Kreuzwort “Therapie” (Sentilo Sono/Galileo)

Cover Kreuzwort-Album

Kreuzwort
“Therapie”
(Sentilo Sono/Galileo – 2018)

Nach einer interessanten Farbexplosion auf dem Cover und der Eingangszeile “Leck mich doch am Arsch” kommt hier was richtig Neuartiges. Üblich ist es ja, bei Plattenkritiken ein paar Beispiele zu nennen (“klingt wie….”). So kann man eine erste Vorstellung geben, ohne neue CDs direkt in Schubladen zu stecken. Kreuzwort heben aber schon mal entgegen der Schwerkraft ab in Richtung All. Steigen in ein Raumschiff und sind weg. In ihrer Wunschwelt.

Kreuzwort und Shanti Powa – Neue Töne in Europas Ska-Szene

Das ist in der Popgeschichte relativ selten. Die Texte sind psychologisch, selbstreflektiert. Die Musik ist Ska, aber ganz anders als Ska sonst ist. Mich stört bei Ska nach einiger Zeit immer die Härte des Beats; längere Zeit auf Ska im Sinne von Two Tone-Ska, Punkrock-Ska oder Latin-Ska zu tanzen, strengt mich meistens nach einer Stunde an, keine Varianz, eigentlich keine Offbeats, sondern mir kommt das meistens zu mathematisch vor. Während im selben Schwung und über denselben Vertrieb innerhalb derselben Woche gleich noch so eine Neuerscheinung – von Shanti Powa – ums Eck’ kommt, ist das Album von Shanti Powa mit Scratchings, gerappten Passagen und souligen Gesängen zwar ebenfalls innovativer Ska. Dennoch härter, rockiger orientiert.

Das offizielle Kreuzwort-Band-Logo spricht von Rap, Dancehall und Reggae. Auf “Therapie” muss man dafür in die zweite Hälfte des Albums hören. Die erste Hälfte ist eher Ska.

Die Soundfarbe von Kreuzwort ist fluffig, die Songs lösen keinerlei Skip-Reiz bei mir aus. Ich will gar nicht auf “Weiter” drücken, komisch. Acidjazz-Trompetensolo (“Sag Was”, Track 3, Abschnitt 2’50” – 3’26”) an der richtigen Stelle platziert, werden Spannungen aufgelöst und eine verträumte Strecke eingeschoben. Die Texte sind positiv ohne ausgelutscht. Wir erfahren, was “das Leben interessanter” machen könnte, wie sich eine “Achterbahn im Kopf” anfühlt. “Wer die Antwort dazu weiß, der holt mich bitte hier raus.”

Ausbruch, Aufbruch, Psychologie

Diese Band bricht aus, aus den üblichen Mechanismen, dem hier-ein-bisschen, dort-ein-bisschen. Alle Songs schaffen es sehr konkrete und unterschiedliche Bilder zu wecken. Jedes Arrangement wirkt mit Feingefühl ausgewählt, um genau die Stimmung zu treffen, die in dem jeweiligen Text steckt. In “Kopf Wach” (Track 2) lenkt eine minimale Tonfolge von Minute 1’36” bis 2’21” die Ohren auf den Sänger. Ein erstaunlich schöner Song über das hässliche Thema Schlaflosigkeit, das früher mal, in den 1990er Jahren, ein häufiges Motiv im Indiepop war. “Sleepless Nights”, zu diesem Thema ließen sich unendlich viele DJ-Sets, Mixtapes, Radio-Specials zusammenstellen. Nie habe ich aber eine so genaue Beschreibung dessen gehört, was sich im Kopf des Schlaflosen abspielt. Sogar ans schwierige Thema Depression trauen sie sich heran.

Tipp:

Songs dieses Albums sind in der Irieites-Playlist “Alles neu macht der Mai” auf Spotify enthalten. (über “Alles neu…” mit der Maus fahren…)

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts oder zumindest nicht scharf. Das macht aber nichts, denn das ist nur die Übersicht: KREUZWORT sind viiiiiele Leute, das sieht man sofort!

Songs aus diesem Album sind drin in der Irieites-Open-Spotify-Playlist “Irieites – Alles neu macht der Mai” mit Neuheiten aus dem Frühjahr 2018.

Im Satz vorher auf -> “Alles neu macht…” klicken, mit “In neuem Tab öffnen” -> dann kommt die Frage von Spotify, ob ihr euch anmelden wollt.

Therapie für Gelangweilte, die sich nach innovativer Musik sehnen

Das “Therapie”-Album ist auch eine gute Therapie für alle, die von der gängigen Musik unserer Tage, dem Dance-Gedudel im Radio, dem Jammer-Deutsch-Pop, dem gequält näselig androgyn gesungenen Modern Rock, dem viel Starkstrom & wenig Melodie übertragenden Blues Rock Revival, dem Diss-Rap, dem ewigen Zersampeln von Soulklassikern im Hiphop, dem faden Nachgespiele im Modern Roots-Segment und dem allgemeinen Wir-sind-Links-und-alle-einer-Meinung-Gestus in Ska & Punk die Nase voll haben.

Optimistisch und dabei durchaus sehr offen, alle möglichen Wehwehchen anzusprechen, sind die schrägen Dubstep-Fanfaren in “So Alt Wie”, die drei Songs in einem in “Depression” (Bouncing Beats, bouncende Ska-Rock, lange Keyboards-Saxophon-Lounge-Bridge), der spannende Songwriter-Tune “Beziehungsweise”.

“Wo gehobelt wird, da fallen Späne”,

heißt es in einem der Songs. Eben, man muss manchmal was wagen.

“Immer das Gleiche, das kennen wir schon.”,

sagt ein anderer Song auf dem Album. Hinterher zu laufen statt vorneweg macht depressiv, das beschreiben Kreuzwort hier ganz wunderschön in “Depression”. Wer sowieso das Gefühl hat, den Hype-Ansprüchen der schick photogeshoppten Mitmenschen nicht zu genügen, den Stellenbeschreibungen der Arbeitgeber, den Partnerbeschreibungen der Flirt-Apps, der kann sich auch gleich zu Hause eingraben, Pizza futtern, fett werden und sich im empfundenen Unglück immer tiefer eingraben. In der Fachsprache würde man sagen, das ist eine external verursachte Depression, die vom Betroffenen als internal verursacht wahrgenommen wird.

“Was ich hier mach, interessiert keine Sau.”

Man braucht schon Humor, um dieser Platte fortlaufend zuzuhören, wird beim Mitverfolgen der Texte teilweise ganz schön gefordert und wird nur Spaß daran haben, wenn man hier nicht das Jamaikanische in der Musik sucht, denn das gibt’s hier nicht.

Dafür schöne poetische Schöpfungen:

“Lass unsere Wände wieder ganz neu mit Liebe streichen”.

“Lach in den Spiegel, denn ich studiere jetzt Glück.”

Ich weiß nicht, wie man in Italien, Polen oder Holland auf diese Musik reagieren würde, ohne Deutsch zu verstehen oder ohne es ganz zu verstehen. In Deutschland ein wohltuender Kontrast zu dem Schlagerstil, den Revolverheld jaulen. Ich wünsche Kreuzwort, dass sie auch im Ausland viele Fans gewinnen und Auftritte an Land ziehen können, denn das musikalische Handwerk, die Kompositionsideen und ihre Originalität sind hier auf ganz hohem Niveau. Also, fast immer.

Niveausturz – aber von einem sehr hohen Level

Manchmal wird es auch sehr platt: Track 11, “Immer Noch”, ist im Sinne von Hiphop gehalten, unsere Geschichte von Fame & Fortune, auch explicit lyrics, (“für den Arsch jeder Frau”). Die Musik wird zwischendurch auch mal vereinfacht wie bei dem eher simpel gestrickten Song “Wohnwagen Gang”. Hier standen wohl doch Seeed oder Culcha Candela Pate, sowas hat man schon mal gehört. Der Text ist dagegen mal eine sehr wortgewandte Bearbeitung des Themas Camping/Festivals. Okay, gerade diese Schiene beherrschen andere auch sehr gut und bleiben dabei “underrated”, z.B. Nasou oder Stephen Keise. Noch einer kommt mir in den Sinn aus der aktuellen Reggae-Riege: Yaniss Odua. Wer den mag, wird auch Kreuzwort mögen, glaube ich. Temperament und Stimmungen liegen da auf einer Wellenlänge.

Sonnenbrillen schützen bestimmt auch vor dem neuen bayerischen Polizeigesetz. Sie unterbinden aber auch Lichtreflexionen von Blechblasinstrumenten und sind somit gut für die Gesundheit.

Aus meiner Lieblingsrubrik “Musik über Musik”/Songs zum Thema “Songs machen”

Der Track 12, “M. U. S. I. K.”, zitiert sehr gekonnt und elegant im Funk, frappierender Weise ohne in den Strophen etwas am Vortragsstil zu ändern, da bleibt es dancehallig. Der Refrain wird dann auch als Funk-Song gesungen. Mein persönlicher Lieblings-Track auf dem Album. Der Abschluss “Stell Dir Mal Vor” ist voll triefenden Spottes, ein scharfzüngiger Song gegen aktuelle Politik, stereotype Wahrnehmungen, alles Verkrustete, im besten Sinne French Rap / Französischer Hiphop – denn an diesen vergessenen Stil erinnert das am meisten. Der Song ist ein genialer Beweis dafür, dass man auf Deutsch voller Flow reimen kann, ohne gekünstelt, holprig oder steif zu klingen.

Keine Teflon-Sprache, kein Hashtag-Slang

Es ist nicht nur die Bandbreite, die mich hier überzeugt. Es ist die Konstruktion, sehr melancholisch zu sein ohne auf Happy-Go-Lucky machen zu müssen. Es ist dieses charmant Unbewaffnete im ganzen Stil und in den Formulierungen:

  • ohne für alles die Lösung zu haben,
  • ohne zu missionieren,
  • ohne Hipster-Ästhetik
  • und ohne Jugendsprache,
  • überhaupt ohne Trendwörter,
  • ohne diese verbreitete Social-Media-Hashtag-Babysprache voller falscher Grammatik,
  • ohne diesen ganzen modischen Quatsch.

Kreuzwort aus Rosenheim beherrschen einfach zweifelsfrei die deutsche Sprache. Sie brauchen sich nicht zu wiederholen, kommen ohne Textbausteine aus. Sie biegen nicht ins Mundart-Klischee ab. Alle Reime wirken relativ neu erfunden und “frisch gepresst”. Da ist es mir egal, dass sie auch Wendungen bringen wie “Fickfingerraumschiff” und die oben zitierte sexistische Zeile. Mein Job ist es ja, auch Potentiale zu erkennen. Und die sind hier riesig.

Mit Tempo & Schwung

Das zweite, was mich ungemein berührt, ist: So traurig manche der angeschnittenen Inhalte auch sind, so viel Schwermut sie dann auch z.B. ins Gitarrenriff auf dem letzten Song packen – immer schaffen sie es, die Geschwindigkeit hochzupitschen, nach vorne zu treiben und Schwung zu übermitteln. Ich hoffe, das wird ihnen auch live viel Zustrom und Zuspruch bringen.

Fazit – 5 von 5 Sternchen

Je einen gibt’s für die große und genaue Arbeit, die man dem Album anhören kann + für die Leichtigkeit, mit der das Produkt daherkommt + für die Ehrlichkeit im Umgang mit menschlichen Schwächen (ohne Jammern, ohne Dissen, ohne Belehren) + für die HiFi-Umsetzung (gut gespielt, gut produziert, gut abgemischt) + fürs Ausprobieren, frei drauf los, ohne Erfüllen von Erwartungen.

Philipp Kause

Link: http://www.kreuzwort.biz

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.