Ostroda Reggae Festival
Die Pandemie hatte auch die Organisatoren des Ostroda Reggae Festivals in den vergangenen zwei Jahren fest im Griff. Zwischendrin gab es dennoch mit dem eintägigen Odreggaeowanie (2020) und einem dreitägigen, aber ebenfalls reduzierten Ostroda Reggae Festival (2021) einen Ausblick auf schönere Zeiten – wann auch immer die kommen mögen. Beide Veranstaltungen fanden im Amphitheater der Kleinstadt am See statt. In diesem Jahr wurde der Event wieder größer. Klassisch wurde das Festival am Donnerstag im Amphitheater eröffnet und zog dann für das Wochenende auf ein Festivalgelände um. Dieses Mal in und um das Municipal Stadium OCSiR.
Donnerstag, 7.7.22
Der Auftakt des Festivals war wie immer in polnischer Hand. Nachdem Negril, The Djangos und die Paraliż Band den Reigen eröffnet haben, legten mit Dubska und den Maleo Reggae Rockers zwei großartige Bands nach, die immer wieder gerne gesehene Gäste beim Festival sind. Gerade der Auftritt von Dubska ist sehr überzeugend gewesen. Sie schaffen es, neben schönen Roots Reggae Nummern musikalisch immer wieder den Bogen weiter zu spannen und auch, passend zum Namen, dem Dub zu huldigen. Eine tight aufspielende Band mit zwei großartigen Vokalisten, Dymitr Czabański und Diana Rusinek, die gesanglich perfekt zusammen harmonieren. Songs, wie etwa “Z Ginącego Plemienia”, “Bramy Niebieskie” oder “Pył” gehen direkt ins Herz und in die Beine. Das aktuelle Album “BDG Roots Rockers” sei jedem Reggaefan ans Herz gelegt, egal ob nun Polnisch verstanden wird oder auch nicht.
Nach einer kurzen Umbauphase ging es mit den Maleo Reggae Rockers weiter. Die Band um Darek “Maleo” Malejonek ist eine Institution in der polnischen Szene. Beim diesjährigen Festival wurde das 25. Jubiläum mit einem ganz und gar eigenwilligen Set gefeiert. Nach einem mehr als mystischen Intro ertönt eine Interpretation von Alpha Blondys “Jerusalem”. Eine Eröffnung, die schon von Beginn an gezeigt hat, dass hier etwas anderes zu erwarten ist. Die Maleo Reggae Rockers haben sich im Vorfeld wohl dazu entschlossen, bekannte Tracks von früheren Alben, wie etwa “Wake Up”, mit viel Dub und Experimenten zu verbinden. Dabei war vor allem ein neuer Musiker, Tomasz Drozdek, von großer Bedeutung, der sich mit unerwarteten Instrumenten, wie Dudelsack, Drehleier, Didgeridoo, Maultrommel und vielem mehr klanglich anreichern in Szene gesetzt hat. Das Resultat war weniger tanzbar, aber dafür ein schönes Klangerlebnis.
Freitag, 8.7.22
Auch am Freitag begann das Programm im und um das Fußballstadion mit polnischen Acts. Johny Rockers, The Beat Rootz und Shashamane waren vertreten und haben die Festivalbesucher*Innen gut aufgewärmt.
Direkt danach ein Highlight, wenn es um die polnische Szene geht: Bakshisch feierte beim diesjährigen Festival das 40. Jubiläum. Die Band um Jarek Kowalczyk ist seit 1982 in wechselnden Bestzungen unterwegs und wurde in Ostroda mächtig gefeiert. Ein Verneigen vor einem Veteranen – toll und verdient! Anrührend und zugleich mit dem neuen Album “Ego” am Start. Direkt danach haben Jamaram meets Jahcoustix in der gewohnten Manier das Publikum fest im Griff gehabt. Ich persönlich kenne kaum eine andere Band, die es vermag, tolle Musik mit “Audience Participation” und verdammt gutem Entertainment mit viel Spaß zu verbinden. Das anwesende Publikum hat freudig mitgefeiert. Tolle Show!
Für den nächsten Auftritt war Mista Savona mit drei weiteren Musiker*Innen angereist. Im Vorfeld gab es Probleme wegen Visas und Flügen. Insofern war eine reduzierte Besetzung am Start, was auf jeden Fall schade war. Wäre nicht die agile und sympathische Brenda Navarrete dabei gewesen, die mehr als nur ihr Bestes gegeben hat, sowohl am Gesang als auch an den Percussions, hätte das ganze Projekt auch in die Hose gehen können. Ein Live-Abbild des aktuellen Albums “Havana meets Kingston Part 2” ist ihnen auf jeden Fall nicht gelungen. Da wäre auf jeden Fall mehr drin gewesen!
Der finale Auftritt von der Wicked Dub Division aus Italien an diesem Abend war dann der Hammer! Bass, Schlagzeug, Effekte und Gesang. Reduzierter und zugleich wuchtiger geht es kaum. Militanter Dub mit viel Kraft und Visionen. Oft geht es eben nicht um ein großartiges, filigranes Miteinander, sondern um Energie und Botschaften. Redundanz, Reduktion und Vehemenz waren die Zutaten zu diesem, unter die Haut gehenden, Auftritt der Italiener.
Samstag, 9.7.22
Der Samstag begann mit etlichen polnischen Bands, die ich schon seit Jahren immer wieder auf dem Festival sehe. Daher ging es erst um 19:30 Uhr für mich persönlich los. Es wäre schön, wenn beim nächsten Mal mehr Vielfalt geboten werden würde.
Pidżama Porno, eine polnische Punkrockband, hat die Red Stage mächtig auf Dampf gebracht. Schön, dass auch mal ganz andere Genres bedient wurden. Das tat gut und verlieh Kraft. Die Band existiert off and on seit 1987 und wurde mir von Maken, dem Booker des Festivals, als “die Toten Hosen Polens” ans Herz gelegt. Da ist auf jeden Fall etwas dran. Zudem waren Pidżama Porno eine der wenigen Bands, die sich auf der Bühne gegen den russischen Krieg in der Ukraine ausgesprochen haben.
Harter Cut! Lila Iké. Auf ihren ersten Solo-Auftritt in Polen haben ganz viele gewartet. Und es hat sich auch gelohnt, denn die Dame hat zusammen mit ihrer Band ein Feuerwerk gezündet. Mit Tracks, wie “Wanted” und “Where I’m Coming From” nebst vielen anderen, hat sie sich wieder einmal als versierte und kraftvolle Entertainerin gezeigt. Nach dem Konzert und sogar noch am nächsten Tag, sah man die Künstlerin zusammen mit ihrer Band auf dem Gelände herum spazieren, was vom Publikum völlig unaufgeregt für Selfies genutzt wurde.
Julian Marley & The Uprising waren für viele der anwesenden sicher das Highlight des Abends. Einen Nachfahren des großen Bob Marley auf der Bühne zu sehen hat ja sicher auch was. Nur leider kann Julian Marley nicht durchgängig gute Texte schreiben und nur mäßig singen. Daher hat er immer wieder auf Tracks seines Vaters zurückgegriffen (“Jamming”, “Exodus”, “Lively Up Yourself” etc.), die lauthals mitgesungen wurden. Der klassische Bob Marley-Singalong-Effekt hat also wieder einmal gegriffen, was für meine Ohren allerdings ziemlich öde daherkommt. Ein dickes Lob geht raus an die sehr tight aufspielende Band The Uprising.
Der späte Abend bzw. die frühe Nacht wurde von dem äußerst sympathischen Sänger Damian Syjonfam gestaltet. Er zählt zu den größeren Acts im Land, was man alleine schon daran sehen kann, dass sehr viele Menschen im Publikum textsicher mitsingen konnten. Mit “Kto siłę ma”, “Fałszywy Doktor” und vielen anderen Hits aus seinem Stall beendeten er und seine Musiker entspannt den Samstagabend.
Sonntag, 10.7.22
Die Highlights am letzten Tag waren auf jeden Fall die Auftritte von Max & Xana Romeo sowie Dub Fx auf der Red Stage. Auf der Green Stage waren neben dem Joint Venture Soundsystem noch Vibronics meets Joseph Lalibela am Start.
Die Romeo Familie ist mit gut gelaunter Band angereist und hat eine saubere Performance hingelegt. Xana Romeo hat dabei den Anfang gemacht und das Publikum mit ihrem Charme schnell für sich gewinnen können. Zwischendrin dann immer wieder der Altmeister Max Romeo, der mit seinen zeitlosen Hits “Chase The Devil”, “War Ina Babylon” und vielen mehr für Roots Reggae Highlights sorgte. Für einige Songs kam auch sein Sohn Azizzi Romeo auf die Bühne. Max Romeo gehört sicher zu den sehr alten Veteranen, schafft es aber immer noch, wenn auch etwas brüchig, mit seinen All Time-Klassikern zu punkten. Die mehr als nur beachtliche Leistung der Roots Heritage Band sei hier auch nochmal extra erwähnt.
Nach Max & Xana Romeo zog es mich zur Green Stage, da dort K-Jah, das Joint Venture Soundsystem sowie Vibronics zu hören waren. Tabu mit ihrer extrem energiegeladenen Show habe ich dieses Mal links liegen gelassen, da ich die Band schon unzählige Male genossen habe. Während des Festivals stellte sich heraus, dass die Green Stage etwas zu weit vom Geschehen lag. Zudem gab es mit dem Jah Love Soundsystem und der Yellow Stage (betrieben von Pandadread) zwei weitere Soundsystem-Locations auf dem Gelände, was etwas zu viel war. Dadurch war es auf der Green Stage oft nicht besonders voll, was wirklich schade war. Erst nachdem Dub FX mit seinem elektrisierenden Auftritt und Singalong-Tunes, wie “Fake Paradise”, fertig war, füllte sich das Zelt gegen 2 Uhr nachts. Vibronics legte ein beachtliches UK-Dub-Set auf und Joseph Lalibela griff als MC zum Mikrophon.
Uniwersytet Reggae
Wie in jedem Jahr findet freitags bis sonntags am frühen Nachmittag die Reggae Universität statt. In diesem Jahr haben mich persönlich vor allem die Filme “Rebel Dread” über Don Letts und “Studio 17: The Lost Reggae Tapes” beeindruckt, die in polnischer Erstaufführung gezeigt wurden. Zudem hat der Host Bartosz Wójcik am Sonntag ein äußerst sympathisches und informatives Gespräch mit Michela Grena von der Wicked Dub Division geführt. Es ging dabei um ihre musikalischen Wurzeln, die Visionen der Band und vieles mehr. Diese intensiven Gespräche habe ich in Ostroda schon immer geschätzt.
Text: Karsten Frehe, Fotos: Tomasz Misztal
Weitere Fotos vom Festival gibt es HIER!
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