Irie Island Sound, Rügen


Dieses Soundsystem-Interview ist ein Teil einer Reihe. Weitere Interviews findest du fortan in unserer Kategorie Soundsystem Culture.


Irie Island Sound, Rügen

Am 9. Dezember 2023 startete das Irie Island Soundsystem auf Rügen imposant mit einem ästhetisch fein aussehendem Stack ein neues Projekt. Ein erster Dance von Newcomern? Weit gefehlt! Die Geschichte von einer Reggaekultur auf Rügen geht schon viele Jahre zurück und wurde immer wieder mit diversen Crews und Aktionen befeuert. Akteure, die mit ihrer Liebe zur Musik und deren Inhalten Menschen zusammen bringen, gab es dort schon sehr lange. Nun also ein neues Soundsystem zwischen Insel, Strand und Kreidefelsen. Benno und die Crew waren so nett, uns ein paar Fragen zu beantworten. 

Seit wann existiert euer Soundsystem und wo ward ihr bislang aktiv? Habt ihr reguläre Dances, womöglich in einer Homebase?

„Schallalalaleya Schallalalala, das Irie Island Soundsystem ist da!“ So hat es am 9. Dezember 2023 aus dem Soundsystem im La Grange in Bergen auf Rügen jeschallert. Am Mic: Peter Schlaks. Das Soundsystem ist eingeweiht. Meine Jüte, es kribbelt emma noch.

Die Geschichte des Irie Island Soundsystems begann Ende der 90er Jahre auf der schönen Insel Rügen. Nach einem Urlaub auf Jamaika traf sich Benjamin (Ben) mit einigen reggaebegeisterten Freunden in Tilzow und veranstaltete als damaliger ToBeGo Sound (Tom+Ben+Go) kleine Parties, um einfach die Musik zu feiern. Die musikalische und inhaltliche Auseinandersetzung mit den Texten spielte dabei eher eine untergeordnete Rolle. Aufgrund der begrenzten oder fehlenden Verkehrsanbindungen wurden die damaligen Gäste und Crew noch mit dem Auto gebracht, besonders, da einige von ihnen noch minderjährig waren. Ende der 90er Jahre wurden bereits Sounds eingeladen, die mit Plattenspielern und Vinyl kamen. Durch das Sammeln von Vinyl und die Liebe zur Musik wurde die Auseinandersetzung damit noch leidenschaftlicher. Daraus resultierten Ausflüge nach Berlin, um Parties zu besuchen, Vinyl zu checken und Mixtapes von Barney Miller zu organisieren (die mehrfach kopiert und tausendfach gehört wurden). Zu dieser Zeit wurde auch schon unter dem Namen SlowMoos eigene Musik gemacht und gejammt, immer mit viel Begeisterung und Spaß, auch wenn niemand wirklich Geld hatte. Unter anderem entstand daraus durch Ben & Tom im Jahr 2001 die Disko MAHK’INA-Temple of Sounds in Bergen auf Rügen, mit den regelmäßigen Reggae-Parties namens IRIETHOPIA. Zu diesen Partys wurden Künstler wie Nosliw, Ganjaman, Vido Jelashe, Ronny Trettmann (Germaican), Dr. Ring Ding und Sounds wie Concrete Pressure Soundsystem (Wismar), Los Cassettos (Rostock), Smoking Tuna International (Rostock) und Grooving Smokers (Berlin) eingeladen.

Zur gleichen Zeit formierte sich die IRIE ISLAND CREW (“Rügen Rockt!”), bestehend aus Wieland (Gesang), Benjamin (Chanting) und Selecta Moe (Mixmaster), die im Jahr 2004 ihr Album veröffentlichten und damit durch das Land tourten. Ein unvergesslicher Moment war der Dance im Geburtstagsclub in Berlin, bei dem mehr Exil-Rügener*Iinnen als Berliner*Innen anwesend waren. Nach der Tour und dem Umzug eines Mitglieds blieben das Irie Island Sound und die IRIETHOPIA-Parties bestehen. Im Jahr 2006 stieß Benno, der bereits seit langem Gast der Reggae-Parties war, dazu. Im Jahr 2007 zog Benno für mehrere Jahre nach Berlin und mischte sich dort in die Reggae-Szene. Insbesondere von Hotta Henne (Hotta Riddims- Big Up!) erhielt er viele Impulse.

Der Wunsch, ein Soundsystem zu haben, das den eigenen Vorstellungen entspricht und weitestgehend originalgetreu ist, entstand bei Benno durch das Buch “Bass Culture” , zumindest gedanklich- da mittellos. Mittlerweile sind wir beide jedoch mit der Familienplanung fertig, die Liebe zur Reggae-Musik ist geblieben und die Lust, etwas Positives zu tun, ist nie vergangen.

Ein wesentlicher Faktor, ein Soundsystem haben zu wollen, ist dann mit Malte und Paul von InselKLANG (www.inselklang.de) gekommen, die sich nach ihrem Studium mit dem Bau von Soundsystemen auf Rügen selbstständig gemacht haben. Inselklang sticht meiner Meinung nach vor allem durch den Bau der Hörner hervor. Auch das sommerliche Betreiben des Klangpavillons in Sellin mit “Bernd dem Betonhorn” ist beeindruckend.

Wo bzw. wie seid ihr das erste Mal mit dem Thema Soundsystem in Berührung gekommen?

Ben wurde im Jahr 1997 nachhaltig von einem Besuch in Montego Bay auf Jamaica beeindruckt, insbesondere von einer riesigen „Boxenwand” und den Vibes, den Menschen auf der Strasse und diesem Lockeren, Ungezwungenen. Mit den ganzen gesammelten Erfahrungen kam Ben dann nach Rügen zurück und baute den “Reggae auf der Insel Rügen“ auf.

Ich, Benno, kann mich nicht mehr genau erinnern, aber ich glaube, es war im Jahr 2004 bei einer Veranstaltung im damaligen Yaam, als ich das erste mal ein Soundsystem gesehen habe. Zunächst war ich einfach nur begeistert von dem unglaublichen Sound, denn der Klang in manchen Locations ließ oft zu wünschen übrig- was übrigens heute noch so ist. Erst im weiteren Verlauf und durch meine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Reggae und seiner Geschichte fing ich an, mich auch mit Soundsystemculture zu beschäftigen. Das Thema Soundsystem ist meiner Meinung nach ein wesentlicher Bestandteil des Reggaes und seiner Geschichte und man kommt nicht umher, sich damit tiefergehend auseinanderzusetzen. Die Umsetzung dieser Erkenntnisse ist jedoch eine andere Geschichte, die noch geschrieben werden muss.

Haben euch spezielle Events oder andere Soundsystems dazu inspiriert, ein eigenes System in Angriff zu nehmen?

Der Gedanke, der schon länger präsent war, wurde leider nicht immer von den erforderlichen Mitteln und der Zeit begleitet. Angefangen bei den Besuchen des Summerjams in den frühen 2000er Jahren mit der gesamten Mahkina-Crew bis hin zu Konzerten und Soundsystem-Shows. All das war Teil des Erlebens und der Idee. Doch so richtig festgehalten hat Benno diese Leidenschaft beim Besuch des Dubcamps 2023 (Reggaejam), als er das Roots Plaque Soundsystem sah und hörte. Immer noch Gänsehaut.

Ein Soundsystem und ein Notstromaggregat ermöglichen Unabhängigkeit vor allem von Orten. Im Sommer bietet Rügen einfach alles: Wasser, Strand, coole Menschen und vieles mehr. Das Soundsystem und die Vinyls sind einfach das I-Tüpfelchen für einen gelungenen Sommerabend am Strand von Rügen. Die Freundschaft zu Malte und Paul von InselKlang markierte dann den Höhepunkt einer Idee, die zur Umsetzung eines eigenen Soundsystems führte.

Was begeistert euch an der Soundsystem-Kultur?

Was uns an der Soundsystem-Kultur begeistert, sind der Vibe, die Atmosphäre und auch der familiäre Umgang sowie die Offenheit. Das schafft eine ganz einzigartige Stimmung, die uns tief berührt. Doch ganz oben auf der Liste steht die gute Klangqualität und die tiefen, massierenden Bässe.

Warum habt ihr überhaupt ein Soundsystem gebaut und nutzt nicht einfach Standard-PA-Komponenten in Clubs?

Das ist doch eine rhetorische Frage, oder nicht? (Haha, ja, in gewisser Weise. Es gibt allerdings auch Crews, die sich Soundsystem nennen ohne einen eigenen Stack etc. zu haben)

Eine Vielzahl von Faktoren kommt zusammen und bewegt einen dazu, sein eigenes Soundsystem zu bauen und zu betreiben. Daher lade ich herzlich ein, meine Garage zu besuchen oder auf einen Dance zu kommen.

Die Grundidee entstand 2022 während eines Besuchs von Benno in Suhrendorf (Ummanz). Dort betreibt Kai aka Cocotone, die Surfschule. Da beide begeisterte Soundboys sind und darauf aus waren, auf Rügen wieder etwas mit Reggae zu starten (anstatt Techno und Schlager), fanden im gleichen Jahr drei nacheinander folgende Dances statt: der Birthday-Bash von Cocotone mit Longfingah, Tonto Addi & Yugo T an der Surfschule Suhrendorf, dann die Sub Pressure Band mit Yugo T, Tonto Addi & Longfingah am Klangpavillon und on Top Jugglerz im La Grange.

Das Nutzen von Standard-PA-Komponenten ist einfach nicht dasselbe, wenn man regelmäßig eigene Dances durchführen möchte. Im gründe gibt man auch Geld aus, schleppt aber es klingt halt nicht so gut.

Ich habe euch ja leider noch nicht live erleben können. Auf den Bildern, die einen von euch auf den sozialen Medien erreichen, fällt mir auf, dass ihr in Saczhen Ästhetik bezüglich eueres Stacks ganz weit vorne landet und eigene Ideen einbringt. Was ist euer gestalteristisches Konzept?

Du bist immer herzlich eingeladen, es live zu erleben. Ein gestalterisches Konzept gab es eigentlich nicht. Malte und ich haben uns ganz pragmatisch mit einem grauen Blatt Papier in der Werkstatt hingesetzt und in 20 Minuten alles entworfen. Die Ästhetik kommt vermutlich von den Hörnern, was natürlich absichtlich so gewählt wurde. Solche Hörner habe ich bei keinem anderen Soundsystem gesehen, und ein bisschen hervorstechen wollen wir auch. Ich finde, niemand baut schönere Hörner als InselKLANG. Es ist auch unser Anliegen, die lokalen Menschen mit ihren coolen Sachen zu unterstützen. Gleichzeitig war klar, dass das Soundsystem schon im Ruhe-Modus zeigen soll, welche Musik daraus zu hören sein wird. Das Auge isst immer mit.

Habt ihr bei euren Selections Vorlieben? Welche Musik ist bei euren Dances zu hören?

Die Selection ist immer abhängig von der Party, den Gästen und der eigenen Stimmung oder vielmehr der aktuellen Vorliebe. Kritisieren ja, diskriminieren nein. Ben legt gerne One Drop, Roots, NeoRoots und internationalen Reggae auf, insbesondere mit spanischem und französischem Einfluss. Benno mag alles von Ska bis Dancehall, ist aber besonders angetan von Rocksteady und den 80s.

Gibt es besondere Künstler*Innen, Produzent*Innen oder Labels, die ihr besonders mögt und dementsprechend auch häufiger spielt?

Ben: Angefangen mit Steel Puls, Burning Spears, Culture, Bob Marley, später dann Bushman, Buju, Beenie, Sizzla, Jetzt: gerne Manu Digital

Benno: Puhhh… da kann ich gar nicht so konkret werden, ohne, dass die Seite voll wird.

Es gab sicher bei euren bisherigen Veranstaltungen schon viele Gäste? Andere Soundsystems und/oder Künstler*Innen/ Produzent*Innen etc.. Welche Gäste würdet ihr als Highlights bezeichnen?

Der Auftritt von Nosliw im Mahkina 2006 war definitiv ein Highlight. Das lag vor allem an Nosliw selbst und seiner äußerst positiven Art und Weise. Es ist bezeichnend, da der schlimmste Gig der Irie Island Crew in Rostock bei Smoking Tuna int. als Voract von Nosliw war. Die Bühne war so ungeeignet für Vinyl und springende Wielands und Bens. Großartig!

Das Betreiben eines Soundsystems hat neben der Musik viel mit Technik zu tun. Stellt bitte eure aktuelle Hardware für die technisch interessierten Leser*Innen vor.

Das aktuelle Grundset setzt sich folgendermaßen zusammen:

3-Wege System Mono

3 18 Zoll Super Scoops- Proline 3000

3 15 Zoll Kicker- Proline 3000

2 7 Zoll Hörner- TA 2400

Management: Behringer DCX2496 Ultra-Drive

Alleine schon logistisch ist ein Soundsystem herausfordernd. Wer macht bei euch was? Wer legt auf, wer macht die Flyer, wer baut auf etc.?

Da wir bislang nur einen Dance mit dem Soundsystem hatten, gibt es bisher keine Routine oder Struktur. Allerdings suchen wir noch Leute, die Interesse an guter Musik und entspannten Parties haben. Wir legen beide auf, Ben übernimmt außerdem das Mikrofon, und Benno kümmert sich um Flyer und so Sachen. Den Aufbau machen wir gemeinsam, und momentan ist die Sackkarre unsere dritte helfende Hand. Das Soundsystem steht bei Benno in der Garage und zaubert ihm beinahe täglich ein Lächeln aufs Gesicht.

Welche Visionen habt ihr für euer Soundsystem? Was steht demnächst an?

Unser Hauptanliegen ist es, regelmäßig Möglichkeiten zu schaffen, bei denen Menschen zusammenkommen können, um die Vielfalt der Reggaemusik zu feiern und eine schöne Zeit miteinander zu verbringen. Der Plan ist, das Soundsystem im Jahr 2024 definitiv an den Strand und in die Sonne zu bringen. Die regelmäßigen Veranstaltungen werden wahrscheinlich im La Grange stattfinden, einem der wenigen Orte auf der Insel mit viel Raum für Kultur und alternative Musik. Als nächstes steht eine Veranstaltung an, die Drum & Bass/Jungle mit Reggae vereint und zu der Freunde aus Rostock eingeladen sind. Außerdem sind wir immer offen für andere Sounds und Artists.

Welche besonders wichtigen Tipps habt ihr an diejenigen parat, die derzeit darüber nachdenken, selbst aktiv zu werden?

Lasst es einfach laufen. Schließt euch einem Soundsystem an, seid aktiv. Einmal davon ergriffen, fällt es schwer, sich davon zu lösen. Es handelt sich jedoch um ein kostspieliges Hobby, das entweder eine große Investition erfordert oder Geduld und Zeit. Doch wer hat schon das nötige Kleingeld, neben dem Kauf von Vinyl und den alltäglichen Lebenskosten? Es ist wichtig, sich mit gleichgesinnten, interessanten Menschen zu umgeben, die die Faszination für Soundsysteme teilen, Bücher lesen, Videos schauen, zu Veranstaltungen gehen und das Leben in vollen Zügen genießen.

Also kurz: Recherchieren, in Qualität investieren, Netzwerken sowie Hingabe und Ausdauer.

Karsten, danke für die Fragen! Bei der Bearbeitung sind uns wieder so viele schöne Erlebnisse in den Kopf gekommen. Unbezahlbar! Es sind doch gerade die schönen Erinnerungen und natürlich auch die schrägen und lustigen die die kleinen Anstrengungen entschädigen. Irie Greetz.

Interview: IrieItes-Crew/Karsten Frehe (12/2023)

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.