Mellow Mood “Large” (La Tempesta Dub)

CD-Cover des amerikanischen “Star”-Designers Dewey Saunders

 

Mellow Mood
“Large”
(La Tempesta Dub – 2018)

“Preaching to the converted” – die Gläubigen bekehren, das trifft gleich zwei Mal auf dieses neue Album zu, das am 6. April erscheint. Die Texte wagen nichts Neues und – von Beliebtheitsmeldungen erschlagen – , glaube ich nicht daran, dass meine Rezension noch einen einzigen neuen Fan hervorrufen kann – selbst wenn ich rundum Positives schreiben würde.

Die Erfolgreichen

Überall gebucht (nur nicht in Deutschland, wo sie kein Booking anbieten), auf Spotify so und so viele Zigtausende Hörer/innen pro Monat, im Gesichtsbuch im Anflug auf die 200.000-Gefällt-Mir-Marke (fälschlicherweise in PR-Deutsch als “Fans” ausgewertet), so und so viele Video-Streams, ja ja ja … Die digitale Presse überschlug sich schon über die letzten Alben in Lob, “innovativ” seien Mellow Mood gar (wo? inwiefern? ich bitte um Nachhilfe…) oder sogar “unstoppably making their way” (klingt fatalistisch). Dass sie schon auf Jamaika waren, wird ihnen genauso wohlwollend ausgelegt, mit dem Unterton, ohne diese Erfahrung seien sie eventuell zu blöde für gute Musik, wie ihnen umgekehrt von der italienischen Presse gerade das Ach-So-Italienische bescheinigt wird (“jewel in the crown of the Italian reggae scene”).

Fakten-Check: Auch bevor sie in die Karibik flogen, haben sie schon Alben aufgenommen, und – nicht anders als bei Nattali Rize oder Miwata, waren die früheren Prä-Jamaika-Alben vielleicht näher an dem dran, was die Artists sagen oder wie sie klingen wollen. Das “Jamaika”-Etikett braucht man schlicht und einfach in der Szene, um ernst genommen zu werden.

Die erfolgreichen Authentischen

Das werden sie inzwischen. Wenn alles schon prima und Superlativ ist, können wir stillschweigend in den Hymnengesang des Lobhudelns und Freudejodelns einstimmen und die Sache für erledigt erklären. Tolles Album, kauft’s euch, reist der Band schnell noch nach Bristol, Barcelona und Bologna hinterher, es lohnt sich, nicht verpassen!, voll geil und überhaupt: ganz eigener Stil, hach, und sie waren schon auf J.A.M.A.I.K.A. (!!!), wirklich, und haben schon mit (stellt euch einen Quiek in der Stimme des Radiosprechers vor, bitte) Jah9 gearbeitet. Mit Jah9! Ist doch unglaublich, oder? Wer hat das nicht, ne?

Die Gebrüder Jacopo & Lorenzo nebst Giulio, Filippo und dem seit 2015 zur Band gehörenden Drummer Antonio

Die erfolgreichen Authentischen mit den guten Connections

Mensch, und jetzt haben sie sogar – auch wenn es nirgends erkennbar ist – (politically correct) die Sierra Leone’s Refugee All Stars auf dem Album zu Gast. Gefeatured! Hammer, die wissen wenigstens, wen man namedroppen muss. Refugees welcome, übrigens, mal so zwischenrein! Jetzt sind wir sicher schon beeindruckt, ohne einen Ton gehört zu haben. Doch siehe da: Der Mann, der das Album-Cover gestaltet hat, hat schon für RayBan gearbeitet. Staun! Und für Stones Throw Records, die ohnehin über jeden Zweifel erhaben sind. (Kleiner Exkurs: Das sind sie in meinen Ohren wirklich. Schöne raue analog aufgenommene Alben machen sie da mitunter, offen für Rockiges und Souliges, liefern geräuschlos und Hype-frei so feine Alben wie z.B. von Myron & E, “Broadway” (2014)).

Die erfolgreichen Authentischen mit den sehr, sehr vielen guten Connections

Abgesehen von den Referenzen, die sich mit der Zahl der Soundcloud-Abonnenten für Mellow Mood und ihren Kooperationen mit Hempress Sativa, Tanya Stephens und Richie Campbell und vielen weiteren tollen Taten ins Unendliche fortsetzen ließen, ist das Album dann zweierlei:

Die erfolgreichen Authentischen mit den sehr, sehr vielen guten Connections und der befriedigenden Musik

Einesteils ist “Large” handwerklich betrachtet für Roots-Dub-Freundinnen und Freunde edle Premium Quality und Note Eins; da kann man kaum mehr verlangen, und es ist soundtechnisch weitaus besser als das meiste. Andernteils, auf der Ebene der Originalität, ist es (mir) in Schulnoten gesprochen Note Vier wert. Es kommt natürlich immer darauf an, welches Spektrum man sonst hört. Im Journalismus gibt es etwas – das nennen wir (oder manche alten Hasen der Branche) “Nachrichtenwert”. Nachrichtenwert hat etwas dann, wenn es etwas Bestehendes verändert. Das ist hier nun eher wenig der Fall.

Kaffeebar-Soundtrack mit Premium-Dub

Wenn man’s in der Außendarstellung schlicht belassen hätte, würde ich jetzt sagen, ein nettes Album. Ein gut gespieltes, warm abgemischtes Album ohne die scharf geschnittenen Synthie-Beats des Klingeltonzeitalters. Ich würde sogar sagen, ah ja, da sind sogar politische Anspielungen drauf, wie klug. Wenn man bescheiden geblieben wäre, ohne Hipster-Alarm-Cover (das schön ist, aber einen World Music Sampler suggeriert und weniger das, was kommt). Wenn man den Promo-Eigenlob-Vorschuss weggelassen hätte. Wenn andere Rezensenten in den letzten Jahren nicht schon jeden Superlativ ausgerufen hätten.

Nun sind es immer wieder drei Fragen, die entscheiden, ob etwas vergleichsweise gut ist:

  1. im Vergleich mit den eigenen Ansprüchen,
  2. im Vergleich mit dem, was andere tun,
  3. im Vergleich mit dem, was – zeitlos gesehen – möglich wäre.

Die ganze Scheibe kann man in einem Rutsch durchlaufen lassen, sie fällt nicht auf, eckt nicht an, klänge in einer Kaffeebar gut und als Soundtrack eines Wochenend-Morgens. Alles gut. Paolo Baldini hat sie – nicht zum ersten Mal – dubbig produziert, das Mastering ist aus der ganz großen Liga der Mainstream-Produktionen, kein Störgeräusch, alles durchgehend entspannt blubbernd, nur die Gesangs-Parts manchmal zu laut und zu hoch im Timbre, und dann sind die Texte sehr stark im Vordergrund, ohne dass man die eigentlich hören will. Vielleicht will man es auch, vielleicht steht man auf “Preaching to the converted”, will das “Best of” aller gängigen Metaphern aus Roots-Sounds im intensiv gepressten Aufguss erleben und fühlt sich dann ganz schön zu Hause. Während man sich seelengestreichelt einen Joint gegen alles Böse da draußen dreht, das auch super-abstrakt und allgemein bleibt.

Mellow Mood produziert von Paolo Baldini im Jahr 2014 – nicht auf dem Album enthalten:

Track by Track – Die Songs im Einzelnen

“Call Back The Love” ist in seiner überraschend kurzen Minute das beste Stück für mich. In 60 Sekunden das emotionalste, expressivste. “Tuff Rocky Road” ist ein echt stark produzierter Dub-Tune. “Ms. Mary” hat einen poetischen Text, baut Spannung auf und spielt im Gesang mit den Möglichkeiten des Storytellings, der Sänger betont die Silben in Englisch (für ihn also einer Fremdsprache) akzentfrei und sehr bewusst, bringt einem seine Geschichte dramatisch und ironisch überspitzt nahe. So weit, bis hierher ist es Kunst.

In Track 4, der Single “Sound Of A War”, stört mich während des ganzen Hörens, dass ein sehr bekannter Riddim mit Ausnahme weniger Harmonie-Wendungen hier zugrunde zu liegen scheint, ohne genannt zu werden. Bei Track 8, “Another Day” ist diese Harmoniefolge in diesem Tempo auch wieder nahezu gleichtönend zurück. “Another Day” gibt relativ bald nach Beginn des Songs mit einer schönen Instrumental-Passage Luft zum Durchatmen. Der Sound besticht! Endlich mal Gesangspause für Jacopo und Lorenzo, die singenden Brüder aus Italien mit den Bärten und den wallenden schwarzen Dreadlocks und dem baskischen Nachnamen Garzia. Dabei singen sie angenehm, nur auf Dauer irgendwie zu viel. Ich soll eigentlich glauben und schreiben, dass “Sound Of A War” sozialkritisch, kapitalkritisch, politikkritisch, massenmedienkritisch ist, so suggeriert es die Plattenfirma.

Mellow Mood aus Italien: Lorenzo Garzia (Gitarre/Gesang) & Jacopo Garzia (Gitarre/Gesang)

Eigentor. Bei mir wirft die ganze Promotion-Darstellung, die wir Reporter erhalten, eher eine generelle andere Frage auf, der ich in diesem Artikel nachgehe.

Abschließend noch ein Wort zur Single bzw. dem Titelsong “Large”. Dieses Stück ist das ruhigste auf dem Album – eher selten, dass so etwas zur Single wird. Auch wenn es für mich unter Radio-Auswahl-Gesichtspunkten das zurückhaltendste Lied auf dem Album ist, kann man es im Alltagsgebrauch am Rechner sehr gut immer wieder mal hören, um “runterzukommen”. Viel mehr Pfeffer hat aber das tanzbare “String Up A Sound”, das gegen Ende des Longplayers eine unerwartete Kurve in Richtung Dancehall nimmt. Ich würde mich freuen, das während der Festival-Saison mal in dem ein oder anderen Dancehall Tent zu hören – auch wenn uns Mellow Mood auf den Festivals nach bisherigem Stand selbst nicht live beehren. Auch “Eye Waata”, Track 11, ist ein Song, der Drive hat, und vermutlich sind hier auch die Gäste aus Sierra Leone versteckt. Während das Album vielversprechend beginnt, muss man sich auf viel Roots-Dub-Dauerlauf einstellen, bis es gegen Ende noch mal spannend und auffallender wird.

Mein Fazit:

  1. Im Vergleich zu den eigenen Ansprüchen ist das Album HiFi, hätte aber noch das ein oder andere Instrument, mal eine Bridge im Song-Aufbau, eine zusätzliche Instrumental-Passage, einen Remix oder Live-Mitschnitt verdient gehabt, und gesanglich doch etwas mehr Spielraum für Facetten. So trägt es nicht über 44 Minuten.
  2. Im Vergleich zu dem, was andere machen, fragt man sich, mit welch dünnsuppigen Sounds andere viel größeren Erfolg haben. Man fragt sich aber hoffentlich auch, mit welch zigfach präziseren und kantigeren Texten andere viel weniger Erfolg haben.
  3. Im Vergleich dazu, wie die Musikgeschichte später dieses Album aufgreifen wird, ist es eben die Frage, ob man als Rasta Head in seiner eigenen Community alle vorhandenen Topics abarbeiten muss, oder ob man (ein italienisches positives Beispiel liefert hier die Ska-Band Shanti Powa) eine Öffnung und Weiterentwicklung dieser Topics wagt, ob man eben bewusst nicht nur in Englisch/Patois singt, sondern Sprachen mischt, wenn man schon andere Sprachen beherrscht, und ob man auch die Wortwahl der Lyrics in den Strophen auf bessere Beispiele für seine Thesen von der schlechten Babylon-Welt hin präzisiert und umgekehrt in den Refrains etwas Einprägsames zum Mitsingen anbieten will.

Album-Diskographie:

  • 2018, Large
  • 2016, 2 The World
  • 2015, Twinz
  • 2012, Well Well Well
  • 2010, Giulio Frausin (Bassist) und die Gebrüder Garzia (Background-Gesang) auf dem Album “Nel Giardino Dei Fantasmi” der Band Tre Allegri Ragazzi Morti
  • 2009, Move!

Philipp Kause

Interview

mit Mellow Mood von Gardy auf Irieites.de (2014) über den Bandnamen, italienische Festivals und darüber, warum sie nicht auf Italienisch singen

 

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.