Inna de Yard
(Chapter Two – 2019)
2017 schlug das Album “The Soul Of Jamaica” von Inna de Yard mächtig ein. Auf jeden Fall verdient! Wie kam es dazu? Das Konzept, alte Reggaeklassiker in einem akustischen, reduzierten Ambiente anzubieten ist nicht neu und begann, bezogen auf die “Inna de Yard”-Sessions, schon Mitte der 2000er Jahre u.a. mit dem Album “Inna de Yard” der Viceroys (erschienen auf Makasound). Musik, die in einer gemeinsamen Session zum Leben erweckt wird, hat auf jeden Fall Qualitäten. Gegenüber oder vielleicht neben Hochglanz-Produktionen, die in der Regel das weltweite Musikgeschehen dominieren, gewinnen hier Aspekte wie Intimität, Unmittelbarkeit, Gemeinsamkeit und Spontanität an Gewicht. Der direkte Draht wird hergestellt, was sicher in Zeiten, die voller, oft virtueller Bilder und Eindrücke sind, aber unterm Strich eher fensterlos erscheinen, nicht ganz ohne Charme ist. Handgemachte Musik kontra Reizüberflutung.
Mit dem schlicht und einfach “Inna de Yard” betitelten neuen Wurf haben die Musiker offenbar an Selbstbewusstsein gewonnen. Die Touren zum letzen Album wurden wild gefeiert: direkte, im Team gespielte Musik kommt an – was wirklich Hoffnung macht! Also weiter. Neben dem aktuellen Album gibt es jetzt sogar eine Dokumentation in den Kinos, die man sich auf jeden Fall nicht entgehen lassen sollte. Warum? Weil es einfach nahe geht.
Auf dem neuen Album versammeln sich viele Veteranen des Geschehens: Horace Andy, Kiddus I, Cedric Myton, Ken Boothe, The Viceroys, Judy Mowatt u.a.. Daneben treten jüngere Künstler in Erscheinung, wie Jah9, Var und Derajah. Gemeinsam pflegen sie einen angenehmen, entspannten Zugang zur Musik und widmen sich vielen Klassikern des Genres. So besucht Cedric Myton mit “Row Fisherman” den Alltime-Klassiker “Heart Of The Congos” (damals produziert von Lee Perry), Ken Boothe legt die Coverversion von “Everything I Own” der amerikanischen Band Bread wieder einmal neu auf und Horace Andy nimmt sich erneut “Ain’t No Sunshine” von Bill Withers an. Alte Hüte? Sicher, aber in dieser Form selten zu hören.
Judy Mowatt und Jah9 interpretieren Mowatts Hit “Black Woman” von 1979 neu. Dabei wird deutlich, dass Judy Mowatt gegenüber Jah9 die eindeutig bessere Sängerin ist. Die Kraft und gesangliche Präzision der Frau, die mittlerweile 67 Jahre alt ist, kann kaum überboten werden. Da hält Jah9 auf jeden Fall nicht mit. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt dagegen u.a. die akustische Version von “Be Careful” von Var, Derajah und Winston McAnuff. Gemeinsam erinnern sie an Matthew McAnuff, den Sohn von Winston, der 2012 ermordet wurde… Unterm Strich knüpft “Inna de Yard” an “The Soul Of Jamaica” an, ist aber weniger überraschend als der Vorgänger, da die Herangehensweise bekannt ist. Trotzdem ein Album, das in keiner Sammlung fehlen sollte.
Karsten Frehe