Mono & Nikitaman “Guten Morgen Es Brennt” (M&N)

Mono & Nikitaman - Cover-Foto

Made in Germany Part 1 – Standort: Berlin | Bildquelle: DeStatis / David Liuzzo, CC-Lizenz: BY-SA 2.0 DE, unverändert, Link zur Original-Datei: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Deutschland_Lage_Berlins.svg

Mono & Nikitaman
“Guten Morgen Es Brennt”
(M & N Records – 2018)

Veröffentlichungsdatum: 24.8.18

Made in Germany: Mehr frischen deutschen Dancehall gibt’s auch hier im Review – aus Detmold (NRW).

History: Das Duo Mono & Nikitaman beginnt im Jahre 2002 mit dem Song “M&N”, so wie sie auch später ab circa 2015 ihr Label nennen: M & N Records. In der Zwischenzeit waren etliche Singles und Alben bei Rootdown Records erschienen. Während ihrer Zeit bei Rootdown kann man sie neben Nosliw, Nattyflo, Jaqee, Maxim, Slonesta und Rojah Phad Full zur Bewegung zählen, die außerhalb von Seeed sonst noch deutsche Offbeat-Musik mit teils starken Querverbindungen zwischen Hiphop und Reggae machte. Deutscher Reggae ist ein verbreitetes Genre in den 2000er Jahren – und Mono & Nikitaman zählen zur Speerspitze einer Variante davon: Dancehall made in Germany! Im Selbstverlag präsentieren sie Ende 2015 den Longplayer “Im Rauch der Bengalen” – und hier ist ihr neues Album, “Guten Morgen es brennt”

 

Mono und Nikitaman kann man oft unter hunderten deutschsprachigen Produktionen heraushören. Zum Beispiel auf Campingplätzen von Festivals. Von irgendwoher ertönt ein Riddim, und dann weißt du ganz sicher, ob das Mono & Nikitaman sind oder nicht. Auf einem Festival habe ich auch M&N (so kürze ich das im Artikel ab) 2018 gesehen. Sie waren der Headliner des Ruhr Reggae Summer Dortmund am Freitag, 1.6.18. Im Gepäck hatten sie relativ zu Beginn das bejubelte “Hitler muss immer wieder sterben”.

Aber man muss vielleicht vorher anfangen: Beim Einzug der beiden auf die Bühne! Als ob Motivations-Coaches “Tchakaaaa!” brüllen. Erstaunlich, wie der erste Song zur großen Geste wird. Ich bin ja jemand, der’s gerne schnell mag, aber auch gerne still und bescheiden. Am nächsten Tag hat dann Yaniss Odua mit seiner coolen Artikal Band gespielt. Den kennt kaum jemand in Deutschland. Nur will er auch niemanden zu irgendwas bekehren, sondern die Leute einfach unterhalten. Durchaus hat auch er politische Songs wie “Refugee”, die mit M&N gut auf einer Linie liegen. Doch M&N heißt: Wir erklären uns gegenseitig (Band und Publikum), dass wir einig sind und an dasselbe glauben. Mir ist das zu religiös-sozialpädagogisch-motivationscoachingmäßig. Spielt aber für das Album-Review nur deshalb eine Rolle, weil es den Song schon zwei Jahre als Vorab-Single gab und ich ihn von der Live-Version her schon übertrieben fand.

Die Rollenverteilung bei dem Album lautet: Mono gibt die Slogans vor, Nick erklärt dann in der dritten Strophe noch seinen Teil. Es verstreichen einige Tracks, bis sich das auf “Wir sind mehr” dreht:

 

Die Punk-Attitude ist hier deutlich genug, so dass ich bei den Stilen zum Album “Punk” mit angehakt habe. Aber das Hauptsegment gehört dieser Art von Dancehall-Pop, von der man fälschlicherweise denkt, sie sei Dancehall: Riddim-Digital-Beats-und-Loops, wie sie bei Acts wie Alkaline und Popcaan das Maximum der künstlerischen Schaffenskraft darstellen. Immerhin haben M&N einige Produzenten eingespannt, die mitgeriddimt haben, zum Beispiel die Jugglerz und Syrix (auch schon bei RAF Camora zu finden). Die Bandbreite ist groß. Deswegen sind auch unterschiedlich gute Klangqualitäten erreicht.

Track by track – Alle Songs des Albums mit Kommentar:

Leuchtfeuer

Der erste Song weckt das M&N-Prinzip von 2015 zum Leben und Macht mit Funkensprühen Lust auf ein Dance-orientiertes, entschlossenes Straight-Forward-Album. Die Stimmen gehen etwas unter im Beat-Feuerwerk.

Der aufrechte Gang

Das Musikbett stellt eine glaubwürdige Weiterentwicklung dar: Der Sound ist voller, entwickelter. Von Reggae alleine wollten M&N zwar nicht mehr eingeengt sein. Musikalisch Urban Music im weiteren Sinne, klopfen die Texte auf dem Album Themen wie Zivilcourage ab. Es geht um die Weiterentwicklung des Menschen zum mündigen Wesen. Also trotz der Popmusik nicht als bloßer Wir-wollen-gefallen-Sound abzutun.

Im Stehen pinkeln (feat. Sookee)

Die ist gut! Sookee! Ja gut, das wussten Hiphop-Kenner/innen schon vor diesem Gastauftritt – doch eine gute Gelegenheit, sie mit diesem Feminismusbeitrag auch der Reggae- & Dancehall-“Community” zu präsentieren. Der Text ist schon schön.

Doch ich muss die Gegenfragen stellen:

  1. Haben es nicht Männer im Rollen-Wirrwarr auch oft schwerer als vor 15 oder 25 Jahren, weil sie keinesfalls irgendwas richtig machen oder im Privat- und Freizeitleben keine großartigen Nischen mehr besetzen können?

Das heißt, doch: Zwei Bereiche fallen mir ein – Handwerklich-Technisches und Musik. Wie ist das: Die meisten Interviewpartner, die mir so zur Auswahl stehen, sind Männer. Festivalorganisatoren und Konzertveranstalter, Bühnentechniker, Sound- und Lichtmenschen sind nahezu genauso fast immer Männer wie die Leute im Booking- und Promo-Bereich. Produzenten sind in der Musik meistens männlich. DJs und Musikjournalisten tauchen selten von weiblicher Front auf. Und, jetzt kommt’s: Ich habe zum Beispiel einen Haufen von DJ- und Radiokollegen, von denen die meisten männliche Dauer-Singles sind. Vielleicht leben Männer ihre Gefühle am besten über Musik aus? Ein zeitfressendes Hobby oder auch ein zeitfressender Job, wenn man davon leben will.

2.  Und die zweite Gegenfrage: Ergeht es Frauen in etlichen Situationen zum Beispiel des Berufslebens nicht sogar viel schlechter als in dem Song skizziert?

Dosenbier und Zärtlichkeit

So platt wie ich beim Titel erst dachte, ist der Song nicht.

Wochenende

Ein “Wochenende” ganz ohne Termine? Darum geht’s hier mal. Yo, der Song ist nett. Aber das ist doch jetzt auch kein Reggae, oder?

‘Kann nix mehr speichern’

nicht mehr aufnahmefähig sein, war um 2007 herum eine modische Formulierung unter Studierenden: Soll heißen, man kann sich selbst auswerten und Fehlermeldungen auswerfen wie ein Computer. Das war vor der Verbreitung der Smartphones, aber bereits in der Social Media-Ära. Der Song hier von 2018 greift ein bisschen die Digitalisierung auf, all unsere Verwirrtheit, die Termine, die Selbstverpflichtungen, das Streben nach Mehr.

Hitler muss immer wieder sterben

 

Kein Weed

Drogensongs gab es im Reggae, Dub und Dancehall bekanntlich schon extrem viele im Sinne von warum Marihuana toll sei und wieso man es legalisieren solle. Selten sind eher diejenigen Songs, die auf der Wirkung aufgebaut sind. Dazu kommt aber später einer.

Wir Sind Mehr (feat. ZSK & Mal Élevé)

(Video siehe oben!) Der Song spielt sich, je nachdem, wie oft und wie bewusst man jede Zeile hört, als überdrehte Spaß-Mitsing-Sause (Dagegen sein fühlt sich gut an) oder als Appell ans Bewusstsein auf (hey, überlegt doch mal, wieviel Macht ihr habt). Erklärtes Feindbild in mehreren Songs ist die AfD. Nun kann man annehmen, dass es M&N dann entweder nicht auf ein zeitlos aktuelles Album ankommt oder sie von einem lange währenden politischen Phänomen ausgehen. Botschaft, die ich heraushöre: Wir sollen demonstrieren gehen.

Nie so sein wie all die anderen

Hier werden die materiellen Wünsche einer bestimmten Sorte Menschen vorgeführt: Status-Denken, Prestige, Selbstoptimierung, Fitness usw. M&N sprechen für die, die nicht so sein wollen. Erschreckend: “All die anderen” signalisiert, dass sie die Deutschen für spießige solariumsgebräunte, Likes-süchtige Roboter halten, die sich selbst quälen und kaputt machen.

Doch der Text ist im Grunde urkomisch. Aufgrund der Geschwindigkeit, in der er vorbeizieht, merkt man das anfangs nicht so sehr. Das smooth produzierte Lied fasst in zwei Minuten verschiedene, einander konträre Wertvorstellungen und Lebensentwürfe zusammen, die in ‘Schland kursieren. Und ist – für mich – einer der Hits des Albums!

 

Gib mir ein bisschen Sommer

Na, wir hatten 2018 mehr als ein “bisschen” Sommer. Der Song steht seit 1.12.17 online und wurde seitdem über 100.000 Mal auf YouTube gestreamt und über 50 Mal positiv kommentiert. Da lesen wir dann z.B.:

“all der hate gegenüber dem Winter. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.”

und als Antwort

“Im Winter is mir entweder kalt oder ich zieh mich so dick an das mein Körper irgendwann anfängt zu schwitzen & dann is mir im Endeffekt auch wieder kalt.”

Schön, dass M&N so viel Diskussion auslösen, und hier ist der Tune:

 

Nirvana (feat. Miwata)

Die soften Riddims sind heute Standard. Hier kommt wieder einer, und als Experte für diese Art von Gegen-Dancehall tritt Miwata ans Mikro. Der Song zelebriert nun die Wirkung von Weed. Wenn man mal überlegt, gibt’s da gar nicht so viele. Und solche Songs haben meistens was Witziges. Der hier von M&N und Miwata steht nun nicht auf YouTube, aber ein anderer fiel mir noch ein:

Unterbrechung des Reviews

Amlak & Kazam, “Sweet Rebel Music” – nur mal so zur Auflockerung!

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Gewinner

“Gewinner” leidet unter schlecht gemachtem Drum Programming und hat mir zu viel von Revolverheld, sowohl in Monos Textbeiträgen als auch in der nichtssagenden Instrumentierung, die nur in der Bridge wirklich zieht.

“Wir sind alle Gewinner, aus mehr als einer Million, ich kann mich zwar nicht erinnern, aber ich glaub es hat sich gelohnt.”

Eine so einfallslose und unkonkrete Textzeile zig Mal zu wiederholen, liegt deutlich unter dem eigenen Niveau, das M&N selbst über die Jahre vorgelegt haben.

Crew

Der Song passt als Danksagung am Ende sehr gut. Die vielen biographischen Details darin und der poetische Fluss, den Lyrics und Arrangement haben, runden das Album sehr gut ab.

Guten Morgen, es brennt – Das 6. Album von M&N

Das Album wirkt leicht, schnell und angenehm. Es kommen keine Längen auf. Alle Tracks scheinen den beiden erkennbar und glaubwürdig wichtig zu sein. Es ist jetzt aber auch nicht so, dass lauter Unikate herauskamen und ich süchtig nach dieser Musik würde.

Hiphop-Fans scheinen nicht angepeilt zu werden oder finden von der literarischen Gestaltung nicht so viele Anknüpfungspunkte hier. Es gibt keine inneren Monologe/Selbstzweifel, keine gesampelten Redebeiträge der Gegenseite (hier z.B. der Ibiza-reisenden Spießer, der AfD, der Marihuana-Verbieter usw.), auch keine Jugendsprache. Wo Namika noch mit aneckenden Formulierungen provoziert, ist hier alles komplett smooth. Andererseits: Das Album hat eine sozialkritische Grundausrichtung, da bleiben sich M&N völlig treu.

Philipp Kause

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.