The Wailers
„One World“
(Sony Music Latin – 2020)
Wieweit das Ganze schon am Arsch ist, verdeutlicht allein die Aussage von Aston Barrett Junior: ‚Mein Vater Aston ‚Familyman‘ Barrett war eine großartige Inspiration und Lehrer, der mich zu diesem Punkt führte, an dem wir Emilio Estefan treffen konnten. Jetzt haben wir ein erstklassiges Album, auf das wir alle stolz sind.‘
Wie? Es ist im Sinne von einem ursprünglichen Wailers-Mitglied gewesen, Bob Marleys Band, der Reggae-Ikone schlechthin, dass sein Sohn mit einem Latin-Produzenten zusammenarbeitet? Dass er ihn lange daraufhin vorbereitet hat? Und wie lief das ab? Etwa so: ‚mein Sohn, scheiß auf alle Reggae-Produzenten, hol dir Emilio Estefan, den Ehemann von Gloria Estefan (Miami Sound Machine), den 19-maligen Grammy Gewinner, der wird dir ein richtig gutes Reggae-Album machen?’ Ist das wirklich sein beschissener Ernst?
Der Grammy-Klub
Klar, Latin-Sounds sind gerade angesagt, aber musste es denn sein? Musste wirklich die erste Single-Auskopplung „One, World, One Prayer“ für das neue Album, neben Skip und Cedella Marley und Shaggy (2-facher Grammy-Gewinner) – als ob das allein schon nicht genug gewesen wäre – auch Latin-Grammy-Gewinner Farruko, einer von diesen Reggaeton-Sängern, die beim Singen ihre Nasen mit Wäscheklammern zuhalten und sich AutoTune-Geräte in den Mund einbauen ließen, auch wirklich dabei sein? Aber in der Welt von Marley-Grammy-Klub, in die nun auch die neue Generation der Wailers dazustoßen möchte, ergibt es perfekten Sinn. Es geht eben um interkulturelle Einigkeit – eine Welt, wie der Titel „One World“ des neuen Albums selbst sagend lautet.
Auch wenn die Wailers seit 25 Jahren kein Album mehr rausgebracht haben, war es irgendwie von vornherein klar, dass das eine Sonnenkur aus nichtssagenden Floskeln und Gemeinplätzen wird. Allein schon wegen der Verwicklung von Marley-Clan Mitgliedern wie Skip (bisher leider nur eine Grammy-Performance mit Katie Perry) und Julian (zwei Grammy-Nominierungen) Marley. Der inflationäre Gebrauch von love und unity, der alles ad absurdum führt, versteht sich dann von selbst, genau wie generische, auf Grammy-Standards aufpolierte Produktion und Arrangements. Es gehört quasi zu deren „Philosophy Of Life“. So heißt auch die zweite Single des Albums, die nicht nur von Emilio Estefan produziert, sondern auch geschrieben wurde. In ihr wartet der 19-malige Grammy-Gewinner mit Binsenweisheiten wie: ‚happy wife, happy life‘ oder ‚love your woman, love your man‘ auf – Grammy-verdächtig.
Zwei Welten
Aber es wurde keine Mühe gescheut, aus „One World“ ein umfassendes Album zu machen, da möglichst viele Geschmäcker bedient werden mussten. Hier und da werden kompakte Bläser-Einlagen gestreut, Mundharmonika auch. Viele catchy Refrains werden bemüht. Mit der fröhlichen „Only In Jamaica“ wird auch ein Werbelied für die Tourismus-Branche der Insel abgefertigt. „Walk And Talk (Never Go Astray)“ hat neben gemächlichen Rocksteady-Beat, auch ein Country-Gefühl mit verspielten Gitarrenriffs und luftigen Bläsersätzen. „It’s Allright“ kommt bluesig und rockig rüber und „Destiny“ hat etwas von Bob Marleys schönen One-Drop-Balladen. Grammy-verdächtige akustische Gitarrenbegleitung kommt in „Can’t Handle The Truth“ zum Einsatz. Genauso stellt sich gewisse Grammy-hafte Nyabinghi-Romantik in „Stand Firm Inna Babylon“.
Die zu fett aufgetragene, Grammy-hafte rockig-poppige Schminke liegt über nahezu allen vierzehn Songs des möglichen nächsten Grammy-Albums, die allesamt vergeblich versuchen, nach Roots Reggae und Originalität zu klingen. So ein Versuch, oder besser gesagt zwei, sind die beiden Version von „When Love Is Allright“, eine mit Julian Marley (2-facher Grammy-Nominee) und die andere mit den Brasilianern aus Natiruts (Latin-Grammy-Nominierung), die sich aber nicht unbedingt in ihrem händchenhaltenden, blumenkranztragenden Verarschismus voneinander unterscheiden. Die eine Welt, von der die Songs dieses Albums erzählen, ist die, wo Marley-Grammy-Klub und nun wohl auch die jungen Wailers hinzukommen, sowohl leben, als auch von der sie gut leben. Der Rest von uns lebt in dieser hier.
Zvjezdan Markovic
Haha, das klingt wirklich nach Kalkül und einem Grammy. Mal sehen, ob der Plan der Wailers aufgehen mag. Ich kann es mir sehr gut vorstellen….
Also, eine Grammy-Nominierung ist mindestens drin…
Angesichts der offensichtlichen Pop-Affinität, warum sollte man da von Verarschung sprechen? Diese Leute versuchen ja nicht hinter dem Berg zu halten, dass ihre Platte auf Erfolg gebügelt ist. Und das ist ja ihr gutes Recht! Als wäre man als Reggae-Künstler auf underground und der Seite der ewigen Gegenbewegung verdammt.
Musikalisch ist das handwerklich gut gemacht, aber mit gefällt das Ganze auch nicht und ich halte das nicht für originell oder mit der Latin-Fusion für besonders gelungen, Gegen die Botschaften kann man inhaltlich nicht viel schlechtes sagen, jedoch sind die Vibes in diesem Zusammenhang mit der Sufferer-Musik, die uns immer noch so sehr in ihren Bann zieht, nicht zu vergleichen. Die eurozentrische Perspektive, Reggae Künstler haben der Vorstellung zu entsprechen, dass sie nach wie vor in der Sufferer-Existenz verharren und aus dem Ghetto heraus ernste Botschaften aus eigens erlebtem Leid für den happyland-Hörer erschallen lassen müssen, halte ich für neokolonialistisch und ich würde dem Autor hier unterstellen, dass er die zentrale Botschaft von Reggae( Inity) nicht bis zum Ende verstanden hat und hier versucht, die Guten von den Schlechten zu segregieren.
Eine Plattenkritik, die in einer solchen Schärfe die Suche nach kommerziellem Erfolg verdammt, finde ich daher auch nicht gelungen. Ein Künstler hat das Recht, aus seinem Talent zu machen, was er will. Musikalisch kann man die Platte kritisch zerlegen, insbesondere im Vergleich zu anderen gegenwärtigen und erst recht klassischen Reggae-Produktionen, über die Beweggründe und Ziele der Künstler würde ich aber um mehr Zurückhaltung bitten. Zumal diese letztendlich doch spekulativ sind.
Es ist ein Pop-Album, das nicht versucht, sich als etwas anderes auszugeben. Das Eingangszitat von Aston Barrett jr. ist auch für mich scheinbar eine PR-Aussage, die den Autor vielleicht zu seinem Rundumschlag gegen die große verPopung unserer Lieblingsmusik angestachelt hat?!
Freue mich auf rege Antworten
Danke für das sehr ausführliche Feedback, in dem allerdings vergessen wird, dass sich hier um THE Wailers handelt. Den so geschichtsträchtigen Namen einer Band, die mit Bob Marley Songs wie „Run For Cover“, „Them Belly Full (But We Hungry)“ oder „Burnin‘ And Lootin‘“ gemacht hatten. Also ein Reggae, der Hand und Fuß hat. Im Gegensatz zu dem, was die heutigen vermeintlichen Wailers abzuliefern vermögen.
Natürlich sind die Mitglieder in der Zwischenzeit andere geworden. Aber da liegt auch der springende Punkt. Durch die Verwendung und maßlose Ausschlachtung des berühmten Namens, dass nichts mit dieser jetzigen Truppe gemein hat, außer verwandtschaftlicher Beziehungen – und das bezieht sich nicht nur auf diese, sondern auch auf die Marley-Sprösslinge – werden die Leute irgendwo auch in die Irre geführt und fälschlich angelockt, was einer Verarschung gleichkommt.
Dabei ist es nur traurig, so mit dem musikalischen und kulturellen Nachlass ihrer Väter umzugehen. Und dahinter steckt bei denen allen ein System, das sich durch alle ihre Alben wie ein Faden durchzieht. Ein künstlich geformter Reggae, der immer wieder ausschließlich auf die Bedürfnisse ihrer Zuhörer zugeschnitten wird. Dazu möchte ich hier etwas zitieren: ‚I think we can safely say that the next album will contain a lot of songs that will satisfy the varying tastes of our fans.‘
Und während dieser Satz von der koreanischen K-Pop-Band BTS kommt, könnte man sich durchaus vorstellen, dass er von einem der heutigen Wailers oder den Marleys kommen könnte. Und das ist das Traurige und Falsche daran. Eine Musik, die nicht die Bedürfnisse der Künstler, sondern die der Fans widerspiegelt, ist lediglich ein nach den Marktregeln erstelltes Produkt.
Etwas, dass eigentlich dem Wesen des Reggae gänzlich widerspricht und von mir als Verarschismus hier bezeichnet wurde. Dieser äußert sich unter anderem – in den Love- und Unity-Manierismen, das lediglich zu einer Verkitschung dieser durchaus ernsten und wichtigen Themen führt (ad absurdum).
Aus diesem Blickwinkel wurde auch diese Plattenkritik geschrieben und ich stehe voll und ganz dazu. Auf die Unterstellung, dass meine Haltung auch nur ansatzweise irgendwo neokolonialistisch wäre, möchte ich gar nicht eingehen.
Zunächst: ich schätze die Rezensionen von Zvjezdan Markovic sehr! Würden wir irgendwo zusammen rumhängen und uns unsere Lieblingstracks vorspielen, hätten wir eine ganz feine – und eine sehr lange – Zeit miteinander.
Als die Kunde eines neuen WAILERS-Albums die Runde machte, fragte ich mich, wie das einigermaßen authentisch gehen kann … Carly Barrett, forever einer der einfühlsamsten Reggae-Drummer, ist seit 33 Jahren Tod, scheinbar kein Sprößling am Schlagzeug vorhanden; Aston “family man”, sein Bruder, macht nix mehr … und so muss der Sohnemann am Bass ran. Soweit OK, das “Erbe” wird weitergetragen. Und es gab/gibt noch mehr ehemalige Wailers, die alle nich involviert sind. Bleibt Skip, der Opas Erbe nicht zu tragen vermag. Bobs Kinder Ziggy (machte zeitweise recht gute Alben, lange her), Stephen (könnte so viel mehr …), Julian & Co. gehen andere Wege, raus aus Papas Schatten, auch völlig OK. MARLEY ist eine Marke, damit muss sich der tiefer involvierte Reggae-Fan schon lange abfinden, schafft er auch, er kennt die Marktprinzipien inna Babylon. Aber gut finden kann er das nicht. (wer im übrigen hinter dem ganzen MARLEY HiFi-Krams steckt, weiß ich nicht, ist auch eine Marke, versehen mit red, gold an green, … seen?) Und wenn die WAILERS nun auch noch (fremd-)verwurstet werden, kann einem Liebhaber ganz locker mal der Kragen platzen … Neo-Kolonialistische Wahrnehmung euro-zentristischer Provenienz möchte ich nun wirklich nicht da hinein interpretieren.
Die Alben der Wailers Band in den 90ern konnte ich gut für sich stehen lassen, Junior Marvin hielt das Konstrukt mit z. T. guten Songs und eigenem Reggae in der Balance und strebte nicht mit Vollgas nach Markt (so zumindest meine Wahrnhemung damals).
Ich habe das hier in der Diskussion stehende Album 2x gehört, einiges ist knuffig, vieles viel zu glatt; Roots-Spielereien, z. B. Carly´s Schlagzeug-Sounds und Anlehnungen an Bobs Riddims höre ich eher als Andeutung von “wie es mal war” anstatt als Fundament der Songs. Also … ein paar nette Songs, fertig. Mehr ist nicht drin. Aber hey: Drauf steht THE WAILERS! Und dann ist und bleibt es einfach bitter und auch traurig für unsereins, wenn auch hier die Füllhöhe technisch bedingt ist.
Grüße gehen raus an alle, die sich qualitativ hochwertiger und in sich authentischer Roots Music verschrieben haben oder dieses bald für sich entdecken.
Danke für die netten Worte Tom. Ich glaube, wir verstehen uns 😉
Dass die Musik Vibes mäßig Kacke ist, müssen wir ja auch nicht diskutieren. Ich wollte halt einfach sagen, dass Zwjezdan die Leute doch einfach Musik machen lassen soll. die Musik kannst du dann ja auch kritisieren und auseinandernehmen, aber die Attitüde von Musikern oder die Absichten die hinter einer Musik Veröffentlichung stehen, müssen nicht in einer so bestimmten Art und Weise abgewertet werden. Auf jeden Fall nicht bei Musikern mit solchen Familiengeschichten, in der es genug finanzielle Abhängigkeiten gab, um es harmlos auszudrücken. Für mich hat es in einer wirklich guten Musik Kritik einfach nicht viel Platz, ansonsten stimme ich mit dir ja auch über ein.
Natürlich können die Musik machen, wie und welche die wollen. Steht außer Frage. Das ist auch gut so. Aber Musik ist, wie jede Kunst, auch immer ein Statement. Und auch wenn gar keines beabsichtigt ist, ist das wiederum ein Statement. Die Kunst, oder in unserem Fall Musik, ist auch immer eine Kommunikation zwischen dem Autor (oder Autoren) und Publikum und es liegt in der Natur der Sache, dass diese, im Moment ihrer Veröffentlichung, zu verschiedenen Interpretationen preisgegeben wird. Und das ist meine Interpretation des neuen Wailers-Albums.
Dabei ist mir die Ehrlichkeit gegenüber dem Leser am wichtigsten. Egal ob ich dadurch einen Shitstorm auf mich ziehe oder jemandem zu nahetrete (habe ich schon alles gehabt). Denn niemand möchte schließlich verarscht oder belogen werden. Es gibt genug bezahlte Reviews im Netz, die sich wie ein Werbetext lesen. Das hier ist es nicht. Dabei freue ich mich aber, und dafür danke ich, wenn es Reaktionen gibt. Denn, gerade wer sich anmaßt, über die Arbeit von anderen zu urteilen, muss auch Kritik vertragen. Und das ist auch gut so. In dem Sinne, Danke nochmals 😉
Natürlich wurde die Albumkritik aus einer eurozentrischen Perspektive heraus geschrieben. Das ist nun mal der Boden, auf dem die meisten von uns sozialisiert wurden. Für mich als Hörer bleibt aber eine starke kognitive Dissonanz. Es ist nun mal so, das ich den “Markenkern” der Wailers immer noch mit rebel music, Kritik an Herrschaftsstrukturen (Babylon) und dem Kampf der Unterdrückten gegen die Unterdrücker assoziiere. Zu erleben, wie dieser “Markenkern” zu einer belanglosen, austauschbaren Hülle ohne erkennbare Tiefe erodiert ist, hinterlässt Irritation. Fehlende Authentizität ist für mich grundsätzlich ein Ausschlusskriterium in einer Zeit, in der sich die meisten schon mit der Illusion von etwas zufriedengeben.
Die Albumkritik ist so eurozentrisch wie das Album “marktzentrisch” ist. Mir war wichtig zu betonen, dass wir von den geliebten Botschaften, die “uns Europäern” oft auch ein Licht aufgesteckt haben, und der rebel music der Wailers nichts mehr zu hören bekommen auf dem besprochenen Album.
Jetzt einmal ungeachtet der hier geführten Diskussion, ob es um das Schielen nach Ruhm (Grammy), Anpassung, eurozentristischer Sichtweise oder so geht. Ich finde das Album musikalisch ganz und gar nicht gut. Jede zweite Woche sende ich bei ByteFM und stelle Neues und Altes vor. Zumeist spiele ich dabei Tunes, die gerade erst veröffentlicht wurden, um die Hörerinnen und Hörer auf dem Laufenden zu halten. Nachdem ich mich mehrfach durch das neue Album der Wailers gehört habe, hat es nicht ein einziger Tune in die Sendung geschafft. Die Musik ist nur nicht authentisch, sondern wirkt zudem inhaltlich beliebig und irgendwie “aufgepumpt”. Ähnliches kenne ich z.B. von Morgan Heritage. Wenig überzeugend.