Shayne Amani “Speak Life” (Royal Regime)

Shayne Amani
“Speak Life”
(Royal Regime – 2022) 

Jetzt wo sich dieser historische, mit Events und Begegnungen ziemlich vollgepackte post-lockdown-Sommer langsam dem Ende zuneigt, ist endlich auch mal wieder Zeit für gemütliche Listening-Sessions auf dem heimischen Sofa. Ganz oben auf meiner Liste stand dafür die EP “Speak Life” von Shayne Amani, ein junger Sänger aus Toronto, den ich euch nach intensivem Hörgenuss hiermit ans Herz legen möchte.

Geboren und aufgewachsen in Jamaika hat er sein Gesangstalent wie viele Landsleute früh im Kirchenchor entdeckt, und schon damals rührte er mit seiner klaren Stimme und dem stets mitschwingenden “gewissen Etwas” die Gemeinde. Das durchweg positive Feedback ermutigte ihn, sich an eigenen Kreationen im weltlichen Kontext zu versuchen, wobei er sich die genannten Qualitäten auch als Erwachsener erhalten hat.

In Kanada verbrachte Shayne familiär bedingt seine “coming of age” Jahre, die er vor allem zum Netzwerken und für seine persönliche Entwicklung nutzte, so dass er mit den richtigen Leuten in Kontakt kam. Dazu gehören u.a. Kirk Diamond und Iiimpala, mit denen er 2021 eine EP veröffentlichte, die mich erstmals auf die spannenden Sounds aufmerksam machte, die da vor sich hin köcheln.

Mit “Speak Life” legt Shayne Amani nun seine Debüt-EP vor, die mit sechs Titeln einen guten ersten Eindruck von dem Künstler und seinen Anliegen vermittelt. Produziert von Iiimpala und der Band The Dub Chronicles orientiert sich die Klang-Architektur stark an Reggae, bringt aber auch ganz eigene Facetten ein. Gleich der erste Titel, “Gratitude” auf dem “Militancy Riddim”, ist dafür ein schönes Beispiel. Die Gebrüder Rattos (Craig am Schlagzeug, Ryan an der Gitarre und Jonathan an Bass und Keyboard) spielen einen energetischen Beat, dem feine Highlights aus Melodica und einer eingängigen Pianospur aufgesetzt werden, zu denen Shaynes helle Stimme ausgezeichnet passt. Er singt über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse sowie die eigene Verantwortung, sich immer wieder neu zu positionieren und vor allem dankbar zu sein: “Never stop spread love, growth, and gratitude!”

Mit dem ’80er-Charme von Synthies und blubbernden Keys nimmt der Tune “Where Has The Love Gone” uns mit auf eine Reise, um eben diese Frage zu beantworten. Der Sänger bringt diverse selbst beobachtete Beispiele an, die das Fehlen der Liebe belegen, und liefert auch gleich einen möglichen Ausweg (“together we are strong”), wobei er stellenweise stilistisch fast in Richtung Dub Poetry geht.

Etwas langsamer fließt “Queen B”, ein hauptsächlich digital produziertes Stück, das sich an die Auserwählte wendet und ihre Stärken aufzählt. Soulful! Ebenfalls aus Iiimpala’s Studio kommt der Titeltrack “Speak Life”, der druckvoll eine moderne Variante des Reggae umsetzt. Dem Text hört man Shayne’s jamaikanische Wurzeln deutlich an, denn er singt hier vor allem zu Beginn in tiefstem Patois, was den zur Vorsicht mahnenden Song sehr authentisch macht. Zu dieser Authentizität gehört auch eine selbstbewusste Positionierung innerhalb der Reggae-Gemeinschaft, die mit einem Augenzwinkern im finalen “Vibing” vorgenommen wird: “Natty deya pon di scene, strictly Clarks pon mi feet, spliff a built, chalice a steam…” Klangtechnisch auf jeden Fall das stärkste Stück der EP!

Mein Lieblingslied ist und bleibt aber “Chant On”, das übrigens sogar auf der Riddim-CD #109 vorgestellt wurde. Es hat nicht nur einen fröhlichen, zum Mitschunkeln einladenden Beat, sondern transportiert auch eine positive, ermutigende Botschaft, die von Shayne mit Gefühl und Zuversicht vermittelt wird.

Man hört der EP “Speak Life” an, dass hier nicht nach Rezept gearbeitet oder nach kühler Perfektion gestrebt wurde – Shayne Amani ist ein zugänglicher Künstler, der seine Liebe und Begeisterung für die Musik zu teilen weiß. Seine sensible, manchmal fast zerbrechliche Stimme und seine bescheidene Bodenständigkeit, die auch in dem von kiy-vision (Kiylana Ling) dezent gestalteten Cover zum Ausdruck kommt, machen ihn äußerst sympathisch, und es bleibt zu hoffen, dass er auch ohne Major-Label-Support weltweit Gehör findet. Auf meiner Playlist hat er es sich auf jeden Fall schonmal bequem gemacht!

Gardy Stein