2013 beim Interview mit Irie Ites

Jah9 gehört zu den Acts, die bislang unwiderruflich festzustehen scheinen. Janine (Künstlername Jah9) Elizabeth Cunningham war schon einmal bei einem runden Jubiläum des Festivals mit an Bord im Klosterpark Bersenbrück, vor fünf Jahren, beim 20. Reggae Jam. Auch zum 25. ist sie nun mit dabei, und sie bringt The Dub Treatment mit, eine auf dubbige Soundflächen spezialisierte Backing Band, mit der sie sich schon 2017 auf dem Summerjam in Topform präsentierte.

Jah9 2013 auf dem Reggae Jam

Dieser Punkt auf dem Line-Up verspricht also ziemlich sicher sehr viel. Jah9 hat in der Zwischenzeit sowieso mehr Dub-Luft geschnuppert (“Mad Professor Meets Jah9 In The Midst Of The Storm”) und natürlich gegenüber ihrem Bersenbrück-Auftritt vor fünf Jahren erheblich mehr Songs im Repertoire. Dabei sind mir besonders ihre frühen Songs angenehm in Erinnerung, als sie noch nicht Richtung Opernsängerin und Weltverbesserin ausschwärmte, wie sie es dann auf “9” tat. Live wirken aber auch die neueren Songs deutlich erdverbundener und weniger prätentiös, gestelzt, quietschig als auf dem Studioalbum.

Auf Jamaika wurde Jah9 besonders mit dem Song über die Avocado-Frucht bekannt. Weitere bekannte Songs waren “Steamer’s A Bubble”, “Hardcore”, “New Name”, “Humble Mi”; an der Seite von Protoje z.B. “After I’m Gone”. Oft wurde sie schon gemeinsam mit Jesse Royal und Chronixx auf der Bühne gesehen.

 

Nkulee Dube & Band

Die nächste Dame im Line-Up ist nach wie vor Nkulee Dube. Dieser Auftritt dürfte etwas Besonderes werden – einmal, weil Nkulee natürlich den Spirit ihres Vaters, Lucky Dube, immer mit transportiert und den Papa gerne covert. Dann auch, weil sie seit Jahren nicht mehr in Europa war und sowieso eher schwierig zu bekommen ist. Auch ihre Veröffentlichungen (bisher: drei Alben) sind derzeit in Europa nicht erhältlich. Auch sie war bereits beim Reggae Jam, anno 2012:

Die Spitzenkandidatinnen

Wen ich erwartet hatte, war Susan Cadogan. Nun ist es so, dass die 65-Jährige im April versucht hat, in England und Deutschland einige Konzerte zu geben. Diese Konzerte wie das in Regensburg und das beim Freedom Sounds Festival in Köln zusammen mit den amerikanischen Debonaires waren auch super. Allerdings merkte sie auch, dass sie gesundheitlich stark gefordert wurde. Flugzeug raus, Taxi rein, Hotel rein, Hotel raus, Treppe rauf, Treppe runter, Hotel, Bus, Flugzeug – das wurde schnell zu viel, und ihre ursprüngliche Zusage zum Reggae Jam cancelte sie leider erst einmal. Also: Susan Cadogan.

Bei einer ausgiebigen Internet-Recherche kann man zwar Anzeichen finden, dass die andere der drei Rocksteady-/Lovers’ Rock-Queens der ’70er, Dawn Penn, noch aufs Line-Up finden könnte. Bestätigt ist aber noch nichts. Dawn Penn war lange nicht mehr in Europa auf der Bühne, aber in den ’90er Jahren und bis etwa 2005/’06 ein gern und häufig gesehener Festival-Headliner. Beim Reggae Jam in Bersenbrück war sie im Jahr 2008 mit dabei, später wurde es dann (leider) still.

“Ihren” Hit “You Don’t Love Me (No, No, No)” (sie schrieb ihn nicht) solltet ihr euch mal in der Nattali Rize-Coverversion anschauen und -hören. Nattali hingegen ist zwar fast zeitgleich in Süddeutschland auf einigen Festivals und war auf dem Reggae Jam 2016 dabei, ist bislang aber nicht gelistet. Vielleicht kommt das noch? 🙂

Aus dem Hause Protoje & Indiggnation

Auf die dritte Seventies-Lovers’ Rock-Queen, by the way, auf Lorna Bennett, musste bereits eine ganze Generation verzichten. Schade eigentlich, hat sie mit Protoje doch einen Sohnemann hervorgebracht, der die Musikszene deutlich verändert hat – vor allem, wie Jamaika im Ausland wahrgenommen wird. Protoje ist auf dem Uppsala Reggae Festival eine Woche vor dem Reggae Jam gelistet, wie auch auf dem Ruhr Reggae Summer eine Woche danach.

Und “seine” Sevana, die er groß gemacht, beraten und produziert hat, die der Welt als seine Duettpartnerin bekannt wurde, IST auf dem Reggae Jam-Line-Up bereits drauf. Da würde es doch an ein Wunder grenzen, wenn nicht auch…. Aber Fakten statt Spekulationen – Protoje war 2014 dabei, und es wird mal wieder Zeit, ihn hier zu sehen. Sevana kam derweil 2016 bereits ohne ihn zum Reggae Jam. Neue Songs wird sie auf jeden Fall im Gepäck haben.

Eine weitere Spekulation wäre zwar – auch aus dem Protoje-Umfeld – Lila Iké wert (Sprich: ‘Lihlah Eik’). Vor einem Jahr noch gänzlich unbekannt, erzielte sie mit nur zwei Singles so viel Aufmerksamkeit in der Szene, dass sich wohl viele freuen würden, die junge (und auch noch sehr jugendlich wirkende) Sängerin “in action” zu erleben.

Auch Sevana war erst geringfügig bekannt, als sie 2016 in Bersenbrück auftrat, hatte eine EP veröffentlicht und auf zwei Songs als Gastsängerin mitgewirkt. Jedoch muss man annehmen, dass ihr noch Live-Erfahrung in Jamaika fehlt und sie auch noch nicht einmal als Background-Sängerin in Europa mit erschienen ist. Auf sie zu setzen wäre höchstens eine Randnotiz von einem bestenfalls sehr kurzen Slot; jedoch im Falle des Falles einem sehr intensiven Slot, denn Lila Ikés Stimme und Ausstrahlung sind “Hammer!”

Aus der Ära des Studio One

Doreen Shaeffer

Wesentlich mehr Erfahrung hat Doreen Shaffer zu bieten. Mit den Skatalites war sie von Herbst 2016 bis Herbst 2017 immer wieder auf europäischen Indoor- und Open Air-Bühnen, manchmal als Überraschungssängerin. Diese Zusammenarbeit währt schon lange (Doreen Shaffer war vor 55 Jahren bereits als Gründungsmitglied der Band mit dabei) und führte z.B. auch beim Festival im polnischen Ostróda zu nachfolgend verlinktem Auftritt. Die Konstellation ist erfolgreich, Doreen ungebrochen auf Tour. Die Lokalzeitung für Osnabrück, die NOZ, meldete indes den bevorstehenden Auftritt bereits im Januar und im März, ohne dass der Veranstalter bisher ein “Confirmed” geäußert hätte.

Zum Repertoire von Doreen gehören Klassiker wie “(My Boy) Lollipop” in der Ska-Version, “Sugar Sugar” und “Simmer Down”. In den einschlägigen Netzwerken lassen sich kaum halbwegs legal aussehende Song-Uploads noch Sequenzen einzelner Konzertsongs auffinden, deren Rechtesituation nachvollziehbar wäre; zudem haben wir zu dieser Künstlerin keinen Kontakt, um die Rechte zu klären, weshalb hier der Mitschnitt des Veranstalters aus Ostróda folgt (in kompletter Länge, voreingestellt der Moment, in dem Doreen auf die Bühne kommt):

Eine weitere Dame, die laut Zeitungsbericht im Gespräch ist: Norma Fraser. Denn so wie Doreen z.B. schon 2014 mit an Bord war, jetzt mindestens Anfang 70 sein dürfte und vielleicht nicht mehr allzu oft kommt, wird es für Norma Fraser einmal Zeit. Anfang der ’60er Jahre, als Jamaika gerade unabhängig wurde und die entsprechende Ska-Musik im Kommen war, nahm sie ihre erste Single auf. Das muss zwischen 1961 und ’63 gewesen sein, genau lässt es sich nicht ohne weiteres rekonstruieren – laut ihrer eigenen Website schon 1961!

1967/68 hatte sie ihre ersten großen Hits, z.B. das Cat Stevens-Cover “First Cut Is The Deepest”, das damals viele (in England z.B. P.P. Arnold) aufnahmen und “Respect” von Otis Redding, bekannt geworden durch Aretha Franklin.

Solche “Hits” der “westlichen” Welt wurden damals im Studio One auf Rocksteady gewandelt. Nichts Spektakuläres aus heutiger Sicht und auch noch kein Reggae im engeren rhythmischen Sinne – aber die Basis für alles, was danach an Reggae kam.

Gerade deshalb erscheint die Annahme nachvollziehbar, dass genau sie auf der 25. Ausgabe gerade dieses Festivals erscheinen könnte – des einzigen, das sich um die Sechziger und die Ursprünge noch wirklich “schert” und dem viel daran liegt. Doch die organisatorischen Hürden dürften hoch sein. Norma Fraser ist in hohem Alter und verfügt über keinerlei bekannte Tour-Routine. Wenn sie käme, dann wohl nur für diesen Auftritt – obwohl, vielleicht würde auch das belgische “Reggae Geel” am selben Wochenende anbeißen?

Aus der Geschichte des Festivals

Ein Blick in die Geschichte des Bersenbrücker Festivals zeigt, dass es da ganz interessante Damen auf der Bühne gab, z.B. Judy Mowatt an der Seite von Luciano (2005 am Abschlussabend, das war etwa zu der Zeit, als das Reggae Jam seinen Sprung machte und sich auf die anderthalbfache bis doppelte Besucher*innenzahl vergrößerte).

Mein persönlicher Wunsch wäre, dass Cecile (2007 in Bersenbrück mit der Soulfire Band) aus der (Bühnen-)Versenkung wieder herausgeholt wird. Schließlich macht sie non-stop wunderschöne Singles – die nur keine große Beachtung finden. Unter den “Stars” der Zukunft wäre es Zeit für die junge Dancehallerin Shenseea.

Bei all meiner Bezugnahme auf die Lokalzeitung aus Osnabrück möchte ich noch kurz anmerken: Oft gehen Form und Inhalt miteinander Hand in Hand – und so kann man nicht alles Gedruckte glauben, wenn jemand von “Alborosi” und “Saggy” schreibt… Alborosie ist zwar Italiener, das ändert aber nichts am “ie”, und Shaggy spricht man ja auch nicht “Säggi”, sondern “Schäggi”. Sorgsamkeit ist heute leider wenig wert. Vermutlich stimmt dann auch der Rest nicht so ganz.

Wie man Norma Fraser kreativ auf heutigen Sound anpassen kann? … zeigt hier ein DJ auf Soundcloud. Um die männlichen Artists geht’s im nächsten Teil und um einige bereits hier.

Philipp Kause

Summary/Zusammenfassung:

  • CONFIRMED: Jah9 & The Dub Treatment – Sevana – Nkulee Dube (daughter of South African Lucky Dube)
  • PROBABLE: Dawn Penn – Doreen Shaffer (& The Skatalites?) – Nattali Rize & Band
  • ORGANIZER’S WISHLIST: Norma Fraser
  • NOT POSSIBLE: Susan Cadogan
  • AUTHOR’S WISHLIST: Cecile – Lila Iké – Shenseea – Dawn Penn

Links:

20 Jahre Reggae Jam – Bericht auf Irieites.de, 2013

Nkulee Dube, 2012

Reggae Jam – Homepage des Festivals

Sevana – (grellbunte) Homepage der Sängerin Sevana

Dawn Penn – (schöne) Homepage der Lovers’ Rock/Rocksteady/Soul-Sängerin

Norma Fraser – Homepage der Rocksteady-Legende

Nkulee Dube – Profil von Nkulee Dube auf ReverbNation

Nkulee Dube auf irieites.de

 

 

 

 

 

 

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.