Unstoppable Fyah “Still Alive” (Ziah)

Unstoppable Fyah
“Still Alive”
(Ziah Records – 2018)

Wer die ganzen Riddims-Musikbetten generell mag, wird das Album wohl sympathisch finden. Und wer nicht? Wohl eher dann nicht so… Es ist einfach ein Produkt für unsere Digital-Zeiten. Aber es bringt wenig Persönliches von Unstoppable Fyah zur Geltung. Aufgabenteilung lautet das Rezept, mit dem er als Sänger vielleicht besser fährt: Siehe unten, mit ein paar ‘Featured’ Guests.

Wenig Persönliches heißt: So hört man seine Vorbilder Bob Marley und Sizzla nur mit zwei geschlossenen Ohren heraus. Zweiter Punkt: Die Texte sind unangreifbar. Sie sind nett und alltäglich.

Und drittens: Auch wenn Jehorney a.k.a. Unstoppable Fyah den Titel “Still Alive” wegen eines schweren Verkehrsunfalls gewählt hat, den er überlebte – von dem Gefühl, das ich mir erwarten würde, ist nichts drin. Sehr wenige Millimeter vor einem meiner Füße kam mal im winterlichen Dämmerlicht an einem Samstag in einer deutschen Großstadt knapp ein Geländewagen zur Abbremsung. Insoweit kenne ich als Rezensent aus meinem Leben diese Situation. Das Ereignis hat auch mich monatelang beschäftigt, zumal ich als Fußgänger beim Kontakt mit dem Auto in eine ruckartige Drehung kam und das für eine Zeitlang (allerhöchstes Glück) ein schon untherapierbar scheinendes Knieproblem behob.

Wenn ich daran zurückdenke, … wie hätte ich selbst das Thema ‘Geschenktes zweites Leben’ vertont? Wahrscheinlich als eine Soulballade, die sich nach vier, fünf Minuten in einen mitreißenden Funk Tune entwickelt. Insgesamt wäre der Song nicht unter sechs Minuten weggekommen. Hey, mein zweites Leben möchte ich feiern! Und davor erst mal darüber nachdenken! Beides braucht Zeit. Die nimmt sich Jehorney hier nicht. Er hüpft wieder straight in seinen Dancehall-Beat, wobei der auch eine ‘catchy’ Melodie hat.

Dieses Titellied sowie “Plan Fi Mi” und der Schlusssong “Why” stechen heraus. Auf Dauer können einen, wenn man eher Roots-Fan ist, die programmierten Beats und Loops, wie gesagt, nerven. Man kann sie auch als Stilmittel sehen: Hart und somit kontrastreich zur melancholischen Stimmung der meisten Songs!

Der Kubano-Jamaikaner ist – sehen wir mal über die Performer-Rolle hinweg – ein wunderbarer Komponist für Melodien. Das letzte Drittel seines nunmehr dritten Longplayers (in Deutschland eher wahrgenommen als der erste) fließt sehr harmonisch. Im Gesang könnte er mehr auf Natürlichkeit statt auf Auto-Tuning setzen, wenn er bei diesen Liebes- und Spiritualitätstexten bleiben will. Andererseits, wie es im Track “Lava Flex”, dem Dancehall-artigsten (und meiner Meinung nach besten) Titel heißt, “This is for the ladies…” – hm, ist das der Grund, muss man sich (und auch seine Stimme) für die Ladies wirklich verstellen?

Der Gast Turbulence tut hier gut (aber vielleicht eben mir, weil ich Turbulence-Duette immer mag). Ebenso passt auch der Einsatz von Dotta Coppa auf dem oben besprochenen “Still Alive”-Tune. Im Interview hätte ich mir persönlich mehr Respekt für die Arbeit gewünscht, die andere an sein Werk gelegt haben. Gerade, weil die Kollabo-Partner nicht von ihm ihre Chance bekommen, sondern umgekehrt sie sein Niveau heben. Und selbst wenn es anders herum wäre – Dankbarkeit ist keine Zier. Der Name Turbulence ist auf dem Artwork der Platte auch noch falsch geschrieben – grrrrr….!

Unstoppable Fyah wirkte – auf mich – bei einer fünfstündigen Begegnung sehr stark auf sich und seine Interessen bedacht (kein Geheimnis, dass ich damit nicht so klar komme). Er gab aber auch zu, kein “Rasta” & Roots Artist im engeren Sinne zu sein. Er will niemanden missionieren oder Vibrations verbreiten, wie wir das auf dieser Seite vielleicht von diesem oder jenem Denker kennen. Nein, er will Popmusik machen, und zu seinen Vorbildern zählen die Backstreet Boys und N’Sync. Right, dann passen die Musikbetten und die Texte, und das Gesamtbild ist stimmig.

Die Frage ist nur, a) ob wir dafür hier gerade im Moment einen Markt haben, b) ob er mit über 30 wirklich das tun will, was die Backstreet Boys als Teenie-Gruppe taten. Ich meine zu a), dass viele Charts-Acts, R’n’B- und Rap-Leute gerade im Dancehall wildern und Dancehall-Tune-Stilmittel ins Radio pushen: AlunaGeorge, Drake, Major Lazer, Nicki Minaj, Santigold, Stefflon Don und einige mehr. Bruno Mars mag diese Welle 2012 losgetreten haben.

Mittlerweile kann man sagen, dass Dancehall nie so sehr im Mainstream präsent war wie 2018. Daher: Ja, wir haben einen Markt, genau hier in Deutschland! Und zu b), ich glaube nicht, dass Alter immer ein Thema ist. Yaniss Odua hat mit knapp 40 seinen ersten Dubstep-Tune aufgenommen und reißt damit – mit akustischen Instrumenten aufgeführt – bei Konzerten wie auf dem Summerjam oder Ruhr Reggae Summer und in ganz Frankreich die Leute so richtig mit. Obwohl der Musikstil sicher nicht derjenige seiner Alterskohorte ist, sondern der Jüngeren… Und in der Zeit, als die Backstreet Boys aufkamen, hatte der (leider bald danach verstorbene) Skatsänger Scatman John mit Mitte 50 seinen ersten Charts-Hit: mit einem Techno-Lied. Daher auch: Ja, man kann mit über 30 anfangen, Teenie- & Twen-Mucke machen, klaro.

Die Stimme von Unstoppable Fyah klingt recht hell (zwischen Christopher Martin und Popcaan). Gäste, die er zu sich einlädt und die kontrastierend anders klingen, sind ein guter weiterer Höranreiz und funktionieren wie ein Ausgleich. Und Popcaan scheint mir hier sogar die passende Referenz, denn an ihn erinnert einiges. Apropos, Popcaan haben wir auf dieser Seite noch nicht abgehandelt – und ich werde nicht der erste sein um ihn zu bringen.

Das Album “Still Alive” erschien am 4.5.18 und wird heute aus Anlass dessen, dass das Video zum Titelsong online geht, hier besprochen.

Philipp Kause

 

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.