Sandokan Hifi, Zagreb

Dieses Soundsystem-Interview ist ein Teil einer Reihe. Weitere Interviews findest du fortan in unserer Kategorie Soundsystem Culture.


Sandokan Hifi – von Hannover nach Zagreb

Wer genauer in die Soundsystem Szene eintaucht, wird viele verschiedenen Facetten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdecken. Genau aus diesem Grund haben wir diese Reihe bei IrieItes.de ins Leben gerufen. In diesem Kapitel geht es um die Entstehungsgeschichte von Sandokan Hifi. Eine Geschichte, die in Hannover begann und nun in Zagreb weitergeführt wird. Alex war so lieb, uns ein paar Fragen zum Sound, aber auch der Szene in Kroatien zu beantworten.  

Kürzlich hast du mir bei einem Telefonat erzählt, wie die Entwicklung hin zum Sandokan HiFi gewesen ist. Magst du die einzelnen Entwicklungsschritte den Leser*Innen mal kurz schildern, die von den ersten Dances bis hin zu einem Foundation-Sound geführt haben? Ab wann ward ihr dann als Sandokan HiFi aktiv?

Sandokan Hifi gibt es seit 2006 und bestand zunächst aus meinem damaligen Kumpel Maui und mir. Ein Jahr später kamen dann Silan und Hanno dazu. Alle von uns waren vorher in anderen Crews unterwegs – Maui und ich in einem Sound namens „Liberation Sound“, Hanno bei „Raggaroma“ und Silan war unter anderem Sänger des Vocal-Harmony-Duos „Brimstone & Fire“. Alles Crews aus Hannover und Umgebung. Wir alle kannten uns von diversen Reggae Partys und Konzerten und waren bereits untereinander befreundet.

In den 2000ern bestand die Hannoversche Reggae Szene aus einigen Sounds, allesamt ohne eigene Boxen und im typischen Juggling-Stil spielend, die in verschiedenen Lokalitäten in der Stadt aufgelegt haben – und das eigentlich sehr oft. Wir hatten von ca. 2003-2005 ein echtes Überangebot an Auflegenden, allerdings haben auch alle irgendwie mehr oder weniger das gleiche gespielt: Modern Roots und Bashment style und ein paar alte Reggae Hits hier und da. Damals gab es ja auch diese große Roots Revival Welle mit Richie Spice, Chuck Fenda usw. Und auch viele Foundation Riddims wurden neu aufgelegt. Zudem war Bashment / Dancehall style noch sehr populär.

Die große Diskussion um homophobe Inhalte war zwar bereits im Gange, aber trug noch nicht wirklich konkrete Früchte in der Szene. Als dann unsere Crew „Liberation Sound“ im Jahr 2005 zerbrach, wollten Maui und ich auf jeden Fall weitermachen, haben aber auch ziemlich direkt entschieden, dass wir einen Tapetenwechsel brauchten, weil es uns nervte, dass fast jede Reggae Party in Hannover musikalisch irgendwie gleich war und sexistische und homophobe Tunes weiterhin ganz normal gespielt wurden. Da uns beiden immer schon alter Roots und 80er Rub-A-Dub gefiel, haben wir uns dann entschlossen, den neuen Sound auf Foundation und Conscious music auszurichten und einen Roots & Culture Sound draus zu machen.

Nun brauchten wir noch einen neuen Namen. Ein paar Jahre zuvor hatte die Freundschaft zwischen Maui und mir ihren Auftakt, als wir zufällig merkten, dass wir beide den Tune „Sandokan“ von Super Cat lieben – er das Live-Video mit Nicodemus auf dem Stonelove Sound, ich die Studioversion von Exterminator. Danach haben wir die ganze Nacht bei unendlich vielen Spliffs Tunes gehört und alte Sound System Aufnahmen aus Jamaica angesehen und unsere Freundschaft war geboren. Aus diesem Grund haben wir uns dann damals für „Sandokan“ entschieden – zu Beginn noch „Sandokan International“, da wir ja keine eigenen Boxen hatten und ich dagegen war, sich deshalb irgendwas mit „Sound System“ zu nennen. Da war ich immer schon strikt. Als wir dann irgendwann Boxen gebaut haben, wurde der Name in „Sandokan Hifi“ geändert.

In der Zwischenzeit war Maui aus Deutschland weggezogen und Sandokan Hifi bestand aus Silan, Hanno und mir. Wir haben dann in Hannover in der Sturmglocke, der Kneipe des Sprengel-Squats, sowie im UJZ Korn Veranstaltungen gemacht – „Radical Roots“ und „Liberation Skank“ – die allesamt einen Soli-Charakter hatten, also Eintritt so hoch wie nötig, aber so niedrig wie möglich und nach Abzug aller Ausgaben die Überschüsse an linksradikale politische Aktionen in Hannover gespendet.

2009 zogen wir alle innerhalb einiger Monate nach Berlin und begannen dann dort eine Veranstaltungsreihe namens „Dub Disorder“ komplett mit selbstgebautem Sound System usw., die bis 2015 lief, als es mich dann nach Zagreb verschlagen hat. In Berlin konnten wir zudem einige Male den Sound auf der Straße aufbauen und stundenlang spielen, zum Beispiel am Ersten Mai oder Fete De La Musique. Dies ist, dank Stadtpolitik und Ordnungsamt, heute längst nicht mehr möglich. Zudem waren wir auch da schon international auf diversen Festivals unterwegs und haben auch mehrfach auf der Rootsbase auf dem Fusion Festival gespielt.

Seit 2015 repräsentiere ich Sandokan Sound in Kroatien. Hanno und Silan kamen zu Beginn für mehrere Veranstaltungen runter, aber mit der Zeit zeigte sich, dass es extrem herausvordernd ist, so ein Projekt über mehrere Ländergrenzen gemeinsam zu stemmen. In der Praxis führte das dann langsam aber sicher dazu, dass Sandokan Hifi am Ende praktisch von mir alleine betrieben wird – was auch bis zum heutigen Tage der Fall ist.

Wo bzw. wie seid ihr das erste Mal mit dem Thema Soundsystem in Berührung gekommen?

Da kann ich jetzt eigentlich nur für mich selber sprechen, da alle von uns andere Zugänge zum Thema hatten. Sicherlich sind wir alle inspiriert durch die sehr vitale Reggae Szene, die es damals in Hannover gab. Wir gingen auf Partys, hörten Reggae auch zuhause und lasen natürlich super viel zum Thema, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis wir uns über das Konzept „Sound System“ und dessen Bedeutung für Reggae bewusst wurden. Für mich persönlich waren allererste konkrete Erfahrungen mit selbstgebauten Reggae / Dub Sound Systems beispielsweise Collynization Sound auf dem Reggae Jam, Roots Ark aus Pforzheim, die wir zu uns ins UJZ Korn eingeladen hatten, I-Livity I-Fi aus Hamburg, King David aus Berlin und Dandelion aus Freising. Und natürlich war es, wie ja fast bei allen, eine absolut bewusstseinserweiternde Erfahrung. Das Ganze hat noch einmal eine Schippe draufgelegt bekommen, als ich 2008 das erste Mal die University of Dub, damals noch in der London Bridge Station, besucht habe. Es spielten Aba Shanti-I, Blackboard Jungle und Channel One. Wir kamen in die Venue und mir ging Aba’s Bass direkt so an die Kehle, dass ich zwei Minuten brauchte, um wieder normal atmen zu können. Solche Erfahrungen hinterlassen einen Eindruck.

Haben euch spezielle Events oder andere Soundsystems dazu inspiriert, ein eigenens System in Angriff zu nehmen?

Ja, die Eintönigkeit der damaligen Reggae-Szene in Hannover, präsentiert über schlechte Club-Boxen – haha – ich weiß, das hört sich jetzt vielleicht etwas arrogant an, und es geht mir natürlich nicht darum, irgendwas schlecht zu machen – immerhin wuchs ich ja auch in dieser Szene auf und war ein Teil davon, aber ich wusste immer, da geht noch mehr! Von konkret existierenden Sound Systems oder Events gab es keine besondere Inspiration, sowas hatten wir in Hannover ja auch gar nicht. Vielmehr war es die ganze Sound System Culture, die uns inspiriert hat, da wir viel darüber lasen, Videos z.B. vom Notting Hill Carnival anschauten und so weiter. Da siehst du dann diese riesigen Boxentürme, selbstgebautes Equipment mit vielen Knöpfen und ohne jegliche Beschriftung, hörst diese unglaublich tuffen Dubs und siehst, wie das Ganze präsentiert wird. Das fanden wir natürlich viel cooler, als den aus Hannover bekannten Juggling-Style.

An dieser Stelle möchte ich allerdings einmal gesondert Re*Ignition Sound aus Hannover erwähnen, der zwar keine eigenen Boxen hatte, aber damals schon mit Jah Tubby’s Preamp und Sirene operiert hat, als sowas noch weitesgehend unbekannt war. Das, sowie Re*Ignitions damalige Radiosendung „Redderfire“ auf dem damaligen Lokalsender Radio Flora, hat mich defintiv in Bezug auf Sound System Culture beeinflusst.

Was begeisterte dich an der Soundsystem-Kultur? Warum habt ihr euch damals ein eigenes Soundsystem gebaut?

Für mich war es immer vor allem die Idee einer mobilen Radiostation, die Lieder spielt, die man nicht so ohne weiteres im Radio hört. Das ist auch heute noch die Quintessenz von Sandokan Hifi und mein Verständnis von Sound System. Zudem natürlich die Möglichkeit, einer Musik die nötige Schwere zu verleihen, die es benötigt, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Und dazu auch, das entsprechende Equipment zu haben, um unabhängig zu sein von schlechten Club-PAs. Eine Standard-PA ist einfach nicht mehr zufriedenstellend, sobald man das allererste Mal ein richtiges Reggae/Dub Sound System gehört und erlebt hat. Wenn Du Deinen Lieblings-Reggae-Tune zuvor immer nur über die häusliche Stereoanlage oder normale Clubanlagen gehört hast und ihn dann zum ersten Mal über ein „richtiges“ Sound System hörst….das macht was mit Dir. Das ist ein Point of no Return. Danach kannste Dir auch die ganzen alten Shaka Tapes anhören und kommst mit deren Aufnahmequalität klar, weil Du einfach weißt, wie sich das Ganze live anhört und anfühlt.

Hattet ihr bei euren Selections Vorlieben? Welche Musik ist/war bei euren Dances zu hören?

Sandokan Hifi war und ist vordergründig ein Roots & Culture Sound System, war aber auch immer irgendwie ein Dancehall Sound. Mit Dancehall meine ich an der Stelle nicht Bashment Music, sondern Dancehall Culture im Sinne von live MCing/Deejaying auf den Versions, Entertainment, usw. Bei uns wechselte sich die Selection über die Jahre natürlich immer wieder mal ab. Wir hatten Phasen, in denen wir mehr Roots Revival und UK Dub gespielt haben, dann mal wieder mehr 80er Rub-A-Dub und Raggamuffin style, dann mal irgendwie alles vermischt. Das hing natürlich immer von unseren persönlichen Vorlieben und Lieblingstunes zum jeweiligen Zeitpunkt ab.

Eine Konstante war und ist jedoch Conscious Music. Bei Sandokan Hifi gibt es keine Slackness oder in irgendeiner Form diskriminierende Musik. Wir sind aber auch kein Rasta-Sound, weshalb bei uns auch nicht alles spirituell ist. Wir mögen genauso gerne gutes Storytelling über alltägliche Begebenheiten, witzige Situationen oder Banalitäten (da fällt mir z.B. „Chubby Belly“ von Sassafrass ein). Roots- oder Rub-A-Dub Tunes mit sozio-politischen Inhalten über Geschichte, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen armer Menschen, Diskriminierungserfahrungen usw. machen denke ich den Großteil unserer Selections aus. Dazu natürlich auch schöne Instrumentals und Versions, Versions, Versions, Dub Cuts 1-6 und Dubplate Style. Aber wie gesagt, alles ist variabel und hängt vom jeweiligen Moment unseres Daseins ab.

Mittlerweile lebst du in Kroatien und hast dort das Sandokan HiFi-Projekt alleine fortgesetzt. Wie ich hörte, hast du dort schon etliche Events bespielt. Magst du von der Entwicklung des Projekts in einem anderen Land berichten?

Im Jahr 2015 bin ich nach Zagreb gezogen und habe von da an in Medika gelebt und gearbeitet. Medika ist das größte autonome Kulturzentrum des Landes, eine ehemalige Medikamentenfabrik (daher der Name) im Stadtzentrum von Zagreb, die Anfang der 2000er besetzt wurde und mehrere Clubs, eine Bibliothek, Sportraum, Ateliers und Studios und vieles mehr beinhaltet. Zunächst habe ich Sandokan Sound in DJ Sets vertreten, meist auf Einladung und über ein übliches DJ Setup.

Ein Jahr später habe ich die Sandokan Controls nach Zagreb geholt und dann Mitte/Ende 2018 den ganzen Sound. Zu dem Zeitpunkt habe ich die Mitten- und Höhen-Sektion überarbeitet und neue Boxen gebaut. Allein im Jahr 2019 habe ich mit dem Sound System um die 10 Veranstaltungen in verschiedenen Städten Kroatiens durchgeführt. Auch hatte ich zwischenzeitlich bereits unsere alte Berliner Partyreihe „Dub Disorder“ nach Zagreb verlegt und in Medika’s Club „Attack“ weitergeführt. Hier habe ich stets andere Sound Systems aus Kroatien und anderen Ländern eingeladen und wir haben 2-Scoops-Konferenzen abgehalten. Zudem habe ich auf verschiedensten Festivals gespielt, die es auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens so gibt, und zwischenzeitlich haben wir auch unser eigenes Festival ins Leben gerufen, das auf eine Initiative von meinen lieben Freunden vom Munchies Sound System aus Pula zurückgeht: Escape The City. Hier ist Sandokan Hifi der Resident Sound auf der Beach Stage und stellt fünf Tage lang das Tagesprogramm am Strand von Barbariga. Am ersten Tag spiele ich in der Regel einen 10-Stunden-Marathon, während noch der Rest für das Festival aufgebaut wird – einen Soundtrack für die Arbeiterklasse sozusagen. Dann haben wir einen Tag lang eine 2-Scoops-Arena mit zwei anderen Sounds und ansonsten spielen jeden Tag Gäste auf meinem Sound.

Alles das fand dann Anfang 2020 erstmal ein jähes Ende, als der erste Lockdown losging und kurz darauf ein schweres Erdbeben Zagreb erschütterte. Das Erdbeben zerstörte den Dachboden in Medika, den ich mir als Wohnung, Studio und Sandokan HQ ausgebaut hatte. Es brach eine tragende Wand zusammen und Ziegelsteine regneten auf den Control Tower und die Platten und zerstörten einiges davon. In der Folge hatte ich ein Crowdfunding erstellt, da ich mein Leben von heute auf morgen neu aufbauen musste und mir die Mittel dazu fehlten. Dies wurde zum Großteil sehr positiv aufgenommen, allerdings gab es vereinzelt auch Kritik. Ich denke aber bis heute, dass es nichts verwerfliches ist, in Krisensituationen um Hilfe zu bitten. Ob man das besser oder schlechter hinbekommt, wenn man gerade so ein Event hinter sich hat, darüber lässt sich natürlich streiten. Aber unterm Strich stehe ich dazu, dass ich die Aktion ins Leben gerufen und durchgeführt habe. Es können ja alle selbst entscheiden, ob sie helfen möchten oder nicht. Daher an dieser Stelle noch einmal ein Riesendankeschön an alle, die mich damals unterstützt haben! Das bedeutet mir nach wie vor sehr viel, denn ohne den Support hätte ich mich nicht so schnell wieder auf die Beine stellen können. Und an alle, die in dieser Sache noch Gesprächsbedarf haben sollten: Meine Türen und Ohren sind weiterhin offen. Nur für Geläster hinterm Rücken gibt‘s keinen Respekt, seen.

Fast forward nach 2022: Veranstaltungen sind wieder möglich, Escape The City fand zum fünften Mal statt und ist erfolgreicher denn je, das Sandokan Hifi Sound System stand auch wieder in Clubs – nur eine eigene Residenz fehlt derzeit noch. Hierzu gibt es allerdings auch bereits Ideen, also schauen wir einfach mal, was 2023 so bringt.

Wie würdest du die Soundsystem-Szene in Kroatien knapp beschreiben?

Definitiv anders als anderswo. Das liegt sicher daran, dass die kroatische Sound System Szene noch relativ jung ist und ursprünglich ihre Wurzeln in der Psytrance- und Punk-Szene hat. Digitron Sound System war das allererste selbstgebaute Dub Sound System in Ex-Jugoslawien und ist ein Jahr jünger als Sandokan. Es gibt zwar Leute, die auch vorher schon Reggae und Dub gespielt haben, aber eben auch über Standard-PAs.

Musikalisch mag man es in Kroatien eher „ruff and tuff“! Das hat, denke ich, auch mit dem Punk- und Trance-Hintergrund zu tun. Und vor allem mit dem Fakt, dass Digitron eine ganze Generation von Reggae- und Dub-Liebhaber*innen wenn schon nicht musikalisch erzogen, dann zumindest extrem beeinflusst hat. Digitale Produktionen, Steppers Riddims und laute, drückende Bässe sind nach wie vor am Populärsten in Kroatien. Hauptsache es knallt! Roots wird zwar auch gehört, dient aber zumeist eher als Warmup. Sandokan als Sound mit Roots-Priorität hat mehrere Jahre sein Ding durchgezogen, egal wie viel oder wenig Leute kamen und/oder sich beschwerten, weil sie Geballer hören wollten, aber als sie dann angebissen hatten und merkten, dass es ihnen eigentlich schmeckt, ab dann war es super!

Mittlerweile gibt es viele Sound Systeme in Kroatien, davon ein paar noch recht neue Sound Systems und Crews, die zum Teil auch (endlich) andere Ansprüche haben, als nur Dub und Steppers. Während es 2007 noch ein einziges Sound System in ganz Ex-Yu gab, gibt es heute allein in Kroatien mehr als zehn aktive Reggae / Dub Sound Systeme (mit einem neuen Sound momentan im Bau), in Slowenien fünf oder sechs, in Bosnien zwei und in Serbien drei. Das finde ich einen enormen Schritt. Wir kennen uns auch alle untereinander, laden uns gegenseitig ein und sehen uns durch das Jahr hinweg immer mal wieder.

Gibt es besondere Künstler*Innen, Produzent*Innen oder Labels, die du persönlich besonders magst und dementsprechend auch häufiger spielst?

Was meine musikalischen Vorlieben und meinen Zugang zum Thema Sound System und Reggae Music betrifft, bin ich vordergründig Historiker. Ich liebe alten Roots und werde nie darüber hinwegkommen, wie viel unterschiedliche Musik auf dieser kleinen Insel Jamaica produziert wurde. Das alles zu entdecken, da bin ich an meinem Lebensende noch nicht fertig. Daher ist und bleibt das meine Schatztruhe Nummer Eins. Neue Labels bekomme ich zwar mit, aber in den meisten Fällen kickt es mich nicht so sehr, wie wenn ich beispielsweise einen jamaikanischen Artist oder Tune aus den 70ern/80ern entdecke, von dem ich auch nach 20 Jahren Reggae diggen noch nie was gehört habe. Ich liebe deren alte Wege, Tunes zu produzieren und zu dubben. Heute versuchen ja einige, diesen Sound wieder zu rekonstruieren – mal besser, mal schlechter. Aber für mich geht halt eben doch nichts über 70er und 80er.

UK Dub aus den späten 80ern und den 90ern mag ich auch ziemlich gerne, da damals noch alles so schön offen und experimentell war. Leute haben mit Synthesizern und Drum Machines herumexperimentiert, neue Sounds gesucht und exzellente Tunes geschaffen. Irgendwo ab Mitte/Ende der 2000er ist das Ganze mit der nachfolgenden Generation dann schon wieder recht orthodox und damit irgendwie auch etwas eintöniger geworden. Da verliere ich wieder ein wenig das Interesse, aber natürlich lassen sich auch von den 2000ern bis zum heutigen Tage gute Produktionen finden.

Heute kann jeder Dub und Steppas produzieren und auf Polyvinyl cutten, aber den Großteil davon finde ich zugegebenermaßen eher langweilig. Schön finde ich hingegen, dass es in den letzten Jahren auch wieder einige Roots Revival Projekte gibt, die zum Teil extrem gute Produktionen releasen, die sehr nah an 70er Jahre Roots aus Jamaica herankommen. Beispielsweise Roberto Sanchez / Lone Ark aus Spanien oder Pachyman aus den USA.

Das Betreiben eines Soundsystems hat neben der Musik viel mit Technik zu tun. Stelle bitte die aktuelle Hardware für die technisch interessierten Leser*Innen vor.

Ein Sound System ist ja immer im Wandel, aber Stand Dezember 2022 beinhaltet Sandokan Hifi folgendes Setup:

Sound System:

2x 18“ Mogale Super Scooper mit VOID V-18 1000 geladen und durch VOID Infinite 6 betrieben
2x ES-18 BPH Kicker (modifiziert mit ein paar Geheimnissen), geladen mit OBERTON 18XB700 und betrieben durch P.AUDIO PA18
2x Eigenkreation Mittel-Hochtöner mit 12“ (B&C), 6“ (18SOUND) und 1“ Horn (B&C) mit eingebauter passiver Frequenzweiche (selbst entwickelt), betrieben durch Q&C RMX 2450
DBX DriveRack PA+ als DSP
Diverses Equipment für Strom, wie t.racks PSA 3216 und Furman M-10x E (empfehlenswert, wenn man Vintage Effekt-Maschinen benutzt, die brummen und surren)

Control Tower:

Mostec 3 Way Mini Preamp
Allen & Heath MixWizard 16:2DX
Allen & Heath Xone22
BOSS RDD-10
Lexicon LXP-1
2x Monarch EEM-3000
GEMINI CD-140
NJD Siren (Gideon Red)
Selbstgebaute Sirene
Analoges Jugo-Delay für 3 Euro vom Flohmarkt, dass sich genauso anhört, wie das von allen geliebte HH Slider Tape Echo (meine Theorie ist, dass das eine Abschlussarbeit eines Elektrotechnikstudierenden in den 80ern war)

Alleine schon logistisch ist ein Soundsystem herausfordernd. Wer unterstützt dich bei Dances, macht Flyer etc.?

Tja, seit ich Sandokan Sound mehr oder weniger alleine betreibe, hat sich auch hier einiges verändert… das Gute ist, dass mein Sound direkt bei mir im Haus steht und dass mein Van vor der Tür parkt. Es sind von dieser Seite aus also keine großen Wege zu bewältigen, um alles Equipment einzusammeln und bereit zur Abfahrt zu sein. Natürlich braucht es immer ein zweites Paar Hände, um zumindest die Scoops und Kicks einzuladen. Meistens kommt jemand aus dem Freundeskreis vorbei und fässt mit an oder ich biete eine kostenlose Mitfahrt zum Dance im Gegenzug für Hilfe beim Ein- und Ausladen. In den Venues selber sind ja immer irgendwie helfende Hände mit am Start und am Ende ist es ja auch so, dass Sandokan Hifi „nur“ sechs Boxen hat. Das ist etwas, das ich an diesem Sound immer geliebt habe: Er spielt warm, laut und klar und mit einer enormen Portion Bass – dafür, dass er eigentlich so klein und handlich ist.

Die Flyer und Plakate hatte früher der Silan, unser Sänger, gemacht. Er gehört ja der letzten Generation von Graphikdesignern an, die noch diplomiert haben. Seit das Ganze allerdings in Kroatien stattfindet, habe ich das selbst übernommen. Ich bin da zwar jetzt nicht so versiert, aber ich denke, für die Dub Disorder Sessions habe ich mein Corporate Design gefunden, das graphisch auch irgendwie unsere Punk- und Squat-Roots repräsentiert. Ansonsten habe ich aber auch Leute im Freundeskreis, die gefragt werden können. Plakate kleben muss ich fast nicht mehr, denn in Kroatien funktioniert die Werbung größtenteils über Social Media Kanäle. Da ich zudem unter anderem online arbeite, promote ich meine Events während der Arbeitszeit und lass es mir dadurch sozusagen bezahlen haha

Welche Visionen hast du für das Soundsystem? Was steht demnächst an?

Wie oben schon erwähnt, ist ein Sound System ja immer im Wandel. Ich habe einige Ideen bezüglich des Setups und möchte unglaublich gerne wieder eine eigene Residenz haben. Schönerweise hat sich bereits in beide Richtungen etwas bewegt. Was das Setup betrifft, habe ich einen Zeit- und Finanzplan entwickelt, in dem ich den Sound gerne von 3 Wegen auf 5 Wege erweitern möchte und dementsprechend dann auch eine neue Mitten-Höhen-Section bauen werde. Auch im Control Tower wird sich in dem Zuge einiges ändern.

Die Residenz betreffend ist es ja so, dass sich über die letzten zwei Jahre hinweg sehr viel verändert hat. Clubs haben geschlossen, andere haben eröffnet, Dinge sind teurer geworden und vieles hat eine Art Reset erlebt. Der Club Attack in Medika, wo ich die „Dub Disorder“ Sessions veranstaltet habe, existiert und arbeitet weiterhin, allerdings hat hier nun ein anderer Sound seine Residenz, was auch völlig okay ist. Wir sind miteinander befreundet und haben auch schon mehrfach zusammen gespielt. Mir hat sich neulich eine neue Möglichkeit an einem anderen Ort aufgetan. Das könnte ab Mitte des Jahres losgehen, aber solange da noch nichts konkret geplant ist, wollen wir den Ball erstmal flach halten.

Natürlich geht auch unser Escape The City Festival weiter und ich freue mich jetzt schon, Ende Juli (26.-30.07.2023) wieder fünf Tage mit dem Sound am Strand in Barbariga, Istrien zu sein. Wer weiß, was sonst noch dazu kommt. Mit einem Freund aus Sarajevo plane ich schon länger eine Session unten in Bosnien. Und letzten Sommer habe ich Leute in Jablanica in der Herzegowina kennengelernt, die ein Café beim Museum für die Verwundeten der Schlacht an der Neretva betreiben. Dort gab es im zweiten Weltkrieg eine spektakuläre Flucht der Tito-Partisanen, die eine Brücke über die Neretva gesprengt und den Nazis damit den Weg abgeschnitten haben, um ihre verletzten Genossen zu retten. Tito sagte damals, dass die Verwundeten nicht zurückgelassen werden dürfen, und seit den 70ern gibt es an der Stelle ein Museum zu diesem Ereignis. Das Museum hat eine Art Amphitheater und dort soll ich den Sound dann wohl aufstellen. Das wäre wirklich ein Traum, aber auch hier: Ich glaube es erst, wenn ich es vor mir sehe 😊

Welche besonders wichtigen Tipps hast du an diejenigen parat, die derzeit darüber nachdenken, selbst aktiv zu werden?

Holz und Elektronik sind teuer und in der Szene wird viel gelabert. Lasst euch davon aber nicht zurückhalten! Was mich betrifft, könnt Ihr eure allererste Box auch aus Sperrmüll und mit einer Stichsäge zimmern. Auch dabei werden ihr Erfahrungen sammeln und etwas lernen, was euch definitiv weiterbringt. Sound System ist sowieso keine Sache, die man einmal baut und das war’s. Es ist eine Reise, es entwickelt sich stets weiter und es hört nie auf! Daher ist es am allerwichtigsten, erst einmal anzufangen. Dinge verändern und weiterentwickeln kann man später immer noch. Equipment kann man auch wieder verkaufen und sich was anderes zulegen. Das ist alles variabel. Wichtig ist die Entschlossenheit zur Sache und die Liebe zur Musik.

Die Musik, die ihr spielt, sollte meiner Meinung nach die Grundlage für die Planung des Sound Systems sein. Ein Bisschen vereinfacht ausgedrückt: Wenn ihr Roots und Rocksteady liebt, benötigt ihr nicht zwingend ein High-Tech-Soundsystem mit neuesten Boxen-Kreationen. Orientiert euch vielleicht eher an Vintage Equipment, schaut in die Geschichte von Sound Systems und fangt von da aus an. Wenn ihr digitalen Dub und neueste Produktionen liebt, dann wäre es unter Umständen ratsam, sich eher neuere Entwicklungen anzuschauen. Auf jeden Fall macht eure Hausaufgaben und überlegt, was ihr mit der Anlage anfangen wollt – ein Sound System muss ich nicht immer nur laut und bassig sein. Es geht um Vibes, Attitude und Präsentation. Ein Valve-Sound, der absolut gesehen eventuell „leiser“ spielt, aber dafür einen warmen, analogen Sound hat, kann meiner Meinung nach besser sein und Sound System Culture besser repräsentieren, als eine High-Tech-Anlage, die zwar ballert, aber kalt klingt. Das gilt auch für das Einstellen des Sounds. Messt das Ganze gerne ein, aber verlasst Euch nicht zu sehr auf Graphen und Zahlen. Benutzt euer Ohr und seht zu, dass sich Euer Sound eine menschliche Komponente bewahrt und dadurch dem Publikum seine Seele zeigt.

Interview: IrieItes-Crew/Karsten Frehe (02/2023)

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.