Ostroda Reggae Festival 2023 – Highlights & Fotos

Ostroda Reggae Festival

Schön, dass sich die Lage nach Corona wieder beruhigt hat. Eine schwere Zeit, u.a. auch für die Veranstalter von Festivals, liegt hinter uns allen. Bereits im vergangenen Jahr war beim Ostroda Reggae Festival zu spüren, dass wieder mehr geht. Das Lineup wurde bunter und internatinonaler und die Hoffnung auf noch bessere Zeiten war allgegenwärtig. Genau diese Hoffnung und vielleicht ja auch Erwartung wurde in diesem Jahr eingelöst: das Angebot an Artists war noch diverser und bot für viele der angereisten Fans die Gelegenheit, ausgiebig zu feiern. Neben etlichen altbekannten polnischen Acts, wie Tabu, Dubska, Damian Syjonfam, Etna Kontrabande, Shashamane und dem Masala Soundsystem, traten Kabaka Pyramid, die Dub Pistols, Jahneration, Zion Train, Nattali Rize und Dreadzone auf. Zudem war mit Total Hip Replacement & Anyankofo das zwischen Dänemark und Ghana brückenschlagende Projekt erstmals in Ostroda auf der Bühne zu erleben. Mit der Warsaw Village Band (Kapela Ze Wsi Warszawa) präsentierte sich außerdem eine sehr interessante Kapelle, unterstützt von BASSalyki, in der beschaulichen Stadt in Masuren.

Auf den Soundsystem-Stages kamen noch weitere Highlights dazu. So war nach ein paar Jahren Pause das Singledread Soundsystem, bestehend aus den Brüdern Malik und MadMaik, mit Deadly Hunta auf der Green Stage zu erleben. Hinzu kamen u.a. Pitch Black, Congo Natty & Blackout JA, die quirlige Truppe von Dancehall Masak-Rah, I Grade Dub sowie das Irie Ites Soundsystem aus Frankreich zusammen mit Chezidek. Auf der etwas kleineren Yellow Stage waren zum Beispiel Violinbwoy, King Dubear und Mack (Moonshine Recordings) zu hören.

Bei einem so umfangreichen Programm auf insgesamt drei Bühnen, ist es schwer, überall mal dabei gewesen zu sein. Im Folgenden sollen also meine persönlichen Höhepunkte beschrieben werden ohne dabei den Anspruch zu haben, damit das gesamte Spektrum bedienen zu können.

Donnerstag, 6.7.23

Wie immer begann das Festival im Amphitheater direkt an der Promenade des Ortes. Etwas verspätet traf ich dort nach der Hinreise mit Flugzeug und Bus ein, um erstaunt das Projekt Surtarang auf der Bühne zu sehen. Alleine schon optisch war das ein Hingucker, denn die drei Musiker*Innen waren äußerst bunt bemalt und interessant gekleidet.

Die Polen präsentierten ihre Mischung aus indischen Mantras, Dub, Psytrance und elektronischer Tanzmusik. Eine für das Festival ungewühnliche Melange, aber auf jeden Fall ein interessanter, farbenfroher Tupfer im Gesamtprogramm.

Mit Damian Syjonfam folgte einer der beliebtesten Reggaemusiker des Landes. Seine Auftritte sind immer äußerst sympathisch und musikalisch anspruchsvoll. Dass er eine große Fangemeinde hat, wurde auch an diesem Abend wieder deutlich. Im Nu hatte er das anwesende Publikum im Griff, das jedes Lied, wie etwa “Kto Siłę Ma” und “Czuję, Więc Jestem”, textsicher mitsingen konnte und den Artist mächtig abgefeiert hat. Lediglich der Gastauftritt von Christos DC (USA) bei dem Tune “Long Way” war etwas lahm.

Etna Kontrabande hat den Auftritt in diesem Jahr deutlich elektronischer gestaltet, als zuvor. Der Sound der kompletten Bandbesetzung wurde immer wieder mit Beats vom Computer angereichert, was der Performance viel Kraft verliehen und das Publikum zum wilden Tanzen gebracht hat. Es scheint so, als habe sich die Band in den vergangenen Jahren neu erfunden. Stellvertretend für den neuen Sound zwischen Roots, Dub und Dancefloor sei hier der Tune “Yet A Mount Zion” (2020) genannt, der live unglaublich gut ankam. Respekt!

Freitag, 7.7.23

Am Freitag zog das Festival wieder in das das Municipal Stadium OCSiR um. Als erstes Highlight war dort das Masala Soundsystem aus Warschau zu Gast, das hier das 20jährige Bestehen feierte. “Masala” deutet indische Themen an und so verwunderte es nicht, dass die vier Musiker eine wahrhaft wilde Mischung präsentierten, die sie selbst so beschreiben: “It spectacularly collides the world of traditional instruments and melodies from around the world with modern drum loops, deep bass and socially conscious street poetry (in Polish and English). Masala’s music crosses the genre boundaries, reaching for punk fury, dancey electronics, hip-hop expression, dub depth or ethnic mysticism – depending on the needs of the given tune”. Als Einflüsse sind hier insbesondere Bhangra und Jungle zu nennen. Ein spannender, bassgewaltiger Auftritt! Überraschend auch die Bauchtänzerin, die zwischendrin auf die Bühne kam.

Total Hip Replacement folgten direkt auf diese Bass-Party. Die Band aus Aarhus in Dänemark ist aktuell wieder mit den Musikern aus Ghana unterwegs, die an ihrem Album “Anyankofo” mitgewirkt haben. Mit insgesamt neun Musiker*Innen legte das globale Team los und sorgte mit etlichen Mitmach-Tanz-Aktionen für eine gute Stimmung im Publikum.

Musikalisch dominierte dabei das aktuelle Album mit eher afrikanischen Highlife-Klängen gepaart mit Reggae, Soul und dubbigen Elementen. Was immer wieder überzeugt ist die enorme musikalische Virtuosität aller Beteiligten, die Spielfreude sowie die Gabe, den Funken schnell überspringen zu lassen. Total Hip Replacement & Anyankofo schlagen gemeinsam Brücken zwischen Kulturen und Menschen – Globalisierung im äußerst positiven Sinn.

Ganz ähnlich verhielt es sich bei dem Auftritt von Kapela Ze Wsi Warszawa. Unterstützt von der Rhythmus-Section BASSalyki trafen hier traditionelle, folkloristische Gesänge und Melodien auf Reggae, Dub und Avantgarde. Die 1997 gegründete Band zählt zu den erfolgreichsten Ensembles Osteuropas abseits des Mainstreams. Immer wieder haben sie mit neuen Konzepten überrascht und auch weit über Polen hinaus viel Beachtung bekommen. Das Kombinieren von alten Instrumenten und Melodien mit modernen Klängen aktueller Musik hatte es wirklich in sich und hinterließ nicht nur mich persönluich mit viel Respekt und Anerkennung. Ein Erlebnis, das mich an den elektrisierenden Auftritt von den Twinkle Brothers und Trebunie Tutki beim Ostroda Reggae Festival 2018 erinnerte.

2003 wurde im Süden Polens die Band Tabu gegründet. Demnach stand in diesem Jahr die Feier ihres 20jährigen Bestehens an. Als Ort für die Feierlichkeiten hat sich Tabu das Festival in Ostroda ausgesucht. Mit viel Bühnenspektakel (u.a. Feuer- und Rauchfontänen) und extrem viel Energie legte die Band vor einem mehr als begeisterten Publikum los. Zwei Jahrzehnte, sechs Alben und unzählige Konzerte waren ein guter Grund, sich vor dieser Band zu verneigen und mit Freude zu Tanzen. Alle Musiker*Innen waren bestens gelaunt und insbesondere dem Frontmann und Gründungsmitglied Rafał Karwot war die Freude besonders anzumerken.

Der Abend bzw. die Nacht auf der Red Stage wurde von Zion Train beendet.  Neil Perch war zusammen mit zwei Bläsern und der Sängerin Cara angereist, um dem Publikum seinen “Militant Sound” in Bauch, Beine und Kof zu jagen. Wuchtige Steppers-Beats ließen keinen Wunsch übrig – Zion Train halt. Dabei bekam Cara den Part der Entertainerin und Botschafterin. Bei Zion Train geht es eigentlich immer um Visionen und Revolution, so auch auf dem aktuellen Album “Dissident Sound”, welches mit vielen Tunes im Set vertreten war. Allen Beteiligten ist mit dem Gig ein feines und vor allem im Bass-Bereich imposantes Finale des ersten Abends auf der großen Bühne gelungen.

Highlights auf der Green Stage waren insbesondere die Auftritte des Singledread Sounds, die hierfür eigens den Sänger Deadly Hunta eingeflogen hatten, sowie das furiose Set von Congo Natty, der mit Blackout JA angereist war und das Zelt zum Beben brachte.

Samstag, 8.7.23

Auch in diesem Jahr gab es im Rahmen des Festivals wieder die Reggae-Universität (“Uniwersytet Reggae”) mit dem Host Bartosz Wójcik. Als besonderes Highlight gab es am Samstagnachmittag ein interessantes Gespräch mit Greg „Dread“ Roberts und Leo Williams von Dreadzone. Anlässlich des 30. Jubiläums wurde mit den beiden ein Einblick in die bewegten Anfänge u.a. bei Big Audio Dynamite, die Gründungsphase von Dreadzone, aktuelle Entwicklungen und viele andere Episoden der Band gewährt. Dreadzone stand als Headliner an diesem Tag auf dem Programm.

Nachdem der Nachmittag und frühe Abend auf der Red Stage mit The Djangos, Immanuel, den Rebel Idrens und Voo Voo (alle aus Polen) begann, war gegen 23 Uhr die Zeit für den Reggae-Grammy-Gewinner Kabaka Pyramid gekommen. Und was soll man sagen? Er kann es einfach! In Nullkommanix hatte er das Publikum im Griff und wurde gefeiert. Mitsamt seiner äußerst festivaltauglich aufspielenden Band hat er eine sehr tighte und sympathische Show auf die Bühne gebracht. Mit seinen aktuellen Hits, wie “Make Things Work”, “Red Gold And Green” oder “Rock Me Nice” (welcher als Kooperation mit L’Entourloop auf deren Album “La Clarté Dans La Confusion” erschien) nebst anderen, früheren Erfolgen konnte der charmante Jamaikaner durch und durch überzeugen.

Das “Grande Finale” wurde allerdings von Dreadzone bestritten. Da MC Spee aktuell aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auf Bühnen zu sehen ist, war der Gesangspart ausschließlich Earl 16 überlassen. Mit seiner unglaublich schönen und hellen Stimme war er der Host des Abends und führte durch ein Programm, das dem 30jährigen Bandjubiläum mehr als würdig war. Die Mischung von Dub, Reggae und elektronischen Sounds war seit Anbeginn an ein Markenzeichen der britischen Band. Ihre Tunes sind verdammt gut tanzbar und ziegen einen magisch an, so man sich auf sie einlässt und in die Klangwelt des Dreadzone-Universums eintaucht. Mit an Bord waren Tracks , wie “Little Britain” oder “Rootsman” von ihrem Album “Dread Times”. Demnächst soll ein neues Album erscheinen. Man kann sich also schon vorfreuen.

Auf der Green Stage gab es nach einigen Jahren Pause wieder eine Begegnung mit dem wilden Dancehall Masak-Rah um den Frontmann 27Pablo. Die Energie zu beschreiben, die von dieser Truppe ausgeht ist nahezu unmöglich. Man muss einen ihrer Auftritte miterlebt haben, um zu verstehen, dass es elektrisierender kaum geht. 27Pablo hat es einfach drauf, das Publikum kraftvoll und zugleich sehr sympathisch einzuheizen. Die Selection bestehend aus Reggae, Dancehall, Soca und ganz anderen, oft abwägigen Tunes tut ihr Übriges, um die Massive zum Jubeln zu bringen.

Irie Ites meets Irie Ites

Im Rahmen des Festivals kam es übrigens zu einem allerersten, persönlichen Treffen zwischen Jericho von Irie Ites Frankreich und mir von Irie Ites Deutschland. Schon verrückt, weiß man doch seit Beginn der 2000er voneinander und war immer mal wieder in Kontakt. Der Reggaewelt war oft nicht zu vermitteln, dass es sich um zwei unterschiedliche Projekte handelt, die unabhängig voneinander auf den selben Namen gekommen sind. Eine Konkurrenz gab und gibt es nicht. Nachdem die Franzosen neben ihrer Soundsystemtätigkeit das Label Irie Ites Records gegründet hatten, folgten wir ein paar Jahre später mit Irie Ites Music. Musikalisch gibt es beim Output ein paar stilistische Überschneidungen, aber auch deutliche Unterschiede. Es tat gut, sich mal persönlich kennen gelernt zu haben. Jericho trat zusammen mit Chezidek auf der Green Stage auf. Hierbei überzeugte vor allem der Part des Sets bei dem der Jamaikaner am Mikro zu hören war und fein ablieferte.

Sonntag, 9.7.23

Letzter Tag des Festivals. Eröffnet wurde dieser von Dubska, einer der bekanntesten Reggaebands des Landes. Und wie immer hat die Band musikalisch überzeugt. Mit Titeln, wie “Z Ginącego Plemienia” (“Von einem sterbenden Stamm”) und “Bramy Niebieskie” (“Die blauen Tore”) vom Album “BDG Roots Rockers”, haben sie den frühen Abend in gleißendem Sonnenlicht auf das Angenehmste gestaltet.

Direkt danach folgten drei weitere feine Auftritte von Jahneration, Nattali Rize und den Dub Pistols. Vavamuffin, den finalen Auftritt des Abends (bzw. der Nacht), habe ich sausen lassen. Zum einen, weil ich die Band schon etliche Male live gesehen habe, zum anderen, weil vier Tage Festival doch in die Beine gehen.

Jahneration aus Frankreich waren bereits 2019 zum ersten Mal in Ostroda auf der Bühne. Bereits da konnten sie mit ihrer Melange aus Reggae, Hip Hop und Rock mitreißen. Und genau das haben sie in diesem Jahr beeindruckend wiederholt.

Die Band um die beiden Sänger Théo und Ogach ist live unglaublich kraftvoll, voller Präsenz und professionell. Während mich die Songs auf ihren bisher erschienenen Veröffentlichungen nicht richtig mitreißen konnten, gilt das für die Auftritte ganz und gar nicht. In Polen haben sie jedenfalls viele Fans gefunden, die auch an diesem Sonntag freudig mitgefeiert haben.

Die Australierin Nattali Rize war wie immer hoch konzentriert und musikalisch makellos bei ihrem Auftritt. Mitsamt ihrer Band aus Jamaika legte sie etliche Scheite ins Feuer und nahm das Publikum mit auf eine Reise durch ihren bisherigen Backkatalog. Beeindruckend war sie zudem auch an der Gitarre und der Djembé. Ein kurzer Gastauftritt von Kaba Pyramid, der noch vor Ort war, hat dem Set zusätzlich einen positiven Drall verliehen.

Ein Auftritt der Dub Pistols aus England ist immer ein Ereignis und Garant für eine wilde Party. Die Band um Barry Ashworth bietet seit Mitte der 90er Jahre mit ihrem eklektischen Sound aus Reggae, Jungle, Ska und diversen anderen Einflüssen Steilvorlagen für mitreißendes Abtanzen auf Seiten des Publikums. Neben Barry Ashworth war zudem Seanie T an den Vocals zu hören – beide haben sich gut ergänzt. Ein großer Teil des Sets bestand aus Tracks des aktuellen Albums “Frontline”, mit dem sich die Band in diesem Jahr erfreulich frisch zurück gemeldet hat.

Text: Karsten Frehe, Fotos: Karsten Frehe und Tomasz Misztal

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.