Summerjam, Köln, 6.-8.7.18, Vorschau #3 – Raggamuffin, Dancehall & europäische Acts – feat. Skarra Mucci, Dactah Chando, Naâman, MHD

Durchgang Red Stage – Green Stage auf dem Gelände am Fühlinger See im Norden von Köln

In diesem dritten Teil der Summerjam-Vorschau auf Irie Ites geht es um einen Jamaikaner, der schon mit vielen europäischen Acts gearbeitet hat, Skarra Mucci. Von seiner Musik aus geht’s über Dactah Chando von den kanarischen Inseln zum Afrotrap-Phänomen MHD und dem ebenfalls französischen Naâman.

Wichtig für alle Dub-Fans, die ja hier auf irieites.de gerne zugreifen: Wessen Herz speziell für fette Bass-Sounds, Drum’n’Bass, Dubstep, Dub, Jungle, Roots Dub & Co. schlägt, wird bei dieser Ausgabe des renommierten Festivals kaum fündig werden und jedenfalls eher weniger als in den Vorjahren.

Hier sind nochmal alle Namen, dieses Mal gelistet nach Mehr-/Weniger-Roots-Zugehörigkeit. Tja, mit wem soll ich da nur den Anfang machen 😉 ? Egal, wie ich herum ich sie aufliste – ich werde mir Ärger einhandeln! 🙂 Fett hervorgehoben all die, um die es in diesem Beitrag ausführlich gehen wird.

Gentleman – bei der 33. Ausgabe des Festivals dabei und selbst das 12. Mal dort am Start

Jahcoustix*, Richie Stephens & Ska Nation, Sebastian Sturm*, Skarra Mucci, Tóke, Dactah Chando, Ziggy Marley, Ganjaman*, Jesse Royal, Inner Circle, (*) Klub Kartell, Jahmiel, Chronixx, Gentleman, Treesha, Tarrus Riley, Christopher Martin, SOJA, Konshens, Afrob, Memoria,  Trettmann, Naâman, The Skints, Dellé*, Miwata, Ace Tee & Kwam.E, MHD, Stonebwoy, Charly Black, Lary, Kelvyn Colt, RIN, Ty Doll$r Sign, Yaw Herra, Milky Chance, Alkaline, Bausa, Nugat, J Hus, Chefket, Dendemann, JONESY, Marteria, Romano, 3Plusss, Füffi, I Salute, Jace.

Die ganze Namensliste gab’s auch in alphabetischer Abfolge in Teil 1 & 2 des Vorberichts.

Ein paar Erläuterungen zu den Genres:

April-Aktionsangebot für Gruppen auf summerjam.de

Nun ja, Afrob akustisch zu hören, kann neben sanften Reggae-Beats auch ein “Conscious”-Ambiente aufbauen. Miwata ist mit seinem aktuellen Material deutlich an Pop & Urban Dance dran, die Texte erlauben sich Schlager-Pop. House-Beats und Sound Loops aus dem House kann man auch heraushören. Das Akustik-Album von ihm war doch in einer völlig anderen Welt. Trotzdem werden auch die Jamaika-Reiseerfahrungen mit transportiert, Miwata wird im Reggae als Reggae-Artist wahrgenommen, spielte 2017 auf vielen Reggae-Festivals und Riddim-Muster der Jugglerz klingen eben auch stellenweise nach Dancehall-Riddims. MHD ist in seinen französischen Lyrics voll in der Thematik des sozialen Aufstiegs aus den segregierten, despektierlich angesehenen Vororten drin – ein Klassiker sowohl in der Dancehall als auch der Rap Culture. Musikalisch bringt er Afrotrap aufs Festival, und Trap ist ja geschichtlich auch auf einer Reggae-Rhythmus-Grundlage aufgeschichtet. Lary verwendet Klang-Arrangements, die in Triphop und Drum’n’Bass ein kleines bisschen unterwegs sind und sich damit auch indirekt zu einer dubbigen Tradition in Bezug gesetzt werden können. Kelvyn Colt, RIN und Milky Chance greifen auf Dancehall-Muster und Riddim-Sounds für meine Ohren etwas flüssiger und glaubwürdiger zurück als Bausa, Dendemann und JONESY. Aber das ist wohl Empfindenssache. Bei Füffi oder Jace wird man sich sehr schwer tun, noch einen Bezug zu Roots-Reggae herzustellen. Das muss aber auch gar nicht sein 🙂 .

Enjoy Music & Vibes – das diesjährige Motto

Jedenfalls empfehle ich euch, wenn ihr auf der Suche nach guten Vibes & Beats seid, nicht vorurteilend alles beiseite zu wischen, was einem namentlich nicht geläufig ist oder was vordergründig nach Hiphop ausschaut. Es ist ja nicht so, dass Dancehall-Bauteile momentan keinen Siegeszug durch die Mainstream-Charts feiern könnten. Wie üblich, hat das Summerjam eine eigene Herangehensweise an Festival-Line-Ups als so ziemlich alle anderen Festivals in Europa – fährt damit aber in den 33. Jahrgang sehr erfolgreich. Pur nur eine Stilrichtung oder gar ein dominierendes Genre hatte die Veranstaltung nie.

 

Raggamuffin Style

Skarra Mucci

Skarra Mucci ist ein zuverlässiger Lieferant von Dancehall-Hymnen, tanzbaren Raggamuffin-Tracks und fleißiger Partner in Kooperationen. Mir ist nicht ganz bewusst, wie eine Live-Show von ihm alleine aussehen wird, weil er mir so oft als “Featuring”-Artist unterkommt. 🙂 Aktuell sind da z.B. L’Entourloop, LMK, Yaniss Odua – also vor allem Artists der französischen Szene an ihm dran. Auch Irie Ites Records, unsere Release-Kollegen in Frankreich, haben schon einige Skarra Mucci-Singles veröffentlicht: mit Echo Minott “Wicked & Wild”, mit Perfect auf dem “World War III Riddim”, des Weiteren “Laba Laba” und “Empress Reggae”. Skarra Mucci, geboren am 09.03.1973 – und sicher wird er uns auf dem Summerjam beweisen, dass er auch Menschen unterhalten kann, die dem Alter nach seine Kinder sein könnten. Seine sehr zeitgemäße Musik knüpft irgendwie auch an den Dancehall der `80er und Jungle der `90er an und ist dann doch ganz Musik der Jetztzeit.

Dactah Chando hat fünf Studioalben veröffentlicht – und ein Live-Album. Da sollte man annehmen, dass er live fesselnde und/oder entfesselnde Wirkungen hat.

Dactah Chando

Der aus Teneriffa stammende Dactah Chando ist längst kein Newcomer mehr, jedoch neu auf diesem Festival – und auch sonst fleißig in Deutschland auf Tour. Sein aktuelles Album “Global CityZen” (Wortspiel aus Zen-Buddhismus und Weltbürger, also global citizen) spielte er teils mit Gentlemans Band The Evolution ein. An den Reglern stand Dub-Klangkonstrukteur Umberto Echo.

The Evolution wird ihn auch live begleiten und seinen Raggamuffin-Vibe entfalten. Stoische Beats, gerne im Uptempo-Bereich – ein Künstler, bei dem man wohl auch spät nachts nicht einschlafen wird und der die Crowd so gut unterhalten kann, dass ein schillerndes Live-Album, “Live At Reggae Can Festival” kürzlich entstand. Material hat er genügend und greift auch auf die Vorgänger-Alben “Clara”, “Ansestra”, “Sabiduria” und “Sabiduria Roots” zurück. Schon Ende 2011 tauchte er erstmals auf einem Sampler der RIDDIM-Zeitschrift auf. Auf solche Beilagen-Sampler hat er es mittlerweile bereits vier Mal geschafft.

Mit Köln verbindet ihn neben dem Summerjam und der RIDDIM auch der dort ansässige Produzent Razoof, auf dessen Compilations “Kiwafu” und “Jahliya Sound” er je einen Track beisteuerte. Was ich an Dactah Chando ziemlich gut finde, was man auch schlecht finden kann, ist, dass er auf Spanisch toastet. Wer mal Zeile für Zeile von seinem coolen Hit “Afrocanario” (2017) mitlesen will – eingefügt hier das Video:

Die aktuelle Single mit Razoof, “Journey”, macht sprachlich mal eine Ausnahme, legt aber jenseits des nasalen Spanisch mal den (akustischen) Blick auf seine kräftige Stimme frei:

Frankreich beim Summerjam

Vom spanischen Weltbürger und selbst ernannten Afrokanaren an dieser Stelle ins Nachbarland Frankreich. Aus organisatorischer Sicht des in Köln so nahe an der französischen Grenze stattfindenden Summerjam-Festivals liegt Frankreich immer sehr nahe. Viele belgische und französische, also jeweils frankophone Fans kommen zu dem Festival. Reisetechnisch lassen sich Bands aus dem Land manchmal etwas leichter bekommen als aus anderen Ländern. In den letzten Jahren war oft das französische Label Baco Records der Aufhänger für ein breites Aufgebot an Franzosen. Denn Protoje, mehrmals Headliner, wird in Europa ebenfalls von diesem Label betreut. “Nehmt gerne Protoje, aber wie wäre es denn auch mit unseren hauseigenen Artists?”, so ungefähr könnte dann der Deal beginnen, auf den sich nicht jeder Veranstalter einlässt. Das Summerjam zum Glück 2015 und 2017 schon! Und das war sicher ein guter Griff für Contour, die das Summerjam veranstalten – Yaniss Odua ist ein sehr starker Bühnenmagnet, Volodia von Phases Cachées hat schon mit Sara Lugo zusammengearbeitet und Bezug zur deutschen Szene, um mal zwei Namen vom Vorjahr zu nennen.

2018 kommen nun zwei gänzlich andersartige Franzosen, die auch untereinander gegensätzlicher kaum sein könnten: MHD, cooler Trap-Fabrikant mit Dauer-Sonnenbrille-Outfit, quietschige, überdrehte, scharfkantige Sounds, viel Tempo, kurze Tunes, fast alle mit Video, die französischen Banlieues (Vororte, Suburbs, Outskirts) fest im Blick, unter Betonung seines guineisch-senegalesischen Migrationshintergrunds (er in der zweiten Generation, seine Eltern “Des immigrés”). Und Naâman, netter Songwriter mit Raggamuffinski-Beats, der optisch eher wie der Vertriebsberater aus dem Start-Up von nebenan aussieht, sehr nachvollziehbar abgemischte loopige Sounds macht und textlich den Anspruch zu haben scheint, etwas von den Roots-Foundation-Identitätsbausteinen zu erzählen. Kommerziell schneiden sie in Frankreich und Belgien beide stark bis sehr stark ab.

MHD

Alles klar, er kennt kein Scheitern, “je n’ connais plus l`échec”, Durchhänger, Fehlentscheidungen, Niederlagen – alles kein Thema. Hier werden wir in die Welt der Diskriminierten, der Ausgeschlossenen, der Segregierten (also an die Stadtränder Gedrängten), der sprachlich nicht so Bewanderten mit dem schwächeren Schulabschluss mitgenommen. Die Videos haben gerne Vintage-Style, signaliseren unterschwellig das Kaputte, die fehlgeschlagenen Entwicklungen in den europäischen Metropolen – während andererseits die Durchlässigkeit des Internet, der Erfolg des Schludrigkeit gefeiert wird. Warum das so interessant trotz der Sprachbarriere für uns hier sein kann: RAF Camora & Bonez MC sind ins deutsche Reggae-Establishment eingezogen, mittlerweile sogar auf dem Gratitude Riddim von Irievibrations Records mit einem deutschsprachigen Beitrag vertreten, “Dankbarkeit” – und das ist genau diejenige Musik, die MHD macht. Klanglich und in Bezug auf die “Attitude” bestehen da massive Ähnlichkeiten zum Sound von MHD – das als Quer-Link.

Dabei – und das ist jetzt der Witz – hat MHD wahnsinnig schnell wahnwitzig viel Erfolg verzeichnen können. Das Debütalbum verkaufte sich im Doppelplatin-Rang, für die Download-Ära kein schlechter Wert. Madonna soll als Follower in einem sozialen Netzwerk gesichtet worden sein. Er hat die etwas vergessene Angélique Kidjo auf einem Track zu Gast. Die großen Labels Capitol / Universal sind an ihm dran.

Dabei ist er Ende 1994 geboren und war sofort im ersten Jahr seiner Veröffentlichungen unschlagbar erfolgreich. Man muss auch YouTube als Teil des Erfolgs sehen. Denn fast jeder einzelne Song bekam Single-Status, indem er einzeln gepostet wurde. So labbrig, verwaschen oder unrhythmisch die Videos zum Teil produziert sind, so exakt und gut gemastered sind die Sounds. “A Kélé N’ta” hebt sich etwas ab. Der Song erreichte Platz 15 der französischen Charts und hat ein sehr lebensbejahendes und Afrika betonendes Video, das auch zur Abwechslung exakter gefilmt und geschnitten ist.

Ich glaube, es ist egal, ob man jetzt auf Afrotrap steht, diese spezielle von House, Kizomba und Azonto beeinflusste Variante des Trap. Man kann solche Songs bei (hoffentlichen?) 30 Grad bei einem Open Air-Fest auch als Holiday Sound durchgehen lassen. Und stellen wir uns mal vor, was auf dem Summerjam für eine Stimmung herrschen dürfte, falls MHD am selben Tag spielt wie das französische Fußball-Nationalteam in der WM….

Besonders viel Output in Sachen Afrotrap kommt übrigens auf Portugiesisch aus dem zentralafrikanischen Land Angola und aus Ghana. Von dort kommt auch unser übernächster Summerjam-Künstler, Stonebwoy, der Teil IV der Vorschau eröffnet. Aber, da das ja hier primär eine Reggae-, Dub-, Ska- & Dancehall-Seite ist – wie wäre es zwischenrein mit Naâman?

Naâman

Da gibt es die plakative Seite, Spaß haben. Dann gibt es die Raggamuffin-Style-hey-ich-kann-auch-Jamaikanisch-klingen-Seite:

Es gibt das, was es Zuhauf gibt – Duette auf einem fluffigen Riddim mit den üblichen Babylon-Essential-Aussagen:

Es gibt seine eigene Naâman-Soundfarbe, die er längst gefunden hat und die insistierend-elektronisch ist und auf süchtig-machenden hypnotischen Beat-Mustern aufbaut, für die ich schon seine Single mit Flox, “High Rope”, sehr schätzte – oder auch dieses Lied:

In seiner Heimat Frankreich ist Naâman weit vom Nischen-Dasein entfernt. Reggae von ihm – Platz 34 und 33 waren die beiden Peak-Positionen in Frankreichs Album-Charts für ihn zuletzt. Weshalb der normannische Grafikdesigner auf den biblischen Namen Naâman kam? Einen Truppenführer in Syrien in der Zeit ca. 850 vor Christus?! Rätselhafte Connection…. Zum Naâman-Spektrum gehören auch immer mal wieder die französischen Kollegen von Dub Inc, mit denen der junge Mann (geboren 1990) schon vor zwei Jahren auf dem Summerjam folgenden Song aufführte, hier gefilmt vom WDR-“Rockpalast”.

Text: Philipp Kause, Fotos: Kingstone Entertainment GmbH / Soulfire Artists / summerjam.de / Philipp Kause

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.