Jah9 „Note To Self“ (VP Records)

Jah9
„Note To Self“
(VP Records – 2020)

Die meisten Künstler haben ein großes Mitteilungsbedürfnis gegenüber anderen. Nicht so bei Jah9, die auf ihrem neuen Album lieber Notizen an sich selbst schreibt. Aber ihre vielen Fans, die sie mit zwei vorhergehenden Alben „New Name“ und „9“ sicherlich gewonnen hat, brauchen sich jetzt keine Sorgen zu machen, dass diese jamaikanische Poetin, Sängerin und Yogalehrerin unter multipler Persönlichkeitsstörung leidet – sie ist eher vielfältig.

Jah9 sieht sich in der langen Tradition starker (schwarzer) Frauen wie Nina Simone, Judy Mowatt oder gar Aretha Franklin stehen. Mehr denn je wird das auf ihrem neuen Album „Note To Self“ deutlich, wo sich das Innenleben von Janine Cunningham so intim und ungefiltert darbietet, wie wenn sie heimlich mit sich selbst reden würde und wir, die Zuhörer unvermittelt Zeugen dieser innen gewandten Zwiegespräche werden.

Eine höchst spirituelle Persönlichkeit tritt dabei zutage, die sich ebenso für die ferne (ägyptische) Geschichte interessiert („Ma’at (Each Man)”), wie für zwischenmenschliche Beziehungen („Ready To Play“) oder die Liebe selbst („Love Has Found I“). Alles zum Zweck der Selbstfindung und Selbstverwirklichung, das Jah9 als Ausgangspunkt für eine neue, bessere und damit in ihrem Fall feminine und afrozentrische Menschheit sieht. Aber mit ihrer Verbindung von Poesie und Reggae-Musik ist sie genauso eine Nachfolgerin von Oku Onuora, Linton Kwesi Johnson oder Mutabaruka, die diese mittlerweile vernachlässigte Nische von Reggae Musik, die Dub Poetry im Wesentlichen geprägt haben.

Doch „Note To Self“ ist als Album viel ambitionierter und weitgreifender. Vor allem, wenn Jah9 gewohnte Pfade verlässt und, wie in „Field Trip“, sich in Afrobeat-Gewässer begibt. Es ist ein organisches Gemenge aus Reggae, Jazz, Soul und Hip-Hop, das mit dezenten Dub-Effekten versetzt worden ist. Die Orchestrierung folgt dabei treu ihren ungestümen Emotionsausbrüchen, behutsamen Balladen oder kräftigen Soul-Ausflügen. Mal sind es graziöse Bläsersätze oder entrückte und dennoch funkige Gitarrenbegleitung mit einer filigranen, druckvollen Rhythmik und elegant fluiden Bassläufen. Die geschmeidigen Soul und Jazz-Einlagen erinnern an die coole Empfindlichkeit von Sade, während die immer wiederkehrende Psychedelika (wie in „Mindstorm“) an Sun Ra Bezug nimmt und die stimmliche Gefühlsachterbahn Nina Simone beschwört, ohne jedoch als bloße Verneigung vor diesen Größen zu klingen.

Jah9 wird bei dieser kunstfertig ummantelten Selbstentblößung von Chronixx („Note To Self/I’m Going To Be Ok“) und Tarrus Riley („Ready To Play“) unterstützt und bezeugt damit, dass sie sich in jeder Hinsicht weiterentwickelt und endgültig in die erste Liga aufgestiegen ist. Ironischer- und bezeichnenderweise hat sie mit „Note To Self“ ein viel besseres, als die letzten Alben von ihren Gastsängern abgeliefert.

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)