OHRBOOTEN – Interview mit Matze und Onkel von den Ohrbooten vor ihrem Konzert in der Fabrik Hamburg am 22.12.10

OHRBOOTEN
Interview mit Matze und Onkel von den Ohrbooten vor ihrem Konzert in der Fabrik Hamburg am 22.12.10

Mit Gyp Hop habt ihr quasi ein neues Genre erfunden. Wie definiert ihr selber Gyp Hop?

Ich würde gar nicht sagen, dass wir ein neues Genre erfunden haben, sondern dass wir einfach zusammengefasst haben, was wir tun. Denn wenn uns Leute beschreiben, dann sind es immer ganz viele Dinge, die sich mischen. Und wir haben gesagt: Wir ersparen uns die lange Aufzählung und kreieren dieses Wort „Gyp Hop“ für das, was wir auf die Bühne bringen. Und dann sagen wir’s einfach, und damit ist dann viel gemeint. Wir haben uns dieses Wort noch nicht mal selber ausgedacht, sondern ein Freund hat das so genannt: „Dat wat ihr macht is doch Gyp Hop?“ Und wir fanden dieses Wort so geil. Und wir haben gedacht: Nenn wa’s doch so.

Habt ihr mit Gyp Hop eine bestimmte Zielgruppe vor Augen?

Nee keine bestimmte Zielgruppe. Zu unseren Konzerten kommen meist junge Leute und meist unter 20, aber wir sind auch froh, wenn ältere kommen. Wenn wir draußen spielen dann finden das auch ganz kleine Kids gut, die noch gar nicht auf ein Konzert von alleine kommen würden. Und auch ihre Großeltern, die dann sagen: „Oh, die singen ja schön deutsch, das ja schön. Kann man alles verstehen“, und die würden vielleicht auch nicht zum Konzert kommen. Wir freuen uns wenn alle das hören.

„Draußen“, gutes Stichwort. Denn von der Straße Berlins bis zum Nürburgring habt ihr quasi alles schon einmal durchgespielt. Wie würdet ihr diesen Weg beschreiben?

Eigentlich war das beides gleichzeitig. Matze und Ben haben ja früher lange Straßenmusik gemacht und davon auch ihren Lebensunterhalt bestritten. Ich bin ja erst sozusagen zu dieser Band dazu gestoßen. Dann haben wir ja schon unsere Platte aufgenommen und eigentlich in Clubs gespielt und dann irgendwann kam die Idee, dass es eigentlich geil wäre, auch mit uns als Band Straßenmusik zu machen. Und das haben wir dann gemacht. Dann hat sich eben rausgestellt, dass es total geil ist. Denn in einem Club zum Beispiel, da ist ‘ne Bühne, da sind viele Lampen und da ist ‘ne hohe Erwartungshaltung. Auf der Straße ist das halt gar nicht so. Man kann sich einfach hinstellen und Spaß dabei haben. Einfach viele Dinge ausprobieren und die einfach machen. Ganz witzig war es beim Nürburgring, wo man eigentlich auf dem Festival spielt und sich vorher aber vor den Eingang stellt und einfach seinen Scheiß da aufbaut und ‘ne ganze Horde besoffener Rockfans da vor einem rumspringen und brüllen und jeder hat‘n Faxe Bier in der Hand – dann spielt man ‘ne Stunde später auf der Bühne auf dem Festival. Manche Leute sind deswegen überrascht, für uns ist es aber eigentlich ein riesen Spaß.

Ihr kommt ja alle aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Musik. Onkel, du stammst sogar aus einer Metal-Band. War es da am Anfang schwierig, sich dem Reggae, Ska, Hip Hop anzupassen?

Na ja sagen wir mal so: Für mich war es tatsächlich Neuland. Und die Jungs haben zu mir gesagt: „Spiel doch mal ‘n One-Drop“. Und ick so: „wie, wat?!“ Ich musste halt erst mal ein paar Dinge lernen, hatte aber auch Bock da drauf, weil ich so was noch nie gemacht habe. Und ich glaub für jeden von uns gab es so ein paar Schlüsselerlebnisse. Für mich war das so das Chiemsee Reggae Festival, unser allererstes Festival, das wir jemals gespielt haben. Und da gab‘s drei Tage lang Hardcore Reggae. Eigentlich war ich schon ziemlich genervt davon. Und dann haben aber die Wailers gespielt, und der Schlagzeuger von denen, fand ich zum Beispiel super beeindruckend, der hat so laut gespielt, wie ich das in meiner Metal-Band normalerweise tu. Der hat so doll drauf gehauen, wo ich dachte: „Ey dit is ja wie in ner Metal-Band“ – das war für mich so wo ich dachte: gut dann kann ich des ja auch so spielen wie er. Ich will mich jetzt nicht den Vergleich von mir zu ihm ziehen, aber der Typ hat mir einfach geholfen, weil ich ihn gesehen habe. Und ich mit meiner Blut-Tod-Vergangenheit, mit Schweinen auf der Bühne schlachten und Menschen verkehrt herum aufhängen, da komm ich ja eigentlich her!

Oh, oh, was erwartet mich heut Abend…?

Nee, keine Angst. Heut Abend ist ja Ohrbooten und nicht Toxon, meine Metal-Band. Und so hat jeder sich jeder einander im Laufe der Zeit halt so angeglichen und wir haben viel voneinander gelernt.

Kommt es manchmal zu Auseinandersetzungen während des Songschreibens oder Spielens wegen eurer unterschiedlichen musikalischen Wurzeln?

Ja, klar gibt’s manchmal verschiedene Meinungen zu irgendwelchen Themen. Und wenn Ben zum Beispiel einen Text mitbringt, dann liest er uns den in der Rohfassung vor und wenn wir den nicht so richtig ticken, dann schreibt er den um und wenn wir sagen: Oh kann da nicht noch irgendwie ‘nen Mann drin vorkommen, der mit ‘nem Hund spazieren geht, oder irgendwie so, dann macht der des halt. Ich hab jetzt begonnen mit Ben ein bisschen zu texten und was da bei uns beiden manchmal ein Thema war, war, dass ich mich erst mal dran gewöhnen muss: Texte schreiben ist gar nicht so leicht. Wenn du Ideen hast und die aufschreibst. Ich konzentriere mich grad‘n bisschen darauf, das nicht so schnell zu bewerten. Das erst mal wirklich aufs Papier zu bringen und zu Ende zu machen und dann kann man sehen wie’s wirkt, auch auf andere Leute, nicht nur für mich. Und manchmal hab ich das schnell: ich sprech was aus und finde es schon irgendwie. Aber das kann total blockieren im kreativen Prozess.

„Denn von Bob Marley bis Slipknot steckt quasi alles im Gyp Hop“. Seid ihr selber Gyp Hop?

Ja! Ja, das ist das, was in den vorherigen Fragen eigentlich drin steckt. Für uns sind auch Bands wie The Cat Empire oder Balkan Beat Box, sind auch alles Gyp Hop. Wir beziehen das nicht nur auf uns, sondern auf alle Leute, die so drauf sind wie wir. Wir treffen viele Leute auf dem Weg, einfach Leute die Bock haben, Mucke zu machen. Und das überall tun. Im besten Fall dann irgendwie irgendein Instrument in drei Meter Entfernung haben und dann einfach losspielen, auch an Orten, wo du dann überrascht bist, dass da Musik stattfindet.

 

Wer von euch trifft die wichtigsten Entscheidungen? Herrscht bei euch ‘ne Art Diktatur oder Anarchie am Verstärker?

Na ja so ‘ne Art anarchistische Demokratie. Es gibt so die Faustregel: Es muss ‘ne Mehrheit geben. 3 zu 1. Wenn’s 50/50 ist haben wir ein Problem, dann passiert gar nix. Dann fahren wir nicht los, dann gehen wir nicht auf Tour, dann schreiben wir keine Songs, dann kann auch keiner nach Hause fahren, das muss dann ausgesessen werden. Aber es ist eben tatsächlich so dass sich alle Leute, die gleiches Mitspracherecht haben sich hier getroffen haben. Und das ist manchmal auch ganz schön anstrengend für uns. Ich glaube beim Songwriting ist es so der längste Prozess. Dass man da lange Zeit damit verbringt, alle Ideen auszuprobieren, die jeder hat und sich dann für eine entscheidet. Und dann jemand immer doch noch eine hat und dann eben so: „Ok, lass es uns ausprobieren, wenn du ‘ne Idee hast.“. Nur von den Worten alleine kann man das ja nicht hören. Dann spielen wir die Idee und wenn sie cool ist, ist sie cool.

Was passiert mir den Songs die nicht aufs Album kommen?

Wir haben jetzt auch grade in der Auswahl fürs vierte Album Songs mit drin, die beim dritten Album nicht raufgekommen sind. Die werden dann eben wieder angeboten, wenn wir denken, sie sind geil. Es gibt auch Lieder die gar nicht auf ‘nem Album sind, die wir trotzdem nicht spielen. Es gibt dann Leute, die wünschen sich bestimmte Songs, die wir gar nicht auf dem Schirm haben, weil die weder aufm Album sind noch irgendwo im Liveset. „Gypsy Queen“ zum Beispiel ist so ein Song.

Man hört häufig, dass es besonders für Newcomer Bands schwierig ist, Platten zu verkaufen, da viele (besonders junge) Leute die Musik einfach aus dem Internet ziehen. Spürt ihr das auch, und wie wichtig ist das Livespielen a) finanziell und b) persönlich für euch?

Also a) ist, ja, weil das sozusagen das, womit wir zum Großteil unsere Miete irgendwie rein bekommen. Dadurch, dass wir nicht zum Beispiel Michael Jackson sind, verkaufen wir kaum noch Platten – kauft ja keiner mehr. Deswegen müssen wir natürlich viel live spielen und das ist so das was wir auch am besten können. Denn ‘ne Platte ist ja immer ‘ne Momentaufnahme, von dem Punkt wo sie sich dann eigentlich grade befindet. Und so’n Ding bewegt sich ja immer weiter. Und b): ich fühl mich auf ‘ner Bühne viel besser, oder wenn ich auf der Straße Musik machen. Weil, dann seh ich die Leute ja unmittelbar für die ich da Musik mache. Wenn sich da zuhause jemand de CD anhört, das merk ich ja nicht, also ist der Effekt auf Konzerten z.B. geil wenn die da mitsingen. Aber das merk ich erst dann!

Wenn man eure Lieder hört – und das ist bestimmt bei anderen Bands auch so – fragt man sich, inwieweit die Texte autobiographisch sind. Songs wie „Zeit zu gehen“, wo Ben das Ende einer guten Freundschaft beschreibst, wirken sehr authentisch und ehrlich. Gibt es persönliche Bezüge?

Ich werde dir natürlich nicht Bens Privatleben offenbaren. Aber ja. Also „Zeit zu gehen“ hat auf jeden Fall einen sehr persönlichen Background. Und der ist für einen bestimmten Menschen geschrieben.

Und bei Songs wie „Es ist ok“?

Das ist ja keine Geschichte. Das ist nicht an jemanden. Das ist Ironie halt. „Es ist Ok“ ist einfach die Ironie pur. Und kann auch mal schnell falsch verstanden werden. „Alle gegen alle“ ist auch ironisch zwischendurch. Und wir haben schon Leute abgehen sehen, die völlig ausgerastet sind und es gab echt hart Mosh Pits, wo wir manchmal denken: Oh.. Nicht so doll! Tut euch nicht weh!

Im Gegensatz zu anderen Bands wie z.B. Irie Révoltés, die zum Teil mit sehr politisch geprägten Texten zur Revolution aufrufen, klingen eure Songs leichter und ironischer. Man kann zwar häufig einen politisch- bzw. gesellschaftskritischen Unterton wie z.B. in „Feuer“ oder „Mit dem Kopf durch die Wand“ raus hören, allerdings liegt der Schwerpunkt beim ersten Hören anderswo. Macht ihr das extra, um Provokationen zu vermeiden, oder bedient ihr diese Sparte absichtlich nicht zu laut und direkt, um über die Texte erst mal nachdenken zu lassen?

Also Provokationen vermeiden: Nein. Ich sag Ja zu Provokationen und Dinge eben anzusprechen, was wir in den Liedern ja auch machen. „Keine Panik“ ist auch so ein Song. Aber wir rufen jetzt nicht zur Revolution auf. Für mich hat das was damit zu tun, die Leute eher mit einzuladen und bestimmt Anregungen zu geben, als die Leute zu überfahren mit irgendeiner gewissen … so sehr politische Bands die mit „JAA UND DU, UND DU! UND TU WAS!“ das ist überhaupt nicht unser Ding, die Menschen zu überfallen mit einem bestimmten Revolutionsgedanken. Sondern erst mal machen wir Musik. Und Musik bedeutet Spaß und tanzen und sich gut fühlen und das ist erst mal was ganz pures, was die Leute sowieso schon abfeiern beim Konzert. Und das kannste dann verbinden mit bestimmten Themen wie Politik und öffentlichem Ungehorsam oder was weiß ich. Oder auch ganz anderen Sachen! Wie mit Liebesthemen oder halt mit dem was‘n Text dazu bringt. Das ist dann immer ‘ne Einfärbung von dieser puren Musik. Die zu nutzen für so ‘ne Agitation finden wir nicht so schön, eigentlich. Weil das ist auch wie so‘n Vertrauensding, wenn die Leute anfangen zu tanzen und die Texte zu singen und sich wirklich locker zu machen. Ich fühle dann von den Leuten so ein Vertrauen wie „hier kann ich mich voll gehen lassen“. Und wenn wir dann in diesen Zustand irgendeine Propaganda ballern würden, dann würden wir das schnell mit Füßen treten. Ich meine, wir machen das halt auf anderer Ebene. Nicht immer mit Musik und Texten, sondern dass wir z.B. in so ‘nem Projekt mit machen, das „Schule ohne Rassismus“ heißt. Aber das hat mit uns als Band zu tun. Da sind wir so Pate für die Kids und die Schulen die sich da engagieren, weil sie vielleicht ein Problembezirk sind. Aber das ist schon noch ein bisschen entkoppelt von der Musik an sich, die wir machen. Wir werden natürlich auch angefragt, weil das in unseren Texten auch schon so ein bisschen durchscheint, wie du sagst, aber wir lassen den Leuten ja auch Spielraum. Ist eben nicht so, dass wir sagen „Wählt die FDP NICHT“ oder sowas… das kann ja jeder selber für sich rausfinden. Aber an so einer stelle macht es eben auch Sinn, wenn wir den Leuten den Rücken stärken und eben auch sagen, wir helfen euch oder kommt vorbei aufn Workshop und selber das Ding weiter transportieren können. Und dafür sind wir am Start. Wir haben auch mal Anfragen von Parteien, und da könnte man dann auch mal spielen, wenn die ‘ne Werbeveranstaltung machen. Z.B .Die Grünen in Berlin, wo man sehr viel Geld verdienen kann dann. Aber man stellt sich dann eben so in den Dienst einer einzigen Partei, was eben auch nicht unser Ding ist. Hätten wir auch machen können wie mit „Keine Panik“ oder so aber das ist ja nicht alles. Deswegen machen wir das nicht so doll, sag ich mal.

In früheren Alben habt ihr die Politik viel stärker und direkter thematisiert. Ich denke dabei an Songs wie „Dschungelpartei“ und ganz klar „Politix“. Mit Babylon bei Boot wurde es immer indirekter und Gyp Hop klingt für mich sehr entschärft. Wie seht ihr diese Entwicklung?

Interessant, dass du das so hörst, erst mal. Ich kann es nachvollziehen, weil ich glaube, die Entwicklung besteht ein bisschen darin, weil die erste Platte völlig unbefangen für uns kam. Da haste schon ein paar Songs auf Lager. Da haste überhaupt nicht auf dem Schirm, dass du das irgendwann mal aufn Album packen wirst und verkaufen und als band auf Tour gehen. Das war ja alles überhaupt nicht Thema. Die Songs sind ja älter. Dann nimmste‘s Album auf, so klingen sie dann auch mit der Power. Das zweite: wir haben‘s dann ja selber schon so beschrieben „Babylon bei Boot“, wir befahren jetzt mit unserem Boot, das wir bestiegen haben Babylon und kommen so langsam in kommerziellere Zusammenhänge. Wir hatten dann plötzlich ‘ne Plattenfirma und so. Und das ging plötzlich ab. Und beim dritten Album kann ich mir vorstellen, dass wir da ein bisschen zu viel nachgedacht haben, was jetzt gut ist und was nicht. Wir haben sogar auf der ersten Platte bestimmte Dinge entschärft, auch wenn die nicht so klingt. Bei „Maschine“ gab‘s mal bei das Telefon „Klingelingeling“ von Noodt gab’s nen sehr bekannten Telefonrufton von Nokia, und den haben wir, erinnere ich mich, rausgenommen in der Produktion, weil es sein könnte, wenn es dann aufn Markt kommt, es relativ bekannt wird und auf einmal Nokia kommt und sagt: He, wir wollen unsere Kohle haben, weil ihr unseren Ton benutzt. Und dieses Denken ist auf jeden Fall in Richtung Popmusik, kommerzielles Denken. Wir haben einfach reagiert auf gute Ratschläge, von Leuten, die dann da Erfahrungen haben. Was aber immer schade ist, weil als Band ziehst du dir da so ein bisschen selber am Zahn, hab ich das Gefühl. Wir merken selber, bei den Aktionen, wo wir selber uns nicht davon kirre machen lassen von schlechten Erfahrungen, die andere Leute gemacht haben, und einfach mutig einfach irgendeine Aktion bringen und den Song halt so zu schreiben, wie wir’s wollen. Ist so das Beste, eigentlich. Ich finde wir können uns da auch immer wieder so ein bisschen konzentrieren. Es könnte sein, so, „Ich hab was krasses zu sagen – oh Gott, nicht dass es komisch ankommt..“ – Sag es bitte, das was du sagen willst!

Keiner von euch ordnet sich einer Religion zu; Spiritualität spielt für euch trotzdem zum Teil eine Rolle. Inwiefern?

Krasse Frage… Also ich glaube, dass wir ‘ne Band sind, wo jeder an was glaubt so‘n bisschen. Vielleicht andere Dinge aber.. weiß nicht. Für mich bedeutet Spiritualität wenn es Situationen gibt, wo bestimmte Dinge im Raum stehen. Oder wir hatten jetzt grade auch Gespräche, wo es nicht klar war zwischen uns und Spiritualität nenn ich es dann, wenn jeder einzelne von uns dann bestrebt ist, das zu lösen. Weil wir auf die Bühne gehen, z.B. wenn da n Konflikt ist, lass uns das mal angeh‘n! Und uns da irgendwie annähern. Aber das ist nur‘n voll kleines Beispiel. Ansonsten bedeutet Spiritualität für mich auch was zu tun mit dem Vertrauen darauf, dass alles schon gut geht. Manchmal erscheint das Leben echt chaotisch und „was passiert als nächstes“ und Dinge sind unklar und du könntest jetzt sagen: Ja, ich weiß nicht wie’s wird und vielleicht wird’s ja scheiße. Und vielleicht wird’s so, wie ich es mir in meinem Worst-Case-Szenario ausmale – aber vielleicht wird’s auch cool. Wahrscheinlich wird es so, wie ich es mir gar nicht vorstellen kann, deswegen lohnt’s sich nicht sich darüber den Kopf zu zerbrechen sondern einfach da zu sein. Mir nicht die Rübe zu machen über das was sein wird oder das was war jetzt diesen Moment zu leben. Musik ist Spiritualität für mich im Leben. Jetzt z.B. sind wir auf ‘ner Rutsche wo wir n ganz neues Set haben und keiner weiß so richtig, ohne auf die Setlist zu gucken, was als nächstes kommt. Und das ist halt total blöd. Also ich merke das halt wenn ich schon beim Song denke, was als nächstes kommt. Dann bin ich schon nicht mehr ganz beim Song. Dieses, was plakativ klingt dieses „im hier und jetzt sein“ ist Musik. Wenn du Musik wirklich gut spielst, dann bist du auf jeden Fall immer im jetzigen Moment. Und nirgendwo anders. Und das ist total spürbar in dem Moment, wo ich z.B. gestern in Bremen auf die Setlist gucken musste, was kommt denn als nächstes, bin ich schon nicht mehr im Song und ich muss mich erst mal wieder drauf einlassen. Und diese Übung sollten alle Musiker beherrschen, oder wissen, worum es geht. Das ordne ich Spiritualität zu.

2005 habt ihr in einem Interview gesagt, dass ihr trotz eines Albums in der Tasche weiterhin Straßenmusik machen würdet – wie hat sich das entwickelt: macht ihr immer noch hin und wieder Straßenmusik und wie wichtig ist euch das?

Es ist tatsächlich so, dass wir immer noch sehr gerne Straßenmusik machen und, wie du gerade, gesagt hast die Zeitfrage so ‘ne Rolle spielt. Straßenmusik kannste ja jetzt bei diesen Temperaturen und vor Weihnachten macht das nicht so richitg Spaß und auch nicht so richitg Sinn, weil es bleiben nicht so viele Leute stehn… für die man Musik machen kann. Für uns war es im vergangenen Jahr gar nicht so einfach, Spots zu finden, weil wir am Wochenende eben auf Festivals spielen und das ist eigentlich immer dann so wenn die meisten Leute richtig Zeit haben, man braucht immer ‘nen guten Platz, man braucht Sonnenschein dafür, so‘n Flohmarkt oder was.. Sich aufn Dienstag aufn Potsdamer Platz zu stellen macht ja keinen Sinn. Witziger weise ist uns jetzt vor ein paar Tagen aufgefallen, oder haben wir beschlossen, dass das so gar nicht geht. Straßenmusik ist ja ein wichtiger Prozentsatz, der uns ausmacht. Und dass wir das nächstes Jahr auf jeden Fall in verstärkter Form machen müssen. Also viel, viel mehr als dieses Jahr. A) natürlich finanziell und b) auch persönlich, für den Spaß, aber einfach weil das dieser unmittelbare Moment ist, der am meisten Bock macht. Wo man sich auch‘n Kick abholt. Und wo man halt auch unabhängig von großen Bühnen und vielen Lampen sich diesen Spaß abholt. Oder diese spirituelle Nummer oder was. Da geht’s dann halt auch darum Bock zu haben und Leute mitzureißen ohne ‘ne große Verantwortung. Man braucht keinen Bus anmieten, man braucht keine PA man braucht diese ganzen Tourmanager nicht, man braucht keinen Mischer. Das macht einfach total Spaß plus diesen Moment zu haben, man weiß nicht was passiert. Weil eben so komplett andere Sachen passieren können, wie, dass eben ‘ne Band einsteigt oder so. In München, im Englischen Garten, war das mal so. Da hat im selben Park ‘ne Blasband geprobt. Das waren so acht oder zehn Bläser, die dann einfach mit dazugekommen sind und mitgespielt haben. Und das passiert dir auf jeden Fall nicht in einer regulären Club-Situation. Und das vermissen wir dann schon, wenn wir es nicht ab und zu wenigstens mal haben. Jetzt ist eben auch noch ein Trommler dabei, der hat an dem Abend, als wir in Berlin losgefahren sind, gesagt, er hat Bock mitzukommen. Das ist geil. Und der war gestern Abend auch auf der Bühne und wir haben des nie geprobt. Und dann haben wir wenigstens diesen kleinen Moment, diesen Chaosmoment. Und das sind halt Leute auf die man sich verlassen kann, weil die einfach total geil sind. Der macht eben auch z.B. ganz viel Straßenmusik, weil er auch gar nicht anders kann. Und dann hat man noch so einen Freak dabei, und dann holt man sich so einen Moment noch mit auf die Tour. Aber, um nochmal auf den Anfang deiner Frage zurückzukommen: Ja, wir machen’s noch, und wir müssen’s viel, viel mehr tun. Weil‘s einfach viel zu geil ist.

Eine letzte Frage. Wann gibt’s n neues Album?

Wir haben den Sommer 2011 angepeilt. Aber es könnte auch später werden. Im Moment sieht es gerade so aus, dass es raus kommt, wenn es raus kommt und wir hoffen nächstes Jahr. Na ja vieles ist noch gar nicht da…

Wird’s gut?

Ja natürlich wird’s gut!! Na klar wird’s gut. Es wird alles gut werden. Man braucht gute Songs, gute Aussagen, und dieses Gefühl, was in vielen Songs drinsteckt, womit man Leute mitnehmen kann. Das ist halt schon ein Prozess. Das kann man eben nicht in zwei Stunden machen. Und die Band, die das könnte würde ich gerne mal kennenlernen! Wenn du als Band halt ‘n Vertrag hast und die Chance, mehrere Alben rauszubringen. Plötzlich kommt dann ein Erwartungsdruck von uns selbst an uns selbst. Wir müssen jetzt dieses vierte Album rausbringen und viele Leute fragen uns auch, so wie du jetzt, wann kommt’s denn? Die sich eigentlich total freuen darauf. Wir sind jetzt in diesem kreativen Prozess für das Album und ich kann mich selber voll ausgrätschen wenn ich Erwartungsdruck hab an das was ich gerade tu. Und ja, sich darauf dann zu konzentrieren, sich da locker zu machen. Ich glaub, das betrifft auch jede Band so. Pendelst dich irgendwo ein. Und hast ‘ne Präsenz und um es aufrecht zu erhalten musste eben auch immer wieder Präsenz zeigen, das heißt wir müssen auch immer wieder neue Lieder nachlegen. Und es gibt echt wenige Bands, die dann sagen: ja, gut, 10 Jahre bringen wir jetzt einfach mal kein Album raus. Und wir haben uns jetzt eben drauf eingeschossen, dass es unser Job ist und unser Lebensunterhalt. Und dann musste auf jeden Fall sehr kontinuierlich Alben rausbringen. Sonst muss man halt andere Jobs machen. Und da hat keiner von uns so richtig Bock drauf. Mit Ohrbooten ist es am geilsten eigentlich!
Interview: Pauline Betche (12/2010) Foto: Sven Hagolani

 

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King Toppa - Digital Dub Producer and Musician. i started my music with the irie ites soundsystem in the 90ies going on to produce dub and digital dancehall roots. I am part of the irie ites music label