African Head Charge „Drumming Is A Language (Reissues 1990-2011)“ (On-U Sound)

African Head Charge
„Drumming Is A Language (Reissues 1990-2011)“
(On-U Sound – 2020)

Von allen Projekten, die der Kult-Produzent Adrian Sherwood in seiner langen Laufbahn am Start hatte, war African Head Charge, zusammen mit dem Perkussionisten Bonjo Iyabinghi Noah, eines der am langlebigsten. Und eines der befremdlichsten zugleich. Es gibt etwas Seltsames, schroffes und wildes in der Musik von African Head Charge, dass mit Umschreibungen wie exotisch oder experimentell nicht so einfach wegerklärt werden kann.

Es ist eine nonkonformistische Musik, die eher herausfordern als befriedigen möchte. Alte Stammesgesänge und sakrale Rhythmen wurden so in die Mangel genommen, bis von ihnen ein psychedelisches Zerrbild übrigblieb, das sich wie eine fehlgeschlagene Musiktherapie anhörte. Schon seit den frühen 80ern lassen die beiden, zusammen mit einer sich wechselnden Riege von Musikern, in einer Art von futuristischer Urwaldmusik, imaginäre afrikanische Jäger und Sammler die Pop-Landschaft durchstreifen.

Rhythmus ist König

Und dieser Jumanji-Effekt setzte sich auch in den 90ern fort. Mit Mantra-artigen, repetitiven Gesangsfetzen, die von einer kreischenden Gitarre durchsetzt werden in „Free Chant“, beginnt gleich das 1990 erschiene Album „Songs of Praise“. Es sind größtenteils obskure, stellenweise frenetisch dem nackten Rhythmus huldigende Stücke, die die durchgängig hypnotischen Bassläufe und Trommeln bis zur Schmerzgrenze auskosten. Diese werden mit verzerrten Gitarren oder reibenden Synth-Einlagen und halluzinogenen Dub-Effekten angereichert. Es war so, als hätten Urwaldmusiker die moderne Pop-Musik zum ersten Mal gehört und diese dann nachzuahmen versucht. Im darauffolgenden Album „In Pursuit of Shashamane Land“ aus 1993 prallt verdrehte Polyrhythmik auf irre Dub-Effekte und bizarr gestaltete Melodien, die aber deutlich an gewisser Pop-Ästhetik dazugewonnen haben. „One Destination“ zum Beispiel, mit polyrhythmischen Balafon-Melodien und einer behutsam zupfenden Akustikgitarre, könnte genauso gut von irgendeiner afrikanischen Sonntagsmesse herstammen. Nur um kurz darauf in „No, Don‘t Follow Fashion“ mit aggressiv vorpreschenden Drums ins andere Extrem umzuschlagen.

Auf dem Wertstoffhof der Weltmusik

Als ob das alles nicht schon genug wäre, erklingen immer wieder fremdartig wirkende Gesänge. Als hätten Sherwood und Noah den National Geographic-Archiv dafür geplündert. Die Palette reicht vom süßen Kinderchor aus Ozeanien, über nahöstliche tranceartige Gebetsmühlen bis zu den archaischen Stammesgesängen Afrikas.

Im neuen Millennium trieben es Sherwood und Noah weiterhin ausgefallen und extravagant. Neben einem mutierten Afrobeat werden nun auch harsche Electro- und sogar Disco-Sounds verarbeitet, wie in der funkigen Nummer „Blessed Works“ aus dem Album „Vision Of A Psychedelic Africa“ von 2005. Oder sogar die charttaugliche „In I Head“ aus dem Album „Voodoo of the Godsent“ aus dem Jahr 2011. Zwischendurch wird dabei auch die Auferstehung von Prince Far I gefeiert, – hier überragend in „Take Heed… and Smoke Up Your Colly Weed“ – der mit seiner gesampelten, markanten Stimme durch die Tracks hin und her geistert. Aber auch wenn die Bezüge zum Reggae und Dub nie wirklich abreißen, ist hier doch viel mehr am Laufen. Rasante Stil-Wechsel und abenteuerlicher Mix zeichnen die Musik von African Head Charge aus, auch wenn sie wahrlich nicht jedermanns Geschmack ist.

Die vier hier vorgestellten Alben werden neuveröffentlicht als „Drumming is A Language-Set mit vielen Versions und B-Sides. Dazu ein gänzlich neu zusammengestelltes Album Churchical Chant Of The Iyabinghi, bestehend aus unveröffentlichtem Material aus den 90ern. Viel Spaß!

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)