Reggae Jam 2019 – Highlights & Fotos

Reggae Jam 2019 – Highlights

Zählt man den Donnerstag mit dazu, kommen jedes Jahr in Bersenbrück vier Tage Festival zusammen. Eine Menge Musik und viele schöne, interessante und manchmal, wenn auch seltener, weniger gute Momente sind also zu erleben. So auch in diesem Jahr. Anbei findet ihr unseren Bericht, der selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und zudem sicher auch von persönlichen Präferenzen geprägt ist. So ihr Anmerkungen zum Inhalt habt oder eure Highlights und Eindrücke dazu geben möchtet, nutzt doch bitte die Kommentar-Funktion unter diesem Text.

Donnerstag, 1.8.19

Auch wenn schon sehr viele Gäste und vor allem Akteure schon seit mehreren Tagen vor Ort anwesend waren, stellt der Donnerstag für viele Besucher den Anreisetag dar. Das zentrale Festivalgelände öffnet zwar immer erst am Freitag, dafür geht es zuvor im Dubcamp und auf den anderen Bühnen außerhalb los.

Ein erstes Highlight war auf jeden Fall der Auftritt von Illbilly Hitec im Dubcamp. Im Rahmen ihrer “Good Bye Tour” war dies ihr letzter Stopp in Bersenbrück. Und wie auch schon bei früheren Auftritten an der Hase wurden ihre Reggaetronics mächtig abgefeiert.

Alex, Gidi und Hagen aka Longfingah präsentierten sich in bester Laune und hatten zudem mit Sisa Me Special Guests dabei. Ben und Avia kamen für zwei Songs auf die Bühne und legten damit ihren Debüt-Auftritt hin. Dabei wurde vor allem ihre erste Single “Slack Chin” bejubelt. Das Illbilly Hitec/Sisa Me-Programm lief auf dem Sankofa Soundsystem in Kooperation mit Sightiva Hi-Fi , was dafür bestens eingestellt war. Danach ging es auf dem Roots Plague Soundsystem wie gewohnt wuchtig weiter. Ein schöner Start in ein Offbeat-Wochenende.

Freitag, 2.8.19

Während die Auftritte von Joseph Blue Grant, Ees, und Israel Vibration eher solide bis gut gerieten, war eines der ersten, kleineren Highlights der Auftritt von Treesha mit der Evolution Band. Nachdem Denham Smith das Publikum gut in Stimmung gebracht hatte, übernahm die Sängerin, die man immer wieder im Programm von Gentleman live erleben kann, die Bühne und versprühte ihren Charme. Die gebürtige Kenianerin hat sich mit ihrem Debütalbum “Listen” und einigen Solo-Auftritten in die Herzen von einer stetig wachsenden Zahl von Fans gesungen. Bei ihrem Auftritt in Bersenbrück dürften noch weitere dazu gekommen sein.

Rootz Underground betraten am Freitag gegen 21 Uhr die Bühne und präsentierten sich eklektizistisch wie immer. Roots Reggae ist hier schon seit Gründung der Band die Basis für weitergehende Experimente und kraftvolle Sounds. Beim Reggae Jam waren sie schon lange nicht mehr auf der Bühne. Mit ihrem aktuellen Album “Return Of The Righteous” und dem Soloalbum von Stephen Newland aka Lightning The Magnetic “Thunderground” (2018) gab es nach einer Pause eindrucksvolle Klänge und Lyrics zu hören. Ergänzt mit Klassikern aus ihrem früheren Schaffen wurde die Show zu einem meiner persönlichen Highlights des gesamten Festivals. Hier wurden Grenzen getestet und dezent verschoben. Die Interpretation von “Paint It Black” (Rolling Stones) war eines der Höhepunkte des Abends. Mut zahlt sich aus.

Kumar war angetreten, nach seinem Abgang bei Raging Fyah eine Solo-Performance hinzulegen. Ein sicher aufregendes und auch schweres Unterfangen, denn Raging Fyah war in den letzten Jahren eine der angesagtesten Bands Jamaikas in Sachen Rootsreggae mit einem fließenden, organischen Sound. Was also tun, wenn man sich von der Band losgesagt hat? Die Antwort: man spielt einfach die alten Hits, wie “Dash Wata”, “Barriers”, “Judgement Day” u.a., mit einer neuen Band. Hat irgendwie auch funktioniert, war aber dann doch nicht das Original. Kumar selbst konnte mit einer angenehm sympathischen Präsenz überzeugen. Und dennoch blieb ein fader Beigeschmack und nicht wenige der anwesenden Musikliebhaber fragten sich, wie das wohl weitergehen wird, wenn die Hits von Raging Fyah verblassen bzw. von dem Rest der Band weltweit, aber ohne Kumar, gespielt werden. Die bislang zu hörenden, zarten Solo-Produktionen sind zwar ganz hübsch anzuhören, weisen aber noch nicht die vorherige Qualität auf.

Alborosie war der Headliner des Abends. Bei ihm und seinem Shengen Clan hängt die Qualität und Energie der Performance immer von der jeweiligen Laune ab, mit der alle gerade unterwegs sind. In Bersenbrück war die Laune verdammt gut und auch klanglich, wegen eines eigens mitgebrachten Mischers, kraftvoll und überzeugend. Bei der Coverversion von Metallicas “Unforgiven” kam der anwesende Kumar dazu. Ein schöner Moment!

Ein besonderes Highlight im Dubcamp war der seit Jahren in Deutschland lebende Neil Perch aka Zion Train. Seit den 90er Jahren hat er die britische UK-Steppers-Szene mitgeprägt. Viel Erfahrung, die man auch seinem Set an diesem Abend anhören konnte. Als spontaner Gast griff Ras Divarius  zu seiner Geige. Pumpende Bässe, feine Effekte…. bis der Strom komplett ausfiel. Die Menge hat die Pause mit Gesang und diversen Musikinstrumenten sehr sympathisch überbrückt.

Vor seinem Auftritt hatte Neil die Roots Plague-Anlage mit wenigen Handgriffen eingestellt, so dass sie gut klang. Das bringt mich zu einer Kritik, die ich auf jeden Fall loswerden möchte: Soundsystems müssen auf jeden Fall Kraft haben. Das Sankofa Soundsystem hat diesbezüglich vorbildlich präsentiert, dass laute Musik und Ästhetik zusammen gehen können. Der Crew von Roots Plague sei empfohlen, sich mehr zurückzunehmen. Bässe und Höhen, die klatschen und damit weh tun, gehen am Ziel vorbei. Und wenn dann auch noch die Mitten weitestgehend fehlen, wird es fraglich. Das Equipment gibt deutlich viel mehr her – bitte beim nächsten Mal berücksichtigen.

Samstag, 3.8.19

Der frühe Samstagnachmittag gehört traditionell Ganjaman. Es ist schön, wie sich dieses Ritual über die Jahre fortgesetzt und etabliert hat. Besinnliche Momente mit viel Botschaft und Reggae. Einem Gottesdienst vergleichbar redet und philosophiert Steve über die Liebe, die Menschheit, Gemeinsamkeit und Zukunftsvisionen. Manchmal geht mir das persönlich gegen den Strich, weil ich mit so viel Sendungsbewusstsein meine Schwierigkeiten habe, aber am Ende fühlt es sich irgendwie gut an, weil stimmig.

Unlimited Culture haben sich nachfolgend ebenfalls sehr gut präsentiert. Über die Jahre hat sich die Band deutlich in Sachen Sound und Präsenz entwickelt und so lieferten sie am frühen Nachmittag eine sehr ansprechende Show ab, auch wenn mir persönlich die eingestreuten Mundart-Passagen nicht so gut gefallen haben.

Sehr relaxt kam die Show der Sofa Connection rüber. Die Band um Sista Gracy spielte gepflegt auf und lud zum Mitsingen und Skanken ein. Mit dabei waren u.a. Sebastian Sturm und Moses. Dr. Ring Ding ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, zur Posaune zu greifen. Ein schönes Konzert, das vom Vibe her prima zur Stagetime passte.

Das nächste Highlight wurde von I-Fire abgeliefert. Sie waren schon oft Gast beim Reggae Jam und hatten gut hörbar eine große Fangemeinde versammelt, die textsicher mitsingen konnte. Kraftvoll und verspielt präsentierten die Hamburger eine Show mit vielen Hits, wie etwa “Wir Sind High”, “Rudeboykings” und “Dabadubade”, und überbordender Energie. Rundum gutes Entertainment also! Ein neues Album wurde zudem für Anfang 2020 angekündigt.

Ab 21:45 Uhr brannten Mono & Nikitaman die Special Stage regelrecht ab. Sie hatten ebenfalls viele Fans, die lauthals das Programm gefeiert haben. Mitsamt ihrer verdammt tight aufspielenden Band haben sie das Festival gerockt, was sich nicht nur auf die Energie bezieht, die sie gemeinsam mit dem Publikum entfacht haben, sondern auch auf die Musik, die in weiten Teilen Reggae hinter sich ließ und eher Rock bzw. Pop zuzuordnen war. Eine willkommene Abwechslung für viele Festival-Besucher.

Junior Kelly und Morgan Heritage waren die Highlights des Abends. Beide spielten auf der Main Stage und hatten leider mit technischen und klanglichen Problemen zu kämpfen – Junior Kelly weniger, Morgan Heritage deutlich mehr. Das war schade, zumal sich die Probleme am darauffolgenden Samstag weiter fortgesetzt haben. So z.B. beim letzten Highlight des Festivals, dem Auftritt der Rockers. Das geht auf jeden Fall besser. Aus Respekt vor den Artists und dem anwesenden Publikum.

Während Junior Kelly noch recht viel Kraft rüber bringen und mit seiner sympathischen Art das eine oder andere Feuerwerk abfeuern konnte, ging der Beginn von Morgan Heritages Konzert schlichtweg unter und hatte auch über die komplette Dauer mit Widrigkeiten zu tun. Da waren die viel zu geringe Lautstärke und der kaum zu spürende Bass noch die kleinsten Probleme. Eigentlich schade, da so die Show nur schwer an Fahrt aufnahm und große Teile des Publikums nicht mitgenommen hat.

Sonntag, 4.8.19

Hui! Mit Memoria stand am Sonntag zu früher Stunde eine Band auf der Bühne, die ich zwar wahrgenommen, aber offenbar nicht richtig hingehört hatte. Dass sie schon seit Jahren zusammen spielen, war ihnen deutlich anzumerken. Gemeinsam präsentieren sie eine elegante Show mit vielen mitreißenden Momenten. Mal Reggae, mal lateinamerikanische Rhythmen – super sympathisch auf die Bühne gebracht. Als Gäste kamen Ganjaman und Uwe Banton auf die Bühne, die die Band ebenfalls abgefeiert haben. Wer sie bislang noch nicht auf dem Schirm hatte, sollte – wie ich – unbedingt hinhören und sie auf dem Zettel haben. Da kommt noch viel mehr!

Dr. Ring Ding und seine Band luden zur Teatime zum gepflegten Schwoofen ein. Der Doktor weiß einfach zu überzeugen, ob nun gesanglich oder an der Posaune. An diesem Sonntag in Bersenbrück war wieder alles mit dabei….. lockere Sprüche, feine Musik, die General Levy-Imitation und und und. Auch wenn man das mitunter sicher schon mal erlebt hat, wird es irgendwie doch nicht langweilig.

Direkt nach dem Altmeister kam die Newcomerin: Lila Iké. Die junge Jamaikanerin hat mit Tunes, wie “Where I’m Coming From” und “Second Chance”, für ein weltweites Aufhorchen gesorgt. Sie zählt neben Koffee und Aza Lineage zu den jungen, weiblichen Hoffnungsträgerinnen im Reggae. Im Klostergarten von Bersenbrück präsentierte sie sich äußerst quirlig und gut gelaunt. Gesanglich frisch und mit viel Energie führte sie in einem perlmuttfarbenen Overall durch ihr Programm – wie sie das bei den recht heißen Temperaturen durchgehalten hat, ist mir bis heute ein Rätsel!? Interessant war auch die musikalische Melange, die bedient wurde. Irgendwo in der Schnittmenge zwischen Reggae, R’n’B, Dancehall und Pop lag der diffuse aber wirkungsvolle Fokus – ganz ähnlich wie bei ihrer Kollegin Koffee. Spannend auf jeden Fall!

Micah Shemaiah & Dreadites sind für Jo Mersa Marley eingesprungen und haben das beste Roots Reggae-Set des Festivals hingelegt. Organisch, inhaltlich berührend und authentisch – was will man mehr? Die Dreadites haben ein ultra-tiefes Fundament für den eindringlichen, sanften und zugleich kraftvollen Gesang von Micah Shemaiah bereitet. Ein tolles, nachhaltig wirksames Konzert.

Frage am Rande… Warum werden im Reggae immer wieder Coverversionen präsentiert? Geht es darum, dass alle mitsingen können? Zugegeben, das klingt jetzt von der Fragestellung her sicher etwas vereinfacht, denn es gibt im Reggae großartige Coverversionen, so z.B. die Version von “Everything I Own”, die Ken Boothe zu einem seiner Parade-Tunes gemacht hat. Aber warum nur muss George Nooks “Bridge Over Troubled Water” von Simon & Garfunkel, Duane Stephenson sogar Phil Collins’ “Another Day In Paradise” (mit Pull Up) und L.U.S.T neben Billy Joels “For The Longest Time” auch noch “Winds Of Change” von den Scorpions darbieten? Und das sind nur ein paar Beispiele vom Sonntag. Haben sie keine eigenen Songs, die überzeugen können?

Das große Highlight am Ende des Festivals war die Performance der Rockers mit etlichen namhaften Veteranen, wie Big Youth, Kiddus I, Bernard Collins (Abyssinians), Lloyd Parks und Leroy “Horsemouth” Wallace. Besser geht nicht, oder? Und obwohl es technische Schwierigkeiten gab, wie z.B. ein immer wiederkehrendes Feedback, haben es die alten Herren dennoch geschafft, den Geist des Roots Reggaes sehr sehr eindringlich aufleben zu lassen. Eine tiefe Verneigung dafür.

Text: Karsten Frehe, Fotos: Hans Beyer und Karsten Frehe

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.